BROILERS

Foto

Die andere Perspektive: Chris & Ines

Bassistin Ines Maybaum ist Gründungsmitglied der BROILERS, Keyboarder Chris Kubczak auch nach zehn Jahren noch der „Neuzugang“. Sie ordnen das neue Album „(sic!)“ in der eigenen Diskografie ein, sprechen über gesellschaftliches Engagement – und erzählen, wie sie zu den Texten von Bandchef Sammy Amara stehen.

Ines, Chris, das Jahr 2016 ist vorbei. Seid ihr froh darüber?

Ines: Jein. Ich freue mich zwar, dass es jetzt wieder losgeht. Aber ich gebe zu, es war einfach auch mal schön, ein Jahr lang keine Konzerte zu spielen. Beziehungsweise ein Jahr lang rein kreativ arbeiten und sich auf die neue Platte konzentrieren zu können.

Chris: Wir waren ja seit „Santa Muerte“ von 2011 quasi an einem Stück unterwegs. Da war eine Auszeit vom Live-Geschäft einfach mal wichtig. Wobei: Für mich war es seit dem 15. Lebensjahr das erste Mal, dass ich länger kein Konzert gespielt habe. Und das war schon seltsam ...

Ines: Da ziehe ich mit! Andererseits konnte ich endlich mal wieder wichtige persönliche Termine wahrnehmen. Meine Mutter hat im Sommer Geburtstag und ich konnte in den vergangenen Jahren wegen unserer Touren und Festivalauftritte nicht ein Mal bei ihr sein, wenn sie feierte. Das war nun anders. Solche Freiheiten zu haben, war schön und wichtig.

Eigentlich war meine eingangs gestellte Frage anders gedacht. Auf eurem neuen Album gibt es das Stück „Ihr da oben“, in dem es um all die Menschen geht, vor allem die bekannten Musiker, die in den vergangenen zwölf Monaten gestorben sind. Viele Leute verteufeln 2016 regelrecht ...

Chris: Ich habe erst kürzlich noch darüber nachgedacht und mich gefragt, ob das wirklich so schlimm war 2016 – oder ob das medial einfach nur aufgebauscht wurde. Aber ich habe wirklich das Gefühl, dass es in dem Jahr besonders viele Musiker getroffen hat. Und Schauspieler. Letztens kam im Fernsehen die Wiederholung von „Der König von St. Pauli“. Aus Neugier habe ich mir hinterher die Darstellerliste ausgedruckt. Von den dort aufgeführten Personen sind tatsächlich 80% tot – und die meisten seit 2016. So wie Bowie. So wie Cohen. Oder so wie Manfred Krug.

Ines: 2016 war diesbezüglich wirklich außergewöhnlich. Es hat da viele in der Öffentlichkeit stehende Personen getroffen. Aber – zumindest für mich muss ich das sagen – auch Leute aus dem Bekannten- und Freundeskreis. Das war schon schlimm. Vielleicht kommen wir alle aber auch einfach in ein Alter, in dem die Kindheitshelden sterben, weil sie jetzt eben alt geworden sind.

Flossen Tränen bei den Aufnahmen zu „Ihr da oben“?

Ines: Du wirst lachen: Ja. Bei mir. Vielleicht bin ich dann eben doch die typische Frau in der Band, haha. Aber solche Momente habe ich bislang bei fast jeder unserer Platten gehabt. Das passiert sogar in der Bahn. Wenn ich dasitze und einen Song wie „Ihr da oben“ höre, dann fange ich an zu heulen. Eine Freundin von mir hat mal in so einer Situation zu mir gesagt: „Das kann der Sammy wirklich, Gefühle treffen, oder?“ Und ich muss sagen: Ja, das kann er!

Kann er das alleine – oder kann das auch eins der anderen Bandmitglieder?

Ines: Er alleine. Meist kommt Sammy schon mit dem fertigen Text in den Proberaum.

Chris: Einfluss nehmen wir eigentlich nur musikalisch.

Hat irgendwer Probleme damit?

Chris: Nein. Aber das führt manchmal schon dazu, dass ich mich mit Songs nicht so richtig anfreunden kann. Es gibt Stücke, die aus Sammys Sicht natürlich sehr persönlich sind, in die ich mich aber nicht hineinversetzen kann. Ich erkenne dann für mich nicht so die Tiefe, die es bräuchte, um mich mitzureißen. Beim neuen Stück „Zu den Wurzeln“ ist das beispielsweise so. Das habe ich auch bis zum Ende der Aufnahmen abgelehnt.

