Ox-Sportstudio

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Folge 43: Mehr D.I.Y. geht gar nicht

Punk und Fitnessstudio – ein Widerspruch? In jeweils klassischer Ausführung wahrscheinlich schon. „Hardcore“ und „Gym“ passt von der Vorstellung her schon eher zusammen. Und tatsächlich kamen vor ein paar Jahren ein paar Menschen auf die Idee, beides miteinander zu verbinden. Mit praktiziertem Veganismus setzten sie dem ganzen noch die Krone auf und gründeten 2014 das Berlin Strength-Studio. Als ich davon erfuhr, stattete ich dem Gym einen Besuch ab. Ich war gespannt, ob ich eventuell eine Oase innerhalb der Wüste der McFitties vorfinden würde. Auf dem RAW-Gelände gegenüber dem Cassiopeia in Friedrichshain wurde ich schließlich fündig und sprach mit Nina, einer der Mitbegründerinnen des Gyms.

Nina, wie ging das los mit euch?

Mein Chef Joni Purmonen ist ein finnischer Strongman, das ist eine Unterdisziplin des Kraftsports, zu dem das Baumstammwerfen oder -stemmen gehört. Er hat einen Onlineshop für alles, was mit Kraftsport zu tun hat. In Berlin-Lichtenberg hat er dafür eine Lagerhalle. Und dort fingen immer mehr Leute an zu trainieren, weil eben alles an Equipment da war. Nur war da das Problem, dass es weder fließend Wasser noch Toiletten gab. Außerdem brauchte Joni Raum, in dem er die Geräte zeigen konnte und auch testen kann, wie sie sich zum Beispiel in der Dauerbenutzung verhalten. Und zuletzt brauchte die Sportszene eine Revolutionierung.

Wieso?

Es gibt bei den herkömmlichen Fitnessstudios keines, in dem es nicht darum geht, zu schauen, sich zu zeigen, zu präsentieren. Gerade für Frauen ist es super unangenehm, weil man insbesondere in den reinen Kraft-Bereichen angegafft wird. Ich selbst wurde da als Exotin, die eine Frau dort einfach ist, laufend angemacht. Ein anderer Punkt ist natürlich der Veganismus. Es gibt immer noch den Irrglauben, dass Veganer dünn und schwach sind und irgendwann an Mangelernährung sterben. Wir wollten dem Veganismus hier Gehör verschaffen und zeigen, dass man vegan und gleichzeitig stark und muskulös sein kann.

Wollt ihr hier also vegan missionieren?

Überhaupt nicht. Hierher kommen auch Leute zum Training, die nicht vegan leben. Wir sind ein veganes Gym aber nicht ein Gym nur für Veganer. Missionieren muss man auch nicht – die Leute sehen hier beispielsweise die veganen Energieriegel oder die veganen Proteinshakes und stellen von sich aus ihre Fragen dazu. Wir versuchen, diese „neutral“ zu beantworten. Nur liegt es auf der Hand, dass wir auf vegane Ernährung verweisen, da es auch im Sport so gut funktioniert. Und da unser gesamtes Team, bestehend aus drei Frauen und zwei Männern, vegan lebt, empfehlen wir natürlich nicht Reis mit Hühnchen.

Was ist sonst noch der Unterschied zum herkömmlichen Fitnessstudio, etwa einer großen Kette?

Das Wichtigste ist natürlich, dass wir hier eine Community sind, bei der es nicht darum geht, wer den dicksten Bizeps oder den geilsten Arsch hat. Außerdem ist das komplette Studio inklusive seiner ganzen Ausrüstung vegan, es wurde auf Kunstleder geachtet und die Kleberproblematik berücksichtigt. Unsere ganzen veganen Nahrungsmittel, wie die Riegel und die Drinks, kommen auch super an. Gerade Nicht-Veganer decken sich hier mit unseren pflanzlichen Proteinen ein und erkennen darin die Vorteile.

Wenn ich mich so umsehe, habt ihr auch keinen herkömmlichen Cardio-, also Ausdauerbereich.

Wir haben an Cardiogeräten ein Fahrrad und ein Rudergerät. Ansonsten wird unkonventionelles oder „freies Cardio“ betrieben, wie mit dem Lkw-Reifen da – wenn du den 25.000 Mal geflippt, also umgeworfen hast, ist das auch Cardio, haha. Im Vergleich zu dem ganzen Gerätetraining in den normalen Studios kann man bei uns noch dazu von einem Ganzkörpertraining sprechen. Die Kniebeugen-Squats sind im freien Training schon so anstrengend, dass du auch ganz andere Muskeln beanspruchst und brauchst, um zum Beispiel die Stabilität zu halten.

Meine Erfahrung ist, dass sich viele Menschen nicht in ein Fitnessstudio trauen, weil sie Angst haben, sich zu blamieren. Ist die Hemmschwelle bei euch nicht noch um einiges höher, weil ihr nach außen hin total auf rough macht?

