MOTORPSYCHO

Gewürze für die Seele

Was soll man groß über diese Band erzählen? Eigentlich müsste man sie meiner bescheidenen Meinung nach bei jedem kleinsten Anlass sofort interviewen, da kommt natürlich das neue Album "Phanerothyme" gerade recht. Um kurz vor ein Uhr nachts, eine halbe Stunde nach dem Konzert in der proppenvollen Kölner Live-Music-Hall, sitze ich einem redefreudigen und – gestählt durch über zweihundert Interviews – sehr routinierten Gebhardt gegenüber. Ich bin zu dieser späten Stunde von seiner Aufgedrehtheit recht überrascht.

Sag mal, ist es nicht ungewöhnlich, dass eine Band ihre Interviews nach dem Konzert gibt? Es ist schon sehr spät und ihr habt immerhin über zwei Stunden gespielt.


Ja schon, aber vor dem Konzert wollen wir uns lieber entspannen und konzentrieren, wir sind dann zu nervös. Nach der Show sind wir wach und voller Adrenalin. Wir könnten dann sowieso in den nächsten Stunden nicht schlafen.

Nach so vielen Jahren auf Tour seid ihr also immer noch nervös?

Wir brauchen diesen Adrenalin-Rausch, darauf basiert MOTORPSYCHO. Wir müssen uns völlig verausgaben. Wenn wir das ganze nur als einen Job ansehen würden, dann würden wir es nach zwei Shows schon hassen und uns wahrscheinlich bald auflösen. Es ist wie in einer Beziehung. Du musst dir immer etwas neues mit ihr einfallen lassen, sonst wird es sehr schnell langweilig. Wir haben aber auch den Willen daran zu arbeiten, wenn es nicht funktionieren würde, dann würdest du jetzt nicht hier sitzen wollen.

Lass uns jetzt – natürlich – über das neue Album reden. Zuerst mal ein paar einfache Fragen. Warum ist Bent auf dem Cover?


Das war die Idee von Kim, unserem Coverdesigner. Er hat da völlig freie Hand. Wir reden ihm nicht rein, so wie er uns nicht in die Musik redet. Ich glaube aber, Bent war nicht besonders glücklich darüber, weil wir eigentlich immer darauf bestanden haben, dass Motorpsycho eine Band ist, und kein Soloprojekt von irgendwem. Jeder bringt sich voll ein, in jeder freien Minute seines Lebens. Übrigens, auf dem "Soothe"-Album war Snah auf dem Cover, diesmal war es Zeit für Bent, und hoffentlich bin ich dann beim nächsten Mal dran. Aber davon mal ganz abgesehen finde ich, dass das Cover auch unter künstlerischem Aspekt sehr interessant ist, wenn man es sich einmal genau anschaut. Kim hat sich offenbar von einem Foto beeinflussen lassen, das wir ihm mal gezeigt haben. Man muss es nicht zwangsläufig als ein Porträt von Bent ansehen, ich kann aber deine Frage absolut verstehen. Nur müsstest du Kim fragen, was er sich dabei gedacht hat. Ich selbst habe bisher noch ein komisches Gefühl, ich brauche auch immer erst ein paar Jahre, bis für mich das Cover mit der Musik zusammenpasst.

Der Begriff "Phanerothyme" stammt von Aldous Huxley. Was bedeutet er? Es ist irgendeine Droge?

Nicht direkt. Das Wort setzt sich aus zwei Teilen zusammen. "Phanero" kommt aus dem Griechischen und heisst soviel wie "Geist" oder "Seele". "Thyme" bedeutet "Thymian". Es bedeutet eigentlich das selbe wie "psychedelisch". "Phanerothyme" liesse sich also mit "Seelengewürz" übersetzen. Huxley hat versucht, ein Wort zu finden, das beschreibt, was er empfunden hat, als er LSD genommen hat. Er hat sich damals freiwillig als Testperson bei wissenschaftlichen Versuchen der CIA zur Verfügung gestellt. Die CIA hat immer Worte wie "Gift" oder "Brainkiller" für LSD benutzt, aber Huxley hat durchaus auch positive Erfahrungen damit gemacht. Wir wollen natürlich Drogen nicht verherrlichen, und wir waren auch immer völlig nüchtern, als wir unsere Alben eingespielt haben, weil man unter Drogeneinfluss nicht vernünftig spielen kann. Wir denken nur, dass dieses Album vielleicht eine Art "Seelengewürz" für den Hörer sein kann, und eine psychedelische Erfahrung.

Wie waren denn die Reaktionen auf das Album in der Presse?

