FACE TO FACE

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Die guten alten Zeiten

Mit ihrem Debütalbum „Don’t Turn Away“, 1992 auf Dr. Strange Records veröffentlicht, beeinflussten FACE TO FACE maßgeblich das Punkrevival der Neunziger. 1994 kam eine Neuauflage des Debüts auf Fat Wreck, die Band unterschrieb aber für das zweite Album „Big Choice“ bei Victory und wechselte in der Folge die Plattenfirmen wie andere ihre Unterwäsche, ohne je wieder so erfolgreich zu sein wie zu Beginn ihrer Karriere. Jetzt aber haben wir 2016 – und „Protection“ ist da, Album Nummer elf. Musikalisch angedockt an „Don’t Turn Away“, veröffentlicht bei Fat Wreck. Frontmann Trever erklärt die Rückbesinnung auf alte Zeiten.

Trever, deine Telefonnummer verrät, dass ich dich in Nashville erreiche. Das ist weit weg von Kalifornien ...


Ich bin mit meiner Familie vor ein paar Jahren hierhergezogen. Nashville ist eine tolle Stadt. Sie wächst. Und sie hat viel zu bieten – vor allem einen anderen Lebensstil als den, den wir zuvor in Kalifornien hatten. Hier ist alles etwas ländlicher. Meine Tochter kann hier ihre Pferde halten. Ich baue ein bisschen an. Es ist wunderbar!

Nashville gilt als ein Epizentrum der Country-Musik. Man sagt, es habe eine spürbare musikalische Aura. Hast du Johnny Cashs Geist gespürt, als du die Songs für eurer neues Album geschrieben hast?

Nein, haha. Ich habe den Geist des 22-jährigen Trever Keith gespürt. Wir haben bei der Arbeit an der Platte den Fokus nämlich auf unsere Anfangszeit als Band gelegt.

Wie war sie denn, diese Anfangszeit?

Sie war einfach und unbeschwert. Und ich denke, es hat ganz gut geklappt, diese Stimmung wieder einzufangen – immer unter der Voraussetzung natürlich, dass man die Gegenwart nicht vergisst. Seit damals sind immerhin über zwanzig Jahre vergangen. Wir haben uns weiterentwickelt.

Wenn du von der Anfangszeit sprichst, dann meinst du euer erstes Album „Don’t Turn Away“ von 1992 – für viele noch immer eure beste Platte. Tatsächlich klingt „Protection“ wie dessen Nachfolger.

Ja, das war so gewollt. Wir waren zuletzt mit unseren Triple-Crown-Shows unterwegs. Das waren Konzerte, bei denen wir jeweils unsere ersten drei Alben „Don’t Turn Away“, „Over It“ und „Big Choice“, die zwischen 1992 und 1995 erschienen, gespielt haben. Und im Laufe dieser Tour haben wir uns immer häufiger an damals erinnert und uns gefragt: Wie war das früher? Können wir so etwas noch mal hinbekommen?

Was denkst du, warum wurde „Don’t Turn Away“ zu einem Klassiker?

Unser Debüt und die Alben direkt danach sind voller großartiger Melodien. Das ist ein sehr direkter Punkrock, der zu einer Zeit herauskam, als das Genre gerade wieder populär wurde. Und die Platten klangen so, weil das Leben, das wir damals führten, viel einfacher war als heute. Das ist zwar ein Klischee, denn natürlich ist das Leben immer leichter, wenn du jung bist. Aber ich beziehe das auch auf den Prozess des Songwritings: Wir dachten damals nicht lange darüber nach, was wir da taten und wie wir es taten. Wir machten einfach Musik und nahmen sie auf. Wenn man älter wird, dann neigt gerade jemand, der künstlerisch tätig ist, dazu, alles zu verkomplizieren. Man denkt so sehr nach und probiert so verbissen aus, dass man keinen freien Kopf mehr hat.

Man könnte jetzt unken und sagen: Dann waren all die Alben, die ihr zwischen 1995 und heute aufgenommen habt, keine guten Alben, weil ihr den Kopf nicht frei hattet, als ihr die Songs dafür zu Papier brachtet.

Nein, das waren schon gute Alben. Aber was wir vor „Protection“ letztlich erkannt haben, war: Die Songs, die wir damals ganz zu Anfang aufnahmen, haben die Zeit ein wenig besser überstanden als alles, was danach kam. Sie klingen zeitlos, weil sie eben im Umfeld dieser völligen Losgelöstheit von allen Schwierigkeiten, im Umfeld einer gewissen Naivität entstanden sind.

Wie schwierig ist es, sich als Erwachsener und Familienvater wieder in eine Phase zu versetzen, als alles anders war?

Du kannst dich nicht wieder in diese Zeit zurückversetzen. Du kannst nicht wieder der junge Mensch sein. Aber als Musiker kannst du versuchen, dein Songwriting zu überdenken und ein wenig an dieser Zeit zu orientieren. An diese Frische und Naivität.

