Aus dem Schrank geholt: Wo die wilden Maden graben

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Nagel (Ventil Verlag, 2007, 238 S., 12,90 Euro, Noch neu zu bekommen)

Genau zehn Jahre ist dieses Buch nun alt. Erschienen zu einer Zeit, als Nagels Band MUFF POTTER noch aktiv war – und das seit 14 Jahren, davon immerhin sieben in der gleichen Besetzung. Da erlebt man vieles, wird eine Einheit, eine Familie, lebt in seiner eigenen kleinen Blase. Und genau darum geht es in diesem Roman, um das Unterwegssein mit der Band. Deren Name wird allerdings nie genannt, auch die Protagonisten heißen anders als im echten Leben, die bespielten Städte sind höchstens durch Andeutungen zu erkennen. Doch schildert Nagel im Speziellen die Erlebnisse einer Tour, vier Wochen lang durch die Gegend fahren, an der Schweizer Grenze gefilzt werden, den ganzen Wagen ausladen müssen. Dazu wilde Backstagepartys, Ausverkaufsvorwürfe von der Vorband, gemeinschaftliches Wintersporterlebnis in der höchstgelegenen Stadt Deutschlands. Es geht ums Warten müssen und um Stress haben, darum, die Stimme zu verlieren und sich trotz ständiger Gesellschaft einsam zu fühlen. Das geile Gefühl, geil abgeliefert zu haben, und das beschissene Gefühl, den Gig verschissen zu haben. Da laufen einem alte Kumpels über den Weg, über die man sich freut, und andere, mit denen man nichts anzufangen weiß, oder psychisch labile Stalkerinnen, die man nicht los wird. Und immer ist die Angst dabei, etwas zu verpassen, und die davor, wieder nach Hause zu kommen.

Zwischen all diesen Erlebnisse auf Tour erzählt Nagel von der großen Liebe, die nicht hielt, von der Familie, von der er sich entfernt hat. Vom Jungsein in der Kleinstadt, von dem Punk, der ihn in seine erste Band geholt hat und der jetzt Nazi ist. Nagel erzählt hier in der Du-Form, als würde es ihn nicht betreffen, gibt aber vieles von sich Preis, die Dorfprügeleien, all die Nebenjobs, die Saufereien, die Leere. Ja, es ist ein Rock-Buch, irgendwie, aber eines, das berührt, das auch mal nachdenklich macht. Vor allem aber eines, das ich immer wieder gerne lese.