BARB WIRE DOLLS

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Punk-Nomaden

Kaum eine Band war in den vergangenen Jahren derart präsent in der Szene wie die BARB WIRE DOLLS. Ein paar Griechen, die auszogen, um im gelobten Musikland Amerika den Punkrock neu zu erfinden und die Revolution auszurufen. Sie spielten über 700 Shows in 22 Ländern, geisterten durch alle Print- und Online-Magazine, riefen in den sozialen Netzwerken täglich die Jünger ihrer „Street-Generation“ zusammen. Und alles lief dabei strikt nach dem DIY-Gedanken: Kein Geld, viel Motivation und noch mehr Idealismus. Jetzt haben die BARB WIRE DOLLS mit „Desperate“ ihr zweites Album am Start – und mit Motörhead-Music endlich ein richtiges Label im Rücken, das ihnen helfen soll, ihre Botschaft „Make riot, not war“ noch besser unters Volk zu bringen. Zur Veröffentlichung sprachen wir mit Frontfrau Isis Queen.

Isis, den Ritterschlag der harten und lauten Rockmusik habt ihr hierzulande erhalten: Ihr wurdet nach Wacken eingeladen. Wie kam es dazu?

Ja, das ist wirklich unfassbar aufregend! Und eine interessante Geschichte: Mille Petrozza von KREATOR hatte vor zwei Jahren bei seiner Tour jeden Abend unser Band-Shirt auf der Bühne an. Er hatte wohl zuvor eine Show von uns besucht – wovon wir nichts wussten. Ich muss zugeben, ich kannte zwar schon immer KREATOR, aber ich hatte bis dahin keine Ahnung, wer Mille Petrozza war. Jedenfalls muss er sich bei diesem Konzert – wo immer das auch war – ein Shirt von uns gekauft haben. Wir flogen danach zurück in die USA. Und auf einmal bekamen wir eine E-Mail nach der anderen, in der uns die Leute sagten: „Hey, wisst ihr eigentlich, dass Mille von KREATOR auf der Tour seiner Band jeden Abend mit einem BARB WIRE DOLLS-Shirt auftritt?“ Das war der Hammer! Wir nahmen Kontakt zueinander auf. Und er war es dann auch, der für uns die Verbindung nach Wacken hergestellt hat. Dort sind KREATOR ja Stammgäste. Ich frage mich bis heute, ob er nicht sogar mehrere Shirts von uns gekauft hat. Denn überleg mal: Jeden Abend! Da muss man doch irgendwann mal wechseln, haha. Wie auch immer: Mille versteht Rock’n’Roll und das, was wir tun. Es gibt sogar Überlegungen, eine Single mit ihm aufzunehmen. Er ist einfach großartig!

Euer zweites Album „Desperate“ erschien jetzt bei Motörhead-Music, dem von Lemmy Kilmister vor seinem Tode gegründeten Label aus Los Angeles. Wie ist Lemmy auf euch gekommen?

Lemmy sah einige unserer Auftritte in Los Angeles und war sofort begeistert. Auch er verstand – wie Mille – sofort unsere Vision. Auch er wurde ein richtiger Fan von uns, der uns viele, viele Tipps gab und uns recht schnell für sein Label haben wollte. Und zwar so, wie wir waren und sind. Er wollte uns nicht verändern.

Wann seid ihr Lemmy zum ersten Mal persönlich begegnet?

Das war, als wir nach langer Zeit auf Tour mal wieder in Los Angeles waren und gleich am ersten Abend die Clubs auf dem Sunset Strip nach kommenden Shows abklapperten. In einem der Clubs stieg er plötzlich vor uns aus dem Aufzug und wir kamen ins Gespräch. MOTÖRHEAD-Drummer Mikkey Dee war auch dabei. Und als er – als jemand, der griechische Wurzeln hat – hörte, dass wir aus Griechenland stammen, war das Eis schnell gebrochen. Von da an trafen wir uns häufiger. Irgendwann gaben wir Lemmy dann ein paar Demos. Er sah uns live und eins kam zum anderen.

Das hört sich so simpel an. Und doch liegen weit über drei Jahre zwischen eurem Debüt „Slit“ und dessen Nachfolger. Tourt ihr etwa zu viel?

Haha, wir touren schon extrem viel, das stimmt. Irgendwie hängt das auch damit zusammen. Wir sind, wie du ja weißt, nun mal eine DIY-Band. Wir müssen zusehen, dass wir durch Konzerte Geld einnehmen, um zu leben und Songs aufzunehmen. Und wir mussten bislang alles selber machen. Das dauert eben. Ich denke aber, dass wir es nun mit Motörhead-Music etwas leichter haben. Als Lemmy sagte, er wolle unsere nächste Platte aufnehmen, wussten wir: Jetzt wird sich etwas ändern für uns. Damit können wir einen weiteren Schritt nach vorne machen.

Warum der Titel „Desperation“, „Verzweiflung“? Weil ihr verzweifelt auf die Veröffentlichung des neuen Albums gewartet habt?

