NORTH OF AMERICA

... und alle denken

Fragt mich bitte nicht warum, aber es hat bis zum vierten Album gebraucht, bis ich endlich mal was von den vier Jungs aus Halifax in Kanada zu Ohren bekam. Ihr aktuelles Werk "This Is Dance Floor Numerology" hat mich aber schlichtweg umgehauen, ein intensives, aggressives und anspruchsvolles Meisterstück. Ihr Auftreten in der Öffentlichkeit mag hingegen ganz und gar nicht zur Musik passen, wie ich anläßlich ihres Konzerts im Münsteraner Gleis 22 feststellen mußte. Auf der Bühne stehen sie die meiste Zeit mit dem Rücken zum Publikum, und hinter der Bühne sitzen mir drei schüchterne Jungs gegenüber (Der "normale" Bassist konnte nicht mit auf Tour kommen, da er arbeiten mußte. Als Ersatz ist Jim MacAlpine dabei, der auch schon auf dem Album als Gastmusiker zu hören war), dennoch mit charmantem Humor und einem kaum verhohlenen Spaß daran, über die eigene Musik zu sprechen. Und zum Glück haben sie es mir auch nicht übel genommen, dass ich ihre heiße Uno-Partie für dieses Interview unterbrechen musste.

Euch gibt es ja schon eine Weile, trotzdem seid ihr in Deutschland noch ziemlich unbekannt. Erzählt mir doch bitte zuerst mal ein wenig über euch.


Michael: Unsere Band hat sich im Dezember 1997 gegründet, als sich meine alte Band, in der auch Mark Mullane gespielt hat, und J. LaPointes Band aufgelöst haben. Also haben wir was zusammen gemacht. Mark Colavecchia war uns bis dahin total unbekannt, wir haben ihn sozusagen von der Straße geholt.
Mark: Ich war ein Straßenkind.
Michael: Wir haben ihn gesehen, wie er in einer Pappbox gelebt hat, und wir dachten uns, das ist doch keine Art zu leben, also haben wir ihn in unser Heim, in unser Herz und in unsere Rockband gebracht. Er konnte nämlich ziemlich fies Bass und Leadgitarre spielen.

Und wer ist wer in der Band?

Mark: Ich bin Mark Colavecchia, normalerweise spiele ich die meiste Zeit Bass, aber auch Gitarre und Schlagzeug. Mike Catano spielt meistens Schlagzeug, dazu Gitarre, J. spielt die ganze Zeit Gitarre, und Mark "who is not here" (das entwickelte sich während des Interviews zu einem Running Gag) Mullane wechselt immer zwischen Bass und Gitarre.
Michael: Ja, und keiner von uns kann singen.

Ihr wechselt die Instrumente ja nicht nur im Studio, sondern auch auf der Bühne. War es eigentlich Absicht oder eher Zufall, dass jeder fast alles spielen kann?

Mark: Ich glaube, das war wahrscheinlich ein dummer Zufall. Ich habe früher schon immer ein wenig auf dem Drumkit meines Bruders gespielt, und Mike hatte ein paar Songs, die er live selbst auf der Gitarre spielen wollte. Ich habe dann meine Sticks herausgekramt.
Michael: Und seine Handschuhe. Die hat er nämlich jahrelang für diesen besonderen Moment aufbewahrt.

Ihr wart ja letztes Jahr eine ganze Menge unterwegs in Europa, und dieses Jahr schon wieder. Was bedeutet es für eine kleine Band wie euch, durch die Fremde zu tingeln? Ihr könnt doch nicht von dem leben, was ihr einnehmt?

Mark: Nein, natürlich nicht. Wir haben alle Jobs neben der Band. Wenn wir auf Tour gehen, sagen wir einfach unseren Chefs bescheid, dass wir für einen oder zwei Monate unterwegs sind. Das ist dann schon o.k.
Mike: J. ist selbständig, sein Boss ist also sehr tolerant in solchen Dingen. (lacht) Ich selbst arbeite an einer Universität und kümmere mich während der Schulzeit hier und da um verschiedene Dinge.
Mark: Wir führen ein sehr flexibles Leben, keine Ahnung wie lange das noch so läuft, aber im Moment funktioniert es ganz gut.

Wie passt denn so eine Tour in euren Lebenslauf. Habt ihr nicht manchmal Angst, dass euch die Zeit später mal fehlen könnte?

Mark: Ich weiß nicht, was mit der Band mal geschieht. Ein Punkt ist, dass wir einfach ein wenig Spaß haben wollen, und diese Tour hat bisher sehr viel mehr Spaß gemacht, als die davor.
J.: Für ein Band wie uns, die sehr harte Musik spielt, gibt es eben ein bestimmtes Limit dafür, wie groß wir werden können. Ich bin mir also nicht sicher, ob wir je in der Lage sein werden, von der Musik zu leben, selbst wenn wir dieses Limit mal erreichen. Deshalb machen wir jetzt einfach was wir wollen, sehen was passiert, und wir planen unser Leben doch eher nach unseren Jobs und all den anderen Dingen außerhalb der Band.
Mark: Es ist wahrscheinlich sehr schwer, eine Band zu finden, die so ähnliche Musik macht wie wir, und die davon lebt. Und wenn es sie gibt, dann ist sie vermutlich für neun Monate im Jahr auf Tour, um genug Geld zu verdienen. Touren ist so verdammt teuer, und wir werden hoffentlich am Ende genug Geld haben, um wieder nach Hause zurückzukommen. Aber trotzdem machen wir lieber hier Musik, als unsere bekackten Jobs.
Michael: Es macht eigentlich auch keinen Sinn über die Zukunft nachzudenken. Es würde dich nur bekloppt machen, und wenn man sich in finanzieller Hinsicht auf eine Indie-Rockband verlassen will, dann sowieso.

