AOS3

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Familienangelegenheiten

Die musikalischen Wurzeln der 1990 in Sunderland, UK gegründeten Dubpunk-Band AOS3 liegen bei THE CLASH und THE RUTS, und gemeinsam mit Bands wie RADICAL DANCE FACTION, BACK TO THE PLANET, CULTURE SHOCK, CITIZEN FISH oder SCUM OF TOYTOWN gehörten sie zur nachfolgenden Dubpunk-Generation. Doch kurz nach der Veröffentlichung ihres zweiten Albums „Diversionary Tactics “ im Jahr 1995 war auch schon wieder Schluss mit der Band. Sänger und Keyboarder John widmete sich fortan den nicht minder interessanten Nachfolgern P.A.I.N., die er 2001 verließ und sich aus dem Musikgeschäft zurückzog. Im Jahr 2006 kam es dann überraschend zur Reformation von AOS3 in veränderter Besetzung und mit „Far And Few“ erscheint nun tatsächlich auch ein neues, drittes in Eigenregie umgesetztes Album.

AOS3 steht für Augustus Owsley Stanley III. Er war Chemiker und stand am Mischpult für GRATEFUL DEAD. Ihm gelang es zudem als Erstem, größere Mengen pures LSD herzustellen. Wie steht ihr zu dieser Droge?

Um 1990 herum entwickelte sich in Großbritannien eine sehr aktive, sehr freie Festivalkultur und auch Acid House kam auf. Wir waren mit der Kultur, der Musik, der Geschichte und Philosophie psychedelischer Drogen vertraut. Das geht zurück bis Albert Hoffmann und Aldous Huxley. Timothy Leary erwähnte Owsley Stanley III in seinem Buch „The Politics of Ecstasy“. Wir waren damals in einem Alter, da konnten wir mit so etwas bestens unsere aufgebrachten Eltern erschrecken, die uns während unserer gesamten Kindheit erst vor den langhaarigen Hippies und später vor den Punks gewarnt hatten. Und wehe uns, würden wir mal so werden wie die. Wenn das mal keine unbeabsichtigte sich selbsterfüllende Prophezeiung war. Aber so ist das mit den verbotenen Früchten: Sie sind irgendwann einfach zu unwiderstehlich und es schien einfach so viel Spaß zu machen, wenn man mal davon genascht hatte. Das brachte mir damals viel Ärger ein. Was aber die Drogen betraf, war das damals für mich eher eine Art Umprogrammierung meiner Persönlichkeit und hatte mit Party wenig zu tun.

Das Bandlogo vereint vier bekannte Symbole: das Anarchie-A und die Zeichen für Frieden, Yin und Yang und Om, zusammen lesbar als AOS3. Welche Philosophie steckt dahinter?


In Bezug auf unsere Geschichte realisierten wir irgendwann, dass wir in Form eines Logos mit den vier Symbolen vereinfacht auf all das hinweisen können, zu dem wir im Wesentlichen stehen: Zum einen wäre das Empathie und Mitleid, oder kurz gesagt Liebe, was heutzutage ein wohl eher unpopuläres Wort geworden ist. Dabei geht es um das Erkennen der echten menschlichen Bedürfnisse und nicht um scheinbar Erstrebenswertes wie Geld, Glauben oder Macht. Unser Logo ist eine Art Symbiose aller vier Symbole, in der es in erster Linie um die persönliche Freiheit geht, die nichts mit kapitalistischen und wirtschaftlichen Interessen zu tun hat. Manche würden das als Anarchie bezeichnen, wenngleich das immer sehr individuell und unterschiedlich gedeutet und interpretiert wird, abhängig davon, wer das Wort in den Mund nimmt. Ich zog es vor, den Begriff „libertär“ zu gebrauchen, bis die neokonservative Lobby das Konzept bizarrerweise für sich entdeckt und geklaut hat. Ich verstand darunter persönliche Freiheit und Autonomie, aber jetzt wird darunter wirtschaftlicher Liberalismus und uneingeschränkte Wirtschaft ohne staatliche Kontrolle verstanden. Und auf einmal kommen diverse Bewegungen und Szenen mit ihren festgefahrenen Strukturen und Positionen in Schwierigkeiten. Sprache kann sich drehen, winden und wenden und plötzlich kommst du mit deiner bisherigen Interpretation unter die Räder, da sich die Bedeutung mehr und mehr zu einem anderen Kontext hin verändert. Aber genau das ist so gewollt. Das soll uns verunsichern und verärgern. Genau das ist ihr Ziel. Wir versuchen es mit einer gewissen „Vielleicht-Logik“ aufzunehmen. Das Om verbindet uns auf spirituelle Weise mit all den Bands der freien Festivalkultur bis in die Siebziger Jahre hinein. Ich denke da an GONG, HERE AND NOW oder HAWKWIND, die das alles sehr beeinflusst haben und bei deren Auftritten das Om-Symbol in Großbritannien allgegenwärtig war. Das Symbol der Friedensbewegung soll Frieden als etwas Festes darstellen und das Yin-Yang soll uns an gegensätzliche, doch zusammengehörige Kräfte erinnern wie männlich/weiblich, Leben/Tod. Wir Menschen sind unser eigener schlimmster Feind!