Ines: Als Einziger!

Chris: Als Einziger, ja. Aber nicht falsch verstehen: Es ist nicht so, dass ich sage: Das ist ein schlechtes Lied. Gar nicht. Es hat mir nur am wenigsten gefallen und ich kann damit nicht so viel anfangen.

Ines: Jeder Song wirkt auf jeden Menschen eben anders. Weißt du, wenn ich unterwegs bin und mir die Menschen um mich herum anschaue, dann denke ich sehr häufig: Du da drüben würdest dich in diesem oder jenem Song von uns bestimmt wiederfinden. Und der da neben dir auch. Ich finde das hochinteressant.

Chris: Wir halten fest: Mein Empathievermögen ist offensichtlich eher niedrig, haha.

Sammy singt, ebenfalls sehr persönlich, in „Die beste aller Zeiten“ davon, wie sehr er die Jugend und Schulzeit, in der es mit der Band anfing, im Rückblick hasst. Andere verklären so was gerne. Wie ist das bei euch?

Chris: Ach, es gab gute und es gab weniger gute Momente. Wie in jedem Alter.

Ines: Es kommt immer darauf an, was man sich aus so einem Song herausgreift. Ich kann zum Beispiel bestätigen: Sammy hat die Schule wirklich abgrundtief gehasst. Und wenn er das singt, dann ist das eines der ehrlichsten Dinge, die er sagen kann. Ich persönlich bin dagegen gerne zur Schule gegangen. Und wenn ich dieses „die beste aller Zeiten, die schlechteste aller Zeiten“ auf die Band beziehe, dann sage ich: Klar, die Anfangsjahre waren einerseits schon super. Aber andererseits war es da ja auch noch so, dass man in irgendeiner Absteige auf dem Billardtisch geschlafen hat oder mit dem Wochenendticket im Zug zu Konzerten gereist ist. Es war kalt. Es war beschissen. Und es gab nicht überall eine Toilette für Frauen, haha.

Könnt ihr es nachvollziehen, wenn ich sage: Euer voriges Album „Noir“ war wahlweise eine Boeing 747 oder eine Straße mit Kurven und wechselndem Belag, während „(Sic!)“ ein Düsenjet oder eine glatte Rennpiste ist?

Chris: Ja, ich glaube schon ... „(Sic!)“ ist stringenter. Vom Sound und von der Stimmung her. „Noir“ war experimenteller. Auf „Noir“ befanden sich aus meiner Sicht zum Beispiel viel mehr Keyboardeffekte, viel mehr atmosphärische Klänge. Das ist jetzt wieder zurückgefahren. Bei den Aufnahmen zu „(Sic!)“ habe ich mich stark an die Arbeit an unserem Album „Vanitas“ von 2007 erinnert gefühlt. Viel Orgel. Viel Klavier. Und all das eher im Hintergrund. Nicht so synthetisch. Die alte Soundschiene.

Ines: Das ist ein sehr schöner Vergleich! Und er leuchtet ein: Auf „Noir“ haben wir von vornherein viel mehr ausprobiert und geschaut, was uns Spaß machen könnte: Pop, Rock, Punk. Wir haben – um bei deinem Beispiel zu bleiben – verschiedene Beläge getestet. Bei der neuen Platte dagegen wollten wir alte Dinge wieder aufgreifen, sie mit neuen mischen und dann ausprobieren, wie das klingt. Es ist schließlich unser Anspruch, kein Album wie das vorherige klingen zu lassen.

Für mich war „Noir“ ein Statement, ein Schwergewicht. Die Platte nach dem eher lockeren „Santa Muerte“, um dieses Album, mit der ihr ja erstmals in die Charts gekommen seid, auf Teufel komm raus nochmal zu toppen. „(Sic!)“ dagegen geht in einem Rutsch flott durch. Es hört sich nach freiem Kopf an ...

