SLAYER

Kein Bedauern

Kaum zu glauben, aber im September veröffentlichten SLAYER mit „Repentless“ doch noch ein neues Album. Dabei hatten die Thrasher einige schwere Schicksalsschläge zu verkraften. Im Mai 2013 starb Gitarrist Jeff Hanneman an Leberversagen – zuvor hatte er sich 2011 in Folge eines Spinnenbisses eine schwere Infektion zugezogen und konnte nicht weiter bei SLAYER spielen. Streitereien um Geld zwischen Drummer Dave Lombardo und dem Management im Februar 2013 führten schließlich zu dessen Rauswurf, und letztendlich beenden SLAYER mit dem neuen Album die dreißigjährige Zusammenarbeit mit Produzent Rick Rubin und seinem Label American Recordings. Alles anders, alles neu. Gitarrist Kerry King stellte sich unseren Fragen.

Der Albumtitel scheint eine Kombination aus „Relentless“ und „Reptile“ zu sein. Was bedeutet das?


Als mir das Wort eingefallen ist, hatte es gar keine Bedeutung. Als ich mit Journalisten über „Repentless“ geredet habe, wussten alle, wovon ich rede. Dieses Wort sollte einfach existieren und ich garantiere dir, in zwanzig Jahren wird es im Wörterbuch stehen. Als ich mit Paul den Song geprobt habe, sagte ich: Dieser Song ist verdammt erbarmungslos (engl.: relentless). Und dann machte es klick und ich sagte: „Repentless!“ So ist das Wort entstanden, es ist einfach aus meinem Mund gefallen. Damals war es zunächst nur der Name für einen Song, nicht für das ganze Album. Repentless zu sein, heißt für mich: „No regrets! Kein Bedauern!“ Das ist meine Definition. Und das Wort bringt SLAYER auf den Punkt.

Den Song „Repentless“ nennst du die „Hanneman-Hymne“. Wie meinst du das?

Als ich angefangen habe zu texten, habe ich mich entschlossen, den Song Jeff zu widmen und ihm einen Gruß zu schicken. Deshalb ist der Song mein Tribut an Jeff. Der Song soll ausdrücken, wie Jeff das Leben gesehen und gelebt hat. Er bietet eine Perspektive für die Fans, die Jeff noch nicht kennen. So können sie erfahren, wie ich Jeff sehe. Für mich ist es ein Tribut an meinen Freund, der nicht mehr da ist, und für sie ein cooler Song, der ihnen etwas über ihren Helden vermittelt, was sie noch nicht wissen.

Kannst du mir dein Verhältnis zu Jeff genauer schildern?

Historisch betrachtet werden wir wohl als eines der größten Gitarrenduos aller Zeiten in die Geschichte eingehen. Ich schaue auf zu den Jungs von JUDAS PRIEST, K.K. Downing und Glenn Tipton, oder IRON MAIDEN mit Dave Murray und Adrian Smith. Und egal, ob du SLAYER magst oder nicht, wirst du Jeff und mich als Gitarrenteam schätzen. Wir haben einige großartige Alben gemacht und hatten wirklich einen guten Lauf. Leider gibt es jetzt nur noch einen von uns.

Wie viel von Jeff ist auf „Repentless“ zu finden?

Wir haben einen Song von Jeff verwendet, der heißt „Piano wire“. Der ist schon für das letzte Album entstanden. Er war aber noch nicht endgültig aufgenommen, das haben wir jetzt erledigt. Was Songs betrifft, die sich mit Jeff inhaltlich beschäftigen, gibt es nur „Repentless“.

Was hat sich seit dem Tod von Jeff bei SLAYER verändert? Ist die Chemie in der Band jetzt anders? Es gibt ja mit Gary Holt einen neuen Gitarristen und mit Paul Bostaph einen neuen Drummer.

Ich habe mich bis jetzt immer sehr um meine eigene Karriere gekümmert. So hat das eigentlich jeder in der Band gemacht. Und das soll jetzt nicht arrogant klingen, aber so waren wir einfach. Jeder hat sich um seinen eigenen Kram gekümmert. Jetzt beschäftige ich mich viel mehr mit meinem Verhältnis zu Tom, unserem Sänger. Wie fühlt sich Tom heute? Was denkt Tom über die neue Platte? Mir ist bewusster, dass wir seit dreißig Jahren denselben Weg gehen.

