SURFIN’ LUNGS

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Die alten Männer und das Meer

Immer wieder gibt es diese Surf-Pop-Punk-Bands, die die RAMONES und die BEACH BOYS als gleichwertige Inspirationsquellen nennen und gute Laune verbreiten mit ihren eingängigen Songs über Sonne, Strand und Wellenreiten. Die SURFIN’ LUNGS wurden 1981 im englischen Bracknell gegründet und zählen damit zu den dienstältesten und bekanntesten Vertretern dieses Genres. Seit 2011 gehören Chris Pearce (Lead Vocals, Gitarre), Steve Dean (Vocals, Bass), Clive Gilling (Vocals, Gitarre, Keyboards) und Ray Webb (Drums, Vocals) zur Band. Exakt in dieser Formation war die Band bereits von 1990 bis 2002 aktiv. 2016 ist das achte Studio-Album „Surf Factor 8“ erschienen. Die Band bewies beim folgenden Interview mit typisch englischem Humor, dass es im fortgeschrittenen Alter spannendere Themen gibt als Gleitsichtbrillen und Prostatauntersuchungen – und dass man auf dem Surfbrett in Würde alt werden kann, ohne gleichzeitig erwachsen werden zu müssen.

Ihr seid nicht mehr die Jüngsten. Wie lange wollt ihr als Band noch durchhalten?

Chris: Ich weiß nicht, ob wir irgendwann mal zu alt sein werden. Mental sind wir überhaupt nicht alt. Für mich klingt unsere Musik jugendlicher als Justin Bieber oder ONE DIRECTION.

Steve: Kann man eigentlich zu alt dafür sein, Spaß haben zu wollen?

Clive: Da wir nicht ständig auf Tour sind, ist jeder Gig etwas Besonderes und Touren generell immer ein großes Abenteuer. Wir sind auf jeden Fall noch nicht so weit, unsere Converse gegen Pantoffeln einzutauschen.

Ray: Zeit aufzuhören ist es erst dann, wenn wir es nicht mehr genießen. Alter ist etwas Unwesentliches, frag Mick Jagger.

England ist nicht Hawaii oder Kalifornien. Wie kommt man als Engländer dazu, über das Surfen zu singen?

Ray: Dann bist du mit Sicherheit noch nie im Sommer in Basingstoke gewesen.


Chris: Surf habe ich schon immer geliebt, ein extrem positiver und erhebender Musik- und Lebensstil. Diese Vorstellung eines Lebens mit Autos, Mädchen und Sonne fasziniert mich. Und die Songs von Brian Wilson mit ihrer unglaublichen Komplexität einerseits und ihrer totalen Eingängigkeit andererseits fand ich schon immer beeindruckend.

Steve: Bevor ich zu den Lungs kam, kannte ich mich mit Surf überhaupt nicht aus. Ich war erstaunt, dass ich meine Art zu spielen, die ich von meinen vorherigen Punkbands kannte, überhaupt nicht ändern musste. Die Band hatte die Energie des Punk, verzichtete aber auf diese ganze negative Botschaft.

Was macht den Reiz aus, nur Songs über Wellenreiten, Strände, schöne Mädchen und schnelle Autos zu schreiben?

Chris: Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir auch andere Themen haben ... mal überlegen ... oder vielleicht doch nicht?

Steve: Doch, mexikanisches Essen zum Beispiel oder Asteroiden.

Clive: Übrigens, nicht alle Autos, die wir besingen, sind schnell und nicht alle Mädchen schön.

Ist Surf für euch vorrangig ein Musikstil oder verbindet ihr damit auch eine bestimmte persönliche Einstellung?

Clive: Musik ist ein wichtiger Aspekt in unserem Leben, aber ich glaube, dass wir auch diese positive Haltung der Surfbewegung zum Leben, dieses Streben nach Kicks und den Respekt gegenüber dem Meer, den Stränden und der Umwelt allgemein teilen.

Habt ihr auch politische Botschaften in euren Songs?

Chris: Mit politischen Botschaften sollte man etwas vorsichtig sein. Die meisten Leute, die zu unseren Shows kommen, wollen Spaß haben. Ich persönlich mag es auch nicht, belehrt zu werden. Surf ist zwar grundsätzlich eine eher unschuldige, eskapistische Musikrichtung. Aber unpolitisch sind wir trotzdem nicht. Wir haben bei „London Against Racism“ mitgemacht und haben mit unserem Song „Big man on campus“ ein Lied mit einer antirassistischen Botschaft.

Es gibt viele Bands, die über das Wellenreiten singen und noch nie auf einem Surfboard gestanden haben. Wie sieht es mit euren Surfkünsten aus?

Chris: Ganz ehrlich, es ist hoffnungslos.

Clive: Ich kann super auf dem Surfboard stehen. Sobald aber Wasser dazukommt, wird es schwierig.

