MESSER

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Neue Besen kehren gut

Drei Jahre haben sich MESSER aus Münster Zeit gelassen, um ihr drittes Album „Jalousie“ zu veröffentlichen und jetzt ist es endlich da. Sogar seriöse Medien wie Die Zeit, taz oder Spiegel Online widmeten dem Vorgängeralbum „Die Unsichtbaren“ anerkennende Zeilen. Zusammen mit DIE NERVEN oder ISOLATION BERLIN wurden MESSER als Teil einer neuen Generation deutscher Indiepop-Bands gesehen. Aber nun müssen sich auch die Kulturredakteure umorientieren. Die Wut und der Frust der frühen Tage sind gewichen, der Sound ist nicht mehr so aggressiv, das Label wurde gewechselt und fast alle haben ihre Heimatstadt verlassen. Was bleibt, ist ein völlig neuer Ansatz, den Sänger Hendrik Otremba im Ox-Interview erklärt.

Ihr habt euer neues Album „Jalousie“ getauft. Warum habt ihr dieses Motiv gewählt und wofür steht es?

In den letzten zwei oder drei Jahren habe ich mich sehr für das Thema Detektive interessiert und die Atmosphäre, die Detektive umgibt, vor allem in Filmen wie „Chinatown“ oder „Blue Velvet“, aber auch in Romanen. Und Sinnbild für diese düstere Stimmung ist eine Jalousie. Ich habe zuletzt auch viele Jalousien gemalt, ich mag einfach diese Ästhetik. Dann gibt es noch einen Roman von Alain Robbe-Grillet aus den späten Fünfzigern namens „La Jalousie“, in dem die Jalousie so eine Doppeldeutigkeit hat zwischen Eifersucht und einem Sichtschutz, der am Fenster hängt. Das finde ich alles sehr interessant. Das alles habe ich aber ehrlich gesagt erst entdeckt, nachdem es schon entschieden war. Für mich wirft der Begriff verschiedene Fragen auf: Wer schaut durch die Jalousie? Wer guckt wen an? Auf welcher Seite der Jalousie steht man? Ist man Beobachter oder wird man beobachtet? Mir geht es auch um das Thema Sichtbarkeit, was beim letzten Album „Die Unsichtbaren“ auch schon ein Thema war.

Bei den Aufnahmen für das zweite Album „Die Unsichtbaren“ warst du stark beeinflusst vom NSU-Prozess. Gab es diesmal auch ein aktuelles Tagesereignis, das dich inspiriert hat?

Wir kommen alle aus einem Punk-Kontext und sind sehr politisch geprägt. Deshalb hat das, was wir tun, immer auch eine politische Ebene. Die ist vielleicht nicht immer klar ersichtlich, aber schon Songtexte zu schreiben ist für mich politisch motiviert. Ich finde es aber schwierig, das zu konkretisieren, weil es mir um eine Ebene geht, die tagespolitisch nicht greifbar ist. Die beschäftigt sich mit Ideen oder Fragestellungen auf einer anderen Ebene, die bestimmte Gefühle weckt. Es gibt aber auf dieser Platte – ein bisschen anders als bisher bei MESSER – auch ein Stück, das anders entstanden ist und das ist der Song „Schwarzer Qualm“. Da hat Stella Sommer von der mit uns befreundeten Band DIE HEITERKEIT mitgesungen und dort habe ich den unterbewussten Modus, in dem ich sonst schreibe, ausgeschaltet. Ich wollte meine Möglichkeit, als Künstler gehört zu werden, wahrnehmen, um etwas Konkretes zu sagen. Da geht es um die unzähligen Menschen, die in diesen Tagen auf der Flucht nach Europa ertrinken. Ich habe versucht, das in Worte zu fassen, deshalb ist es ein viel konkreteres politisches Stück geworden. Das war neu für mich.

Seit dem letzten Album sind drei Jahre vergangen. In dieser Zeit wart ihr aber ziemlich aktiv. Unter anderem habt ihr Tagebücher von Romy Schneider vertont und einen Liederabend zum französischen Schriftsteller und Jazztrompeter Boris Vian konzipiert.

