JIM DIAMOND

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Detroit’s Garage Rock Godfather

Jim Diamond muss man wahrscheinlich nicht vorstellen: Der geniale Besitzer des legendären und leider geschlossenen Ghetto Recorders-Studios in Detroit hat seit 1996 einer eindrucksvollen Anzahl der weltbesten Platten der Garage- und Rock’n’Roll-Szene ihre besondere Magie verliehen. Nachdem er Bass bei den DIRTBOMBS gespielt hatte und für den rohen und ursprünglichen Sound der ersten beiden WHITE STRIPES-Alben verantwortlich war, ging Jim daran, ein weiteres glorreiches Kapitel von Detroits Musikgeschichte einzufangen. Er hat eine beachtenswerte Kundenliste angehäuft, weshalb sein Handschrift bei einigen der meistgefeierten Künstlern zu erkennen ist, die jemals auf Vinyl gepresst wurden: THE SONICS, Andre Williams, THE FLESHTONES, THE HENTCHMEN, NEW BOMB TURKS, THE JON SPENCER BLUES EXPLOSION und unzählige andere.

Leider war Jim gezwungen, Ghetto Recorders 2015 dichtzumachen, aufgrund einer Art „Hipsterisierung“ im Zentrum Detroits und die Verdoppelung der Miete durch seinen Vermieter, anders kann man es nicht beschreiben. Ein Filmteam kam kurz danach zum Studio, um ihn zu seinen Ansichten über die aufkommende, hippe und trendige „creative class“ in Detroit zu befragen und Jim scheute sich nicht, seine Meinung zu sagen: „Ich sagte so was wie: ,Ist ja super. Wegen euch kreativen Arschlöchern werde ich also aus dem Viertel verjagt. Ihr kennt ja das coole Image von Detroit, ein schroffer, authentischer Ort zu sein, das ich selbst mit erschaffen haben. Na ja, jetzt kann ich’s mir nicht mehr leisten.“

Wenn es einen Hoffnungsschimmer gibt angesichts der unerfreulichen Umstände der Vertreibung von Ghetto Recorders und der Neueröffnung eines gehobenen Craft-Bier-Lokals oder einer Urban Outfitters-Filiale an dessen Stelle, dann die Tatsache, dass Jim nun international agiert und dabei produktiver ist denn je. Denn Jim hat sich kürzlich im südfranzösischen Montpellier eine neue Basis geschaffen und setzt sein produktives Schaffen in der Szene fort, indem er mit Bands aus aller Welt von Kambodscha bis Cleveland arbeitet. Seine neue Basis in Europa wird sicher Künstlern neue Möglichkeiten eröffnen, mit Jim zusammenzuarbeiten, und noch etliche Jahre seinen einzigartigen rohen, puristischen Live-Sound hervorzubrigen.

Inzwischen ist Diamond so etwas wie der inoffizielle hauseigene Produzent und Toningenieur des Londoner Garage-Labels Dirty Water Records und hat in den letzten zwei Jahren den bekanntesten Labelbands wie MUCK AND THE MIRES, ARCHIE AND THE BUNKERS, RAW FUN und OH! GUNQUIT seinen Stempel aufgedrückt. Evan „Muck“ Shore von den Mucks beschreibt, was Jims Sound ausmacht, folgendermaßen: „Jim hat einfach magische Fähigkeiten, wenn es darum geht, die rohe Energie einer Live-Band festzuhalten. Moderne Studios sind normalerweise gar nicht für Live-Aufnahmen ausgestattet. Sie arbeiten vielmehr wie sterile Labore, wo einzelne Spuren nacheinander perfekt abgelegt werden und wo die zauberhafte Wirkung eines bis ,10‘ aufgedrehten Verstärkers tabu ist, weil sein Surren und Brummen als Makel betrachtet wird, anstatt als gewünschtes Ergebnis.“

