PSYCHOTIC YOUTH

Foto

So klingt der Sommer

Von Ende der Achtziger bis Ende der Neunziger Jahre zählten PSYCHOTIC YOUTH zur Speerspitze des skandinavischen Surf- und Bubblegum-Pop-Punkrock. Rechtzeitig vor dem Jahrtausendwechsel verabschiedete sich die Band in eine 19-jährige Pause. Jetzt sind die Schweden wieder da, mit zwei alten Bekannten und zwei neuen Gesichtern. Und ihr neues Album „The Voice Of Summer“ belegt eindrucksvoll, dass die alten Recken um Frontmann Jörgen Westman nicht verlernt haben, wie man eingängige Powerpop-Hits schreibt.

Jörgen, nach 19 Jahren Pause seid ihr zurück. Was hast du die ganzen letzten Jahre gemacht?

Ich hatte mich dem Rockabilly verschrieben und habe mit meinen beiden Bands THE BUCKSHOTS und RED WEST & HOT RHYTHM zehn oder elf Alben mit Fifties-Sound veröffentlicht.

Wie kam es zur Reunion?

In 2010 haben wir ein paar Konzerte im Original-Line-up von 1985 gespielt, wobei wir uns da auf unsere ersten beiden Alben konzentriert haben, bei denen wir noch Garagenrock gespielt haben. Wir hatten damals schon Pläne für die Reunion, aber gesundheitliche Probleme verhinderten ein früheres Comeback. Bis mich dann mein alter Kumpel Morten von den YUM YUMS darüber informierte, dass Kurt Baker aus den USA auf Tour kommt mit dem Wunsch, dass wir mit ihm gemeinsam Konzerte spielen. Dann gab es natürlich keine Argumente mehr gegen ein neues Line-up.

Wie kam es überhaupt zu eurer Trennung vor 19 Jahren? Immerhin wart ihr ja sehr erfolgreich unterwegs.

Einige Bandmitglieder jammerten ständig nur rum. Sie meldeten sich nie zurück und kamen auch nicht mehr zu den Proben, obwohl eine US-Tour über einen Monat anstand. So beschlossen Ulf und ich dann offiziell das Ende der Band.

Ulf und du, ihr seid die Urgesteine der Band. Mit Bassist Roine und Drummer Tommy gibt es aber auch zwei neue Gesichter.

Richtig, beide sind zwar neu bei PSYCHOTIC YOUTH, aber auch keine unbeschriebenen Blätter. Sie gehörten beide zum ersten Line-up von RED WEST & HOT RHYTHM.

Hast du auch noch Kontakt zu den anderen ehemaligen Bandmitgliedern?

Im letzten November hatten wir einen kleinen Reunion-Gig, bei dem wir die alten und neuen Bandmitglieder zusammen auf die Bühne brachten. Zeitweise waren wir zu siebt auf der Bühne. Wir hatten gemeinsam viel Spaß und sind immer noch gute Freunde. Mit Ausnahme von unserem Gitarristen Nils helfen eigentlich alle Mitglieder des Original-Line-ups aus dem Jahr 1985 bei Bedarf von Zeit zu Zeit in der Band aus.

Wie fühlt sich das Comeback nach so vielen Jahren Pause an?

Es bedeutet einfach nur riesigen Spaß für uns. Unsere alten Fans sind auch wieder da. Und wir fragen uns inzwischen, warum wir uns nur verdammt noch mal so viel Zeit für die Reunion gelassen haben.

Aber es kommen bestimmt nicht nur die alten Fans zu euren Konzerten?

Doch, es sind hauptsächlich die alten Haudegen in unserem Alter da. Einige Jüngere werden wahrscheinlich noch von ihren Eltern dazu überredet, mit zu den Konzerten zu gehen.

Wie glaubwürdig ist es, wenn man als Fünfzigjähriger davon singt, am Strand mit jungen Girls Spaß zu haben?

Haha! Wenn wir tatsächlich bei unseren Shows reihenweise junge Girls vor der Bühne hätten, könnten wir möglicherweise auf andere Gedanken kommen. Aber die Realität sieht anders aus. Da stehen eigentlich immer nur alte Säcke in ihren RAMONES-T-Shirts rum.

Und wie zeitgemäß ist es, in Zeiten von Brexit und Trump über „fun in the sun“ zu singen?

Klar, wir sind in erster Linie für unsere Songs bekannt, die sich darum drehen, mal ordentlich einen zu saufen und Spaß zu haben. Und das sind die Songs, die gerade bei unseren Fans ankommen. In meinen Texten geht es aber auch sehr oft um gescheiterte Beziehungen und Herzschmerz, wie auch auf unserem neuen Album. Das liegt wohl daran, dass in die Zeit, in der das Album entstand, auch meine Scheidung fiel. Aber ich habe auch Songs über religiöse Fanatiker, Umweltschäden, miese Politiker oder die amerikanischen Waffengesetze geschrieben.

