MASSENDEFEKT

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Leben jenseits der Komfortzone

Für MASSENDEFEKT aus Düsseldorf und Neuss waren die beiden vergangenen Jahre rasant. Mit ihrem Album „Zwischen gleich und anders“ enterten sie nicht nur die Charts, sondern auch die größeren Hallen und Festivals. Jetzt wollen sie mit dem Nachfolger „Echos“ das Tempo noch einmal anziehen. Die Songs wirken poppiger, zudem klingt Frontmann Sebastian Beyer nicht mehr so rotzig. Und dennoch spielt das Quartett einmal mehr seine Trademarks aus: Rock, der mit Punk verschnitten ist. Mehr Punk als zuletzt sogar. Dazu Texte, die ohne Pathos vom Leben jenseits der eigenen Komfortzone erzählen, von Träumen und Zielen, vom Scheitern und von bedingungslosem Idealismus.

Sebi, sprechen wir über euer neues Album. „Echos“ ...


Ja. Wie findest du es? Es ist anders, oder? Ein bisschen poppiger geworden.

Das sehe ich in der Tat genauso. Es passt gut zu euch und es klingt trotz mehr Eingängigkeit nach MASSENDEFEKT. Ich hätte allerdings anstelle des Titeltracks und „Mauern“ eher das Stück „Neue Helden“ als Single ausgekoppelt. „Alte Helden – lasst sie fallen“, so eine Textzeile passt doch zu einer aufstrebenden Band, die sich in einer schon recht alten Punk- und Rockszene etablieren will, oder?

Das stimmt schon. Wobei ich den Text mit einer ganz anderen Intention geschrieben habe. Es geht darin um all diese Alt-Nazis. Diese Opas, die immer noch rumlaufen, etwa im Rahmen von PEGIDA und anderen rechten Organisationen, und ihren immer gleichen braunen Mist erzählen. Es geht also darum, nicht an dieser ganzen alten Scheiße festzuhalten. ... Aber ich finde es spannend, wie du ihn deutest, denn genau so soll es sein. Jeder Hörer soll sich seinen eigenen Reim auf die Songs machen.

Werden MASSENDEFEKT jetzt politisch?

Man kann ja nicht nur die Schnauze halten. Wir haben zwar immer gesagt: Lass das mal die anderen machen, wir beschränken uns auf die Musik. Zudem weiß jeder, der uns kennt, wo wir stehen. Aber es geschehen gerade Sachen in diesem Land, die man nicht so einfach unkommentiert stehen lassen darf.

Was hat der Begriff „Echos“ als Titel für euer Album zu bedeuten?

Er steht für die Songs. Die Songs sind unsere Echos, unsere Geschichte und unsere Identität. Sie machen MASSENDEFEKT aus. Wenn wir sie hören oder spielen, dann blicken wir quasi in den Spiegel und sehen uns selbst.

Als wir uns beim letzten Mal über das Vorgängeralbum „Zwischen gleich und anders“ unterhielten, hast du den extremen Zeitdruck bei der Produktion beklagt. War es dieses Mal anders?

Ja und nein: Wir haben dieses Mal viel mehr Zeit gehabt – und sind trotzdem erst wieder auf den letzten Drücker fertig geworden.

Was ist euer Problem?

Tja, wir alle sind ja leider auch Vinylsammler und wollen unsere Platten deshalb eben immer auch auf Vinyl rausbringen. Das Master für eine LP muss aber grundsätzlich einen Monat früher als das für die CD fertig sein. Und genau das hatten wir nicht berücksichtigt. So wurde es wieder mal knapp, haha.

Ist es nicht ohnehin besser, nicht zu viel und nicht zu lange zu experimentieren?

Das stimmt schon. Es gibt tatsächlich auch die Gefahr, zu viel herumzuwurschteln. So dass man kein Ende mehr findet. Da ist ein Ende mit Zeitdruck definitiv besser. Außerdem hat es ja auch so noch gelangt und wir konnten die Songs noch entsprechend bearbeiten.

Wie viel habt ihr zwischen Demo- und Schlussversion daran verändert?

Ziemlich viel. Das ist ja das Komische an der ganzen Sache: Die Songs klangen als Demos viel punkrocklastiger, als sie letztendlich geworden sind.

Redet euch der Produzent etwa zu sehr rein?

Der Produzent hat sicherlich damit zu tun. Ich singe bei den fertigen Songs von „Echos“ beispielsweise ganz anders als auf den alten Alben und bei den Demos dieser Platte. Nicht mehr so rotzig und kratzig. Der Produzent meinte, ich solle etwas sauberer singen. Das habe ich probiert. Und ich bin zufrieden!

Wie sehr lasst ihr euch reinreden in die Arbeit an einem Album?