Viele denken wirklich, man müsse sich besonders präsentieren können. Und gerade das ist bei uns ja überhaupt nicht der Fall. Wir sind ein kleines Team, mit dem man schnell vertraut ist und das hier nicht fluktuiert. Es ist immer jemand da, den man ansprechen kann, und dadurch ist hier eher so ein familiäres Gefühl vorhanden. So werden schnell Ängste und Vorbehalte abgebaut. Was ich immer wieder erkläre: Selbst der stärkste Mann oder die stärkste Frau der Welt hatten mal ihren ersten Trainingstag. Damit kannst du vielen die Angst nehmen. Wir sind auch immer für Fragen und Tipps da und suchen selbst das Gespräch, wenn uns etwas auffällt. Zu Trainingstechniken bieten wir auch Kurse an, zudem haben wir noch einen kleinen Therapieraum, in dem Physiotherapeuten und Heilpraktiker praktizieren. Das ist vor allem von Vorteil, wenn Kunden eine gesundheitliche Vorgeschichte haben, wie Bandscheibenvorfälle oder ähnliches.

Kommen zu euch auch Trottel?

Ja, die gehen dann aber wieder. Das sind Menschen, die mit unserer politischen Philosophie nicht klarkommen. Bei uns ist überhaupt kein Platz für Rassismus, Sexismus und ähnlichen Scheißdreck. Manche wollen dann eine offene oder auch verdeckte Diskussion darüber anfangen, die wir aber nicht führen. Solche Leute haben bei uns nichts verloren. Oder auch Poser, die der große Fisch im kleinen Becken sein wollen, und dann aber sehen, dass bei uns alle die gleichen Rechte haben, egal ob sie Anfänger oder Leistungssportler sind. Ansonsten zieht unsere Philosophie genau die richtigen Leute an – wir hatten zum Beispiel noch nie Probleme mit Diebstahl oder dass sich jemand beschwert hätte, weil andere Streß gemacht oder sich Frauen belästigt gefühlt hätten.

Wie würdest du eure gemeinsame Basis im Team beschreiben?

Erstens: Veganismus. Zweitens: Liebe zum Kraftsport. Drittens: Hardcore. Auch wenn jeder ein bißchen andere Sparten hört, von klassischem Punkrock bis zu Rockabilly und Skapunk, eint uns das schon allein von der Philosophie her. Bei uns wird schon richtig geballert und es läuft kein Elektro-Sound oder SCOOTER.

Habt ihr also die „klassische“ Hardcore-Philosophie? Ich verstehe darunter, dass man selbst anpackt, etwas Positives macht, nach vorne geht, anstatt rumzuhängen?

Natürlich, alles, was wir hier machen, ist D.I.Y. Mehr D.I.Y. geht gar nicht. Und unsere Philosophie, uns gegenseitig weiterzuhelfen, ist auch eine wichtige Sache und wird so gelebt.

Wenn wir schon beim Hardcore sind, wie findest du das WALLS OF JERICHO-Video „Reign supreme“, in dem man die Sängerin Candace durchgehend schlagen, springen, stemmen sieht?

Das ist klasse. Was wir hier übrigens auch schon veranstaltet haben, sind Konzerte. Ein Stammkunde von uns ist Veranstalter und wir haben mit ihm einfach mal die Bands hergeholt, die uns selbst gefallen und die bestenfalls auch noch irgendeinen Bezug zum Sport haben. Beim ersten Mal hat’s total eingeschlagen, so dass wir hier seither ungefähr alle drei Monate ein Konzert haben, bei uns haben zum Beispiel schon CDC, BENCHPRESS, DAMAGER oder UNDER THE SUNRISE gespielt.

Woher kommen eure Mitglieder und Gäste?

Die meisten sind natürlich aus Berlin. Durch unseren zunehmenden Bekanntheitsgrad und unsere Social-Media-Aktivitäten, die ganzen Fotoshootings, die Videodrehs, Dokus, einfach auch die coole Kulisse kommen aber Leute aus der ganzen Welt zu uns. Das liegt auch daran, dass wir super entspannte Konditionen haben wie den Ein-Tages-Pass und im Vergleich zu anderen freien Studios sehr günstig sind. Viele Studis melden sich auch für ein Semester hier an. Besonders schön ist, wenn Leute reinkommen, die mir freudestrahlend erzählen, dass sie schon unzählige Fotos und Videos von uns gesehen haben. Wie es momentan aussieht, bekommen wir langsam Kultstatus.

Seid ihr auch ein Spiegelbild der „Normalgesellschaft“? Euer Boom verhält sich ja analog zu dem Mainstream, so viel Sport wie heute wurde meines Erachtens noch nie getrieben, nehmen wir nur einmal das Laufen.

Bewegung ist auf jeden Fall im Trend, eventuell ist es auch deshalb in der Szene angekommen. Dennoch gab es schon immer körper- und gesundheitsbewusste Menschen gerade unter den Straight Edgern, zu denen ich auch gehöre. Man hat eben erkannt, dass nur rumhängen und labern auch nichts bringt.