SCHROTTGRENZE

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Lieb doch einfach, wen du willst

Vor gut einem Jahr meldeten sich die Indierocker und Pop-Punker SCHROTTGRENZE mit gleich zwei Werkschauen auf Tapete Records zurück – „Fotolabor“ und „Schnappschüsse“. Die dazugehörigen Konzerte wurden vom Publikum mit großer Begeisterung aufgenommen und die Band fand in neuer Besetzung immer mehr zusammen, so dass es nur eine logische Konsequenz war, auch neues Material in Angriff zu nehmen. So wurden neue Lieder geschrieben und schlussendlich ging es 2016 ins Studio und man produzierte mit Kristian Kühl (FINDUS) das neue Album „Glitzer auf Beton“. Nicht nur musikalisch überraschen SCHROTTGRENZE immer wieder mit neuen Ideen, auch textlich werden neue Wege beschritten, und Sänger Alex bezieht erstmals klar Stellung zu seinem späten Coming-out. Genügend Gesprächsstoff also, um mit Alex (Gesang, Gitarre), Timo (Gitarre )und Hauke (Bass) über die neue Platte zu sprechen.

War die Veröffentlichung eurer Werkschau so erfolgreich, dass ihr gar nicht anders konntet, als nun weiterzumachen?

Alex: Wir waren schon etwas überrascht, wie erfolgreich das war. Aber es gehört ja mehr dazu, als nur eine Best-Of-Compilation auf den Markt zu bringen. Wir haben vor allem auf der dazugehörigen Tour gemerkt, wie gerne wir in der jetzigen Besetzung zusammenspielen. Wir haben uns auch sehr lange mit Aussagen zurückgehalten, ob und wie wir mit neuen Sachen weitermachen wollen. Deswegen haben wir uns beim Songwriting auch Zeit gelassen, bis wir dann Ende 2015 sagen konnten: Okay, jetzt geht es los. Kann man wagen.

Sind euch eure alten Fans treu geblieben oder sind es nun hauptsächlich jüngere, die zu euren Shows kommen?

Timo: Sowohl als auch. Wir hatten ja diese drei Galas zur Reunion gespielt und dabei gemerkt, dass Fans aus allen unseren Phasen wieder aufgetaucht sind. Und die haben zum Teil jüngere Freunde oder sogar ihre Kinder mitgebracht.

Alex: Bei unserem Konzert in Berlin war das Publikum zum Großteil schon wesentlich jünger als wir. Die haben uns praktisch da entdeckt, als wir uns aufgelöst hatten. Und jetzt, nach zehn Jahren, konnten sie uns endlich auch mal live sehen.

Ihr wart ja fast eine Ewigkeit die Jungspunde der Szene. Wie fühlt es sich nun an, endlich zu den alten Hasen zu gehören?

Alex: Wir nehmen das gar nicht so wahr, sondern gehen einfach mit Spaß an die Sache und stellen uns keine Generationsfragen. Natürlich finde ich es geil, wenn heute Zwanzigjährige auf unseren Konzerten ausrasten, aber im Grunde ist es uns völlig egal, wie alt wir oder unsere Zuschauer sind. Andererseits finde ich es auch echt spannend, mit jüngeren Leuten zusammenzuarbeiten. Kristian Kühl, der unser neues Album produziert hat, ist auch erst Ende zwanzig. Diese Generation ist viel professioneller, als wir es früher waren. Das kommt natürlich auch durch den technologischen Fortschritt. Was mussten wir in den Neunzigern ackern, um überhaupt eine brauchbare Aufnahme hinzubekommen.

Wie viel Punk steckt heute noch in SCHROTTGRENZE?

Timo: Das ist wohl eine Frage der Definition. Für uns ist das immer noch genauso wie damals. Wahrscheinlich steckt viel mehr Punk in der Band, als man der Musik anhört. Der Ansatz, wie wir eine Platte in Angriff nehmen, ist immer noch komplett D.I.Y. Auch wenn wir inzwischen ein Label haben, so sind in unserem Umfeld doch immer noch Freunde für uns aktiv.

