AGAINST ME!

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Die Gestaltwandlerin

Gerade mal zweieinhalb Jahre sind seit dem letzten Album „Transgender Dysphoria Blues“ (2014) vergangen, da legen AGAINST ME! mit „Shape Shift With Me“ ihr siebtes Studioalbum nach. Die Aufregung war damals groß gewesen, hatte doch Frontmann Tom Gabel Ende 2012 angekündigt, fortan als Frau unter dem Namen Laura Jane Grace zu leben. Entsprechend stand das letzte Album stark unter dem Stern der Transgender-Thematik, sprach die Songwriterin und Texterin viel über ihre Veränderung. 2016 dominiert das Thema immer noch, sowohl das neue Album wie auch Lauras im November anstehende Autobiografie.

Laura, lass uns mit dem ganz offensichtlichen anfangen: Was hat es mit dem Cover des Albums auf sich? Gerade nach meinem Interview mit Fat Mike interessiert mich die Szene, die für mich für Unterwerfung und Machtausübung steht.

Das Artwork stammt wieder von Chris Norris von Steak Mtn., der auch die letzten Artworks machte. Chris arbeitet für uns in einer Art Vakuum, es kann also sein, dass er das Album gar nicht kennt, für das er Ideen entwickelt. Wir reden im Vorfeld nur etwas über die Platte. Auf dem neuen Album geht es viel um Machtdynamik in Beziehungen, unter Liebenden. Darauf geht wohl letztlich das Artwork zurück. Also liegst du mit deiner Einschätzung und Sichtweise auch nicht daneben.

Wie passend muss ein Cover für dich sein, damit du dich mit der Vision eines Künstlers wohlfühlst?

Ich muss mich damit sehr wohlfühlen. Das hat was von blindem Vertrauen, ich fühle mich bei Chris sehr gut aufgehoben. Es ist ja nicht so, dass er was macht und wir das nehmen müssen. Er präsentiert mir ein paar Optionen und ich wähle dann aus, was mich am meisten anspricht.

Und was siehst du im aktuellen Cover?

Ich sehe mich als die Person auf dem Boden.

In einer Position der Schwäche oder in einer, in die du dich selbst begeben hast?

Ich weiß nicht. So genau habe ich darüber noch nicht nachgedacht. Das Motiv sprach mich an, weil es ausdrückte, wie ich mich fühle.

Der Albumtitel „Shape Shift With Me“ lässt Raum für Assoziationen und Interpretationen. „Shapeshifter“ lässt sich mit „Gestaltwandler“ übersetzen, und da sind wir bei Figuren wie dem Werwolf – also Wesen, die ihr Äußeres komplett verändern können.

Das trifft es, auch wenn ich das nicht nur mit Werwölfen in Verbindung bringe. Der Titel steht natürlich in Verbindung zu meinen Erfahrungen der letzten Jahre. Er drückt aus, dass ich mich in einem Veränderungsprozess befinde, und die Furcht davor, nicht genau zu wissen, in was ich mich letztlich verwandeln werde. Dass man sich verändert, heißt ja nicht, dass man darüber auch Kontrolle hat. Vielleicht versucht man ja diese Veränderung zu kontrollieren, aber ich weiß nicht genau, wo es hingeht. Und der Titel lädt andere dazu ein, einen bei dieser Reise zu begleiten.

Wie fühlst du dich heute? Als 2014 das letzte Album erschien, war deine Entscheidung, fortan als Frau zu leben, noch recht frisch.

Jedes Jahr, das man älter wird, verändert einen. Wie all die Erfahrungen, die wir auf der Tour zu „Transgender Blues“ gemacht haben. Diese zwei Jahre waren eine unglaubliche Erfahrung. Ich stehe heute woanders als damals, bin ein anderer Mensch.

Das letzte Album wurde durch das Thema Transgender bestimmt, und es wurde in Interviews viel darüber gesprochen. Hat das viele Reden darüber diesbezüglich etwas verändert, bist du mittlerweile etwas müde, darüber zu sprechen?