Wir hören uns alle Vorschläge an. Und am Ende treffen wir die Entscheidungen. Aber das Gute ist ja, dass wir unseren Produzenten Tim Schulte auch schon lange kennen. Das darf man nicht vergessen. Er war früher mit seiner Band STIGMA auf demselben Label wie wir – Goldene Zeiten, das Label von Ex-DIE TOTEN HOSEN-Drummer Wölli Rohde. Und er mischt uns seit jeher live ab, ist also auf Tour immer mit dabei.

Das klingt nach einem sehr engen Verhältnis zwischen Band und Produzent – was ja nicht selbstverständlich ist. Viele Künstler wollen gerade, dass vor dem Mastern eben noch jemand in die Platte reinhört, der etwas Abstand hat, den berühmten „objektiven Blick von außen“ auf die Sache wirft.

Das ist ja auch nicht so falsch. Und deshalb holen wir uns vor der Aufnahme schon recht viel Feedback auf die Songs – im Freundeskreis, im Bekanntenkreis, im Kollegenkreis. Aber im Endeffekt muss die Musik eben uns gefallen. Und wenn es uns gefällt, dann ist das völlig in Ordnung. Und wenn es den Fans dann ebenso gefällt, ist das natürlich umso besser. Fest steht, wir werden nie wieder so klingen wie vor ein paar Jahren. Das wollen wir auch nicht.

Was macht dich stolz, wenn du an MASSENDEFEKT denkst?

Ich bin stolz darauf, dass wir diese Entwicklung durchlaufen und immer wieder einen Schritt weiter nach vorne gemacht haben. All die Freizeit, die für die Musik draufgeht, war so zumindest nicht verlorene Zeit.

In welcher Hinsicht habt ihr euch am meisten entwickelt und verbessert?

Das vorweg: Die Arbeit an der Musik ist immer noch dieselbe und die Proben sind uns immer noch lästig. Die laufen immer noch genauso scheiße ab wie immer, haha. Nach dem Motto: Lass mal schnell machen! Aber wir haben viel über das Musikgeschäft gelernt und können heutzutage nicht so leicht über den Tisch gezogen werden. Wir haben einfach eine viel größere Erfahrung darin, die Band zu führen. Wobei wir natürlich auch mehr Pflichten haben: Wir können nicht mal mehr einen Auftritt absagen, wenn uns danach ist. Dafür hängt einfach viel zu viel dran an der Sache. Ich will uns ganz bestimmt nicht größer machen, als wir sind, aber das, was mit MASSENDEFEKT zu tun hat, ist schon viel größer als zu der Zeit, als wir noch um die Ecke in Kleinenbroich gespielt haben. Früher bist du mit zwei Kombis und fünf Leuten durch die Gegend gefahren. Heute hast du eine Booking-Agentur, ein Label, einen Vertrieb, eine Merchandising-Firma. Der Stageplan muss hier hängen, der Rider woanders. Du hast eine Steuernummer. Und und und. Von alledem hatten wir früher keinen blassen Schimmer.

Hast du schon mal schlecht geschlafen wegen der Band?

Ja, das kommt schon vor. Zum Beispiel aus Aufregung, weil etwas besonders gut gelingen muss. Ein Auftritt, oder ein Song. Denn der muss ja gut werden, das gebietet einem der eigene Anspruch. Und wenn du dann eine Schreibflaute hast, dann wird es eng. Dann schläft man schon mal schlecht. Aber ich denke, diese Angst kennt jeder, der einen Job zu erledigen hat und diesen gut machen will. Nicht zuletzt wir selbst, schließlich sind wir ja alle noch berufstätig.

Gab es schon Situationen, in denen du zwischen Job und Band gesteckt und gemerkt hast, verdammt, jetzt wird es knapp?

Klar, das ist ein schmaler Grat. Erst neulich musste ich mit meinen Chef reden, als es um den Jahresurlaub ging. Es stehen für uns ja einige Konzerte und Festivals an – und die werden immer lange im Voraus angefragt und gebucht. Da muss ich die Gewissheit haben, dass ich da auf jeden Fall frei bekomme, sonst droht einem ein finanzielles und zwischenmenschliches Dilemma.

Wie tolerant ist dein Chef?

Der ist sehr in Ordnung. Er weiß Bescheid über MASSENDEFEKT und unsere Verpflichtungen. Er kennt unsere Musik. Und er weiß, dass er jederzeit zu unseren Konzerten kommen kann. Er war gemeinsam mit meinen Arbeitskollegen auch bei unserem Stahlwerk-Konzert Ende 2014 in Düsseldorf. Und er war begeistert, haha.

Du hast eben von Schreibflaute gesprochen. Was machst du, wenn dich eine solche erwischt?

Dann kannst du nur noch heulend in der Ecke sitzen und hoffen, dass dir irgendwann etwas einfällt, haha. Ernsthaft: Das ist keine tolle Sache. Am besten machst du dann Urlaub, um den Kopf freizukriegen. Unter anderem deshalb fahre ich ja jedes Jahr einmal in die USA und mache eine Tour von Motel zu Motel: um den Kopf freizubekommen. Und da habe ich schon ein paar Songs geschrieben, zuletzt „100 Dollar“. Da haben wir am Abend vorher im Casino gezockt. Wie immer, wenn wir da sind. Und am nächsten Tag lag ich dann am Pool, hatte die Idee, schrieb ein paar Zeilen auf, sprang zwischendurch ins Wasser, drehte ein paar Runden, kletterte wieder raus – und schrieb den Song fertig. Das war super!

