Thorsten Stein & MAD SIN

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Die Zerstörung einer Legende?

2017 hat die Berliner Psycho-Punk-Legende MAD SIN eigentlich Grund zum Feiern, dann nämlich gibt es die fast weltweit tourende Combo seit dreißig Jahren. Doch ob dieses Jubiläum feucht-fröhlich begangen wird, ist zu bezweifeln, denn eine aufsehenerregende Trennung kurz vor ihrem Auftritt beim Psychomania-Festival in Potsdam hat die Band in ihren Grundfesten erschüttert. Wir sprachen mit Gitarrist Stein alias Dr. Solido, Gründungsmitglied des Trios von 1987, das inzwischen zu einem Quintett gewachsen war. Übrig bleibt von der Urbesetzung damit nur Sänger Koefte de Ville – Kontrabassist Horst „Holly“ Höhne war bereits 2002 ausgestiegen.

Thorsten, was ist geschehen?

Erst einmal muss ich sagen, dass ich mehr oder weniger aus der Band „rausgekickt“ wurde beziehungsweise hinter meinem Rücken schon mit anderen Gitarristen geprobt wurde. Einige wurden auch schon direkt gefragt, ob sie für mich in die Band einsteigen möchten. Von daher konnte ich natürlich in Potsdam nicht spielen. Vorausgegangen war ein längerer Streit ums liebe Geld mit „Frontmann“ Koefte. Da sind ziemlich schlimme und unehrliche Dinge passiert in all den Jahren, die ich aber nicht im Detail öffentlich machen möchte. Auf meiner Facebook-Seite habe ich ein offizielles Statement gepostet, wo ich es recht ausführlich erkläre. Ich hatte letztendlich genug davon, wieder nur für den Bruchteil der ursprünglichen Gage zu spielen, was davor schon etliche Male passiert war, neben etlichen anderen unkorrekten Sachen in puncto Geld, etwa beim T-Shirt-Verkauf oder sämtlichen Tonträger-Einnahmen. Weitere, noch brisantere Sachen nenne ich hier jetzt besser nicht, ich möchte ja auch wieder meine Ruhe haben nach all den Vorkommnissen, aber ein paar Dinge müssen eben leider doch mal gesagt werden.

Dein Tun für die Band ist ja nicht als normaler Job zu bezeichnen, du warst immer und von Beginn an dabei. Und wie bei einer gescheiterten Ehe bleibt nun ein, wenn auch nicht geringer Teil eurer Anhänger dir zugetan, der Rest steht zu Koefte.

Leider, aber verständlicherweise ist es im Musik-Business so, dass sehr viele Fans solche „Streitereien“ oder Line-up-Wechsel nicht unbedingt interessieren, sondern nur die Musik. Von daher wird er weiter genügend Fans haben, aber ich habe auch sehr viele positive E-Mails und Mitteilungen bekommen von Fans und Freunden weltweit, die mich verstehen und das mit dem Ausstieg auch selbst so gemacht hätten. Diese bleiben mir treu, wenn es andere musikalische Projekte geben wird. Aus musikalischer Sicht habe ich auch absolut keine Antipathien oder Hassgefühle gegenüber meiner ehemaligen Band, ganz im Gegenteil. Es ist genauso meine Band und sie wird es in gewissem Sinne auch immer bleiben, weil ich einfach einer der Mitbegründer bin und fast dreißig Jahre dabei war. Vielleicht auch noch erwähnenswert ist, dass ich die meisten MAD SIN-Gigs absolviert habe, sogar zehn oder zwanzig Konzerte mehr als der Frontmann, weil unser Bassist Valle öfter mal am Gesang für diesen eingesprungen war und wir dann eben zu viert aufgetreten sind. Da der Bogen nun aber überspannt wurde, war es mir jetzt einfach nicht mehr möglich weiterzumachen.

Die Probleme oder Ungereimtheiten rund um Frontmann Koefte waren ja schon länger ein offenes Geheimnis in der Szene. Dennoch riss man sich immer wieder zusammen.

Also ich wollte tatsächlich schon sehr oft und auch ernsthaft aussteigen, besonders wegen des unkameradschaftlichen Umgangs des „Frontmanns“ mit uns anderen, auf jeden Fall mit mir. Einmal hat er mich, um mal ein kleines Beispiel zu nennen, weil ich mich verspielt hatte oder eine Saite verstimmt war, vor dem Publikum nieder gemacht. So was ist natürlich peinlich und unprofessionell und dergleichen hatten mehrere Ex-Mitglieder erleben müssen. Alles oft nur, weil er sauer war. Wobei meine technischen oder spielerischen Ausfälle doch wirklich ungelogen sehr gering waren, Konzertbesucher werden das sicher bestätigen können. Dazu kamen die ewigen Sperenzchen um das finanzielle Gebaren, das war auf Dauer unerträglich.