Das neue Album ist schon eine Flucht aus alldem. Ein großer Teil des Tourens zum letzten Album bestand aus Gesprächen über Gender-Fragen, über die Transgender-Thematik. Und irgendwann wollte ich einfach nur noch zu meiner Gitarre greifen und ohne viel Nachdenken einen neuen Song schreiben. Darüber, wie ich mich fühle, und nicht ein neues „mission statement“ abgeben und nichts über irgendein „großes“ Thema sagen, über Dinge, die ich nicht kontrollieren kann. Ich wollte Themen, mit denen ich mich auskenne, und ich kenne mich damit aus, wie es mir gerade geht. Vieles sehe ich einfach nicht so klar, auch wenn ich sicher in vielerlei Hinsicht klarer sehe als viele andere Menschen, gerade was das Verstehen von Geschlechterfragen betrifft und die fließenden Übergänge zwischen Geschlechtern.

Die erste Plattenbesprechung im Ox hatten wir 2002, das erste Interview 2005. AGAINST ME! waren eine ganz andere Band damals.

Musikalisch ja, aber inhaltlich nicht. Damals schrieb ich über meine Gefühle und meine Meinung. Jeder Song hat ein anderes Thema, klar, aber Ausgangspunkt sind immer meine Gedanken und Gefühle. Und ich bin als Songwriter und Texter die Konstante bei AGAINST ME!. Mancher Besetzungswechsel hat den Sound der Band verändert, und mit den Jahren, je älter man wird, je erfahrener man ist, je besser man spielt, desto mehr wirkt sich das auch auf den Sound aus. Und jeder hat eben irgendeine Lieblingsplatte bei einer Band, und die idealisiert man dann, das ist der Sound, der sich nie verändern soll. Wir sind gefangen in jener Platte, mit der wir uns in eine Band verliebt haben. Ich habe mich aber noch nie damit wohlgefühlt, mich zum Sklaven einer solchen Sichtweise zu machen. Ich wollte mich immer schon weiterentwickeln und wachsen.

Willst du mir verraten, was es mit dem Songtitel „333“ auf sich hat? 333 ist die Hälfte von 666 ...

3:33 ist angeblich die perfekte Länge eines Popsongs, einer Radio-Hitsingle. Aber es ist auch eine Glückszahl, und numerologisch passt die Zahl zu mir. Google die Zahl einfach mal. Eine versteckte satanische Botschaft ist es jedenfalls nicht.

„Suicide bomber“ ist ein krasser Songtitel mit Schockwirkung. Warum dieser Titel?

Mir ist all das Schreckliche, das auf der Welt vor sich geht, bewusst und das will ich nicht ins Lächerliche ziehen oder so. Der Songtitel bezieht sich auf das Wissen darüber, dass einen eine andere Person zerstören wird, man diese aber trotzdem nicht loslassen kann. Auf der konzeptionellen Ebene steckt dahinter, dass die Regierungen die Angst der Menschen vor terroristischen Angriffen ausnutzen, um die Menschen zu kontrollieren. Deshalb steckt in diesen Worten soviel Macht, wohingegen andere Worte und Sätze ihre Macht längst verloren haben. Singe ich „I wanna kill you“, wer hört da noch zu? Bei „Suicide bomber“ hingegen hast du sofort die Aufmerksamkeit: „I’m clinging tight to your chest / Explode me like a suicide bomber“. Du weißt, jemand ist ein Monster und wird dich zerstören, aber du kannst nicht loslassen, weil da Liebe ist oder war.

Du spielst mit so einem Titel und Text mit dem Feuer.

Ja, aber das kann ich nicht an mich heranlassen. Wenn ich immer darüber nachdenken soll, was andere in dem sehen, was ich singe, ist das der Anfang von Gedankenkontrolle. Ich weiß ja, was ich singe, warum sollte es mich kümmern, wie andere das interpretieren? Das würde mich ja künstlerisch einschränken.

Du sagtest es bereits, in „Suicide bomber“ geht es um kaputte Liebe. Liebe, das große Oberthema dieses Albums?

Ich wollte einfach darüber schreiben, was mich beschäftigt, ich wollte Liebeslieder schreiben. Lieder über das Verlieben, gerade als Trans-Person. Im Radio handeln alle Lieder von Jungen und Mädchen, die sich verlieben, die dem anderen das Herz brechen, und so weiter. Aber es gibt im Radio, in den Medien keine Trans-Menschen, deren Geschichten finden keine Beachtung. Ich will mich aber auch nicht nur an Cisgender-Menschen wenden. Ich habe parallel zum Album ja auch an meinem Buch gearbeitet und mir entsprechend viele Gedanken gemacht, sehr stark reflektiert. Ich habe mich viel mit meiner Vergangenheit beschäftigt, und da sollte das Album ein Gegengewicht sein und zum Ausdruck bringen, wie ich mich genau jetzt fühle. Die letzten zwei Jahre war ich ständig auf Tour, traf viele Menschen, war seit langer Zeit mal wieder Single, verliebte mich, hatte Spaß.