Ines: Das, was du als Hörer der Platte empfindest, deckt sich mit dem, was wir als Musiker beim Zusammenstellen der Platte gemerkt haben. Bei „Noir“ war es damals so, dass es nur ein paar Lieder gab, die von uns allen fünf die volle Punktzahl bekamen. Da war das interne Ranking eine ganz wilde Sache. Bei „(Sic!)“ dagegen war das ganz anders. Wir hatten überhaupt noch kein Album, bei dem es so harmonisch zuging und bei dem wir alle fünf so hinter den Songs standen, „Zurück zu den Wurzeln“ im Falle von Chris vielleicht mal ausgenommen. Dabei hatten wir im Vorfeld ganz andere Befürchtungen gehabt.

Chris: Es gab noch nicht einmal Streit um die Reihenfolge der Lieder. Wir hatten zwanzig Songs aufgenommen und uns am Ende für die jetzigen 13 entschieden. Aber wir wären auch mit allen anderen Songs einverstanden gewesen, wenn sie auf diese Platte gekommen wären. Diese Harmonie war beinahe beängstigend, haha.

Was ist vor „(Sic!)“ in euch gefahren, dass ihr plötzlich wieder aufs Gaspedal getreten habt?

Ines: Wir haben gemerkt: Wir können es noch! Bei „Noir“ hätte diese Geschwindigkeit auf Albumlänge nicht gepasst. Jetzt passt sie wieder.

Es waren keine Einflüsse von außen schuld? Meckernde Fans?

Ines: Nein. Aber wir haben ja immer schon nur das gemacht, was wir wollen. Wir haben uns immer nur an unseren Ideen und Wünschen orientiert. Wenn man anfangen würde, so zu arbeiten, dann würde das definitiv in die Hose gehen. Auftragsarbeiten funktionieren nicht.

Dennoch wird es nicht spurlos an euch vorübergehen, wie viele Menschen mittlerweile bei euch mitreden wollen. Ein User schrieb neulich bei Facebook: „Ich vermisse die Zeiten, in denen man bei BROILERS-Konzerten noch nicht von Hippies umgeben war.“ Was denkt ihr in so einer Situation?

Chris: Es kommt darauf an, was man selber wie an sich heranlässt. Wenn solche Kritik von einem Menschen kommt, von dem ich weiß, dass er sich in der Szene auskennt und entsprechend weiß, worüber er da schreibt, dann kann ich das auch annehmen. Ich muss die Meinung dann zwar nicht teilen, aber ich akzeptiere sie. In einem Fall wie dem von dir erwähnten allerdings ist das etwas ganz anderes. Wenn du dir sein Profil anschaust, dann siehst du: Dieser Typ ist gerade mal 16, 17 Jahre alt – und hat entsprechend gar keinen Schimmer, von was er da redet. Er versucht, einer Nostalgie nachzuhängen, die er gar nicht erlebt hat. Trotzdem, es ist letztlich natürlich wichtig, auch solchen Leuten gegenüber fair zu bleiben und sich nicht über sie aufzuregen oder zurückzuschießen. Denn das ist Toleranz. Und gerade wir als Band sollten die vorleben.

Ines: Ich finde so etwas vor allem traurig. Denn Musik soll doch verbinden. Warum kann man sich nicht einfach die Musik anhören und normal darüber sprechen?

Welcher Song bedeutet euch auf eurem selbst erklärten Lieblingsalbum „(Sic!)“ am meisten?

Chris: „Gangster, Gangster“ mag ich sehr.

Ines: Ich auch. Vor allem musikalisch. Da muss ich immer direkt mitwackeln. Textlich dagegen liebe ich vor allem „Als das alles begann“.

Einer der eindeutig politischen Songs, der sich darum dreht, dass hierzulande noch viel zu wenig Menschen etwas gegen den Rechtsruck tun ...

Ines: Genau. Dieser Song weckt in mir immer meine rebellische Ader. Wenn ich ihn höre, dann könnte ich jedes Mal sofort rausgehen auf die Straße und aggressiv werden. Und das ist gut. Denn wir müssen alle wieder mehr auf die Straße gehen und uns engagieren!

Gehst du mit, Chris?

Chris: Ja, absolut. Wenn man diese Dinge erlebt, die da gerade politisch und gesellschaftlich abgehen, dann ist das die logische Konsequenz.