Surf ist ja traditionell Instrumentalmusik. Ich würde euren Stil eher als „Surf-Themed Pop-Punk“ bezeichnen.

Clive: Surf-Pop-Punk klingt gut für mich. Das werde ich auf unser nächstes Tourposter schreiben. Dick Dale hat mal gesagt, dass er mit seiner Musik gerne das Gefühl eines Surfers bei seinem Wellenritt vermitteln möchte. Analog dazu könnte dann die Musik der SURFIN’ LUNGS die Atmosphäre und den Spaß einer Strandparty ausdrücken.

Surf-Pop-Punk-Bands versuchen, die perfekte Mischung aus den RAMONES und den BEACH BOYS zu finden ...

Chris: Viele Bands, die von den RAMONES inspiriert wurden, versuchen auch, wie die RAMONES zu klingen. Das ist aber nicht der Punkt. Die RAMONES wurden inspiriert von Bands wie den KINKS, den BEACH BOYS und den STOOGES, klingen aber überhaupt nicht nach ihnen. Sie haben ihren eigenen Sound geschaffen. Sicher wurden wir durch die RAMONES und die BEACH BOYS beeinflusst, aber wir finden, dass wir nur nach uns selbst klingen. Wir haben nicht diesen typischen Johnny Ramone-Gitarrensound und auch nicht diese komplexen Harmonien der BEACH BOYS. Ich wünschte, wir könnten so gut wie sie singen.

Ihr seid international gut vernetzt, einige eurer Alben sind auf dem spanischen Label No Tomorrow erschienen und gemeinsam mit den italienischen VETERANS habt ich auch schon Songs eingespielt. Der Brexit muss für euch doch ein Schlag ins Gesicht sein, oder?

Clive: Am Wochenende vor der Brexit-Abstimmung war ich auf dem Surfer Joe Summer Surf-Music-Festival in Italien. Es war großartig, mit Leuten aus ganz Europa, Amerika und Japan. Ich bin dankbar, dass die Abstimmung erst eine Woche später war, denn dann hätten wir wahrscheinlich nur über Politik und nicht über Surf und Rock’n’Roll gesprochen. Wir sind froh, Teil dieser weltweiten Familie aus Surf-, Punk- und Rock’n’Roll-Enthusiasten zu sein. Wir schätzen den Austausch mit diesen Gleichgesinnten, sei es im tatsächlichen Leben oder in den sozialen Medien. Einige aktuelle globale Ereignisse haben in den letzten Monaten leider einige unschöne Überraschungen gebracht. Der Brexit wird uns aber nicht davon abhalten, dass wir weiterhin durch Europa touren, aber die Touren werden für uns definitiv schwieriger werden.

Chris: Der Brexit war wirklich ein großer Schock für uns. Wir können nur hoffen, dass es doch nicht so schlimm wird, wie wir es befürchten.

Ray: Ich spiele mit dem Gedanken, in die USA auszuwandern, die sind vernünftiger ... äh, halt ... vergiss es.

Auf dem neuen Album „Surf Factor 8“ würdigt ihr die RAMONES mit einer Coverversion und einer Eigenkomposition mit dem schönen Titel „The girl with the Joey Ramone tattoo“.

Chris: „Babysitter“ zu covern war die Idee von Steve. Die RAMONES bedeuteten für mich immer Spaß und Spannung. Sie haben tolle Pop-Songs geschrieben und hatten immer dieses Cartoon-artige Image. Ich habe sie immer den ganzen hochgelobten englischen Punkbands vorgezogen.

Clive: Nach Auftritten trinken wir lieber ein paar Bier, als Tagebuch zu schreiben. Aber an das Girl mit dem Joey Ramone-Tattoo kann ich mich noch gut erinnern. Es ist schon lange her, da kam sie nach einem Auftritt zu uns. Das waren die Zeiten, als Tattoos bei Frauen noch unüblich waren. Das war echt cool und dieses Bild hat sich bei mir festgesetzt.

Ihr seid schon mit Dick Dale, dem König der Surf-Gitarre, aufgetreten?

Chris: Ja, 1995 in Brighton. Es war großartig, er war so unfassbar laut. Er war richtig klasse und wir haben uns total geehrt gefühlt. 1995 war sowieso ein grandioses Jahr, weil wir auch noch Joey Ramone getroffen haben und er zugab, dass er unsere Version von „Oh oh I love her so“ total mag.

Wie veröffentlicht ihr das neue Album?

Chris: Unser Vorgängeralbum „Full Petal Jacket“ gab es nur als CD. Dafür haben wir in Spanien und Italien richtig Kritik einstecken müssen. Dort wurde fast ausschließlich Vinyl nachgefragt. Aber wir haben daraus gelernt, „Surf Factor 8“ gibt es deshalb als LP und als CD.