Jack Hill

Schon seltsam, dass jemand, der fast im Alleingang das Blaxploitation-Kino der 70er mit Filmen wie COFFY und FOXY BROWN definierte und mit THE BIG DOLL HOUSE und THE BIG BIRD CAGE zwei der besten Women-In-Prison-Streifen überhaupt gedreht hat, die Pam Grier zum Star machten, seine Karriere als Regisseur 1962 ausgerechnet mit einem skurrilen Gothic-Kunst-Western-Studentenfilm namens THE HOST begann, dessen Story Francis Ford Coppola später für APOCALYPSE NOW klaute. Jack Hill ist ein Mann mit vielen Talenten. Neben seiner Arbeit als Musiker, war er für Roger Corman, eine andere legendäre Gestalt des Filmbusiness´, bei zahlreichen Produktionen als Cutter, Drehbuchautor und Regisseur tätig. Wenn es darum ging, einen aufregenden Drive-In-Exploitation-Klassiker zu fabrizieren, war niemand besser geeignet als Hill, sieht man mal von Corman selbst ab. Hill war immer bewusst, was das Publikum wollte, nämlich Sex und Gewalt, dennoch gelang es ihm dabei auf bemerkenswerte Art auch, politische und feministische Themen in seinen Filmen zu verarbeiten. Kein B-Film-Festival wäre denkbar ohne ein einziges Werk von Jack Hill, sei es seine bizarre Horror-Komödie SPIDER BABY mit Horror-Legende Lon Chaney Jr., eine Art TEXAS CHAINSAW MASSACRE-Vorläufer, sein Girl Gang-Epos SWITCHBLADE SISTERS (hierzulande als DIE BRONX KATZEN bekannt) oder die subtile Sexploitation-Klamotte THE SWINGING CHEERLEADERS. Netterweise erklärte sich der Anfang der 80er quasi in Rente gegangene Jack Hill, der trotzdem noch weiter an Projekten arbeitet, bereit, uns etwas über sein aufregendes Leben in der wilden Welt des amerikanischen Exploitation-Kinos zu erzählen.

Erzähl mal, wie du aufgewachsen bist. Stimmt es, dass dein Vater Bühnenbildner bei Disney war?


Mein Vater Roland Hill war in den 20ern Bühnenbildner bei den First National Studios und blieb dort, als daraus Warner Brothers wurde. Er wurde dort später Art Director und spezialisierte sich auf die Architektur bestimmter Zeitalter und Schiffsmodelle. Er entwickelte u.a. die Schiffsmodelle für CAPTAIN HORATIO HORNBLOWER. Er brachte regelmässig Drehbücher für mich zum Lesen mit nach Hause und nahm mich mit ins Studio, wenn sie Spezialeffekte filmten. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich der Jagd von Miniatur-U-Booten auf Miniatur-Frachter beiwohnte, gesteuert von Liliputanern, die sie in einem Wassertank für ACTION IN THE NORTH ATLANTIC filmten. Als Warner sein Art Department schloss, ging er zum Fernsehen und danach zu Disney, wo er die Inneneinrichtung der Nautilus für 20 THOUSAND LEAGUES UNDER THE SEA gestaltete, ebenso wie das Sleeping Beauty Castle und Tom Sawyers Insel in Disneyland. Nachdem er in Pension war, gestaltete er die Sets der vier mexikanischen Horrorfilme mit Boris Karloff, an denen ich mitgearbeitet habe, und die Zuckermühle in THE BIG BIRD CAGE.

Was ist dran an deinem Engagement in der Jazzszene von Los Angeles? Deine Mutter war ja Musiklehrerin.

Als Musiker habe ich überwiegend in Symphonieorchestern gespielt, habe aber auch Zigeunermusik in einem ungarischen Restaurant am Sunset Strip gemacht, reiste in den 50ern mit einer Rockband herum, und war Arrangeur und Studiomusiker, bevor ich anfing Filme zu machen. Meine einzige Verbindung zur Jazzszene war, dass einige meiner Freunde gute Jazzmusiker waren, mit denen ich Ende der 40er, Anfang der 50er viel zusammen war. Ich kann mich erinnern, in den kleinen Be-Bop-Läden dieser Zeit Miles Davis, Sonny Chris und Red Norvo gesehen zu haben. Jeder war damals völlig bekifft, das war fast selbstverständlich. Meine Mutter ist übrigens mittlerweile 94 und hat immer noch über 50 Schüler für Piano und Violine.