Warum war AOS3 ursprünglich nur als Projekt auf fünf Jahre geplant?

Fünf Jahre schien uns ein realistischer Zeitraum zu sein, um als Freunde eine Band erfolgreich zu machen. Das alles ist ja schon schwierig und stressig genug, aber dann wollten wir auch noch unser eigenes Ding durchziehen. Irgendwann kamen die musikalischen Differenzen, die Luft war raus und wir hatten das Leben aus der Reisetasche einfach satt. Kurz darauf versuchte jeder wie besessen, irgendetwas anderes an einem weit entfernten Ort zu machen.

Aber erst nachdem du bei P.A.I.N. ausgestiegen bist, schienst du endgültig vom Musikgeschäft enttäuscht und desillusioniert. Was hat dich dennoch dazu bewogen, AOS3 wieder zu reaktivieren?

Um 2003 herum spielte ich kurz mit Dickie Hammond von LEATHERFACE und DOCTOR BISON und drei Typen aus Bayern zusammen. Das nannte sich BROKEN HEART ORCHESTRA. Zwei Jahre vorher war ich bei P.A.I.N. ausgestiegen und hatte London verlassen. P.A.I.N. waren immer mit immens viel Stress verbunden. Als das letzte Quäntchen Positives und Spaß abhanden kam, gab es für mich keinen Grund mehr, daran festzuhalten und weiterzumachen. Mein Sohn war damals vier, fünf Jahre alt. Ich konnte ihn nur am Wochenende sehen, und da waren wir dann ständig mit der Band unterwegs. Ich entschied mich für meinen Sohn, da er der einzige mit mir leiblich verwandte Mensch ist. Ich wurde selbst adoptiert und weiß, was es bedeutet, keinen Vater zu haben. BROKEN HEART ORCHESTRA waren im Nachhinein betrachtet ein ganz schlechter Wiedereinstieg. Vom Gesang abgesehen hatte ich in dieser Konstellation keinerlei Einfluss auf die Musik. Und dann wurde ich noch von den Jungs aus der Band geworfen. Das zog mich ganz schön runter und ich begann, alles und jeden zu hassen, der auch nur ansatzweise etwas mit Musik zu tun hatte. Das nahm fast schon paranoide Züge an. Es dauerte seine Zeit, mich aus diesem Sog der Enttäuschungen herauszuarbeiten. Schließlich kam ich zu der Einsicht, dass nur ich selbst die Sache wieder zum Laufen bringen konnte. Nach langem Hin und Her entschied ich mich, es noch einmal zu versuchen. 2006 traf ich mich mit Colin in einer Bar in Sunderland. Ich erzählte ihm, dass ich mit Sam und Kev in einer Spaßkombo namens YOURSPACE MYTUBE ein bisschen Musik machte. Das war damals eine Art Reha. Kev hatte mich in Lewisham angesprochen, ob wir nicht einfach mal so ein bisschen gemeinsam jammen könnten, ganz ohne Druck und ohne Hintergedanken. Und so fand ich langsam wieder Spaß an der Musik. Der Druck war weg, eine Band am Laufen halten zu müssen, um finanziell mit seiner Familie über die Runden zu kommen. Genau das hatte mir die Leidenschaft für die Musik kaputtgemacht. Etwas später telefonierte ich mit Andy, dem Bassisten aus alten AOS3-Tagen, der bei TARANTISM spielte. Wir einigten uns, einfach ein paar Mal zu proben. Das funktionierte ganz gut, und so kamen wir wieder zu ein paar Gigs. Das war vor etwa acht Jahren. Mittlerweile sind wir wieder ziemlich aktiv, ohne finanziellen Druck, ohne genaue Zielsetzung, auch wenn jetzt das dritte Album fertig ist.