Als Jim Wind von der Teenage-Trash-Sensation ARCHIE AND THE BUNKERS bekommen hat, hat er sich sofort mit dem Garage-Duo aus Cleveland in Verbindung gesetzt, um über ein Album zu reden. „Ich bin mir nicht ganz sicher, wer Jim von uns erzählt hat, aber als er uns kontaktiert hat, um unser Debütalbum aufzunehmen und zu produzieren, waren wir wirklich aufgeregt!“, erzählt der Archies-Drummer und -Sänger Emmett O’Connor. „Wir waren alle vertraut mit seiner Arbeit.“ Sein Bruder, Cullen O’Connor, Keyboard und ebenfalls Gesang bei ARCHIE AND THE BUNKERS, fügt hinzu: „Wir sprangen ins Auto, fuhren dreieinhalb Stunden, kamen ins Studio, bauten auf und das Tape lief innerhalb einer Stunde. Zwei Tage und zwölf Songs später war unsere erste Aufnahme gemacht. Presto! Das war verrückt. Anstatt auf verschiedene Kabinen verteilt, spielten wir sozusagen in einem großen Raum. Er hat unseren wirklichen Sound eingefangen und wenn die Leute uns live sehen, fühlen sie dieselbe Energie wie auf unserem Album. Jim Diamond ist ein renommierter Produzent und es ist eine Ehre, seinen Namen auf unserer Platte zu haben.“

Neben seinem unkonventionellen Ansatz, Bands aufzunehmen, hat Jim auch ein Talent dafür, Künstler, mit denen er zusammenarbeiten will, direkt über Mundpropaganda aufzuspüren. Patrice Picard von THE CANNIBALS und RAW FUN – selbst ein angesehener und fähiger selbstständiger Tontechniker – berichtet, wie Jim mit ihm in Verbindung getreten ist: „Einige Monate, nachdem wir RAW FUN gegründet hatten, habe ich ein Demo von unserer ersten Aufnahme ,Won’t be told‘ ins Internet hochgeladen. Ich hatte es live mit der Band im Proberaum aufgenommen und den Gesang danach in meinem Schlafzimmer hinzugefügt. Einige Wochen später war ich gerade dabei, es zu mischen, als mich jemand auf Facebook anschrieb und fragte, ob wir eine Single veröffentlichen würden, weil ihm das Demo so gut gefallen habe und er uns dabei helfen wolle. Ich habe spontan geantwortet, dass ich alles alleine mache, aber als mir klar wurde, dass es Jim Diamond war, bin ich fast vom Stuhl gefallen.“

MUCK AND THE MIRES, die mit Jim zwei Alben aufgenommen haben, bewunderten die Platten, die er mit Bands produzierte, die sie als Geistesverwandte ansahen. „Die hörten sich alle so ungestüm und wild an und wir wollten, dass unsere nächste Platte auch so klingt!“, erinnert sich Evan Shore. „Wir flogen zu seinem alten Ghetto Studio in Detroit um ,A Cellarful Of Muck‘ einzuspielen, und später ,Dial M For Muck‘.“ Ein bisschen nostalgisch fügt er hinzu: „Als wir das Studio zum ersten Mal betraten, wirkte es mehr wie eine Pfandleihe. In dem Raum für die Live-Aufnahmen standen lauter kaputte Verstärker und ein ramponiertes Schlagzeug. Die Kontrollkabine war mit noch mehr Müll vollgestopft. Aber wir haben schnell gelernt, dass Jim die einmalige Fähigkeit besitzt, irgendein rostiges Teil zu nehmen und jeden Sound damit zu erschaffen, den er braucht. Auf ,Dial M For Muck‘ haben wir nicht mal Kopfhörer getragen. Wir haben uns nahe zueinander um das Schlagzeug aufgestellt und live gespielt. Es ist üblicherweise keine empfohlenes Studioverfahren, die Spuren unsauber und sich überlagernd aufzunehmen, aber so hat Jim es geschafft, die Spannung und die Atmosphäre im Raum einzufangen. Versuch das mal in einem modernen Digitalstudio!“ Kein Zweifel, in den Mauern von Ghetto Recorders steckt etwas Besonderes. Und wie man so schön sagt: Das Tonband lügt nicht. Wer die neue Platte der SONICS gehört hat, wird wissen, was gemeint ist. Wir trafen Jim im sonnigen und ruhigen Südfrankreich, um mehr über sein Zwangsexil zu erfahren und ein wenig zu fachsimpeln.

Wir schreiben 2016 und es ist nicht einmal ein Jahr vergangen, seit Ghetto Recorders nach 18 Jahren dicht gemacht hat und ins französische Exil gegangen ist. Wie war das für dich?