Du warst zusammen mit Francis Ford Coppola auf der Universität UCLA und hast mit ihm später bei seinen Filmen TONIGHT FOR SURE und DEMENTIA 13 zusammengearbeitet. Viele sagen, das letzte Drittel von APOCALYPSE NOW sei von deinem Kurzfilm THE HOST inspiriert. Erzähl mal etwas darüber.

Ich habe Teile seiner frühen Sexfilme wie TONIGHT FOR SURE gefilmt und geschnitten. DEMENTIA 13 hat Coppola nie beendet, da er die Chance bekam, grössere Sachen zu machen, also filmte und schrieb ich zusätzliches Material und überwachte den Schnitt. Der Kameramann von THE HOST war Steve Burum, der später auch bei APOCALYPSE NOW dabei war – inzwischen einer der begehrtesten Kameramänner Hollywoods, der u.a. MISSION IMPOSSIBLE filmte –, und mir bestätigte, dass er und Coppola am Set ständig Witze gemacht hätten, sie würden „Jack Hills Studentenfilm“ drehen. THE HOST kann man sich jetzt auf der SWITCHBLADE SISTERS-DVD anschauen.

Du hast früh während deiner Filmkarriere mit Legenden wie Boris Karloff gearbeitet. Hat dich das nicht ein wenig eingeschüchtert? Wieviel von diesen vier mexikanischen Horrorfilmen mit ihm hast du selbst gedreht?

Zu dieser Zeit war Karloff froh, überhaupt in einem Film mitwirken zu können, leider, insofern war es sehr entspannt, mit ihm zu arbeiten. Ich bedaure nur, dass ich damals zu beschäftigt war, um ihm persönlich wirklich näher zu kommen. Einige Szenen wurden in Hollywood gedreht, der Rest in Mexiko. Ich musste das Drehbuch so anlegen, dass die Szenen mit Karloff komplett in Hollywood gedreht werden konnten, da man die Sets ansonsten hätte doppelt aufbauen müssen. Wir drehten alle Szenen innerhalb von vier Wochen. Es war ein völliges Debakel. Aber es war auch eine völlig irre Idee, vier Filme zum Teil parallel zu drehen und sie dann erst später zu vollenden. Ich sollte dann nach Mexiko, um die Filme fertig zu drehen, aber man erlaubte mir die Einreise nicht. Der Produzent hatte finanzielle Probleme und starb schliesslich an einem Herzinfarkt, was auch kein Wunder war. Ich habe erst viel später erfahren, als die Filme auf Video erschienen, dass sie tatsächlich fertiggestellt worden waren. Alle habe ich mir nicht angeschaut, dazu fehlte mir der Mut.

Ich habe das Gefühl, dass es in fast all deinen Filmen um starke Frauen, Aussenseiter und staatliche Korruption geht. Wie würdest du selbst einen Jack Hill-Film charakterisieren?

Ich überlasse Kategorisierungen lieber anderen. Momentan schreibe ich zusammen mit meiner Frau romantische Komödien, obwohl sie sagt, die Drehbücher hätten manchmal diesen „kinky Jack Hill-Touch“. Ich weiss nicht wirklich, was sie damit meint. Mir gefällt es, starke weibliche Figuren zu entwickeln, deren Stärke aus ihrer spezifisch weiblichen Sexualität und Intelligenz herrührt, im Gegensatz zu ihrer Fähigkeit auch in physischer Hinsicht mit Männern konkurrieren zu können.

„Maximaler Effekt bei einem Minimum an Bedeutung“ umschreibt ganz gut die höchstens 2-3 wöchige Arbeit an einem Film mit geringem Budget. Aber du hast auch mal gesagt, dass ein geringes Budget einen zwingt, viel kreativer und origineller zu sein, um mit „großen“ Filmen mithalten zu können.

Das mit dem maximalen Effekt hat Beethoven über Händel gesagt, glaube ich. Ich ziehe Händel aber Mahler bei weitem vor. Jedenfalls hatte ich immer das Gefühl, dass meine Filme mit einem größeren Budget viel besser geworden wären. Aber wie sagt man doch so schön: Egal wie groß, es kommt darauf an, wie man es einsetzt.

