TIGER ARMY

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Ganz entspannt

Es gibt Bands, die lassen einen Fan verzweifeln: Sie spielen hervorragende Musik, machen sich aber rar und bringen eben nicht im Zwei-Jahres-Rhythmus neue Alben heraus. TIGER ARMY sind so eine Band. Geschmeidig wie kein anderer Vertreter des Genres verknüpfen sie seit jeher Psychobilly mit Punkrock und einem ursprünglichen Pop, der Herzen erweicht. Doch satte neun Jahre brauchten sie, ehe sie kürzlich mit „V“ neue Songs unter die Menschen brachten. Immerhin: Jetzt ist „V“ endlich da, klingt anders – und führte somit zu einem Gespräch mit Frontmann Nick 13, in dem es neben der Zeit zwischendurch vor allem um Musikhistorie ging.

Nick, es ist genau neun Jahre her, seitdem ihr „Music From Regions Beyond“ veröffentlicht habt. Auch seit deinem Soloalbum ist auch schon wieder eine halbe Dekade vergangen. Was hast du in all der Zeit gemacht?

Mit dem Album sind wir erst einmal zwei Jahre lang durch die Welt getourt. Danach habe ich in Nashville angefangen, an meinem Soloalbum zu arbeiten. Ich bin eigens dorthin gezogen, um mich intensiv in die Country-Musik und deren Geschichte einzufühlen. Es folgten ein paar US-Touren, nach denen ich dann gleich wieder anfing, Songs für ein weiteres Soloalbum zu schreiben, das ich irgendwann aufnehmen werde. Und dann habe ich einfach zum ersten Mal seit langer Zeit entspannt und gar nichts in Sachen eigener Musik gemacht.

Was stand stattdessen an?

Ich widmete mich verstärkt dem Sammeln von Antiquitäten und Vintage-Kram. Ich ließ mich tätowieren. Und ich hörte extrem viel Musik aller Art. Erst im vergangenen Jahr ging es wieder mit TIGER ARMY und der Arbeit am neuen Album los.

Du sagst, du hast entspannt. Und du bist Künstler. Kann ein Künstler das einfach so, entspannen? Muss er nicht ständig Neues schaffen, neue Songs zu Papier bringen?

Ich sage es mal so: Für mich ist es extrem wichtig, dass jedes Album, das ich mache, musikalisch etwas Neues zu bieten hat. Und das kann eben bedeuten, dass man zwar ambitionierter an die Sache herangeht, ihr aber auch mehr Zeit einräumt. Ich wollte natürlich die ganze Zeit über unbedingt ein neues TIGER ARMY-Album machen, aber es sollte auf jeden Fall ein neues Kapitel in der Bandgeschichte darstellen. Entsprechend musste ich für mich persönlich erst einmal die Inspiration finden. Und das dauerte. Dafür brauchte ich diese Auszeit. Manche Musiker nehmen Alben auf, nur um Alben aufzunehmen. Ich aber habe die Maxime, an jedes einzelne auch wirklich unerschütterlich zu glauben und von ihm überzeugt zu sein.

Und wie war es dann, als du nach langer Zeit mit der Band wieder im Studio gestanden hast: Wie immer? Oder doch ein wenig enthusiastischer und gespannter?

Beides! Es war einerseits ein bekanntes Gefühl. Aber andererseits eben auch ein Gefühl von Enthusiasmus und Gespanntheit. Hinzu kam, dass ich erst zum zweiten Mal mit einem Produzenten zusammenarbeitete. Und der war auch noch ein neuer: Ted Hutt anstatt Jerry Finn zuvor, der leider verstorben ist. Und Teds Stil ist ein ganz anderer. Daran musste ich mich gewöhnen, bin aber vollauf zufrieden mit dem Ergebnis.

Man hört diesen Unterschied zu den Alben zuvor: „V“ ist ein kleiner Stilbruch. Kein reiner Psychobilly mehr. Eher eine Hommage an den Fifties-Sound. An Country und Pop.

Ich würde nicht von einem Stilbruch sprechen. Sondern von einer Entwicklung. Genauer gesagt ist „V“ ein Durchforsten und Ausloten der Psychobilly-Wurzeln. Zurück bis zum frühen Punk und zum britischen Rock’n’Roll der Sechziger, wie ihn etwa Joe Meek oder THE SHADOWS gespielt haben. Zum einem hat das damit zu tun, dass ich verstärkt entsprechende Platten hörte. Zum anderen damit, dass ich mit der Zeit einfach ein besserer Musiker – im technischen Sinne – geworden bin. Ich kann diese Art der Musik, diese verschiedenen Stile, jetzt spielen. Ich denke auch nicht, dass „V“ zum Beispiel mehr oder weniger Country-Anteile als unsere bisherigen TIGER ARMY-Platten hat. Denn es gab immer schon Songs, die vom Country inspiriert waren – denke nur einmal an „Train to eternity“ vom Album „Outlaw Heart“.

Du sagst, du hast vor den Aufnahmen von „V“ viel Musik gehört. Welche war das?