Einige Bands, die schon lange am Start sind, haben in den Achtzigern von ihren Platten 30.000 Exemplare verkauft und sind heute bereits zufrieden, wenn sie von neuen Alben 1.000 Einheiten absetzen. Ihr werdet heute mit Sicherheit auch nicht annähernd an die alten Verkaufserfolge anknüpfen können. Ist das nicht frustrierend?

Wir haben von unseren Labels nie offizielle Verkaufszahlen gesehen, aber die genannten Größenordnungen finde ich schon realistisch. Von Plattenverkäufen kann man im Gegensatz zu früher heute nicht mehr leben. In dieser Hinsicht kann man die Achtziger und Neunziger Jahre schon vermissen. Digitale Plattformen sind ein Witz und keine Alternative, weil sie Musikern eigentlich nichts zahlen. Aber trotzdem finde ich es irgendwie spannend, was sich Musiker alles so einfallen lassen, um finanziell zu überleben. Wir sind auch zurück beim D.I.Y.-Gedanken, und das ist auch gut so. Was aber tatsächlich frustrierend ist, ist das Feedback von Fans. Früher kamen die Fans auf einen zu und sagten: „Ich habe euer neues Album und es ist großartig!“ Und heute? „Ich habe einen Song von euch auf Spotify gehört. Ich erinnere aber nicht mehr von welchem Album, sorry.“

Euer aktuelles Album ist bei mehreren Labels erschienen.

Das Album wurde in Deutschland als LP bei Screaming Apple und in Japan als CD bei Waterslide und Target Earth veröffentlicht. Der Kontakt zu Screaming Apple kam über Morten von den YUM YUMS zustande. Und auf Target Earth haben wir 2005 einige alte Alben wiederveröffentlicht.

Der europäische RAMONES-Surf-Pop-Punk steht in Japan nach wie vor hoch im Kurs. Wart ihr schon mal in Japan auf Tour?

2016 waren wir für eine Woche auf Tour dort unterwegs, es war einfach nur großartig. Am Ende der Tour meinte Kazu von Waterslide zu uns: „Wenn ihr ein neues Album rausbringt, dann holen wir euch für eine weitere Tour nach Japan.“ Das ist dann auch der hauptsächliche Grund, warum wir ein neues Album eingespielt haben.

In eurer Heimat habt ihr eine ordentliche Bekanntheit gehabt, eure Coverversion von „Japanese boy“ hat respektable Airplay-Werte erzielt. Wie waren die Reaktionen auf die Ankündigung des Comebacks?

Über Facebook haben wir viele positive Reaktionen von alten Fans erhalten. Allerdings ist es fast unmöglich, heute in die öffentlichen Medien zu kommen. Es ist alles in der Hand von wenigen Personen, die alles kontrollieren. Und wenn man sich nicht mit viel Geld einkauft, wird nicht über einen berichtet. Die Journalisten sind alle viel jünger als wir und haben wahrscheinlich noch nie von uns gehört.

Wie sieht es aktuell mit Tour-Aktivitäten aus?

Von der Musik können wir nicht leben. So läuft es auf Mini-Touren mit zwei oder drei Terminen oder auf reine Wochenendkonzerte hinaus. Dann sind wir froh, wenn wir zumindest unsere Kosten reinkriegen. Trotzdem nutzen wir jede Chance für Auftritte.

Was dürfen eure alten Fans bei den Konzerten erwarten, eine frische Mischung alter Hits und neuer Songs?

Exakt. Wir haben Songs von 1986 bis 2017 mit dem Schwerpunkt Surf und Powerpop im Gepäck. Vom neuen Album sind vier bis fünf Songs dabei, wobei es schon immer schwierig war, alte Hits aus der Setlist zu streichen, um Platz für die neuen Nummern zu schaffen.

Wie ist eigentlich die Fülle an hervorragenden Powerpop- und Surf-Punk-Bands in Skandinavien zu erklären?

Wir Skandinavier sind irgendwie Meister darin, tolle Popsequenzen in anderen Songs aufzuspüren, geschickt zu stehlen und als eigene Hits zu verkaufen. Leider sehe ich momentan in unserem Genre aber keine jungen Bands, die nachkommen, um uns zu beerben.

Welche Erinnerungen kommen hoch, wenn du an die Achtziger Jahre zurückdenkst?

Da war das Gefühl „Wir als Band gegen den Rest der Welt“. Eine verschworene Gemeinschaft von Freunden, aufgeschlossen gegenüber allen verrückten Ideen. Zwei Shows in zwei Tagen in zwei unterschiedlichen Ländern zu spielen, war kein Problem. Die Konzerte waren ein Chaos aus Energie, Saufgelagen und der Überzeugung, dass es kein Morgen gibt. Heute empfinde ich da schon mehr Verantwortung, dass die Konzerte ordentlich verlaufen.

Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Zunächst möchten wir alle Shows bis Juli gut und erfolgreich absolvieren. Dann steht bei mir eine OP an. Meine Schulter hat in den letzten 35 Jahren massiv darunter gelitten, dass ich meinen Arm immer wie Pete Townshend herumgewirbelt habe. Dann folgen hoffentlich weitere Konzerte im Herbst, gleichzeitig möchte ich neue Songs schreiben.