Romy Schneider ist für MESSER schon lange ein Leitmotiv. Schon auf dem ersten Album gibt es ein Stück namens „Romy“. Ich habe mich für sie schon immer sehr begeistert. Dann hat mich Tom Liwa von den FLOWERPORNOES angerufen, der für den Landschaftsverband Westfalen-Lippe ein Festival mit dem Titel „Tagebuch-Tage“ kuratiert hat und gefragt, ob wir nicht Interesse hätten, irgendetwas beizutragen. Zu dieser Zeit habe ich gerade die Tagebücher von Romy Schneider gelesen, dann haben wir das gleich beim ersten Telefonat beschlossen und so ist es dann gekommen. Die Veranstaltung lief im Kulturgut Haus Nottbeck zwischen Bielefeld und Münster, da habe ich auch im letzten Sommer ein Festival mit JA, PANIK, DRANGSAL und DIE HEITERKEIT inszeniert. Das ist ein altes Rittergut, auf dem wir sogar die erste Hälfte des Albums aufgenommen haben. Ich hatte dort auch schon eine Ausstellung und eine Lesung. Das heißt, der Ort ist für uns so eine Art Spielplatz oder Labor geworden. Das Tagebuch-Projekt war für uns nach zwei Rock-Alben und vielen Konzerten eine Möglichkeit, uns als Künstler neu zu orientieren und Experimente zu wagen, die man im Proberaum sonst nicht wagen würde. Und dann haben uns die Ruhrfestspiele in Recklinghausen gefragt, ob wir uns ein ähnliches Projekt zu einem französischen Künstler vorstellen könnten. Dann kamen wir sehr schnell auf Boris Vian, denn er war schon das Motiv auf dem limitierten Cover unserer ersten Single. Mit ihm habe ich mich schon sehr lange beschäftigt. Ich habe seine Bücher schon als Kind bei meinem Vater im Keller gefunden und fand die blutrünstigen Cover sehr faszinierend. Und dieses Projekt haben wir dann noch mehr dramaturgisch in Richtung Theater inszeniert. Es war also eine von uns entwickelte Hommage an sein Werk. Das hat großen Spaß gemacht und dann hat uns das Hamburger Kampnagel um eine weitere Aufführung gebeten. Wir haben sofort zugesagt und das Programm dann noch mal in der Volksbühne in Berlin gespielt.

Seid ihr offen für eine ähnliche Entwicklung wie KANTE, die in den letzten Jahren vorwiegend fürs Theater gespielt haben, oder DIE GOLDENEN ZITRONEN, deren Schorsch Kamerun auch als Theaterregisseur arbeitet? Könnt ihr euch vorstellen, zweigleisig zu fahren?

Das machen wir sowieso schon. Wir haben Lust, eine Rockband zu sein und als Live-Band auf der Bühne zu stehen. Es gab bei uns aber auch immer andere Wege. Bei einem unserer ersten Konzerte haben in der Mitte eines Raumes zu einer Kinoprojektion gespielt. Einen theatralischen Inszenierungscharakter gab es bei uns immer wieder, wenn die Möglichkeiten es zuließen. Ich finde es künstlerisch sehr interessant. Ich finde eine Vermischung aber spannender als etwas Zweigleisiges. Also keinen Theaterjob für die Kohle und das Rock-Konzert für den Spaß. Wir bevorzugen eher den Grenzgang dazwischen, was Dinge aus beiden Welten vereint. Wir halten auch nichts von Schranken in den Köpfen wie die Unterscheidung von E- und U-Musik. Das möchten wir auch weiter aufbohren.

Schlägt sich dieser Grenzgang auch im Sound des neuen Albums nieder? „Jalousie“ klingt in meinen Ohren elektronischer, aber auch viel freundlicher und zuversichtlicher als die ersten beiden Alben.