Das war ziemlich verrückt. Du bist über all diese Jahre an einem Ort und plötzlich fängst du an, alles abzuwickeln ... Ich war mit CAMBODIAN SPACE PROJECT im Sommer 2014 in Frankreich auf Tour und für Aufnahmen, und landete in Montpellier, wo ich eine Band namens SONIC ANGELS aufgenommen habe. Hier habe ich dann eine Freundin der Band getroffen, et voilà, die Liebe hat zugeschlagen. Oh, die Macht der Liebe und der Musik! Anfang 2015 war ich mir nicht sicher, ob ich innerhalb Detroits umziehen soll, aber dann hatte ich da jemanden in Frankreich und, nun ja, das kann deine Entscheidung natürlich beeinflussen. Letztlich habe ich dann gesagt: Ich bin hier raus. Warum auch nicht? Du hast nur ein Leben. Also nutze die Chance! Mein Vermieter wollte mich raus haben und die Räumlichkeiten sind sprichwörtlich auseinander gefallen. Aber da war noch all die Ausrüstung, die ich über die Jahre angesammelt hatte. Die zu transportieren war gelinde gesagt eine Herkulesaufgabe. Physisch und psychisch.

Wie ist die neue Ausstattung und das Studio? Hast du die ganze Aufnahmetechnik und die Ausstattung aus Detroit mitgebracht? Gibt es irgendwas erwähnenswertes Neues?

Bisher habe ich noch kein neues „Ghetto“-Studio aufgemacht. Ich habe in den Studios anderer Leute gearbeitet. Hier in Montpellier gibt es eins, das heißt Subsonic, in dem ich gemischt und gemastert habe. Ich habe dort für nächsten Monat einige Sessions ausgemacht. Ich habe eine Platte in Toulouse in einem Studio namens La Trappe gemacht, ich habe im Soup-Studio in London gearbeitet, im Yellow Tape in Gent, und ein paar Sachen habe ich in einem 24-Track-Schuppen in Barcelona aufgebaut. Wenn ich in Detroit bin, nutze ich für Sessions immer das Studio eines Freundes. Ich bringe nach und nach ausgewählte Stücke mit rüber: Fuzzboxes, Mikros, Monitore, Gitarren ... Mal sehen, was die Zukunft so bringt.

Du arbeitest für die Bands, wenn du im Studio bist. Aber was bringst du persönlich in die Aufnahme ein? In welchem Teil der Aufnahme steckt Jim Diamond?

Ich sehe das so, dass wir zusammenarbeiten. Jede Aufnahmesituation ist unterschiedlich, aber in erster Linie will ich den angemessenen Sound für die jeweilige Band finden. Die Mikros, die ich nehme, wo ich sie platziert sind, die Verstärker, Pedale ... Wenn ich etwas auswähle, ist das kein Zufall. Als ich vor einigen Jahren die SONICS da hatte, meinten sie, dass ich ihnen wirklich geholfen hätte, indem ich gesagt habe, was sie nicht tun sollen. Ich habe den Gitarristen immer und immer wieder dazu angehalten, seinen beschissenen Kompressor und sein Chorus-Pedal auszuschalten. Letztens hatte ich in Detroit eine Band aufgenommen, THE PRETTY GHOULS. Alles live, über eine PA – sechs Songs an einem Nachmittag, und dann habe ich es gemischt. Ich wusste, die wollten Trash, und den haben sie bekommen. Dann war da die Band, die ich in Toulouse produziert habe. Ich habe viele Ideen eingebracht, Gitarrenparts, Percussion, Orgel ... Ich liebe es, etwas beizutragen zum Sound und auf den Aufnahmen anderer zu spielen, aber ich erzwinge das nicht. Das hängt ganz von der Situation und der Band ab. Ich werde immer einige Pedale und Percussion-Sachen mitbringen, vielleicht eine meiner Snare-Drums, und das ganze „echt“ klingen lassen. Ich denke gerne darüber nach. Und ich werde immer mit Ideen und eine Meinung behilflich sein.

Du hast ein gutes Ohr, wenn es darum geht, für eine Band eine Live-Situation zu kreieren, und kannst auf eine ganze Palette an Methoden zurückgreifen. Bist du bei Muck und ARCHIE AND THE BUNKERS mehr oder weniger genauso vorgegangen?