Das letzte Album „Zwischen gleich und anders“ bescherte euch in gewisser Hinsicht den Durchbruch: es chartete. Und ihr konntet plötzlich in größeren Hallen auftreten. Spürt ihr dadurch einen besonderen Druck, mit „Echos“ etwas abzuliefern, das mindestens ebenso erfolgreich wird?

Druck hatten wir in dem Sinne nicht. Wir haben eher unseren generellen Anspruch an uns. Und dieser Anspruch lautet: Wir wollen immer abliefern. Vor allem immer gut abliefern.

Kann man dieses „gut abliefern“ planen?

Nein, irgendwelche Hits kann man nicht bewusst schreiben. Das passiert. Oder es passiert nicht. Es muss daher ganz einfach nur ehrlich und authentisch sein. Es muss nach uns klingen. Und es muss sich um Dinge drehen, die für uns relevant sind. Der einzige Druck, den wir uns bei „Echos“ machen, ist, dass wir einen Platz höher in den Charts klettern wollen als mit „Zwischen gleich und anders“. Also von Platz 33 auf 32, haha.

Wie arbeitet ihr für diese Ziele im Studio?

Wenn wir im Studio sind, dann gibt es kein Bier, sondern nur Wasser und viel, viel Kaffee. Und wir arbeiten oft jeder für sich alleine beziehungsweise nacheinander: Ich brauche das manchmal, um mich auf die Sache zu konzentrieren. Das ist wichtig.

Und irgendwann ist die Platte draußen. Bist du dann einer, der im Laden im Fach „M“ wie MASSENDEFEKT nachschaut und nach dem eigenen Alben sucht?

Na klar, immer! Wenn ich irgendwo bin, muss ich schon checken, ob wir bei denen wahrgenommen werden. Oder ob wir eventuell schon ausverkauft sind. Komischerweise stehen wir beim größten Musik- und Elektrofachmarkt vor der Haustüre in Neuss nicht im Regal. In Düsseldorf, in der Altstadt und auf der Kö habe ich unsere Platten dagegen bereits gefunden, haha.

Gibt es auf „Echos“ irgendeinen Song, der dir besonders am Herzen liegt?

Also ich habe bislang auf jedem unserer Alben mindestens einen Song gehabt, der mir hinterher, nach der Aufnahme, nicht mehr so gut gefallen hat. „Echos“ ist das erste Album, bei dem es mir nicht so geht. Alle Songs darauf gefallen mir, das ist für mich etwas ganz Neues und eine tolle Erfahrung. Aber einen Schlüsselsong? Eigentlich nicht. „Mauern“ oder „Neue Helden“ mag ich sehr gerne. Aber ich kann beim besten Willen keinen Song herauspicken. Sogar die ruhigeren sind genauso toll wie die anderen, haha.

Vielleicht habt ihr einfach im Laufe der Aufnahmen die schlechten Songs aussortiert?

Haha, nein. Beziehungsweise nur einen einzigen. Den schlechtesten von vielen guten. Der liegt jetzt als Demo herum und wird sicherlich irgendwann als Bonus oder so veröffentlicht.

In der Premium-Version von „Echos“ sind als Bonustracks zwei englischsprachige Stücke drauf. Ist das die MASSENDEFEKT-Zukunft?

Nein, das war einfach eine Idee von amerikanischen Freunden. Wir haben sie vergangenes Jahr in Florida besucht. Sie sind bereits seit einigen Jahren MASSENDEFEKT-Fans, hören unsere CDs und schicken uns dauernd Fotos, auf denen sie unsere Shirts tragen. Wenn sie unsere Lieder hören, dann verstehen sie kein Wort. Und irgendwann kamen sie an und meinten: „Macht doch mal was auf Englisch! Das würden auch die Leute hier in den USA gut finden.“ Ich habe ihnen dann zwar gesagt, sie hätten dort sicherlich genug eigene Bands und brauchen bestimmt nicht auch noch MASSENDEFEKT. Aber ich habe ihnen dann versprochen, die Sache mit den englischen Songs bandintern mal auf den Tisch zu bringen. Das tat ich – und wir nahmen prompt zwei englische Stücke auf. Ich war extrem nervös vor der Aufnahme und habe mir alles erst mal von einer Freundin richtig formulieren und übersetzen lassen, damit auch alles stimmt. Aber dann war es okay. Ungewohnt, aber okay. Singen werde ich allerdings künftig auch weiterhin auf Deutsch. So kann ich meine Gedanken ungefiltert und am deutlichsten ausdrücken.