Seid ihr euch also auch privat näher gekommen, oder nur als Mitglieder von SLAYER?

Privat ist es schwierig. Wenn wir nach Hause kommen, sehen wir uns nicht. Tom Araya lebt in Texas. Ich lebe jetzt noch in Kalifornien und plane, bald nach Las Vegas zu ziehen. Es liegt also eine große Distanz zwischen uns. Aber wir verbringen sehr viel Zeit miteinander auf Tour oder an Interviewtagen wie diesem hier.

Sind Paul und Gary, die beiden Neuen in der Band, vollwertige Bandmitglieder bei SLAYER?

Als Tom und ich am Material für das neue Album gearbeitet haben, hatten wir wenig Zeit für geschäftliche Angelegenheiten. Paul ist zurück in der Band, hat aber noch keinen neuen Vertrag unterschrieben, soweit ich weiß. Das soll aber so schnell wie möglich erledigt werden und genauso wird es mit Gary laufen.

Die beiden Gitarren harmonieren sehr gut miteinander. Das klingt, als ob es nie etwas anderes gab.

Da gebe ich dir recht. Das funktioniert wirklich gut. Das weiß man ja nie, bevor man Aufnahmen macht. Für mich war es eine völlig neue Situation. Ich bin ins Studio gegangen und habe die Hälfte der Gitarren-Leads aufgenommen, dann kam Gary angeflogen und hat binnen 48 Stunden seine Gitarrenspuren aufgenommen. Dann habe ich ihm angeboten, ob er die Aufnahmen mit ins Hotel nehmen und noch einmal anhören will. Wenn du damit zufrieden bist, kannst du wieder nach Hause, sagte ich. Und er ist nach Hause gefahren.

Du hast vor vier Jahren angefangen, neue Songs zu schreiben, kurz nachdem Jeff von der Spinne gebissen wurde. Er konnte damals nicht mitarbeiten. Würdest du sagen, dass das neue SLAYER-Album eine Art Kerry King-Soloalbum ist? Bis auf einen, hast du ja alle Songs alleine geschrieben.

Das würde ich nie sagen. Dann würdest du glauben, alles, was ich mache, würde klingen wie SLAYER. Und dabei habe ich nicht vor, jemals andere Musik zu machen. Ich werde meinen Stil niemals ändern. Ich habe eine Menge Songs geschrieben und wir haben sogar einige Songs übrig. Acht sind es, glaube ich. Das könnte schon das Fundament für das nächste Album sein. Wenn wir uns also entschließen, noch ein Album zu machen, könnte es wesentlich schneller erscheinen als „Repentless“ und nicht erst nach sechs Jahren. Wir mussten eine Menge Probleme überstehen und dann wieder neu entdecken, wer SLAYER sind und ob wir mögen, wie SLAYER jetzt klingen. Wenn das einem in der Band nicht gefallen hätte, gäbe es keinen Grund weiterzumachen. Aber Tom, Paul, Gary und ich sind musikalisch sehr eng zusammengerückt und ich bin sehr glücklich damit, was gerade bei SLAYER passiert.

Gab es jemals den Gedanken, die Band aufzulösen?

Für mich gab es diesen Gedanken niemals. Wer hätte das Recht, AC/DC zu erzählen, dass sie nach „Highway To Hell“ ohne Bon Scott keine Platte mehr aufnehmen können? „Euer Sänger ist gestorben und ihr müsst euch einen neuen Job suchen!“ Da gibt es noch viel mehr Beispiele: Cliff Burton und METALLICA. Wie kann man als Fan sagen „Ihr solltet nicht weitermachen, weil jemand fehlt!“? Und AC/DC zum Beispiel sind mit „Back In Black“ zurückgekommen. Eine Platte, die sogar noch besser war als „Highway To Hell“. „Repentless“ ist, was wir sind und was wir machen. Es war nicht unser Plan, besser als jemals zuvor zu sein, aber das Album beweist, dass wir es können.

„Repentless“ ist das erste SLAYER-Album ohne die Beteiligung von Rick Rubin. Warum habt ihr die Zusammenarbeit beendet?