Wo Liebe ist, ist auch Hass. Hattest du seit deinem Coming-out mit richtig aggressiven Anfeindungen zu kämpfen, die dich schockiert haben?

Ja, solche Anfeindungen gab es, aber ich beachte die gar nicht. Die Menschen sind eben scheiße und sagen dumme Sachen. Aber ich habe keine Zeit, mich mit so was zu beschäftigen, ich bin selbstbewusst und blicke nach vorn.

Erfüllt deine Musik für dich die Funktion eines Tagebuchs?

Nein, denn ich führe auch Tagebuch, ganz klassisch, mit Stift und Papier. Seit ich acht bin, bin ich leidenschaftlicher Tagebuchschreiber. Das ist auch die Basis meines Buchs. Ich setze mich fast jeden Tag hin und schreibe in mein Tagebuch.

Was erwartet einen in „Tranny: Confessions Of Punk Rock’s Most Infamous Anarchist Sellout“?

Es sind Memoiren, es ist mein Leben. Und ich halte nichts zurück, es ist alles drin.

War es schmerzhaft, das bisherige Leben noch mal im Detail durchmachen zu müssen?

Es waren alle Gefühle dabei, du machst alles noch mal durch, wenn du so ein Buch schreibst. Es war anstrengend, aber auch heilsam. Es hat mich gefordert, gerade wenn man erkennen muss, dass man Fehler gemacht hat und alles noch mal durchlebt. Und als Resultat nehme ich mit, dass ich es echt leid bin, über mich selbst zu reden. Und jetzt zu wissen, dass das Album kommt und das Buch und dass ich Interview um Interview geben muss ... Himmel, jetzt reicht es aber mal mit mir! Hahaha. Können wir bitte zur Abwechslung mal über jemand anderes reden? Aber nein, es ist okay, und schließlich ist es auch ein gutes Gefühl, mit etwas durch zu sein, etwas hinter sich gebracht zu haben. Das hat was von einer Therapie, hahaha. Und jetzt kann ich mich Neuem zuwenden.

Wirst du denn auch auf Lesetour gehen – um nicht aus dem Thema zu kommen ...?

Ja, im November in den USA, und vielleicht gibt es ja in ein paar Monaten eine deutsche Übersetzung und ich kann auf Lesetour nach Deutschland kommen. Ich habe im Februar schon mal geübt, da war ich zwei Wochen unterwegs, las abwechselnd Texte aus dem Buch und spielte dazu den passenden Song – es gab also die Musik zum Tagebucheintrag und andersrum, ich erzählte, wo auf der Welt ich gerade war und was ich tat, als ich diesen oder jenen Song schrieb. Ich habe also eine Geschichte erzählt, während ich ein Konzert spielte. Das war eine coole Erfahrung und ich würde das gerne mal in Europa machen.

Mir kommt der Begriff Verantwortung in den Sinn, wenn ich an dein Buch, deine letzten beiden Alben denke. Ich nehme an, es gibt einige Menschen, die, wie du vor vor Jahren, in einer schwierigen Situation sind und die versuchen, sich über ihre Identität klarzuwerden. In so einer Situation orientieren sich Menschen oft an Personen, die in der Öffentlichkeit stehen und Ähnliches durchlebt haben, erwarten sogar Rat und Hilfe. Nimmst du diese Verantwortung an?

Ich versuche einfach, immer ehrlich zu sein zu den Leuten. Ich kann nicht jede Frage beantworten und ich weiß nicht auf alles eine Antwort. Ich isoliere mich nicht, ich bin ansprechbar, ich unterhalte mich nach den Konzerten mit den Leuten. Und ich weiß, dass mein Thema in den Medien unterrepräsentiert ist, dass es wichtig ist, darüber zu sprechen und Menschen in einer ähnlichen Situation zu zeigen, dass da draußen jemand ist, zu dem sie aufblicken können. Mir ging es einst ja genauso. Nur dass für mich als Kid niemand da war. Und es gibt ja so viele Aspekte, über die man sprechen muss. Es geht für Trans-Personen ja nicht nur um die reine Verwandlungsphase, sondern auch darum, sein Leben weiterzuleben. Ja, es ist kompliziert und seltsam, aber auch wunderschön!