Meine bevorzugte Vorgehensweise ist, glaube ich, das Grundlegende, also Gitarre, Bass und Schlagzeug in einem Rutsch aufzunehmen, alle in einem Raum, wo sie sich gegenseitig sehen können; Ich will, dass es sich für sie wie im Proberaum anfühlt. Dann lege ich die Gesangsspuren darauf und zusätzliche Gitarren, Keyboards, Percussion. Wenn sie es ohne Kopfhörer schaffen können, umso besser! Also ja, Archie und Mark haben auf dieselbe Art und Weise losgelegt.

Wenn du es auf ein, zwei Bands eingrenzen müsstest, auf die du am meisten stolz bist, wer wäre das?

Das ist schwierig, das waren so viele. Ich würde sagen, mit den DIRTBOMBS war das schon eine abgefahrene Nummer. Wir haben grundsätzlich immer einen oder zwei Songs vor der Aufnahme gehabt, oder sie sogar erst vor Ort geschrieben, die Basics aufgenommen und dann haben Mick und ich den Rest erledigt. Es hat Spaß gemacht, weil wir tun konnten, was immer wir wollten. Es gibt so viele, auf die ich stolz bin. Ich kann da leider nicht eine besonders hervorheben ...

Abgesehen von Tontechnik und Live-Aufnahmen machst du auch das Mastering. Inwiefern verbindest du digitale Technik mit analogen Aufnahmemethoden?

Na ja, Sound ist Sound und ein gutes Ohr ist ein gutes Ohr. Ich finde, beim Mastering ist es so: Wenn man etwas digital optimieren will, muss man vorsichtig sein, denn wenn man das Falsche macht und es übertreibt, dann hat man am Ende diesen „digitalen Klang“. Daher sollte man da immer aufpassen.

Musst du eine Band grundsätzlich mögen, um mit ihr zu arbeiten?

Es hat ein paar Bands gegeben, die ich nicht so toll fand, aber ich versuche immer, mit Leuten zu arbeiten, die ich mag. Musik bedeutet mir so viel, dass ich es hasse, mich mit Sachen herumzuschlagen, die ich nicht leiden kann. Ekelhaft.

Welche war die letzte Band, die du bei Ghetto Recorders aufgenommen hast?

Das waren die Jungs von GRAND JUNCTION. Die sind einfach reingekommen, haben vier Songs an einem Abend aufgenommen, ich habe sie gemischt und fertig. Sie waren die letzte Band, die dort aufgenommen hat, auch wenn ich dort gemischt und gemastert habe bis zum bitteren Ende.

Was sind deine aktuellen Projekte und deine Pläne für die Zukunft?

Gerade eben mische ich eine australische Band, die ich sehr gern mag: THE GRINDING EYES aus Melbourne. Und ich arbeite an einigen neuen Songs für CAMBODIA SPACE PROJECT. Die Mastering-Jobs kommen immer aus den USA und von anderswo. Dann kommen noch zwei Bands aus Italien, THE COGS und THE DEVILS und ich arbeite mit einer guten jungen Band aus Lyon. Es geht immer weiter!

Was war das verrückteste oder radikalste Experiment, das du jemals im Studio mit einer Band gewagt hast? So was wie einen Schlagzeuger aufs Studiodach zu setzen oder einen Sänger ins Bad einzusperren oder eine Schusswaffe auf dem Mischpult für den Fall, dass du für Ordnung sorgen musst?

Ich erinnere mich, dass ich einmal Schlagringe auf dem Mischpult liegen hatte, aber keine Knarren. Ich erinnere mich an eine Band namens THE SIGHTS, da haben wir einen Computer aus dem Fenster geworfen haben. Ich war im ersten Stock, wir verkabelten ein Mikro und der Bassist war mit dem Mikro und dem laufenden Rekorder im Erdgeschoss und dann ließ ich den Computer runter auf die Straße krachen. Leider war es nicht so ganz der Knaller, den wir uns erhofft hatten. Ein anderes Mal warfen Mike Collins und ich ein Schlagzeug ein Treppenhaus hinunter. Wir hatten ein Mikrofon oben platziert und eins unten, für den richtigen Stereoeffekt ...

Boston Paul

mit freundlicher Genehmigung von dirtywaterrecords.co.uk