Ines: Es geht darum, nicht zu Hause vorm Computer zu sitzen und bei schönen 24 Grad Kommentare zu posten. Sondern es so zu machen wie früher. Da sind die Leute viel häufiger losgezogen und haben gegen das, was sie störte, protestiert. Die Achtziger Jahre. AKWs. Pershings. Das war schon immer so. Und da sollten wir wieder hinkommen.

Chris: Deshalb waren wir als Band ja auch bei den Demos gegen PEGIDA in Düsseldorf.

Muss man sich vielleicht sogar gerade als Künstler engagieren?

Chris: Ja. Diese Pflicht zum Engagement hat zwar jeder. Aber vor allem wenn ich in der Öffentlichkeit stehe, ist das meine Aufgabe. Da muss ich Präsenz zeigen!

Ines: Ich weiß auch, dass das nicht immer einfach ist. Trotzdem! Und wenn wir gerade von Künstlern reden, dann muss ich sagen: Da finde ich speziell das Verhalten innerhalb der Schlagerszene schlimm!

Stichwort Helene Fischer, der vorgeworfen wird, bislang nicht ein einziges Mal Stellung bezogen zu haben zu AfD und Co.

Ines: Ja. Natürlich werden vielleicht gerade die Musiker aus der ja sehr volkstümlichen Schlagerszene extrem angegriffen, wenn sie sich äußern. Beziehungsweise: Ihnen wird gedroht, nur ja den Mund zu halten. Aber da muss ich dann entgegnen: Man kann einfach auch mal etwas sagen, ohne gleich politisch zu sein. Denn ich bin doch nicht explizit politisch, wenn ich zu Flüchtlingen, AfD oder PEGIDA meine Meinung habe und diese äußere! Ich bin dann einfach nur menschlich! Und menschlich sein kann jeder. Sollte jeder. „Bis hierhin und nicht weiter!“ – das kann jeder sagen. Und wenn dann gerade ein Künstler schweigt, ist das für mich ganz klar ein Fall von: Ich ziehe meinen Schwanz ein, nur um ein paar CDs mehr zu verkaufen. Mir soll keiner erzählen, dass er oder sie zu diesen Dingen keine Meinung hat. Wer dazu keine Meinung hat, der ist eine Hohlbirne! Punkt!

Noch zwei Fragen an Chris: Wie lange bleibt man eigentlich der Neue in der Band?

Chris: Na, für immer, haha! Es gibt auch bei uns, wie in vielen Bands, für bestimmte Dinge eine feste Reihenfolge. Da entscheidet dann der Zeitpunkt des Bandeintritts. Und da bin ich immer der Letzte. Bis irgendwann der Nächste kommt. Diesbezüglich fällt mir ein: Ich habe neulich im Fernsehen eine sehr interessante Dokumentation über das Balzverhalten von Vögeln im südamerikanischen Regenwald gesehen. Da gibt es eine Vogelart, bei der tanzen immer zwei Männchen einen choreografierten Tanz darum, wer sich mit dem Weibchen paaren darf. Und bei diesem Tanz gewinnt stets der Ältere. Bis er stirbt. Dann ist der Jüngere dran. So geht es mir auch, haha.

Und warum hast du dir ausgerechnet das Keyboard respektive Klavier als Instrument ausgesucht? Schon Lemmy wusste in seiner Biografie zu berichten, dass man als Gitarrist oder Bassist am meisten Eindruck schinden kann ...

Ines: Wenn ich mal dazwischenfunken darf: Ich stehe total auf Tastenmänner! Und das ist das größte Kompliment, das ich Chris machen kann!

Chris: Danke, haha! Und zu Lemmy: Er hat sicherlich recht. So ein Klavier hat tatsächlich nicht den Charme, den eine Gitarre hat. Eine Gitarre kannst du überall mit hinnehmen. Ein Klavier oder Keyboard nicht. Aber: Als Keyboarder genießt du einen Seltenheitsfaktor! Und das ist schön. Es ist nämlich selten, dass gerade in dem Genre, in dem ich unterwegs bin, jemand Keyboard spielt. Und entsprechend ist man gefragt und kann in vielen Bands spielen. Da hast du als Tastenmann gewonnen! Ich empfehle diesbezüglich die Biografie von Flake, dem Keyboarder von RAMMSTEIN. Der kommt genau zu dem gleichen Schluss. Ein gutes Buch!