Gibt es etwas jenseits der Musik, das dir besonders am Herzen liegt? Deine Katze, Snowboarden, was auch immer.

Snowboarden? Haha, ich bin aus Florida. Skateboarden oder Snowboarden sind sowieso ziemlich schlechte Aktivitäten, wenn du in einer Band bist. Mach nichts, bei dem du dir Arm oder Bein brechen kannst. Nee, echt, wenn du in einer Band spielst, ein neues Album machst, ein Buch schreibst und ein Kind hast, dann hast du keine Zeit für dich selbst. Aber ich liebe Musik, ich nehme gerne Platten auf, ich mag es, in einer Band zu sein, es macht mir Spaß, andere Bands zu produzieren. FEA zum Beispiel, eine Chicano-Riot Grrrl-Band aus Texas, deren eben erschienenes Album habe ich produziert. Und ich habe WORRIERS produziert, eine Band aus Brooklyn. Platten machen, Platten schreiben, Platten produzieren, in einer Band spielen, Touren ... das hält einen beschäftigt.

Wer ist dieser Mark Hudson, der Credits für das Aufnehmen eures neuen Albums bekommt?

Mark ist seit Jahren unser Tourmanager und er saß hinter dem Mischpult. Er hat sich in Michigan ein großartiges Studio eingerichtet, das seit einigen Jahren unsere Homebase ist. Das Studio ist der Grund, weshalb es so schnell ein neues Album gibt nach dem letzten von 2014. Vor einer Tour treffen wir uns immer in Marks Studio, und dann schreiben wir ein paar Songs, nehmen sie auf, und nach zwei Jahren Touren hatten wir plötzlich schon wieder genug Songs für ein Album. Wir hatten überlegt, uns erst noch eine Pause zu gönnen, aber die Platte war da und wir wollten den guten Lauf, den wir hatten, einfach ausnutzen.

Dein Buch erscheint fast zeitgleich zur Präsidentenwahl in den USA, und das Transgender-Thema hat es in den letzten Monaten tatsächlich in die öffentliche Wahrnehmung geschafft: zum einen wegen der Weigerung vieler Bands, in North Carolina zu spielen, wegen eines trans-menschenfeindlichen Gesetzes dort, zum anderen weil just ein Oberstes Gericht in Texas über einen Erlass von Präsident Obama urteilte, der die Toilettennutzung von Trans-Menschen betrifft.

Es ist unglaublich, dass das Thema es so in die Öffentlichkeit geschafft hat. Es begann mit dem Gesetz HB2 in North Carolina. Das Landesgesetz dort verbietet es Städten und Gemeinden, LGBT-freundliche Verordnungen zu erlassen, was in der öffentlichen Wahrnehmung auf den Aspekt der Toilettennutzung reduziert wurde. Dabei geht es um so viel mehr, das Gesetz beschneidet beispielsweise die Rechte von LGBT-Menschen, wegen Diskriminierung Klage einzureichen. Das ist so krass! Da wird jemandem die Möglichkeit verwehrt, vor Gericht zu gehen, nur weil die Person transgender ist. Ich kann die ganze Aufregung absolut nachvollziehen, denn meine erste Erfahrung in Sachen Transphobie hängt auch mit der Toilettennutzung zusammen: Ich war mit meiner Tochter beim Fußballtraining, in St Augustine, Florida, kurz nachdem ich mein Coming-out hatte. Die Menschen in der Stadt kennen mich, und meine Tochter musste während des Trainings aufs Klo und rannte, wie sie das gewohnt war, in die Männertoilette, einfach weil sie immer mit mir aufs Männerklo gegangen war. Ich hinterher, und plötzlich stellt sich mir so ein Typ in den Weg und sagt: „Wrong bathroom!“ Meine Tochter ist in der Toilette, ich draußen, zwischen uns dieser Kerl. Rein rechtlich gesehen konnte mir der gar nichts, schließlich steht in meinem Pass bei Geschlecht „male“, aber das ist genau das Feld, auf dem dieser Konflikt ausgetragen wird. Die „Geschlechtspolizei“ entscheidet, was jemand sein darf, mit braven Bürgern als Hilfspolizisten, die entscheiden, ob eine Person männlich oder weiblich ist und welche Toilette sie benutzen darf? Nein, wir brauchen mehr Unisex-Optionen, was Toiletten betrifft. Wobei es das auf vielen Flughäfen schon gibt, oder zumindest Familientoiletten. Es ist doch lächerlich, so eine große öffentliche Debatte um ein menschliches Grundbedürfnis wie den Toilettenbesuch zu führen. Und das auf Basis der absurden Unterstellung, Trans-Menschen würden andere Toilettenbesucher angreifen. Wieso dürfen denn dann verurteilte Pädophile oder Sexualstraftäter weiterhin öffentliche Toiletten benutzen?