Wollen wir´s hoffen. Ihr habt letztes Jahr mit vielen verschiedenen Bands gespielt, unter anderem READYMADE und BLONDE REDHEAD. Inwiefern hat euch das weitergebracht?

Mark: Naja, wir haben eine ganze Menge an Platten auf den Konzerten mit BLONDE REDHEAD verkauft, mehr als auf den anderen jedenfalls, insofern hat es sich schon gelohnt. Aber ganz allgemein ist es für eine Band, die wie wir hier drüben völlig unbekannt ist, das beste, wenn man mit einer bekannteren Band zusammen spielt, von der man glaubt, dass deren Fans auch die eigene Musik gut finden könnten. Wir klingen zwar nicht genau so wie BLONDE REDHEAD, aber es hat schon sehr viel Sinn gemacht.
Michael: Außerdem sind wir große Fans der Band und es war Glück, dass wir mit ihnen spielen konnten. In Kanada haben wir sogar mal mit FUGAZI gespielt, und jedesmal wenn man mit einer Band spielt, die man verehrt, und die unserer Meinung nach eine ganze Ecke besser ist als wir, dann fühlt es sich an, als wenn man in den Arsch getreten wird. Es ist wie ein Weckruf. Und es ist das beste, was eine Band machen kann. Es ist ja nicht so, dass man selbst dadurch besser wird, aber man erfährt halt, was es heißt, älter und weiser zu sein. Und zu sehen, dass eine Band, die anspruchsvolle Musik macht, Erfolg hat, ist sehr inspirierend.

Euer Name NORTH OF AMERICA bedeutet vermutlich Kanada. Und dann ist da noch dieser Song "And they all thought Canada". Was wollt ihr uns damit sagen?

Michael: Es gibt eigentlich keine tiefere Bedeutung dahinter. Mark, der heute nicht hier ist, hat den Text geschrieben, und soweit ich weiß ist es ein Scherz und bezieht sich auf unseren Bandnamen. Jemand sagt "North of America" und alle denken "Kanada". Der Text ist also völliger Unsinn. Unsere ganze Band basiert auf diesen kleinen blöden Scherzchen.
Mark: Unsere Texte sind ziemlich lustig. Finden wir jedenfalls. Findest du nicht auch? Los, sag bitte, dass du unsere Texte lustig findest!

Wenn ich ehrlich bin, hab ich sie nicht so recht verstanden, ich finde, eure Texte klingen mitunter sehr anspruchsvoll.

Mark (lacht mich aus): Oh, das ist natürlich großartig, wenn die Leute das denken. Wir sind aber nur prätentiöse Idioten.
Michael: Aber es ist schon faszinierend, wie Leute versuchen, mit aller Macht eine tiefere Bedeutung aus unseren Texten herauszuquetschen.

Euer Sound wird immer wieder mit Bands wie FUGAZI, SHELLAC oder sogar AT THE DRIVE-IN verglichen. Wie steht ihr zu diesen Vergleichen?

Mark: Ja, das ist schon komisch. Ich kann nicht sagen, in wie weit sich unser Sound geändert hat, aber mit jeder Platte, die wir rausgebracht haben, haben sich die Vergleiche geändert. Nach der ersten Platte hat jeder "PAVEMENT, PAVEMENT" gerufen, danach war es "POLVO, POLVO", und jetzt sind es halt die Bands, die du gerade genannt hast. Wir lieben SHELLAC und AT THE DRIVE-IN, ach ja, und FUGAZI sind auch irgendwie ganz okay (lacht), deshalb ist es in Ordnung mit ihnen verglichen zu werden.

Euer neues Album ist viel aggressiver als die alten. Wie kömmt´s?

Mark: Stimmt. Auf den früheren Alben habe ich ein paar ziemlich ruhige, langsame Songs zu verantworten. Wir haben aber in letzter Zeit viel mit Bands gespielt, die ziemlich abgehen. Es kann schon sein, dass das etwas auf uns abgefärbt hat. Wir wollten diesmal ein "nonstop-rock"-Album machen. Und außerdem dachten wir, wir brauchten ein paar Songs, zu denen wir live etwas auf der Bühne rumspringen können.

Heißen Dank, Jungs!

Diskographie:
"Elements of an Incomplete Map" (CD/EP, 1998, Matlock Records) • "Bayonet Point" (7", 1999, Montesano Records) • "These Songs Are Cursed" (LP, 1999, Rewika Records) • "The Sepultura" (LP, 2000, The Kingdom of God) • "This Is Dance Floor Numerology" (LP, 2001, Rewika Records)