Rick hat eigentlich schon seit „Seasons In The Abyss“ aufgehört, SLAYER zu produzieren. Wir waren aber immer noch auf seinem Label. Und Executive Producer heißt einfach nur: Mir gehört das Label. Um fair zu sein, er hat sich die Songs immer noch angehört und ein paar Kommentare dazu abgegeben. Aber er war nie im Studio. Es ist also kein echter Abschied für uns. Die letzten drei Alben haben Greg Fidelman, Josh Abraham und Matt Hyde produziert. Es war also sehr leicht für uns, mit einem neuen Produzenten zu arbeiten. An die Arbeit mit Terry Date konnte ich mich schnell gewöhnen. Ich muss einfach die Person respektieren, die mir sagt, ich muss das Riff zum sechzigsten Mal spielen, sonst werfe ich ihm meine Gitarre ins Gesicht. Wenn er etwas hört, was ich nicht höre, dann weiß ich, er will es nur besser machen. Also habe ich es immer wieder neu gemacht und nie nein gesagt.

Hast du jemals darüber nachgedacht, selbst zu produzieren? Nach elf SLAYER-Alben weißt du doch, wie man das macht.

Ich weiß, wie man das macht. Und ich habe wirklich schon darüber nachgedacht, weil ich auch über die Zeit nach SLAYER nachdenke. Und die logische Konsequenz wäre, als Produzent anzufangen. Dafür habe ich aber nicht genug Geduld. Wenn du mich mit einer Person in einen Raum steckst, die sich wie eine Diva aufführt, gibt es nach kürzester Zeit Krieg. Ich komme nicht gut mit Leuten klar, die mir nicht zuhören.

Dave Lombardo hat SLAYER nach „World Painted Blood“ verlassen. Was denkst du über seinen Abschied?

Es war ein trauriger Tag. War ich wütend an diesem Tag? Natürlich war ich das! Aber aus heutiger Sicht ist es einfach nur traurig. Er hat den Rat von jemandem angenommen, der ihn sehr schlecht beraten hat. Das hat ihn seinen Job gekostet. Vor ein paar Jahren habe ich noch zu Dave gesagt: „Wir beide werden zusammen tot von der Bühne fallen“. Und das habe ich ehrlich so gemeint! Wenn er nicht diesen schlechten Rat angenommen hätte, wäre er vielleicht noch bei SLAYER. Ich habe aber seitdem nicht mehr mit ihm geredet, weil er ein paar böse Sachen über mich gesagt hat. Das ist nicht besonders professionell.

Auf „Repentless“ gibt es drei Songs, die schon zuvor veröffentlicht wurden. Warum habt ihr euch dafür entschieden?

Ein Freund von mir hat mal gesagt: Das ist, als ob ihr erst das Demo und dann die echte Version veröffentlicht. Dieser Gedanke gefällt mir. Ich liebe die Zeit von Kassetten, als man erst die Demoversion und später den finalen Song bekommen hat. Wenn ich einen Song veröffentliche, möchte ich, dass er zu einem Album gehört und keine B-Seite einer Single ist. Und die neue Version von „When the stillness comes“ gefällt mir einfach besser. Bei „Atrocity vendor“ hatte ich eine neue Version schon länger geplant. In diesem Songs habe ich meine Fehler entdeckt und wollte sie ausmerzen. Jetzt klingt er so, wie ich das ursprünglich wollte. „Implode“ haben wir mit Paul einfach nur von Grund auf neu aufgenommen. An diesem Song hat sich in der neuen Version am wenigsten verändert. Wenn ich diese drei Songs nicht aufs Album gepackt hätte, wäre es einfach ein kürzeres Album geworden. Ich mag Alben mit zehn Songs, so haben es alle meine Helden wie JUDAS PRIEST oder IRON MAIDEN gemacht. Von diesem Weg sind wir in den Neunzigern abgekommen. Und das habe ich wieder geändert.

Viele Metal-Bands haben experimentelle Phasen hinter sich. METALLICA sind dem Rock näher gekommen, KREATOR haben mal ein Gothic-Album aufgenommen und ANTHRAX mit HipHoppern zusammengearbeitet. SLAYER haben nie Experimente gemacht. Warum eigentlich?