Haha, nein. Es geht um die Verzweiflung, die jeder von uns durchmacht. Tag für Tag. Weil die Welt so ist, wie sie ist.

Beim letzten Interview fürs Ox sprachen wir über die Finanzkrise in eurer Heimat Griechenland. Heute sind wir umgeben von Donald Trump, dem Brexit, von einem aufkeimenden Nationalismus und Rassismus, von Flüchtlingswellen und von Staaten, die ihre Grenzen dicht machen wollen. Es hat sich also nichts verbessert. Ist Punk also notwendiger denn je zuvor?

Ja, so ist es. Es wird eben immer Politiker geben, die sich nicht um die Menschen scheren und die nur ihre eigenen Interessen verfolgen. Und es wird immer Menschen geben, die versuchen, hörig vor denjenigen zu buckeln, von denen sie kontrolliert werden. Leider. Und an dieser Stelle kommt Punk ins Spiel, denn es geht darum, wie weit du dich selber kontrollieren, beschränken und manipulieren lassen willst. Was willst du mit deinem Leben anstellen? Punk bedeutet: Du lebst dein Leben nach deinen Regeln. Du musst nichts und niemandem folgen. Und du erschaffst etwas Neues und zeigst damit, für was du stehst, wie du für diese Überzeugung kämpfst und wie stolz du darauf bist.

Aber ist der Lebensstil der BARB WIRE DOLLS – dieses Auf-sich-allein-gestellt-Sein und dieses tägliche Kämpfen für die eigenen Ideale ohne Hilfe – nicht auch unglaublich anstrengend und zermürbend?

Natürlich ist dieser Lebensstil hart. Aber wir haben uns diesen Lebensstil selber ausgesucht. Wir sind wie Zigeuner, ohne festen Wohnort. Wir gehen dahin, wo wir uns wohl fühlen. Und das ist großartig, denn es inspiriert uns. Wir fühlen uns frei. Wir leben so, wie wir es wollen. Und die Musik, die aus uns kommt, ist genau so, wie sie sein soll. Nicht wie jemand anders sie haben will, sondern wie wir sie haben wollen. Es ist die Musik, die durch genau diesen Lebensstil erzeugt wird.

Gab es nicht dennoch Momente, in denen ihr ausgelaugt von all dem gewesen seid?

Natürlich. Wir haben schon monatelang auf Fußböden geschlafen. Wir haben uns an Tankstellen geduscht. Wir hatten manchmal gerade einmal fünf Dollar, um Essen für fünf Leute zu besorgen. Wir sind wegen Aufnahmen für drei Monate in New Mexico gestrandet und haben in einem total heruntergekommenen, unheimlichen Haus gewohnt, in dem die Kakerlaken überall herumkrabbelten. Aber: Wenn du für einen Grund lebst, für ein Ziel, und wenn du das in einer Gruppe tust, die zu dir gehört, dann hältst du so etwas aus. Du machst dann weiter und machst dir nichts daraus. Natürlich könntest du sagen: „Ich gebe meinen Teil des Geldes für ein gutes Hotel aus, anstatt es in die Reise zum nächsten Konzertort zu stecken.“ Aber das wäre letztlich egoistisch. Wir schauen uns in Momenten, in denen es besonders hart wird, das an, was wir mit dieser Band bereits erreicht haben. Das baut uns wieder auf. Das ist wichtiger als alles andere.

Was war der härteste Moment, den ihr mit der Band durchstehen musstet?

Das waren die Momente, in denen wir völlig abgebrannt waren, kein Geld hatten und irgendwo festsaßen. Aber das wurde immer wieder ausgeglichen durch unsere wunderbaren Erlebnisse. Sie lassen das Feuer weiter brennen.

Die BARB WIRE DOLLS müssen ja trotzdem sicherlich irgendwie geführt und angeleitet werden. Habt ihr in der Band einen Johnny Ramone, der auf alles aufpasst?

Haha! Wir haben zwei Jungs in der Band, Pyn und Krash, die sich um viele Dinge kümmern und eine Menge Verantwortung übernehmen. Aber das war es auch. Vielleicht ändert sich jetzt etwas aufgrund des Labels. Ich denke, Motörhead Music wird uns in vielen Dingen beistehen. Und ich gebe zu: Das beruhigt.

„Desperate“ klingt wie der perfekte und logische Nachfolger eures Albums „Slit“. Bereits nach zwei Alben habt ihr einen richtigen Trademark-Sound. Das ist beeindruckend.

Danke. Aber für uns als Band gibt es schon Unterschiede: „Slit“ war unser Baby. Es kam um sich tretend und schreiend auf die Welt. Ein sehr wütendes Album. „Desperate“ dagegen ist reifer. Es gibt Antworten darauf, wie wir diese Welt, die wir mit „Slit“ erkundet haben, verstehen können. Es ist analytischer und nicht mehr so düster.

Mitgeholfen haben bei „Desperate“ Produzentengrößen wie Jay Baumgardner und Howie Weinberg. Wie autoritär und selbstbewusst geben die sich im Studio?