Ich war sehr interessiert an jener Musik, die nach der ersten Rock’n’Roll-Welle herauskam, noch bevor sich der Sound der Sechziger entwickelte. Damals waren die Leute auf der Suche nach etwas Neuem. In Jahren ausgedrückt war das die Musik zwischen 1959 und 1963. Natürlich gab es damals Künstler wie Roy Orbison oder Buddy Holly, die ich verehre. Aber ich tauchte eben noch tiefer in die Materie ein und lotete beispielsweise aus, was Produzent Joe Meek in den frühen Sechzigern in England so gemacht hatte. Zudem stammten einige der besten Songs damals von One-Hit-Wundern wie Troy Shondell, die ich nun auf dem Schirm hatte. Ferner kamen Instrumental- und Gitarrenmusik, Surf und Garage hinzu. Also Duane Eddy, THE SHADOWS, THE VENTURES, Dick Dale. Und nicht zuletzt früher New-York-Punk, der ja aus dem Rock’n’Roll der Fünfziger und Sechziger entstand. Da spreche ich dann von den RAMONES, von den NEW YORK DOLLS oder dem 1978er-Album „Static Age“ der MISFITS.

Das ist eine ganze Menge an Inspiration. Und da alles auf die Fifties zurückgeht: Was ist für dich das Faszinierende an dieser Musik?

Ich dachte früher immer, dass ich das gar nicht benennen kann. Aber mittlerweile kann ich es: Diese Musik enthält so unfassbar viel Seele! Die Songs treffen dich emotional direkt ins Herz. Ich höre zwar auch viel neue Musik und versuche, auch diesbezüglich etwas für mich herauszuziehen. Aber es wird immer schwerer, etwas zu finden, das mich wirklich berührt. Etwas, das wirklich dazu führt, dass ich etwas fühle.

Erklärt all das auch den Pop-Appeal, der „V“ so extrem auszeichnet?

Es ist ganz einfach: Für mich ist Pop ein Stil. Ein wichtiger Stil. Und ein Stil, den viele Menschen – vor allem die in den USA – nicht verstehen. Ich bin extrem vom ursprünglichen, vom Original-Pop beeinflusst, wie ihn die BEATLES, die BEACH BOYS oder Ricky Nelson spielten und wie er später, in den Achtzigern, von THE SMITHS oder dem melodischen Psychobilly der LONG TALL TEXANS fortgeführt wurde. Ich sehe mich als Künstler absolut in dieser Tradition. Der Tradition des Pop. Und deshalb klingt „V“ auch so. Wenn aber jemand den Begriff „Pop“ mit Justin Bieber verbindet, dann will ich damit nichts zu tun haben.

Du sprichst viel von Entwicklung und Historie. Was hat sich im Laufe der Jahre an und innerhalb von TIGER ARMY verändert?

Ich denke, der Hauptunterschied ist der, dass wir nun eine bessere Balance zwischen Aggression und musikalischen Können gefunden haben. Das trifft in besonderem Maße auf mich zu. Bei unseren früheren Konzerten ging es eher um einen entsprechenden Vibe, um das Kreieren einer bestimmten Atmosphäre. Das Musikalische kam da etwas zu kurz. Meine Stimme und mein Gitarrenspiel waren nicht weit genug entwickelt. Für das neue Album trommelte ich deswegen auch eigens ein Studio-Line-up zusammen: Der Schlagzeuger, Mitch Marine, trommelt primär für den Country-Sänger Dwight Yoakam und kennt mich bestens, da er auch bei meinem Soloprojekt mitmachte. Und Bassist Dave Roe nahm früher mit Johnny Cash auf und tourte mit ihm. Ich war überwältigt, ihn in Nashville spielen zu sehen. Die Geschwindigkeit, das Slapping – das hätte kein Psychobilly-Musiker besser hinbekommen!

Diese beiden sind nun aber keine Mitglieder von TIGER ARMY, oder?

Nein. Da kehrte nach den Aufnahmen des neuen Albums unser Schlagzeuger Mike Fasano, der bereits auf „III: Ghost Tigers Rise“ spielte, zurück. Hinzu kam Bassist Djordje Stijepovic. Er ist einer der besten Stand-up-Spieler, die ich kenne. Mit den beiden geht es jetzt ein Jahr lang auf US- und Kanadatournee. Danach kümmern wir uns dann um Europa.

Nick, du bist Kalifornier. Da scheint gefühlt immer die Sonne. Wie kannst du in diesem Umfeld so viele Songs über Dunkelheit und Nacht und den Mond schreiben?

Haha, du hast recht. Aber du vergisst etwas: Ich bin in Norden von Kalifornien aufgewachsen. Und dort ist das Klima recht nah dran an dem bei euch in Europa. Es gibt mehr Regen, mehr Nebel, mehr kühle Tage als in Los Angeles. Doch Scherz beiseite: Mir geht es eher darum, für was die Nacht steht. Die Welt des Tages ist voll von Menschen, Verkehr, Verpflichtungen, Regeln. Die Nacht aber bedeutet Freiheit. Sie ist die Zeit der Träume, der Nostalgie, der Romanzen, des Entkommens von allen Zwängen.

Und was ist für dich reizvoll am Tag und seinem Tageslicht?

Sonnenauf- und Sonnenuntergänge sind schön. Und ich würde die Nacht wahrscheinlich nicht so wertschätzen, wenn es den Kontrast des Tages nicht gäbe.