Außer dir gingen schon Kontrabassist Valle und Drummer Andy Laaf, vorher bereits Gitarrist Tex Morton und dessen Nachfolger Peter Sandorff sowie Matt Miller. Koefte hat sich im Internet entschuldigend erklärt, das wollen wir keineswegs verschweigen, doch er sagte auch, die Entschuldigung gehe an alle in der Band „außer einen“. Man muss nicht lange überlegen, wer damit gemeint war. Ist also auf alle Ewigkeit das Tischtuch zwischen euch zerschnitten?

Andy ist schon vor Potsdam ausgestiegen und das war nun wirklich ein schwerer Schlag für uns, weil er ein guter Kumpel ist und ein noch besserer Drummer – der beste, den wir je hatten. Er ging zum Teil aus denselben Gründen wie ich. Ob auch Ramon neben Valle tatsächlich für immer raus ist, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, da ich mit den beiden wenig Kontakt habe. Als Andy gegangen ist, ahnte ich bereits, dass das der Anfang vom Ende ist. Und da ich nun als Erster und Einziger mal die Karten auf den Tisch gelegt habe, hat der Frontmann natürlich mir gegenüber nun eine äußerst negative Einstellung, doch das Fass musste einfach überlaufen. Aber manch einer denkt eventuell, er wäre wohl unverwundbar und alle haben ohnehin Angst vor mir, womit alles geregelt wäre. Und nach der unehrenhaften Entlassung nach 29 Jahren glaube ich einfach berechtigt zu sein, mein Schweigen zu brechen. Im Moment kann ich es mir wirklich nicht vorstellen, jemals wieder zurückzukehren, die Fronten sind zu verhärtet, und ich bin auch menschlich viel zu enttäuscht darüber, dass die Band sehenden Auges gegen die Wand gefahren wurde. Der Sänger unterschätzte wohl auch immer, dass wir keine austauschbaren Hampelmänner sind und mittlerweile auch Fans und Personality haben. Selbst wenn es nun neue Gesichter in der Band geben wird – so wie es einmal war, wird es nie wieder. Was in dreieinhalb oder in zehn Jahren sein wird, kann ich natürlich nicht voraussehen, aber da bin ich dann auch schon ein alter Knochen, haha. Allein mit Ex-MAD SIN-Mitgliedern könnten sich neue Projekte ergeben. Kann, muss aber nicht. Ich werde sehen, was sich so anbietet.

Es wurde auch über die Einnahme verbotener Substanzen seitens des Sängers gemutmaßt, neben behaupteter finanzieller Unregelmäßigkeiten.

Da muss ich einfach mal Tatsachen benennen, die einigen vermutlich gar nicht so logisch erscheinen. Zum einen war er immer schwierig zu handhaben, auch ohne „verbotene Substanzen“. Er war selten easy zu uns und Unehrlichkeit gehörte stets mit dazu. Und das andere, viel entscheidendere: Auf Tour hat er nie etwas genommen, was ja positiv ist, nicht einmal einen Tropfen Alkohol, auch das sehe ich positiv. Das Ganze ist meiner Meinung nach nur ein Versuch, etwas besser bei den Anhängern dazustehen. Die „bösen Drogen“ seien ja an allem schuld, aber nun würde alles besser werden. Die Fans steigen darauf ein, und glauben das eben. Übrigens wurde mir von mehreren Personen zugetragen, dass derzeit sämtliche negativen Einträge von der MAD SIN-Website gelöscht werden würden. Er will eben auf unschuldig machen, so war es eigentlich immer, und von einer Abhängigkeit kann überhaupt nicht die Rede sein. Ich kann das ja nun wirklich beurteilen, allein durch das Touren, wo man längere Tage oder sogar Wochen am Stück zusammen war. Niemand aus der Band hatte da je irgendwelche Abhängigkeitsprobleme. Die finanziellen Unregelmäßigkeiten hatten hingegen teils schon enorme Dimensionen angenommen, besonders was die Auszahlungen der Anteile von den verkauften Tonträgern anging, aber auch das wird natürlich von ihm runtergespielt, eine Veröffentlichung der Zahlen erspare ich mir jedoch vorläufig.

Wir wollen auch nicht nur schmutzige Wäsche waschen, denn es erscheint mir als Fan gar nicht hilfreich, von den internen Streitereien einer geliebten Band zu erfahren, denn diese gibt es meistens ohnehin. Fällt es schwer, dass immer unter Verschluss zu halten? Während jeder denkt, die sind so lange zusammen, die verstehen sich bestimmt gut ...

