Dafür / Dagegen: Buntes Vinyl

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Wäre schwarz eine Farbe, könnte man auch schwarzes Vinyl als colored bezeichnen – eingefärbt ist nämlich auch dieses. Rot, grün, marmoriert sieht aber einfach spektakulärer aus. Was spricht dafür, was dagegen?

Dafür

Ich mag „colored vinyl“. Ich habe keinen Sammlertrieb, ich muss nicht alle zehn Farbversionen einer Single haben, sondern nehme, was kommt. Hat eine Platte eine schöne Farbe, etwa rot und passend zur Haarfarbe der Sängerin oder blau wie der Himmel beim Coverartwork – nice. Oder clear vinyl mit rauchigen schwarzen Schlieren darin – sieht cool aus. Die Farbe ist dann Teil eines durchdachten Artwork-Konzepts und sowas gefällt mir – gerade wenn das auf dem „Mist“ der Band gewachsen ist. Engagierte Presswerksmitarbeiter gehören dazu, die müssen schließlich in Handarbeit – bei marmoriertem Vinyl – für den richtigen Look sorgen. Da wird dann Arbeit zu Kunsthandwerk, der Käufer dankt es mit einem „Wow!“ beim Auspacken.

Klar, mit der Musik hat das alles nichs zu tun, angeblich kann sich „colored“ auch auf den Klang auswirken, und natürlich ist das vor allem eine Spielerei, „nice to have“. Brauchen tut farbiges Vinyl niemand, aber es macht Spaß, zaubert Menschen ein Lächeln ins Gesicht und hat damit seine Berechtigung. Im Gegensatz zu Picture Discs oder Shape-Platten, die hielt ich schon immer klanglich unterlegen (erstere) und reine Gimmicks (zweitere). Und auch farbiges Vinyl hat für mich dann seine „Unschuld“ verloren, wenn es zur reinen Vermarktungsmasche wird. Ja, Erstauflage in rot ist fein, aber heute gibt es oft fünf, zehn Farbvarianten, die jeweils in kleiner Stückzahl an bestimmte Händler und Mailorder gehen. Grün? Ham wa nich, hat nur der Kollege. Wir ham rot. Collect ’em all? Was für ein Quatsch. Angefangen hat das, glaube ich, Ende der Achtziger mit Revelation Records, dessen Besitzer von den gefragten 7“s legendärer Hardcore-Bands Winzauflagen in Sonderfarben pressen ließ – um diese einzutauschen für Comic-Spielzeug, das er sammelte. Bis heute werden für diese Platten teils irre Summen gezahlt.

Buntes Vinyl? Ja bitte, unbedingt! Aber nicht um jeden Preis und nicht als „Sammlerfutter“.

Joachim Hiller

Dagegen

Ja, ich besitze sie auch: farbige Schallplatten, teils mit wilden Mustern, im Extremfall Picture-Vinyl. Ein Beispiel für letzteres ist „The Bleeding“ von CANNIBAL CORPSE. Anscheinend ein Sammlerstück. Nur: „Stripped, raped and strangled“ würde mich auch ohne komisches Bild auf der Schallplatte erschaudern lassen. Als ich sie vor über zehn Jahren erstanden habe, fand ich’s cool. Heute erwerbe ich farbige Schallplatten nur mangels Alternative. „Lovecult“ von JUNGBLUTH gab’s beispielsweise nur noch in Rot, also habe ich trotzdem zugegriffen.

Glücklicherweise sind die farbigen Scheiben in der Regel früher ausverkauft als die schönen schwarzen. Bei Konzerten genieße ich als Zuschauer also in aller Ruhe die Zugaben, gehe mir noch ein Bier holen, um erst danach zum Merchstand zu schlendern, denn die schwarzen Scheiben gibt es immer noch.

Ich mag sie einfach mehr: neutral und reduziert, dafür steht die Musik im Vordergrund. Schwarzes Vinyl ist für Puristen, die keine Verzierungen brauchen und sich dem idiotischen „Limited-Editions“-Wahnsinn entziehen. Ich begrüße es, wenn Bands schrilles Artwork aufs Schallplattencover pressen oder eine Gatefold-Hülle verwenden, da gibt es keine Grenzen. Aber rührt bitte die Schallplatte nicht an. Sie ist die Trägerin der Musik, sie ist das Medium. Einerseits ist sie nur Vermittlerin, andererseits steht sie aber im Mittelpunkt. Deshalb plädiere ich auch für die etwas teurere 180-Gramm-Variante, sie hat es sich einfach verdient, die schwarze Schallplatte. Klassische, schwarze Schallplatten verleiden sich mir nie. Ihre kleinen Schwestern mit den bunten Bildern und Farben hingegen verderben mit der Zeit den Appetit.

Hinsichtlich der vielen wahren Kriegsschauplätze auf der Welt mag die Diskussion, die wir hier führen, vielleicht als Zeichen unserer Dekadenz erscheinen – aber farbiges Vinyl ist es erst recht.