Vor diesem Hintergrund muss die Aussicht auf einen Wahlsieg von Donald Trump für Transgender-Menschen doch eine Alptraumvorstellung sein.

Ja, und weißt du was? Der Wahltag, der 8. November, ist mein Geburtstag! Ich hoffe einfach, dass Trump nicht gewinnt. Dass er es so weit gebracht hat, ist schon absurd, ja, dass er überhaupt von so vielen Menschen als ernsthafter Kandidat wahrgenommen wird. Bis dahin war der Typ nur ein verdammter Reality-TV-Show-Star. Dass es so weit kommen konnte, ist ein Zeichen dafür, wie gespalten das Land dieser Tage ist. Und diese Spaltung hat viel mit patriarchalen Einstellungen und Sexismus zu tun, einfach mit der Tatsache, dass Hillary Clinton eine Frau ist. Das beweist, wieviel Frauenhass in diesem Land existiert.

Frauenhass? Ist das wirklich so ein starker Faktor für die Trump-Anhänger?

Oh ja ... Schwer vorstellbar für jemanden aus Deutschland, ich weiß, aber ihr habt ja auch eine Kanzlerin. Die Deutschen sind offensichtlich erwachsen genug, damit klarzukommen, haha. Wir hier in den USA sind offensichtlich noch nicht so weit, denke doch nur mal an die Diskussion darum, dass mit Obama ein Afroamerikaner zum Präsidenten gewählt wurde. Der Fortschritt ist langsam. Und ich finde, man darf überhaupt nicht unterschätzen, was es bedeutet, dass mit Hillary Clinton überhaupt erstmals eine Kandidatin aufgestellt wurde. Das allein ist schon eine historische Entscheidung gewesen, noch nie dagewesen in den USA.

Wirst du wählen gehen?

Ja. Auch wenn ich ein komisches Gefühl dabei habe, das ich am besten so beschreiben kann: Wenn zwei sich über totalen Quatsch streiten, ist es keine gute Idee, sich da einzumischen. Es ist klüger, einen Schritt zurückzutreten und sich zu denken: Fuck you all! Und dann kommen noch die sozialen Medien dazu, wo jeder meint, etwas zu dem Thema loswerden zu müssen, jeder hat was zu sagen, aber kaum jemand eine fundierte Meinung, alle kolportieren nur, was sie irgendwo aufgeschnappt haben. Manchmal ist es das Beste, einfach die Klappe zu halten.

Und abgesehen davon: Wir Anarchisten glauben ja nicht an das demokratische System.

Haha, nein! Aber weißt du was? Viele Anarchisten hier in den USA sind für Trump, weil sie denken, der würde den Niedergang des jetzigen Systems beschleunigen. Hahaha, „Anarchists for Donald Trump“, au Mann ...

Dann hoffen wir mal für den 8. November, dass Morrissey nicht Recht behält mit seiner Zeile aus „America is not the world“: „... where the President is never black, female or gay.“

Oh ja! Ich liebe Morrissey, ich bin schon ewig Fan. Leider habe ich ihn noch nie getroffen, wir haben nie zusammen auf einem Festival gespielt, wo sich das vielleicht ergeben hätte. Und wir sind uns leider nie über den Weg gelaufen. Dafür waren wir mit den FOO FIGHTERS unterwegs und ich konnte mit Dave Grohl sprechen – holy shit, Dave Grohl! Von NIRVANA! Der Band, die mein Leben verändert hat! Und ich habe Bruce Springsteen getroffen, ein wirklich bescheidener Mensch, eine echte Persönlichkeit. Es überrascht mich immer wieder, wie „echt“ manche von diesen „Großen“ sind, und es ist schön, wenn so eine Begegnung nicht enttäuschend verläuft. Der ist ein normaler Typ in einer Band, du bist ein normaler Typ in einer Band, nur dass die Band des anderen echt groß ist.