Ich bin kein Fan von Experimenten. METALLICA haben das Live-Album „S&M“ mit einem Sinfonieorchester aufgenommen. Ist das cool? Ich weiß nicht. Es klingt gewaltig, würde ich mal sagen. Das wäre aber nichts für uns. So sind wir einfach nicht und ich mag, was wir machen. Ich mag, wofür SLAYER stehen und wie SLAYER klingen. Und ich will das nicht verwässern, was wir machen.

Ist das auch der Grund, warum viele Leute SLAYER lieben? Sogar Menschen, die sonst nichts mit Metal am Hut haben?

An JUDAS PRIEST habe ich immer gemocht, dass sie nie versucht haben, jemand anderes zu sein. Bis „Turbo“ herauskam. Dieses Album hasse ich. Für mich haben sie sich damit in Richtung Hair Metal bewegt. Und das ist nicht das, wofür ich JUDAS PRIEST immer bewundert habe. Und als „Painkiller“ herauskam, waren JUDAS PRIEST für mich wieder da. Ich glaube, so ähnlich denken die Leute über SLAYER. Ich mag Bands wegen ihres typischen Sounds. Ich mag AC/DC, BLACK SABBATH oder IRON MAIDEN. Und die alle haben ihren Sound nie verändert. Und das schätzen die Fans heute immer noch. Ich will den Leuten nie das Gefühl geben, das nächste Album könnte nicht wie das Album davor klingen, denn das sollte es.

Um welche Laster handelt es sich, die SLAYER im Song „Vices“ thematisieren? Was sind deine Laster?

Alkohol und meine Frau, haha. Mit diesem Thema kann jeder was anfangen, denn jeder hat ein Laster, egal, ob Alkohol, Zigaretten oder Schokolade. Ich habe also für jede Strophe ein eigenes Szenario entworfen. In der ersten Strophe geht es um Religion als Laster. In der zweiten Strophe geht es um Politiker und Habgier. In der dritten thematisiere ich Pädophilie. Und im Refrain spreche ich über Laster generell.

Neben der Musik betreibst du auch eine Schlangenfarm. Wie kam es dazu?

Ich mag es einfach, Gott zu spielen. Ich kenne mich gut mit Genetik aus und weiß ,was passiert, wenn ich einzelne Tiere miteinander kreuze und etwas schaffe, das es noch nicht gibt. Und fast jedes Jahr gelingt es mir, eine neue Variante zu züchten. Das finde ich aufregend, das macht mir Spaß. Man bringt die Reptilien dazu, Eier zu legen, und wartet mit Spannung auf das Ergebnis.

Und warum Schlangen? Du könntest doch auch Hasen oder Hunde züchten?

Mitte der Achtziger waren wir auf einer unserer ersten Touren unterwegs. Und in Texas hat uns jemand privat übernachten lassen, weil wir kein Geld für ein Hotel hatten. Der Typ hatte eine Schlange, die er auch noch „Slayer“ getauft hatte. Und ich dachte nur, was für ein cooles Haustier! Und Schlangen passen einfach zu meinem Lifestyle, weil ich nicht jeden Tag zu Hause bin. Um Tiere wie Eidechsen oder Hasen muss man sich täglich kümmern. Wenn ich eine Woche lang unterwegs bin, ist das für die Schlangen kein Problem. Sie brauchen kein Wasser und kein Futter. Also habe ich meine erste Schlange gekauft und sie „Venom“ genannt. Das war damals meine Lieblingsband. Ich habe also mit einer Schlange angefangen und inzwischen kann ich sie nicht mehr zählen. Ich habe mich auf eine Art spezialisiert: Teppichpythons aus Australien.

SLAYER haben auch einen sehr außergewöhnlichen Merchandise-Artikel: das SLAYER-Auto von Scion. Steht so ein Auto in deiner Garage?

Nein. Scion haben vergangenes Jahr unsere Tour in Amerika gesponsort. Sie wollten einfach ein SLAYER-Auto machen und bei diversen Car-Shows präsentieren. Also haben sie Tom und mich nach ein paar Styling-Ideen gefragt. Und ich finde, es ist wirklich cool geworden. Ich bin sicher, das Teil kann sich kein Mensch leisten, aber sie haben wirklich viel Wert auf Details gelegt. Ich glaube, sie haben kein einziges verkauft. Es gibt nur einen Prototyp, der wahrscheinlich irgendwann in einem Museum von Toyota oder Scion landen wird.