Extrem gut. Als wir "Let them eat cake" aufgenommen haben, dachten wir, dass wir diesmal zu weit gegangen sind, besonders für die alten Fans, die uns schon von der "Demon Box" kennen. Aber wir brauchen eben Abwechslung, und wir haben schon soviel Noisezeugs gemacht, und lange Songs mit nur einem Riff usw., und wir haben es so ausgeschöpft, dass es, wenn wir es noch mal gemacht hätten, nur noch Routine gewesen wäre. Wir hätten das Gefühl gehabt, uns selbst in den Schwanz zu beissen. Wir haben versucht, kurze Songs aufzunehmen, auch deshalb, weil wir nicht einmal wussten wie das geht. Ausserdem haben wir sehr viel mit Streichern und Bläsern experimentiert. Trotzdem haben alle, auch unsere alten Fans, diese Entwicklung mitgemacht. Ich hoffe aber, dass die Leute "Phanerothyme" entweder total lieben, oder total hassen. Wenn du eine Bewertung bekommst wie z.B. 5 von 10 Punkten, dann bist du im Niemandsland. Dann sollen uns die Leute lieber total hassen.

Du hast eben betont, dass ihr nie eine Sache auslutschen wollt, und ihr habt ja auch mal gesagt, dass ihr niemals ein Album ein zweites mal aufnehmen würdet. Findest du denn, dass ihr dieses Ziel mit dem neuen Album erreicht habt? Es gibt immerhin Leute, die euch Stagnation vorwerfen.

Wir finden, dass wir es diesmal noch weiter getrieben haben als auf "Let them eat cake". Also noch mehr Streicher, noch poppiger, noch mehr auf Arrangements bedacht. Es ist beinahe Fahrstuhlmusik, oder ein Nachtalbum, das man allein bei einem Glas Wein und einer Zigarette hört. Und es ist schon erschreckend, MOTORPSYCHO so zu hören, und gleichzeitig eine grosse Herausforderung, weil es Musik ist, die wir für gewöhnlich gehasst haben, als wir jünger waren. Wir haben eine Menge aus "Let them eat cake" gelernt, als wir noch viel herumprobiert haben, und deshalb ist das Album diesmal zielgerichteter. Auch arbeiten wir jetzt schon seit zwei Jahren mit unserem Keyboarder zusammen, der die Streicher und Bläser arrangiert, haben uns besser aufeinander abgestimmt und wissen genauer, wo wir hinwollen. Trotzdem hören wir erst nach einer längeren Zeit, in welche Richtung sich das Album genau entwickelt. Dann stellen wir aus den 30, 35 Songs, die wir bis dahin geschrieben haben, diejenigen zusammen, die zusammenpassen, und auch die Stimmung rüberbringen, die wir beabsichtigen. Ich denke, wir haben ein Album gemacht, dass recht simpel klingt, aber dennoch sehr komplex ist, bei dem man auch beim hundertsten Hören noch neue Dinge entdeckt. Wir haben aber übrigens noch ein paar Songs aus der "Let them eat cake"-Phase über, um auf deine Frage zurückzukommen, deshalb wird vielleicht das nächste Album ein Remake. Ich weiss noch nicht, was ich dann auf diese Frage antworten würde. Frag mich einfach nächstes Jahr noch mal.

Nach "Let them eat cake" hat es plötzlich einen Riesen-Rummel um euch gegeben. Glaubst du, dass das eigentlich eine Nachwirkung von "Trust Us" war, oder war doch eher "Let them eat cake" selbst der Auslöser?

Schwer zu sagen. Aber in Norwegen ist seit "Lobotomizer" beinahe jedes unserer Alben als das beste des Jahres ausgezeichnet worden. Wir haben Grammies für "Blissard", "Trust Us" und "Let them eat cake" bekommen, und trotzdem sind die Songs nicht besonders häufig im Radio gelaufen, jedenfalls nicht bis "The other fool" als Single rauskam. Wir waren schon immer eine Band für Musikliebhaber, und ein wenig etwas wie Medienlieblinge, aber das hat nie zu unserem tatsächlichen Erfolg gepasst. Man muss uns ja für eine grössere Band halten, als wir tatsächlich sind. "Let them eat cake" war dann für die Massen leichter verdaulich, sogar meiner Mutter hat es gefallen, also konnte es dann auch mal im Radio laufen. Wir tun aber auch alles, damit das so bleibt, denn wir wollen unsere Alben verkaufen und Geld verdienen. Im Moment können wir so gerade eben von der Band leben, aber wir können nichts sparen und reich werden, weil wir direkt wieder alles in Aufnahmen und Tourneen stecken. Das ist sehr teuer. Auch unsere Videos sind im Vergleich sehr billig, obwohl sie teuer aussehen. Wir sind nicht wirklich in der Spice Girl-Liga, aber warum sollte MOTORPSYCHO nicht auf MTV laufen? Da gehören wir schliesslich hin, weil wir eine gute Band sind. Statt dessen spielen sie die ganze Zeit Britney Spears. Ich meine, wie können sie das nur tun??? Eigentlich sollten es Bands wie MOTORPSYCHO oder THE SOUNDTRACK OF OUR LIVES sein, mit denen wir heute gespielt haben, die Millionen von Alben verkaufen und die ganze Zeit auf MTV laufen.