Helfen dir solche Begegnungen, dein eigenes Verhalten zu reflektieren? Du bist selbst längst ein Rockstar.

Klar, das macht einem klar, dass man echt sein muss. Wie groß deine Band ist, das ist doch eigentlich egal.

Im Dezember seid ihr zum x-ten Mal in Deutschland unterwegs, von Anfang an wart ihr hier Stammgäste. Was bedeuten dir die Shows hier?

Ach, ich habe so viele gute Erinnerungen an Deutschland. Unsere erste Tour außerhalb der USA fand in Deutschland statt, weil deutsche Freunde uns rübergeholt hatten. Die meisten Shows in Europa haben wir über die Jahre in Deutschland gespielt, und wir wurden immer gut aufgenommen, man hat sich überall gut um uns gekümmert, ob nun in einem Squat oder einem großen Club. Du bekommst zu essen, sie machen dich betrunken, du hast Spaß. Ich habe also viele gute Erinnerungen – und hoffe jetzt, dass es im Dezember nicht zu kalt ist. Wir haben echt schon ein paar richtig frostige Touren in Deutschland mitgemacht, und das brauche ich nicht, hahaha. Ich bin schließlich aus Florida.

 


Timeline

1997

AGAINST ME! wird als Soloprojekt von Tom Gabel in Gainesville, Florida gegründet, nachdem sich seine vorherigen Bands aufgelöst hatten. Das erste Demotape wird von ihm selbst in geringer Stückzahl veröffentlicht.

1998

Schlagzeuger Kevin Mahon schließt sich Gabel an. Ein weiteres Demotape wird von Misanthrope Records veröffentlicht. Dustin Fridkin übernimmt für einen kurzen Zeitraum den Bass, verlässt die Band dann jedoch wieder.

1999

Die Band geht zum ersten Mal auf Tour.

2000

Die erste EP „Against Me!“ wird von Crasshole Records veröffentlicht. James Bowman kommt als Gitarrist dazu. Es findet eine US-Westküsten-Tour statt.

2001

Die EP „Crime As Forgiven“ erscheint – der erste größere Release der Band. Dustin Fridkin kehrt zur Band zurück. Auf der Rückfahrt von ihrer ersten Tour zu viert werden AM! in einen schweren Verkehrsunfall mit einem Sattelschlepper verwickelt. Niemand wird schwer verletzt, aber der Van und das Equipment werden zerstört. Kevin und James verlassen die Band. AGAINST ME! lösen sich für einige Monate auf. Gabel und Fridkin veröffentlichen eine Akustik-EP. Warren Oakes kommt als neuer Schlagzeuger, James Bowman kehrt während der Aufnahme des ersten Albums zur Band zurück.

2002

Das erste Album „Reinventing Axl Rose“ erscheint auf No Idea Records. Fridkin verlässt die Band im Sommer, weil er wieder studiert. Andrew Seward, vorher aktiv bei KILL DEVIL HILLS, ersetzt ihn. Das Line-up bleibt bis 2009 bestehen.

2003

AGAINST ME! werden von Fat Wreck Chords unter Vertrag genommen und veröffentlichen das Album „As The Eternal Cowboy“.

2004

Die DVD „We’re Never Going Home“ erscheint, eine Dokumentation über die Frühjahrstour 2004.

2005

Das Album „Searching For A Former Clarity“ wird veröffentlicht und landet als erstes Album in den Billboard 200-Charts. Die Band tourt durch alle fünfzig US-Bundesstaaten.

2006

Das Live-Album „Americans Abroad!!! Against Me!!! Live in London!!!“ erscheint.

2007

Das Album „New Wave“ wird veröffentlicht, die Band wechselt zum Majorlabel Sire Records. „Thrash unreal“ erreicht als erste Single die Charts. Eine weitere Live-DVD mit dem Titel „Live At The Key Club“ folgt.

2008

Ein schwerer Verkehrsunfall trifft die Band, aber es kommt niemand ernsthaft zu Schaden.

2009

Oakes verlässt die Band, um sich der Gastronomie zu widmen. George Rebelo von HOT WATER MUSIC ersetzt ihn.

