SAOSIN

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Schreiend zum Erfolg

Mehr als zehn Jahre nach der ersten gemeinsamen Veröffentlichung haben SAOSIN und Anthony Green wieder zusammengefunden. Es ist viel Zeit verstrichen, um Ungereimtheiten zu verarbeiten und irgendwie wieder neu zu starten. Doch wo beginnt man, nachdem jeder für sich seine Erfahrung gemacht hat? Bestimmt nicht genau da, wo sich damals, zur Hochphase des Screamo/Emo/Post-Hardcore-Genres, die Wege getrennt haben. Mit dem gemeinsamen Album „Along The Shadow“ schließt sich nun also irgendwie der Kreis. Über den Weg zur neuen Platte und wie man eine sich entwickelnde Persönlichkeit unter Kontrolle bringt, berichtet Anthony Green im Interview.

Anthony, beginnen wir mit der Frage, die wahrscheinlich die meisten von uns interessiert: Wieso gibt es im Jahr 2016, also zwölf Jahre nach deinem Ausstieg bei SAOSIN, wieder eine Platte mit dir?

Ich habe mit CIRCA SURVIVE, meiner anderen Band, einen Punkt erreicht, an dem ich gedacht habe, dass ich irgendwie wieder Lust auf härtere Musik habe. Wir sind eine Band mit einem sehr progressiven Sound, die ihre Stärken eher im Erzeugen einer bestimmten Atmosphäre hat. Ich komme aus dem Hardcore, bin ein riesiger Fan von Bands wie YOUTH OF TODAY und SICK OF IT ALL und habe einfach Lust dazu gehabt, wieder ein wenig mehr zu schreien. Ich sprach mit Beau Burchell, dem Gitarristen von SAOSIN, und Chris Sorenson, der Bass spielt – mit beiden hatte ich die ganze Zeit über permanenten Kontakt. Eigentlich war gar nicht geplant, aus dieser Idee eine neue SAOSIN-Platte entstehen zu lassen. Da die Band jedoch seit 2010 ohne Sänger dasteht und sich das, was wir zusammen entwickelten, gut anfühlte, haben wir es einfach drauf ankommen lassen.

SAOSIN kannten viele Leute zu Beginn der ersten massentauglichen Screamo- beziehungsweise Post-Hardcore-Phase vor allem wegen der EP „Translating The Name“, die 2003 mit dir zusammen aufgenommen wurde. Mit Sänger Cove Reber, deinem Nachfolger, kam dann der kommerzielle Erfolg für SAOSIN, ebenso wie für dich mit CIRCA SURVIVE. War es im Nachhinein die richtige Entscheidung, die Band zu verlassen?

Damals war ich einfach mit der Situation bei SAOSIN komplett überfordert. Wir standen direkt mit unserer ersten EP vor der Entscheidung, zu einer sehr großen Plattenfirma zu gehen und einen ganz bestimmten Weg zu gehen. Ich war zu der Zeit sehr verunsichert, was meine Zukunft anging. Die anderen Jungs waren damals schon Feuer und Flamme für SAOSIN und hätten alles dafür getan, was der Traum eines jeden Musikers ist. Bedingt durch allerlei persönliche Gründe habe mich ich damals entschieden, einen anderen Weg einzuschlagen. Außerdem war ich gerade erst zwanzig Jahre alt. CIRCA SURVIVE entwickelten sich nach einer kurzen Pause zu genau der richtigen Band, um es den anderen gleichzutun. Um ehrlich zu sein, hatte ich ein wenig Angst, einfach von der Industrie verheizt zu werden.

Nun habt ihr euch schon vor der Produktion von „Along The Shadow“ von Justin Shekoski, einem anderen Gründungsmitglied, auf eine eher fragwürdige Art getrennt. Es scheint, dass zu SAOSIN auch immer etwas Gossip und Drama gehört, auch die Trennung von Cove Reber lief nicht gerade reibungslos ab.

Justin war, wie du schon sagtest, sehr prägend für den SAOSIN-Sound. Zu Cove kann ich dir nicht wirklich viel sagen, nur dass ich ihn sehr schätze als Musiker, Künstler und Freund. Die gesamte Geschichte von SAOSIN ist bestimmt durch sehr starke Charaktere, die eigentlich einen gemeinsamen Traum verfolgen. Ich freue mich jedenfalls sehr, dass wir wieder zusammen Songs schreiben und Konzerte spielen.

Habt ihr euch selbst unter Druck gesetzt, als ihr die neue Platte geschrieben habt? „Along The Shadow“ erinnert ja nur stellenweise an die SAOSIN von 2003.

Grundsätzlich haben wir nicht vor der Entscheidung gestanden, da anzuknüpfen, wo wir damals aufgehört haben. Die Band hat ohne mich eine enorme Entwicklung durchgemacht, die ich sehr respektiere. Ebenso hat sich auch ich meine Art zu Singen verändert. Es wäre also schon fast töricht, zu versuchen, viele Schritte zurückzugehen, um auf eine Weise zu klingen, die schon längst verbessert wurde.

