GOODBYE FAIRGROUND

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Trennung und Neuanfang

Wer „I Don’t Belong Here Anymore“ hört, das zweite Album der aus Essen stammenden und mittlerweile in Köln und Düsseldorf lebenden Musiker, und dann im Gespräch mit Sänger und Songschreiber Benjamin Bruns dem Grund für die darauf enthaltene Traurigkeit nachspürt, der kommt vor allem auf eines zu sprechen: die jüngsten Veränderungen innerhalb der Band. Benjamin gewährte uns einige persönliche Einblicke.

Benjamin, die Texte auf eurem neuen Album sind nicht nur sehr persönlich, sie sind auch eher düster, melancholisch und traurig. Müssen wir uns Sorgen machen?

Haha, nein. Du hast zwar recht, aber das liegt vor allem daran, dass die Phase, als das das Album entstanden ist, recht schwierig war. Einige Leute haben die Band verlassen und es lief auch privat nicht alles rund. Zudem ist es nun einmal so, wenn es mir gut geht, dann schreibe ich keine Texte. Dann mache ich andere Dinge. Mir muss schon irgendetwas passieren, dann kann ich das nutzen, um darüber einen Song zu schreiben. Traurige Songs sind eine gute Art, mit schlechten Erfahrungen umzugehen. Und keine Sorge, wir sind privat nicht immer so traurig wie auf dem Album. Im Grunde sind wir deutlich positivere Leute.

Wir halten also fest: Der wahre Künstler muss leiden!

Beziehungsweise: Wenn er leidet, kann er etwas Gutes daraus machen.

Du erwähntest Veränderungen innerhalb der Band als einen Anlass für den melancholischen Grundton des Albums. Was ist da passiert?

Nach dem vorherigen Album sind ein paar Sachen schiefgelaufen, und wir als Band sind damit nicht gut umgegangen. Wie hatten unterschiedliche Vorstellungen, wohin es mit uns gehen sollte. Alle sahen nur das, was schlecht war, und mussten sich regelrecht dazu zwingen, etwas mit der Band zu machen. Und schließlich sind Julia, unsere Bassistin, und Alex, unser Schlagzeuger, dann gegangen. Bei Julia haben mehrere Gründe eine Rolle gespielt: Erstens wollte sie für eine Weile nach Kanada, was mit der Band nicht zu vereinbaren war. Zudem traf sie eben diese erwähnte schlechte Stimmung. Bei Alex dagegen war es vor allem die musikalische Ausrichtung. Er kommt als Einziger von uns aus der reinen Punk-Ecke, wollte das weiter verfolgen und hatte das Gefühl, dass er mit seinen Ideen alleine dasteht. Letztlich kamen wir alle gemeinsam zu der Einsicht, dass es besser wäre, getrennte Wege zu gehen, aber dabei Freunde zu bleiben, bevor es deswegen Streit gibt.

Darf ich nachfragen, was darüber hinaus schiefgelaufen ist?

Es gab beispielsweise Touren, aus denen wir mit krassen Schulden rausgingen. Wir mussten Auftritte absagen, weil es Überschneidungen mit Beruf und Privatem gab. Manchmal standen wir auch nur zu zweit oder dritt im Proberaum. Und dann hörten wir auch noch just in dem Moment, in dem unser erstes Album rauskam, für längere Zeit auf, Konzerte zu geben. Das ist natürlich nicht so gut und schlägt einem aufs Gemüt. Das war ein großer Frustfaktor und wir haben damals vieles am anderen ausgelassen. Gerade ich als der Verbissenste von uns allen.

Du bist also derjenige in der Band, der die anderen nachts rausklingelt, wenn ihm etwas nicht passt?

Ja, kann man so sagen. Ich bin schon derjenige, der damals den meisten Druck gemacht und auch viel Kritik geübt hat. Bei mir ist es so: Wenn irgendetwas nicht läuft, wenn etwa eine Probe ausfällt, dann ist mein Tag gelaufen.

Warum singst du ausschließlich auf Englisch? Gerade jetzt, da andere Musikmagazine die „neue deutsche Welle“ ausrufen.

Ich fand schon immer, dass man einige Dinge auf Englisch wesentlich schöner ausdrücken kann. Zudem ist Englisch auch noch einmal eine zusätzlicher Puffer für mich: Ich schreibe einerseits zwar über persönliche Dinge, bin andererseits aber gar nicht so der Typ, der seine persönlichen Gedanken gerne mit anderen teilt. Im Gegenteil, ich denke manchmal: Oh! In diesem oder jenem Song bist du aber ziemlich weit und extrem aus dir rausgegangen ... Ich mache Dinge eigentlich lieber mit mir selbst aus. Und ich nehme an, ich schütze mich ein wenig durch die englische Sprache, weil sie meine Gedanken eben nicht eins zu eins wiedergibt.

Sind deine Songs deine Tagebücher?