Einer deiner bekanntesten Filme ist sicherlich COFFY. Kaum jemand wird diese krasse Szene vergessen, in der Pam Grier einem Typ den Kopf wegschießt. Aber im Gegensatz zu der Comic-Martial-Arts-Amazone Cleopatra Jones ist Coffy eine sehr glaubhafte Figur, weil sie einen normalen Job hat und ihr Handeln durch persönliche Erfahrungen motiviert wird. Siehst du das ähnlich?

Ich bin mir sicher, dass COFFY genau deswegen der Kultfilm wurde, der er bis heute geblieben ist. Sicher, es gibt immer ein Publikum für Verfolgungsjagden, Kämpfe und Explosionen, was auch immer, mir ging es aber auch immer um menschliche Aspekte und unerwartete Story-Wendungen. Obwohl CLEOPATRA JONES mehr als doppelt so viel gekostet hat und Warner wesentlich mehr für Werbung ausgegeben hat, war COFFY viel profitabler. Ich weiss, dass einige Kritiker den kommerziellen Erfolg eines Films oft als Maß für seine fehlende inhaltliche Qualität ansehen, aber ansonsten gibt es keine andere subjektive Form von Bewertung, wie viele Leute einen Film letztendlich mochten und andere dazu animierten, sich den Film ebenfalls anzusehen. Viel Geld für Werbung auszugeben, kann Leute täuschen. Fakt ist aber, dass COFFY durch Mund-zu-Mund-Propaganda eine Woche lang an der Kinokasse Nummer Eins war. Was mir aber viel mehr Genugtuung bereitete, war in einem Kino zu sitzen und die begeisterten Reaktionen des Publikums zu beobachten. Dennoch wurde COFFY damals von allen Kritikern einhellig verrissen – was für dämliche Ignoranten.

Du hast mit Pam Grier bereits bei THE BIG DOLL HOUSE zusammengearbeitet, ein Klassiker des „Women in prison“-Genres. Stimmt es, dass viele Ideen, wie die Waffen im Afro in COFFY und die Pistole im BH in FOXY BROWN von ihr stammten?

Pam wusste aus eigener Erfahrung sehr gut, wie man eine angespitzte Haarnadel als tödliche Waffe benutzte oder Rasierklingen im Haar versteckte. Eine Waffe im Afro war nur eine logische Ergänzung. Die Idee mit der Pistole im BH stammte aus einem Artikel über eine australische Firma, die BHs mit einem Halfter für kleine Pistolen zum Schutz von Frauen herstellte. Ich liess für den Film extra so einen BH herstellen. Aber ihr grösster Beitrag zu unseren gemeinsamen Filmen war, wie sie ihre eigene Persönlichkeit einbrachte und die Rollen, die ich für sie geschrieben hatte, zum Leben erweckte, wie es wahrscheinlich keine andere Darstellerin geschafft hätte.

Ist es richtig, dass das Originalscript von THE BIG DOLL HOUSE später als Basis für Jonathan Demmes CAGED HEAT diente?

Das Originaldrehbuch stammte von einem Freund namens Don Spencer. Er bot es mir an, und ich empfahl es Roger Corman. Letztendlich wurde nur der Titel verwendet, und ein komplett neues Drehbuch von Stephanie Rothman und einem anderen Autor entwickelt. Ich selbst nahm während der Dreharbeiten auf den Philippinen noch gravierende Änderungen vor, ohne das mit Roger abzusprechen. Er bekam den fertigen Film von mir und war ziemlich begeistert, da er sofort merkte, dass er einen echten Hit in den Fingern hielt. Ich glaube, das ursprüngliche Drehbuch wurde noch für zwei weitere Filme umgeschrieben, CAGED HEAT entspricht dabei sicherlich am ehesten der ursprünglichen Vorlage.

Wer kam eigentlich auf die Idee, den schwulen Wärter von den weiblichen Insassen vergewaltigen zu lassen? Nicht nur für die damalige Zeit eine ziemlich seltsame Idee.

Ich dachte damals, das wäre ein ziemlich spassiger Einfall, genau wie die meisten der weiblichen Darsteller. Keine Ahnung, wer die Idee ursprünglich hatte. Jedenfalls musste ich dafür die Verantwortung übernehmen.