Auf den Konzerten spielt ihr nur Songs, an denen du auch beteiligt warst. Warum? Schließlich hattest du mit der Band nur eine EP aufgenommen, auf die unter anderem zwei ganze Alben folgten.

Es geht uns allen bei SAOSIN um das richtige Gefühl bei der Sache. Ich kann schwerlich etwas singen, das ein anderer formuliert hat, und dabei versuchen, authentisch und emotional zu sein. Irgendwie liegt es doch auf der Hand, dass wir zusammen nur „unsere“ Songs spielen. Wobei ich dazu auch sagen muss, dass die Jungs mich vor kurzem gefragt haben, ob ich auch mal Cove-Songs singen würde. Wenn das Gefühl der Songs dabei so rüberkommt, dass man es uns abnimmt, sollte das eigentlich kein Problem sein. Funktioniert das bei den Proben und Konzerten jedoch nicht, bleiben wir wohl bei den alten beziehungsweise neuen Songs.

Hast du deine Art zu texten an SAOSIN angepasst, gibt es also einen SAOSIN- und einen CIRCA SURIVE-Anthony Green?

Während der Produktion von „Along The Shadow“ habe ich nie gedacht, dass ich diese oder jene Zeile lieber für einen Circa-Song verwenden wollte. Ich sehe beide Bands als Plattform, um die Erfahrungen, die ich in meinem Leben mit meiner Familie, meinen Freunden und auch mit mir selbst mache, zu verarbeiten. Auf „Translating The Name“ ging es damals um die Probleme eines jungen Erwachsenen, der seine Erfahrungen mit Drogen, Beziehungen und allerlei anderem Zeugs machte. Mittlerweile habe ich eine Familie und zwei Kinder. Trotzdem kann ich noch genug Dinge in meinen Texten verarbeiten, die mich sonst vielleicht in den Wahnsinn treiben würden. Über die Jahre habe ich gelernt, mein Verhalten viel besser zu reflektieren. Das spiegelt sich auch in den Lyrics wider.

Deine Texte gelten seit jeher als sehr eher kryptisch. Willst du auf diese Art vorbeugen, missverstanden zu werden oder gar angreifbar zu sein?

Ich habe einen sehr hohen Anspruch an den Inhalt, aber auch die Form meiner Texte. Das, was ich sagen will, muss schön klingen. Ich will so schöne Bilder mit meinen Worten malen, dass ich stolz darauf bin. Mir ist ist es nicht so wichtig, ob ich verstanden oder gar entschlüsselt werde. Jeder sollte das in unsere Songs hineininterpretieren können, was er möchte und was ihn bewegt. Wenn es jemanden gibt, der eine ganz bestimmte Situation aus seinem Leben in einem Song wiederfindet und dem ich durch meine Geschichte ein wenig helfen konnte, ist das wunderbar. Ich bemühe mich jedoch nicht darum, die Leute darüber aufzuklären, was mich zu den Texten bewegt hat und was dahintersteckt. Nur so viel sei gesagt: jedes einzelne Stück ist harte Arbeit für mich. Es bedarf oft harter Arbeit, um den Gefühlen freien Lauf zu lassen.

Kannst du dir vorstellen, einen politischen Song zu schreiben?

Ich habe es bis jetzt vermieden, anderen Menschen mittels Musik meine politische Meinung aufzudrängen. Über meine Ansichten rede ich gerne persönlich. Es würde auch nicht zu dem künstlerischen Ansatz passen, den wir als Band verfolgen. Ich doktere sowieso schon viel zu lang an einzelnen Formulierungen herum, da möchte ich mit denen lieber etwas Zeitloses schaffen, statt kurzfristig auf einen politischen Missstand hinzuweisen.

Zusammen mit TAKING BACK SUNDAY, THURSDAY oder UNDEROATH seid ihr damals die Speerspitze einer neuen Musik gewesen. Wie siehst du die musikalische Entwicklung des Emo-Genres heute, mehr als zehn Jahre später?

Damals waren wir alle jung und unschuldig. Wir haben das ausprobiert, worauf wir gerade Lust hatten. Wenn du dich mitten in einer musikalischen Bewegung befindest, machst du dir ja nicht unbedingt Gedanken darüber, ob da gerade etwas Besonderes passiert. Wir haben alle unsere Wurzeln im Hardcore, ein paar von uns sind Metal-, die anderen Punkrock-Fans gewesen. Mit ein bisschen zeitlichem Abstand bin ich froh, genau zu der Zeit soweit gewesen zu sein, auf diesem Niveau und mit diesen Leuten Musik zu machen. Seitdem bin ich Vollzeitmusiker, ich habe das Glück, dass Leute meine Poesie und Songs hören wollen. Was könnte ich mir mehr wünschen?