Natürlich ist das alles jetzt schwer. Weil man ja so lange wie möglich den Erfolg genießen will, die guten Konzerte, das Touren auf allen Kontinenten. Ich sage ja auch nicht, dass ich oder wir generell schlecht verdient haben, so weit, wie es eben zum Teil ehrlich abgerechnet wurde. Allerdings haben Bandmitglieder, und ich meine wirklich alle, immer wieder gern wahre Storys aus dem Innenleben erzählt, so dass viele „Offenbarungen“ hier nicht wirklich neu sind. Viele Leute, besonders jene, die uns näher kennen als die Fans, wussten schon lange um die Problematik in unserer Band. Ich möchte betonen, dass sich die Instrumentalisten untereinander wirklich gut verstanden haben und wir auch die meiste Zeit unter uns waren. Das betraf das Proben, den Soundcheck, das Ein- und Ausladen und auch die meiste Zeit im Backstage. Letzteres hat mich nicht sonderlich gestört, aber komisch war das schon. Nach außen hin sieht es eben immer anders aus, als es in Wirklichkeit ist. Beim Gig selbst genießt man natürlich die Atmosphäre, die gute Zeit mit den Fans und denkt nicht permanent daran, was in der Band besser laufen müsste. Es wäre auch unrichtig zu behaupten, dass von 72 Stunden Beisammensein die Hälfte aus Streit und schlechter Stimmung bestand, aber es war eben verhältnismäßig oft etwas in der Luft, mich störte das deshalb, weil ich ein relaxter Typ bin. Es fiel mir nicht schwer, das Beste daraus zu machen, wenn in einem Club mal weniger Zuschauer kamen, die PA schlechter als gewohnt war und so weiter.

War die Band also im Nachhinein doch letztlich eine Arbeitsstelle gewesen, die man nur eben mit besonderem Herzblut absolvierte? Für eure siebte LP „Loud & Innocent ...“ ging es 1998 nach Malta. Das Polydor-Sublabel Bonanza Records hatte euch gesignt, für zwei LPs. Ein Majordeal. Mir schien, das hat mit der Band und speziell Koefte etwas in Richtung „Rockstar-Feeling “ gemacht. Erst recht, als Bonanza, nachdem man euch für die zweite LP nicht mehr benötigte, noch eine üppige Abfindung zahlte.

Ich würde sagen, dass Malta ganz speziell damit nichts zu tun hatte und der Diven-Wahn oder Höhenflug auch so gekommen wäre. Das stört mich gar nicht einmal so sehr, aber wenn dann ein Einziger glaubt, dass ihm stets ungemein mehr zustünde als den anderen Bandmitgliedern, die letztlich aber insgesamt mehr geleistet haben, geht das natürlich nicht gut. Ich meine damit keineswegs die musikalische Leistung, sondern die Arbeit um die Band herum, die wir quasi für ihn miterledigten, was im öffentlichen Bewusstsein natürlich keine Beachtung findet. Tourplanung, Organisation, Steuerkram, Soundchecks, Fahrerei – da kann Valle ein Lied von singen, als Chauffeur. Das war ja dann summiert mehr als alle paar Jahre eine neue CD einspielen. Das alles ist für jeden von uns echt ein Genickschlag, dieses bittere Ende.

Dann ist der Song „Point of no return“ wohl mehr als nur ein Lied?

Musikalisch kann ich nichts Negatives sagen, auch hatten wir natürlich unzählige gute Partys zusammen mit ihm, mal mit, mal ohne Fans, aber auch das ist inzwischen schon länger her. Wobei man ja auch ruhiger wird mit den Jahren. Zudem sind alle CDs wirklich gut, nur wäre es ehrlicher zugegangen, hätten wir noch weit erfolgreicher sein können. Ich selbst hätte mich auch noch mehr einbringen können, klar, aber wenn fast stets die unangenehme Stimmung in der Luft lag ... Das ständige-Wechseln der Bandmitglieder trug ein Übriges dazu bei, das ist nicht gut für eine Band. Und immer gut gelaunt die Bühne zu betreten, wenn man im Hinterkopf diese negativen Dinge hat, war auch nicht leicht, allerdings bauten mich die Fans dann wieder auf.

Wie verarbeitest du das alles?

Gut tut mir meine Freundin, die sehr entspannt und cool ist und mich immer wieder aufbaut, zumal mich die Angelegenheit mit der Band schon längere Zeit runterzieht. Nun muss ich also nach fast drei Jahrzehnten irgendwie von vorne anfangen. Es ist zweischneidig, einerseits ist ein solches Ende uncool und unverdient, es wird dauern, das vollständig zu verarbeiten, andererseits bin ich auch erleichtert und relaxter ohne den ganzen Stress. Textschreiber bin ich nie gewesen, auch kein großer Songschreiber, was ich nun jedoch zu ändern versuche mit einem neuen Projekt. Dies ist aber alles noch in einem frühen Stadium und nicht spruchreif, aber es wird in jedem Fall ein, zwei Projekte geben, es hat keine Eile. Die Musikrichtung ist auch noch offen, aber alles, was mit „Billy“ oder Punk zu tun hat, kommt in Frage. Ich brauche die großen Bühnen nicht zwingend, muss nicht mehr um die halbe Welt reisen. Sollte da jedoch ein Angebot kommen, wäre ich sicherlich nicht abgeneigt. Hauptsache, wieder richtig Spaß haben und entspannte, vor allem ehrliche Leute um mich haben, das ist mir nun das Wichtigste nach all den Jahren. Ich bereue die Zeit bei MAD SIN natürlich nicht, das gehört erwähnt. Ich bin nicht Jesus, habe auch niemandem gegenüber Hassgefühle oder so, ich bin eben sehr enttäuscht von einem Bandmitglied. Ich hoffe, man sieht sich bei künftigen, neuen Bandprojekten, irgendwo in einem Club.

Markus Franz