Gar nicht. Sie haben unsere Ideen und Visionen verstanden und haben nichts verändert. Sie ließen uns das Album so aufnehmen, wie wir wollten. Sie waren eher Gurus, die uns in dem, was wir machten, bestärkten. Sie wollten – genauso wie etwa Bob Gruen als Artwork-Fotograf – einfach Teil des Prozesses, Teil der BARB WIRE DOLLS sein.

Wenn ihr ständig auf Achse seid: Wie oft könnt ihr da an neuen Songs arbeiten?

Eigentlich immer. Denn Ideen kommen immer und überall. Die Songs sind einfach da. Ich muss – ebenso wie Pyn als Arrangeur – immer einen Stift und ein Blatt griffbereit haben.

Ihr lebt euer Leben für die Musik und kennt dabei keine Kompromisse. Aber ihr könnt das ja nicht sieben Tage die Woche jeweils 24 Stunden lang machen. Ihr müsst doch auch irgendwann einmal runterkommen. Wie schafft ihr das, entspannen? Durch Surfen im Pazifik?

Das auch. Vor allem Pyn ist da sehr gut drin, haha. Aber ganz ehrlich: Live-Shows sind der beste Weg, um zu entspannen, haha. Denn auf der Bühne denkst du nicht mehr nach. Du bist ganz im Moment gefangen und wirst eins mit dem Publikum und deiner Band. Außerdem ist jede Show unterschiedlich. Es ist niemals gleich. Es ist immer eine neue, wunderbare Erfahrung.

Ich habe mehrfach erlebt habe, dass Leute euch als Fake-Band bezeichnen. Als Band, die den Punk nur allein wegen eines vordergründigen Show-Aspekts macht. Was entgegnest du solchen Leuten?

Dass es für uns ein Leichtes wäre, wie jeder andere auszusehen und es jedermann recht zu machen. Aber wir wollen es eben nicht einfach. Und wir wollen niemanden kopieren. Wir wollen wir sein. Wir haben unseren Stil. Und wenn manch einer das nicht versteht, ist das wunderbar. Denn wenn uns jeder verstehen würde, dann müssten wir etwas Neues machen. Kontroversen gehören dazu!

Das zweite Album ist raus, Produzenten-Legenden saßen am Regler, endlich gibt es ein Label im Hintergrund, die Promotion läuft auf vollen Touren und es gibt immer mehr Features in Musikzeitschriften über euch: Welches Ziel peilen die BARB WIRE DOLLS als nächstes an: Radio-Airplay? Große Hallen? Gar die Charts?

Wir sehen uns als Künstler. Und jeder Künstler möchte seine Kunst mit möglichst vielen Menschen teilen. Auch um Energie zurückzubekommen. Und wir bekommen jede Menge Liebe und Unterstützung von unseren Fans zurück. Dafür geben wir ihnen die Musik. Und all das inspiriert ungemein. Es geht nichts über Konzerte. Sie entzünden das Feuer. Und sie lassen immer wieder Neues entstehen. Insofern also: Gerne alles, haha.

Gibt es einen Ort, an dem ihr auf jeden Fall einmal spielen wollt?

Keinen bestimmten Ort. Eher Länder. Asien zum Beispiel. Oder Festivals. Denn dort kommen die Menschen zusammen. Und dort ist Zeit und Platz, um richtig aus sich herausgehen zu können. Festivals sind großartig. Nicht zu vergessen kleine Clubs. Ich liebe kleine Clubs abseits der Metropolen. Denn sie zeigen dir das Land und die Menschen. Clubs werden von denen Menschen besucht, zu denen sonst keiner rauskommt. Weißt du was? Wir haben bei unserer bislang letzten Europa-Tournee in 17 tschechischen Städten gespielt. Siebzehn! Ich meine, ich wusste gar nicht, dass es in Tschechien so viele Städte gibt, haha.

Du sprichst von „aus sich herausgehen“. Das tust du auf der Bühne gerne und ausgiebig. Wie oft hast du dich schon dabei verletzt?

Oh, verdammt oft. Eigentlich ständig. Wenn wir auf Tour sind, dann sind meine Beine grundsätzlich voller Schrammen und Flecken. Die schlimmste Verletzung war ein Schlüsselbeinbruch, als mir ein Fan auf den Kopf sprang. Das war wirklich hart. Denn da musste ich die Show unterbrechen – was ich gar nicht wollte! In den Wochen danach habe ich immer einen Verband auf der Bühne tragen müssen. Aber all das gehört dazu. Außerdem kann man auch verletzt werden, wenn man nur über die Straße geht. Dann also lieber auf der Bühne, haha!

Hast du eigentlich jemals daran gedacht, irgendwann eine Familie zu gründen?

Ich habe doch schon eine. Die Band! Ihr widme ich mich zu 100 Prozent. Unsere Songs sind meine Kinder. Meine Bandkollegen sind meine Ehegatten. Also alles ganz wunderbar!