Der Wandel im Sound war sicher keine strategische Entscheidung, um neue Spielorte zu erschließen. Unsere ersten beiden Alben sind ziemlich schnell hintereinander entstanden. Wir haben sie beide innerhalb eines Jahres herausgebracht und dann ganz viele Konzerte gespielt. Damals gab es uns noch nicht lange. Dann kam auch schnell die ganze Aufmerksamkeit. Daran mussten wir uns erst mal gewöhnen, deshalb haben wir uns einfach Zeit genommen. Dann hat unser Gitarrist Pascal die Band verlassen, Percussionist Manu ist fest eingestiegen. Milek ist vor gut einem Jahr als Gitarrist nachgerückt. Wir sind auch in verschiedene Städte gezogen, ich lebe inzwischen in Berlin, die beiden Schlagzeuger in Hamburg, Milek in Rheine und der Bassist Pogo nach wie vor in Münster. Wir haben uns also nicht mehr jede Woche im Proberaum getroffen und zusammen gespielt. Außerdem ist die Situation mit Proberäumen in Münster gerade katastrophal. Unser ehemaliger winziger Proberaum kostet inzwischen 340 Euro monatlich. In diesem Gebäudekomplex teilen sich sechzig Bands eine Toilette. Die Räume sind feucht, es gibt ab 0:30 Uhr keinen Strom mehr, keine Heizung und eine Steckdose pro Raum. Und Alternativen sind rar. Durch Zufall haben wir Ersatz am Arbeitsplatz unseres Bassisten gefunden. Der ist Sozialpädagoge und betreibt dort mit Jugendlichen ein Projekt in einer alten Fahrradwerkstatt am Hafen. Dort konnten wir umsonst proben, unser Studio einrichten und plötzlich auch selbst produzieren. Seitdem können wir unsere Songs ganz anders schreiben. Neue Instrumente sind dazu gekommen, Experimente viel besser möglich. Saxophon, Trompete, Orgel und Synthesizer haben wir eingebaut. Und ich selbst hatte viel mehr Zeit, an den Texten zu arbeiten und auszuprobieren, deshalb sind die Texte auch zuversichtlicher geworden. In der Zeit hat sich bei mir auch privat einiges verändert, das hat sich dann natürlich auch auf die Texte ausgewirkt. Ich habe dann sogar versucht, Liebeslieder zu schreiben. Im Stil von MESSER natürlich.

Und dann habt ihr ja auch noch eure Plattenfirma This Charming Man verlassen. Beim neuen Label Trocadero werden jetzt auch die ersten beiden Alben rereleaset, dabei sind die gerade mal drei respektive vier Jahre alt.

Wir sind immer noch mit den Jungs von This Charming Man befreundet. Labelmacher Christian Weinrich hat als einer der Ersten immer an uns geglaubt. Er hat uns einfach machen lassen, obwohl er gar nicht wusste, was wir eigentlich vorhaben. Also haben wir zwei Alben bei ihm gemacht und das war cool. Damals waren wir mit KADAVAR und DIE NERVEN so ziemlich die ersten Bands bei This Charming Man. Seitdem ist wahnsinnig viel passiert. Ich habe das Gefühl, dass dort fast wöchentlich Platten rauskommen. Das soll jetzt nicht blöd klingen, aber ich wollte eine Konstellation finden, die uns als Band vielleicht noch mehr gerecht wird. Und damit meine ich kein Majorlabel. Bei Trocadero Records in Hamburg arbeiten auch nicht mehr Leute und die verkaufen auch nicht mehr Platten. Für uns ist einfach mal etwas Neues und Rüdiger Ladwig, der dieses Label betreibt, ist ein Typ, dem wir sehr schnell vertraut haben. Er hat sich sehr für unsere Ideen begeistert und hat mehr ein künstlerisches als ein kommerzielles Interesse an Musik. Das kann er sich zum Glück leisten, weil er auf seinem Label ein paar Bands hat, die gut verkaufen. Wir haben die Zusammenarbeit mit This Charming Man aber ohne böses Blut beendet und die beiden Labelmacher kennen und schätzen sich auch mittlerweile. Das lief alles sehr fair und problemlos ab. Ich glaube, Christian Weinrich ist auch ein bisschen froh, uns los zu sein, weil wir wahnsinnig anstrengend sind. Und zum Rerelease: Unsere ersten beiden Alben sind inzwischen ausverkauft, es gibt nur noch ein paar Restexemplare der CD-Version. Deshalb hat Rüdiger gleich auch noch die Rechte an den ersten beiden Alben übernommen und gesagt, er bringt sie noch mal raus. Wir haben sie durchgehört und ein paar Fehler gefunden, die wir beseitigt haben. Das Papier wird jetzt ein bisschen schöner und das Vinyl ein bisschen schwerer. Ich ärgere mich selbst immer, wenn Bands, die ich gut finde, ein Album herausbringen und ich komme fünf Jahre zu spät und finde es nirgends mehr oder muss ganz viel Geld dafür bezahlen. Deshalb habe ich gar nichts dagegen, dass unsere alten Platten jetzt auch wieder verfügbar sind. Und die Hoffnung ist natürlich, dass es Menschen gibt, die MESSER mit dem neuen Album für sich entdecken und sich vielleicht dann auch die alten Platten holen wollen. Wir in der Band interessieren uns oft für das Gesamtwerk von Künstlern.