„Protection“ knüpft nicht nur an eure ersten Alben an – es ist auch das erste Album seit 1994, das wieder bei Fat Wreck erscheint. Was hatte das für einen Einfluss auf „Protection“?

Vor allem den, dass wir bei der Aufnahme endlich wieder in unserer eigenen Komfortzone arbeiten konnten: Die Leute bei Fat Wreck wissen, wie wir ticken. Zudem ist es ein Label, das nun einmal sehr erfolgreich ist und entsprechend viel mehr Möglichkeiten hat als die Konkurrenz. Sie wissen, wie man Platten herausbringt und Bands hilft. Die Promotion ist professionell. Wenn du nicht so einen verlässlichen Partner hast, dann kann es dir passieren, dass du dein Geld in unausgegorene Werbung für eine Platte steckst – und am Ende hast du Geld und Zeit verloren für nichts.

Und schon stecken wir in der ewigen Kommerzdebatte rund um den Punkrock ...

Nein. Denn Fat Wreck ist ja trotzdem kein Label, das Hunderttausende von Dollars in eine Platte steckt, um sie ins Mainstreamradio zu bringen. Die Leute dort achten eben nur darauf, dass die Werbung für ein Album auch wirklich überall da landet, wo es wichtig ist, und damit bei den Fans. Das ist einfach intelligentes Marketing.

Warum seid ihr dann erst nach einem Vierteljahrhundert in diesen Hort des Intelligenzmarketings und der Komfortzone zurückgekehrt?

Du hast vollkommen recht, es ist eine lange Reise für uns gewesen. Als wir das erste Mal bei Fat Wreck waren, waren wir und das Label jung. Und als junge Musiker dachten wir damals, dass wir uns weiterentwickeln und weiterziehen müssen. Heute ist uns klar: Fat Wreck ist ein Label, das Punkrock versteht wie kein zweites.

Lass mich raten: Die Rückkehr lief natürlich so ab, als wäret ihr nie weg gewesen, oder?

Haha, nicht ganz. Eine paar neue Gesichter gibt es bei Fat Wreck ja schon. Die Rückkehr war vielmehr seltsam, denn plötzlich gehören wir zur alten Garde beim Label. Plötzlich sind wir die alten Punks, die jeder kennt, weil sie überlebt haben. Es ist ein seltsames, aber auch schönes Gefühl.

Der erste Song auf „Protection“ heißt „Bent but not broken“ – „Gebeugt, aber nicht gebrochen“. Ist das die Zustandsbeschreibung nach einem Vierteljahrhundert FACE TO FACE?

Nein, nicht mal annähernd. Wir sind nämlich nicht die typische Rock’n’Roll-Band. Bei uns gab es nie Frauengeschichten. Bei uns gab es keine Drogenexzesse. Tatsächlich ist es nicht leicht, eine Band 25 Jahre lang zusammenzuhalten. Daher gefällt mir diese Art der Deutung, haha! Im Ernst: „Bent but not broken“ richtet sich an all die Leute, die auf einem Standpunkt beharren, auch wenn man diesen eindeutig widerlegen kann. Warum klammern sich die Menschen immer wieder an obskure Gefühle, an irgendeinen Glauben, obwohl sie es besser wissen müssten?

Wie reagierst du, wenn du so einer unbelehrbaren Person gegenüberstehst?

Es gab Zeiten, da hat mich das wahnsinnig aufgeregt. Heutzutage bin ich da aber gelassener. Ich akzeptiere irgendwann einfach, dass mein Gegenüber es nicht anders will.

Song Nummer zwei heißt „I won’t say sorry“. Wann hast du dich zuletzt bei jemandem entschuldigt?

Oh, ich bin seit zwanzig Jahren verheiratet. Entsprechend kannst du davon ausgehen, dass meine letzte Entschuldigung nur ein paar Stunden zurückliegt, haha. Aber der Song dreht sich auch um etwas anderes: Es geht um diese neue Art von Popkultur in den USA. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland aussieht, aber wir haben hier seit einiger Zeit viele Promis, die nur deshalb Promis sind, weil sie ständig irgendwo im Fernsehen zu sehen sind und dort ihren Blödsinn ablassen. Und dieses Gequatsche ist so unerträglich, dass sie sich hinterher immer wieder öffentlich entschuldigen müssen. Dieses Thema setzt sich übrigens im Song „Fourteen fifty-nine“ weiter fort. Darin geht es um die 15 Minuten Ruhm, die jedem Menschen laut Andy Warhol zustehen.Und ich ertrage diese Idee nicht! Diese Idee, dass wirklich jeder berühmt sein kann. Denn dabei kommen genau diese Pseudo-Promis heraus!

Hattet ihr eure 15 Minuten Ruhm schon?

Nicht wirklich, haha. Wir waren mal mehr, mal weniger erfolgreich. Aber richtig berühmt? Nein. Berühmt zu sein ist aber auch nichts für mich. Ich finde es ja immer noch seltsam, wenn jemand auf mich zukommt und mir sagt: „Oh, mein Güte! Ich kann es nicht glauben, dass ich dich wirklich treffe!“