2010

Das Album „White Crosses“ erscheint auf Sire und wird der bis dahin größte Chartserfolg der Band mit Platz 34 in den Billboard 200. Am Vortag einer Tour sagt die Band diese überraschend ab, weil eine Auszeit benötigt wird. AM! verlässt Sire Records. Nach zweimonatiger Pause kommt die Band wieder zusammen und spielt im Dezember einige Gigs, Jay Weinberg übernimmt bei diesen das Schlagzeug, weil Rebelo mit HOT WATER MUSIC unterwegs ist.

2011

Weinberg wird offiziell zum neuen Schlagzeuger der Band ernannt. „Total Clarity“, eine Sammlung von Demos und unveröffentlichten Songs, erscheint auf Fat Wreck Chords. Die Band gründet ihr eigenes Label Total Treble Music. „Black Crosses“, eine alternative Version von „White Crosses“ mit Demos und alternativen Versionen der Lieder des Albums, erscheint. Gabel richtet ein eigenes Aufnahmestudio ein, das Total Treble Studio.

2012

Tom Gabel gibt im Frühjahr öffentlich bekannt, dass er bereits seit seiner Kindheit an einer Geschlechtsidentitätsstörung leidet und sich nun endlich einer Geschlechtsumwandlung unterzieht. Aus Tom Gabel wird Laura Jane Grace. Auch die Bandmitglieder werden von dieser Entscheidung überrascht. Das Thema wird auf de, neuen Album „Transgender Dysphoria Blues“ behandelt, einem Konzeptalbum über eine Transgender-Prostituierte. Grace übernimmt hierbei selbst die Produktion und Tontechnik. Drummer Weinberg verlässt die Gruppe am Ende des Jahres.

2013

Bassist Seward verlässt im Frühjahr AM!. Atom Willard übernimmt ersatzweise den Platz am Schlagzeug und wird schließlich im Sommer festes Bandmitglied. Die US-Tour mit BAD RELIGION wird abgesagt. Die Aufnahmen des neuen Albums werden beendet. Grace spielt einige Solokonzerte an der Ostküste der USA. Der Schwede Inge Johansson, zuvor bei THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY und REFUSED, stößt als neuer Bassist zur Band.

2014

„Transgender Dysphoria Blues“ wird veröffentlicht und erreicht Platz 23 der Billboard 200 Charts – ein neuer Rekord für die Band.

2015

Das Live-Album „23 Live Sex Acts“, das im Vorjahr aufgenommen wurde, wird veröffentlicht. Die Arbeit an einem neuen Album wird angekündigt.

2016

Im September erschien mit „Shape Shift With Me“ das siebte AGAINST ME!-Studioalbum, im November steht Lauras Autobiographie an.

 


Diskografie

„Against Me!“ (MC, Misanthrope, 1997) • „Vivida Vis!“ (MC, Misanthrope, 1998) • „7 Song Cassette“ (MC, Sabot Productions, 2000) • „Against Me!“ (12“, Crasshole, 2000) • „Crime As Forgiven By“ (7“/MCD, Sabot Productions, 2001) • „The Acoustic EP“ (7“, Sabot Productions, 2001) • „Reinventing Axl Rose“ (LP/CD, No Idea, 2002) • „The Disco Before The Breakdown“ (7“/MCD, No Idea, 2002) • „As The Eternal Cowboy“ (LP/CD, Fat Wreck Chords, 2003) • „Cavalier Eternal / You Look Like I Need A Drink“ (7“, No Idea, 2003) • „Searching For A Former Clarity“ (LP/CD, Fat Wreck Chords, 2005) • „Americans Abroad!!! Against Me!!! Live In London!!!“ (2LP/CD, Fat Wreck Chords, 2006) • „New Wave“ (LP/CD, Sire, 2007) • „The Original Cowboy“ (12“/CD, Fat Wreck Chords, 2009) • „I Was A Teenage Anarchist“ (7“/MCD, Sire, 2010) • „White Crosses“ (LP/CD, Sire, 2010) • „Total Clarity“ (12“/CD, Fat Wreck Chords, 2011) • „Black Crosses“ (3LP/2CD, Total Treble, 2011) • „True Trans“ (7“, Total Treble, 2013) • „Transgender Dysphoria Blues“ (LP/CD, Total Treble, 2014) • „23 Live Sex Acts“ (3LP/2CD, Total Treble, 2015) • „Shape Shift With Me“ (LP/CD, Xtra Mile Recordings, 2016)