Irgendwie schon. Und einige Sachen, die man darin findet, sind klar zu erkennen. Andere sind dagegen ein wenig verklausuliert und dringen eher musikalisch durch. Wobei ich nie wirklich Tagebuch geschrieben habe.

In einigen Stücken geht es offensichtlich um Trennung. Und zwar so explizit und eindeutig, dass die entsprechenden Menschen, um die es darin geht, sich beim Hören wiedererkennen dürften. So was kann Wut und Enttäuschung hervorrufen. Denkst du in dem Moment, in dem du so einen Song auf einer Platte veröffentlichst, über etwaige Konsequenzen nach?

Ich schreibe so, dass sich – wenn überhaupt – wirklich nur die entsprechende Person selbst wiedererkennen kann. Niemand sonst. Es bleibt also etwas zwischen mir und diesem anderen Menschen. Ich würde niemals jemanden bloßstellen! Wobei du recht hast: Ich frage mich schon manchmal, ob diese oder jene Person den Song, in dem sie vorkommt, auch wirklich gehört und sich dabei erkannt hat.

Texte sind dir also wichtig. So wichtig wie die Musik?

Auf jeden Fall!

Ich kann es ja nicht leiden, wenn ich ein fremdsprachiges Album in der Hand habe, dem die Texte nicht beiliegen...

So geht es mir auch! Wenn ich Musik höre, dann höre ich auch auf die Botschaft der Songs. Dann muss ich mich hinsetzen können mit dem Plattencover und dem Beiblatt und zuhören.

Euer neues Album heißt „I Don’t Belong Here Anymore“ und zeigt auf dem Cover einen Menschen, der einsam und verlassen auf einem Berggipfel steht. Wann hast du dich zuletzt so gefühlt?

Schwer zu sagen. Ich bin eben auch schon seit längerer Zeit in einer sehr glücklichen Beziehung. Meine Freundin fängt viel auf und ich habe eigentlich allen Grund, zufrieden zu sein. Ich würde eher sagen, dass dieses Gefühl der Einsamkeit, das du ansprichst, zuerst einmal auf die Punk-Szene bezogen ist. Deren Grundgedanken – „Jeder Mensch ist willkommen!“ und „Wir machen alles in D.I.Y.-Manier!“ – gefällt mir zwar nach wie vor ungemein. Aber es gibt eben auch Leute, die nur Mitläufer sind. Und diesbezüglich hatte ich gerade in der Zeit, als das Album entstand, ein sehr starkes Gefühl von Entfremdung. Ich dachte: Das ist ja alles toll und auch die Konzerte, auf die ich gehe, machen Spaß. Aber ist das noch meine Szene? Man entwickelt sich ja auch weiter und macht sein eigenes Ding. Da habe ich mich so ein bisschen verloren und wie der Typ auf dem Berg gefühlt.

Kann es sein, dass du manchmal zu viel grübelst und alles in Frage stellst?

Ja. Ich denke mitunter wirklich zu viel nach. Nimm das Beispiel Konzert: Nach Konzerten kann ich keinen Smalltalk halten, weil ich erst mal runterkommen muss. Da bin ich sehr zurückhaltend – und ich weiß nicht, ob mir das andere Leute als Arroganz auslegen. Das wäre schlimm, denn das ist es ganz und gar nicht. Ich weiß: Es gibt so viel, was die Leute unternehmen könnten, aber sie kommen zu uns. Dafür bin ich unfassbar dankbar! Ich kann es nur leider nicht immer so richtig äußern. Und das werfe ich mir vor ...

Erkläre doch zum Schluss noch, wer oder was mit den neuen Songs „Wilhelm II.“ und „Leaving the green house“ gemeint ist.

Mit „Wilhelm II.“ ist tatsächlich der letzte deutsche Kaiser gemeint. Ursprünglich kam in der ersten Version des Songs nämlich eine Zeile vor, in der es um jemanden ging, der zur falschen Zeit am falschen Ort und total ungeeignet ist für das, was er tut. Und kurz zuvor hatte ich eben einen Text über Wilhelm II. gelesen. Der wollte eigentlich Philosoph werden, musste aber Kaiser sein und hat auch noch den Ersten Weltkrieg angezettelt. Also schrieb ich „Willy II.“ als Arbeitstitel auf einen Zettel. Und dieser Name blieb irgendwie hängen. Und was das „Green House“ angeht, das gibt es wirklich. Dort haben Alex und ich eine Zeit lang gewohnt. Und in der Woche des Auszugs ist dieses Stück entstanden, in einer Woche, die sehr traumatisch war: Innerhalb weniger Tage sind damals nicht nur wir, sondern auch noch mehrere Freunde von uns umgezogen. Und bei allen waren die Vorzeichen unterschiedlich: Für die einen bedeutete der Umzug einen schönen Neuanfang, für andere war er ein nicht gewollter Schnitt. Auch für mich: Ich musste seinerzeit unsere WG aufgeben, weil ich pleite war und wieder zu meinen Eltern gezogen bin ... Das war ein ziemlich krasser Schlag! Das brauche ich nicht noch mal.