Du hast in THE BIG DOLL HOUSE einen anderen Wärter Dietrich genannt, nach dem berüchtigten Schweizer Schmuddelfilm-Produzenten Erwin C. Dietrich, der dich und Corman bei ICH, EIN GROUPIE mit Ingrid Steeger wohl ziemlich übers Ohr gehauen haben muss.

Das war meine Rache dafür, mehr war leider damals nicht möglich. Später gelang es Corman, Dietrich in der Schweiz vor Gericht zu zehren und eine grosse Summe Geld zu erstreiten, da er den Film als Roger Corman-Produktion vermarktet hatte. Leider bin ich nie in den Genuss dieses Geldes gekommen.

SWITCHBLADE SISTERS, auch einer deiner bekanntesten Filme, hat damals wohl Verlust gemacht, was aufgrund seiner kraftvollen darstellerischen Leistungen kaum vorstellbar ist.

SWITCHBLADE SISTERS ist meiner Meinung nach völlig falsch vermarktet worden, und die Werbekampagne wurde dem Stil des Films in keiner Weise gerecht. Als ich damals das Artwork sah, war mir das sofort klar, aber da war es schon zu spät.

Du hast ja auch einen Film über Stockcar-Rennen namens PIT STOP gemacht. Kannst du darüber mal etwas erzählen?

Eigentlich habe ich Stockcar-Rennen damals gehasst, und das letzte, was ich wollte, war, einen Film darüber zu machen. Aber PIT STOP gab mir die Gelegenheit, aus diesem Sexfilm-Bereich herauszukommen. Als ich dann diese Rennen näher begutachtet hatte, hatte ich das Gefühl, diese besondere Ausprägung amerikanischen Irrsinns für die Nachwelt festhalten zu müssen. Ich hatte eigentlich gedacht, gerade in Übersee wäre dieser Ausschnitt des echten Amerika besonders populär, aber unglücklicherweise akzeptierten ausländische Käufer nicht, dass er in schwarzweiss gedreht war. Wie sich herausstellte, wurde der Film dann zum Kult bei Leuten, die fasziniert von den Autos und diesem damit verknüpften Lebensgefühl sind, weshalb sich die DVD auch sehr gut verkauft. Ich halte ihn nach wie vor für einen sehr gelungenen Film.

Von Roger Corman hast du sicherlich sehr viel gelernt, gleichzeitig waren die geringen Budgets etc. bestimmt ein extremes Ärgernis für dich.

Damals hatte ich ein wirklich gutes Verhältnis zu Roger. Er hat eigentlich nie nach Änderungen in meinen Filmen verlangt, die ich für ihn gemacht habe. Da er selber Regisseur ist, weiss er, wie er die besten Resultate von seinen Leuten bekommt, dazu gehört nicht, ihnen so lange in ihre Arbeit reinzureden, bis sie die Geduld verlieren. Andererseits gab er plötzlich absolut unsinnige Anweisungen, die von uns in der Regel ignoriert wurden. Einmal sandte er mich nach Portugal, weil dort ein guter Deal möglich war. Doch als ich ihm mitteilte, dass es dort unmöglich wäre, den Film zu drehen – er sollte in Zentralasien spielen – meinte er, ich sollte ihn einfach am Strand drehen.

Laut deiner Aussage ist WHITE HEAT mit James Cagney von 1949 der letzte wirklich grosse amerikanische Film gewesen. Was fehlt dir denn bei aktuellen Hollywood-Produktionen?

Das war eigentlich als Witz gemeint – übrigens ist WHITE HEAT auch einer der Favoriten von Clint Eastwood. Man kann den Output von Hollywood schlecht verallgemeinern, mir fehlt auf jeden Fall diese „In your face“-Mentalität, die die Warner-Filme der 30er und 40er ausmachten und mich massgeblich beeinflusst haben. Bei meinen Filmen reagierten die Leute immer sehr extrem: sie sprangen von den Sitzen auf, pfiffen und kreischten, was heutzutage nicht mehr oft passiert. Ich habe mal eine Besprechung über COFFY gelesen, den der Kritiker im Autokino angesehen hatte, und dabei leicht angewidert erwähnte, dass die Leute bei den Mordszenen und besonders schmutzigen Stellen alle wild gehupt haben. Für mich eines der schönsten Komplimente.

Bearbeitung: Thomas Kerpen