Alex: Außerdem sind die Texte unserer neuen Platte wieder viel politischer als zuletzt und somit viel eher an den frühen Demos dran. Das hat sich so ergeben. Es gab eben die Idee, etwas über das Queer-Life zu schreiben. Dass dabei aber ein Song wie „Sterne“ entsteht, war so nicht geplant. Und plötzlich hatten wir politisch ganz klar Stellung bezogen.

Das Transgender- und Queer-Thema zieht sich ja wie ein roter Faden durch die Platte. War das von Anfang an also gar nicht geplant?

Alex: Dass wir diese Themen mit aufnehmen, war recht schnell klar, alles weitere hat sich dann erst im Arbeitsprozess an der Platte ergeben. Ich hatte ein paar Acts gehört, die sich damit beschäftigten und sehr gut gefielen mir AGAINST ME! oder die Berliner HipHopperin Sookee. Da ich hier in Hamburg in der Queer-Szene unterwegs bin, finde ich es natürlich sehr interessant, wenn sich Musiktexte damit beschäftigen. Ich wollte das aber für SCHROTTGRENZE nicht so konstruieren, sondern sich charmant aus der Musik heraus entwickeln lassen.

Hauke: Es wäre ja auch Quatsch, wenn Alex Texte schreiben würde, die außerhalb seiner Lebenswelt lägen. Und dazu gehört eben auch das Queer-Thema.

Somit wurde euer Publikum ja relativ unvorbereitet mit deinem Coming-out und deiner Homosexualität konfrontiert. Hattest du keine Angst, damit auch auf Ablehnung zu stoßen?

Alex: Nein, gar nicht. Wir können zwar nicht in die Köpfe unserer Fans hineinschauen, und es wird sich ja auch erst noch zeigen, wie das so aufgenommen wird, aber bislang sind unserer Erfahrungen bei den Konzerten durchaus positiv. Wir ziehen einfach kein Publikum an, das nicht in der Lage wäre, sich mit dem Thema vernünftig auseinanderzusetzen. Wir haben ja immer Inhalte verarbeitet, die uns betreffen. Egal, ob jetzt Politisches, Privates oder Punk-Relevantes. Da würde ich mich als Künstler ja selber beschneiden, wenn ich das nun aussparen würde. Das käme mir total unehrlich vor. Ich verstecke mich doch nicht vor meinem eigenen Publikum.

Gut, aber bislang hattet ihr das Thema ja auch noch nicht angepackt.

Alex: Ja, aber da war das für mich selber emotional noch nicht geklärt. Ich hatte mich ja auch erst 2010, also nach der Trennung von SCHROTTGRENZE, geoutet. Und dann musste ich erst mal schauen, wo ich überhaupt stehe, und wer meine Leute sind und ob es eine Szene gibt, in die ich passe. Zuvor war das alles für mich noch gar nicht verknüpft. Da stand auf der einen Seite meine Sexualität und auf der anderen die Band.

Wie ist das für den Rest der Band? Euch tangiert das Thema als konventionelle Heteros ja nur am Rande. War von Anfang an klar, dass ihr da mitzieht?

Hauke: Ja, doch. Wir gehen ja auch alle gerne zu Alex’ „LIPS“-Partys und kennen zahlreiche Leute aus der Queer-Szene. Als subkulturell sozialisierte Leute ist das Thema ja alleine deshalb schon interessant. Als Alex mit den ersten Texten ankam, fanden wir das total gut und konnten voll und ganz dahinterstehen. Wir teilen da ja auch alle diesen politischen Standpunkt. Und so können wir die neue Platte alle mittragen.