Wie sieht die aktuelle Besetzung genau aus?

Colin C. an der Gitarre, Andy Brown am Bass und ich stammen aus der Originalbesetzung. Schon damals waren wir das Herz der Band. Unsere Kontakte mit Erl, Jef, Greame, Keri und Bill werden intensiver, je älter wir werden. Aber neu dabei sind jetzt Kev P., Percussion und Schlagzeug, Sam G. an der Gitarre, meine Frau Penny singt und spielt Saxophon, sowie mein Sohn Oska, der zusätzlich noch Gitarre spielt. Das mag verrückt klingen, mit dem eigenen Sohn in einer Band zu sein, aber bislang ist das eine sehr positive Erfahrung für uns beide. Er war noch ein Baby, als das mit AOS3 begann, und ist jetzt mehr Musiker, als ich es jemals war. Meine ganze Familie ist jetzt in die Band involviert. So schließt sich der Kreis.

Es hat nun fast zehn Jahre gedauert bis zum Erscheinen von „Far And Few“.

Gerade wegen meiner schlechten Erfahrungen im Musikgeschäft ist mir unabhängiges Arbeiten so wichtig geworden. Deshalb erscheint das Album auf unserem eigenem Label. So gibt es niemanden, der für oder über dich hinweg Entscheidungen fällt oder dir ständig im Nacken sitzt. Wir werden in diesem Zusammenhang auch älteres Material wiederveröffentlichen. Aber es wäre verrückt, sich angesichts des Klanges der neuen Platte zu sehr an den alten Aufnahmen festzuklammern, zudem wir bald in diesem Jahr mitgeschnittene Live-Aufnahmen und weiteres Studiomaterial nachlegen werden. Die neuen Sachen sind viel druckvoller. Es waren bei uns noch nie so viele talentierte Leute zusammen. Die heutige Aufnahmetechnik bietet ganz andere Möglichkeiten und ein noch umfangreicheres Multitrack-Recording, so dass das Album viel mächtiger klingen wird und viel besser gemixt ist, als uns das bei den früheren Aufnahmen möglich war. Außerdem ist „Far And Few“ eine Art Versuch, die Bandbreite von Rhythmen und Strukturen zu vergrößern. Und ich glaube, genau das erwarten die Leute von uns.

AOS3 gehören zu einer kleinen Gruppe von Bands, die mit Punk, Dub und anderen musikalischen Einflüssen ein ganz eigenes Genre geprägt haben, das vor allem in anarchistisch-libertären Kreisen großen Anklang findet. Wie erklärst du dir das?

Punk, Reggae, Rock’n’Roll an sich, das alles ist rebellische Musik. Und darin gibt es jede Menge leidenschaftlichen Freiraum. Ich persönlich mag viele Arten von Musik und für eine Szene ist es meiner Meinung nach das Beste, wenn es abenteuerlich bleibt. Die Vielseitigkeit macht’s. Hört euch mal THE TOFU LOVE FROGS an, die ganz andere musikalische Elemente verwendeten und großartig waren. Bleib begeisterungsfähig, bring es mit ein, entwickle dich weiter. Musik sollte nicht wie ein Rezept mit ganz klaren Zutaten und Mengenangaben sein. Ich hoffe, genau das wird euch beim Hören unserer neuen Platte bewusst.

Und wie ist das mit den von dir eingeforderten „good injection of politics in the scene“?

In Bristol, Manchester und Liverpool scheint es eine aktive und produktive Widerstandsbewegung mit einigen guten Bands zu geben. Unabhängig von der Szene ist es gut zu wissen, dass es generationsübergreifend Menschen gibt, die sich mit Leidenschaft auch politischer Themen annehmen. AUTONOMADS und BLACK STAR DUB COLLECTIVE gelten als „Kinder von AOS3“ und wenn dem so ist, dann haben wir keinen so schlechten Job gemacht. Wir können durchaus akzeptieren, dass wir nicht mehr das Maß aller Dinge sind. Und ehrlich gesagt, sind wir mittlerweile auch sehr froh und erleichtert darüber.

 


DISKOGRAFIE

Tottenham 3 (7“, Words Of Warning, 1992)

Conspiracy (Split-7“, w/ CITIZEN FISH, Bluurg, 1993) God’s Secret Agent (CD/LP, Words Of Warning, 1994)

Diversionary Tactics (CD/LP, Inna State, 1995)

Far And Few (CD/LP, AOS3, 2015)