Das Mini-Album "Barracuda" war auch sehr cool, aber nicht ganz ernst gemeint, wie mir scheint.

Diese Songs haben wir zur "Let them eat cake"-Zeit schon aufgenommen, aber sie haben nicht draufgepasst. Es hat sehr viel Spass gemacht sie aufzunehmen, weil wir mit diesen Rock-Klischees gespielt haben. Es ist also eher lustig, als musikalisch ernst zu nehmen. Eher ein Biertrinkeralbum. Aber man braucht schliesslich Musik für jede Stimmung.. Und wir sind eben auch alte Heavy-Metal-Fans.

Es sollte doch ursprünglich auf Man´s Ruin erscheinen. Warum hat das nicht geklappt?

Man´s Ruin hat ja mittlerweile Pleite gemacht. Das ist schon mal ein Grund, warum es nicht geklappt hätte. Aber ich weiss auch nicht so genau, was mit denen los war. Wir haben in Texas bei unserem ersten USA-Konzert mit ihnen gesprochen, und sie waren völlig aus dem Häuschen, sie wollten unbedingt unser Zeug rausbringen, egal was. Wir haben ihnen also unsere CD geschickt, aber zu der Zeit gab es ein paar personelle Umbesetzungen, und plötzlich war unsere CD verschwunden. Kurz darauf konnte man die Songs bei Napster runterladen. Es war klar, dass die von der Kopie kamen, die für Man´s Ruin gedacht war, weil wir sehr vorsichtig sind, mit den Dingen die wir verschicken. Das einzige, was Man´s Ruin also für uns getan haben, war eine Veröffentlichung bei Napster. Deshalb bin ich ganz froh, dass wir mit solchen Leuten nicht zusammenarbeiten mussten, obwohl es schon eine coole Sache gewesen wäre. Wir haben dann "Barracuda" so schnell wie möglich veröffentlicht, weil es sich rasend schnell durchs Internet verbreitet hat, und schliesslich wollten wir auch Geld daran verdienen. Wenigstens das Geld, das wir für die Aufnahmen investiert haben. Man muss sich das mal vorstellen: In Italien gab es eine Radioshow, in der sie gesagt haben, dass sie in einer Stunde das neue MOTORPSYCHO-Album spielen würden, das noch gar nicht erschienen ist, und jeder sollte schon mal seinen Brenner anschmeissen. Ich weiss wirklich nicht, wie jemand so etwas einer Band antun kann.

Letzte Frage: Nach mittlerweile zwölf Jahren Herumtouren und Plattenaufnehmen, hast du dir schon mal Gedanken über ein Leben nach MOTORPSYCHO gemacht? Wie würde das aussehen?

Wir haben sowieso nie länger als für ein halbes Jahr im voraus für MOTORPSYCHO geplant. Im nächsten Sommer werden wir ein paar Festivals spielen, aber danach wissen wir noch nichts. Ich hoffe nur, dass wir schlau genug sein werden, um aufzuhören, bevor wir richtig schlecht werden. Es gibt so viele Menschen, die sich das MOTORPSYCHO-Logo haben tätowieren lassen, und die hätten ein Problem, wenn wir anfangen würden, schlechte Alben aufzunehmen. Aber ein Leben nach MOTORPSYCHO? Ich persönlich habe immer Musik gemacht, und werde es wohl auch immer tun. Ich habe ja mit HGH auch schon eine Band ausserhalb von MOTORPSYCHO, im Dezember gehen wir auf Tour. Ausserdem habe ich auch schon Musik fürs Theater gemacht, und ich werde wohl immer irgend etwas mit Musik machen. Aber wahrscheinlich müsste ich mir einen Job suchen, um über die Runden zu kommen. Am liebsten in einem Kindergarten, früher habe ich viel mit behinderten Menschen gearbeitet, das ist auch interessant. Man trifft faszinierende Leute und kann eine Menge lernen.

Das Interview wird rüde von zwei Fans unterbrochen, die extra für dieses Konzert aus Italien angereist sind. Ich habe schon von Fans gehört, die in ihren Ferien eine komplette Tour mitgemacht haben. Leute gibt´s. Aber egal, ich war sowieso fertig.