Alex: Es ist ja auch nicht gesagt, dass wir von nun an nur noch Platten wie diese machen. Das war jetzt genau richtig so, was danach kommt, wird man sehen müssen. Aber politisch gesehen gibt es zwar inzwischen viele Initiativen, die sich für die Rechte der Schwulen und Lesben einsetzen, aber das reicht noch nicht. Da muss noch mehr kommen. Außerdem ist meine Art, queer zu leben, sicher sehr nah am Punk. Es geht nicht mehr darum, ich bin homo und du bist hetero, sondern die Geschlechterkonstruktionen aufzulösen, Ich verliebe mich in eine Person und nicht in ihr Geschlecht. Ich hatte ja auch Beziehungen zu Frauen. Darüber habe ich auch bereits gesungen. Von daher plädieren wir für einen offen Umgang damit und möchten gerne Barrieren aufheben. Die Indie-Szene kann doch keine Berührungsängste mit Queerness haben. Und wenn sich einer homophob äußert, soll er das offen tun. Dann können wir darauf eingehen.

Timo: Dass wir da politisch alle gleich ticken, versteht sich ja von selbst. Dass wir das Ganze nun in unser neues Album haben einfließen lassen, finde ich selber sehr erfrischend. Aus der Indierock-Szene kannte ich das so bislang noch nicht. Und dann kommen wir mit einem Comeback-Album mit frischer Musik und einem frischen Text-Input. Das wollte ich unbedingt umsetzen.

Ich bin immer mal wieder entsetzt, wie tief verankert Homophobie sogar in der Punk- und Indie-Szene heutzutage noch ist.

Alex: Das kann man ja nur abbauen, wenn man einfach damit anfängt. Die Indie-Szene ist schon sehr hetero-strukturiert. Aber das muss ja nicht so bleiben. Viele Menschen, die sich dort bewegen, sind doch nach allen Seiten offen. Und was können mir die Leute schon antun?

Im schlechtesten Fall dich verletzen. Körperlich und auch emotional. Ich denke da an Kommentare bei Punk-Konzerten, wo sich über „das schwule Gehabe des Sängers“ oder „mädchenhafte Getue des Gitarristen“ echauffiert wird.

Alex: In dieser orthodoxen Szene spielen wir ja nicht. Das könnte mich emotional auch überhaupt nicht verletzen. Solche Leute interessieren mich dann auch nicht. Emotional verletzen könnte mich, wenn ein Freund von mir so etwas in meine Richtung loslassen würde. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich kaum jemand traut, so etwas laut und einem direkt ins Gesicht zu sagen.

Timo: Das ist doch in vielen Bereichen so. Wenn ich daran denke, wie oft im Internet über uns in irgendwelchen Foren und über Social Media abgelästert wurde, weil wir uns anders entwickelt haben als erwartet. Da wird soviel Mist ausgekübelt, das glaubst du gar nicht. Wenn man diese Leute dann trifft, sind die total friedlich und scheuen die Konfrontation.

Wie geht ihr damit um, möglicherweise zukünftig als reine Queer-Band wahrgenommen zu werden?

Alex: Das wird doch nicht passieren. Wir sind doch inhaltlich immer noch so eine Crossover-Band wie eh und je. Man kann sich ja auch als Hetero unsere Texte gut anhören und bekommt da nicht einen mit der Homo-Keule übergezogen. Im Gegenteil. Es wird sicher auch Queer-Aktivisten geben, die das Album für eine Mogelpackung halten, weil wir denen gar nicht genug Stellung beziehen.

Habt ihr nicht das Gefühl, dass „Glitzer auf dem Asphalt“ eher als Alex- denn als SCHROTTGRENZE-Album aufgefasst wird?

Timo: Auf gar keinen Fall. Wir stehen ja voll dahinter und denken genauso. Seit ich immer mehr Leute aus der Szene und auf Queer-Partys kennen gelernt habe, fragte ich mich immer öfter, warum ist das so strikt getrennt. Warum gehen die einen auf ihre Hetero-Veranstaltungen, die anderen zu ihren Queer-Partys? Vielleicht schaffen wir es ja, den einen oder anderen mal davon abzubringen und die Leute zusammenzuführen. Dann wäre doch ein großer Schritt getan.

Alex: Wir wollen Räume öffnen, ohne Schutzräume aufzulösen. Es geht uns um subkulturelle Kunst, die offener ist, was sexuelle Orientierung und Identität angeht. Nicht mehr und nicht weniger.