Veni, Vidi, Whisky

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Willkommen zum zweiten Teil der Rubrik „Besser trinken, ohne dauernd aufs Klo zu müssen“.

„Älter“ heißt nicht automatisch „besser“, was auch für viele Bands gilt, die vor mehr als einem halben Jahrhundert ein paar ganz brauchbare Platten veröffentlicht haben. In der Erinnerung wird so manches besser und Tonträger zu einer teuren Angelegenheit, obwohl eigentlich nichts Besonderes geboten wird. Rar ist nicht automatisch „gut“, was schon einige feststellen durften, die sich für viel Geld eine seltene Scheibe gegönnt haben, um dann festzustellen, dass es gute Gründe dafür gab, warum sich die Platte damals nur in homöopathischen Mengen verkaufen ließ.

Essentielle Musik wird in aller Regel neu aufgelegt oder zumindest in anderer Form auch wieder zugänglich gemacht. Bei Whisky wird es mit Reissues eher schwierig, dafür gibt es einen „natürlichen Schwund“, der dadurch bedingt ist, dass es sich um ein Genussmittel handelt, das nun einmal weniger wird, je mehr davon naschen. Alte Abfüllungen werden seltener und damit auch automatisch teurer. Gravierender ist es bei Whisky, der noch nicht einmal den Weg in eine Flasche gefunden hat, weil kein Holzfass wirklich dicht ist und dadurch pro Jahr ein gewisser Anteil an Flüssigkeit entfleucht. Je nach Klima verdunstet in trockener Umgebung mehr Wasseranteil, während sich bei feuchter Umgebung eher der Alkohol verflüchtigt. Das heißt, dass es eigentlich nur eine Frage der Zeit ist, bis ein Fass irgendwann leer ist, ohne dass davon auch nur ein Schluck verkostet wurde. Dieser „Angel’s Share“ führt unter anderem dazu, dass Whisky automatisch hochpreisiger wird, je länger er gelagert wurde, weil sich in einem älteren Fass einfach weniger Inhalt befindet. Bei Tonträgern nennt man die Ursachen für natürlichen Schwund „Zimmerbrand“, „Partyschäden“, „idiotische Post“, „Sperrmüll“ oder „nachtragendes Arschloch, das alle meine Platten weggeschmissen hat“.

Logischerweise spielen beim Whisky auch rein kaufmännische Aspekte eine Rolle. Kaum einer füllt eine riesige Charge ab in der Absicht, das Zeug dann vierzig bis fünfzig Jahre in einer riesigen Halle zu lagern, um es dann für schmales Geld unter die Leute zu bringen. Das wäre wie die Pressung einer Platte, die für die nächsten dreißig Jahre unverkäuflich ist. Jeder Whisky reift so lange, wie er sich in einem Fass befindet, um aus diesem mittels chemischer Interaktion allerhand Geschmacksstoffe aus dem Holz zu lösen oder von dem zu profitieren, was vorher in diesem Fass gelagert wurde. Wenn man auf den Hof einer schottischen Destille kommt, wird man in den meisten Fällen Jack-Daniel’s-Fässer antreffen, weil die Amerikaner diese für ihren Bourbon nur ein Mal verwenden und einen guten Teil ihres Umsatzes mit dem Handel eigens hergestellter und leicht gebrauchter Fässer bestreiten. Ob es sich lohnt, für ein vierzig Jahre lang in einem Eichenfass gelagertes Stöffchen Unsummen auszugeben, darüber kann man sich nur mit Leuten einigen, die es auch für fragwürdig halten, für eine heruntergenudelte 7“ einen vierstelligen Betrag hinzublättern, weil nur „original original ist“. Meine Meinung (die ich hier kundtue, sind ja meine Zeilen): Mach was du willst, ist schließlich dein Geld. Ich für meinen Teil sehe das wie ein altes Ehepaar, das jeden Abend gemeinsam vor dem Fernseher verbringt, irgendwann haben sie sich nichts mehr zu sagen. Und eine alte lahme Band wird auch nicht besser, nur weil sie das Prädikat „dienstälteste“ mit sich herumträgt. Ab einem gewissen Punkt kann ein Whisky aus einem Fass nichts mehr extrahieren, was den Geschmack weiter verfeinert. Soll heißen: Je länger er in einem Fass lagert, desto dominanter wird ein Geschmacksanteil, bis die Nuancen verschwinden. Wo man die Grenzen zieht? Bis etwa 18 Jahre bleibt es erschwinglich, darüber verhält es sich wie mit einer Stereoanlage für tausende Euro. Aber vielleicht hörst du da den Unterschied raus, ich nicht.

Bei Zweifeln empfehle ich die Teilnahme an einem Methusalem-Tasting, das um einen besonders alten und teuren Vertreter herumgebaut wurde.

Der angekündigte „Höhepunkt“ ist in der Regel keiner. Vielmehr fragt man sich oft, warum man für das Lutschen an einem feuchten gammeligen Stück Holz jetzt so viel Geld ausgegeben hat, und ob es von dem leckeren zweiten oder dritten Jungspund vielleicht noch Nachschlag geben könnte.

Es ist wie bei Bands: Oft sind junge, wilde, wesentlich aufregender als die alten Opas. Und natürlich gibt es bei den jungen auch eine ganze Menge, die einfach noch nicht so weit sind oder es nie sein werden, weil ein Obstbrenner aus einem hessischen Dorf viel besser doch bei seiner Zwetschge hätte bleiben sollen, statt mit Getreide zu experimentieren, um nach 36 Monaten Lagerung (erst dann darf er sich Whisky nennen) festzustellen, dass es doch nicht ganz so einfach ist. Die Altersangabe auf einem Whisky bezeichnet übrigens immer das jüngste der verwendeten Fässer, die zusammengeschüttet wurden, um diesen einen auf genau den Geschmack zu trimmen, den du gerade in deinem Glas hast. „Single Malt“ heißt nur, dass der Stoff aus ein und derselben Destille stammen muss, die ausschließlich mit gemälzter Gerste (brexitisch: „Malt“) als Werkstoff arbeitet, im Gegensatz zu einem „Blended“, der aus verschiedenen Destillen und unterschiedlichen Getreidesorten zusammengepanscht wird (weitere Abfälligkeiten darüber in einer späteren Folge). Fleißpunkt: „Single cask“, nennt man die Abfüllung aus ein und demselben Fass. Genug gelernt, diesmal: Null Rauch, null Torf.

Glenfarclas 105

Value for money! Die Glenfarclas-Destille hat ein solides Grundsortiment, das, wie ein gutes Plattenlabel, nicht etwa durch besonders ausgefallene Sonderverpackungen und zig verschiedene Farbeditionen (jede logischerweise „streng limitiert“) seiner Veröffentlichungen besticht, sondern durch die Qualität seiner Bands. Hochpreisiges findet man nur bei älteren Abfüllungen, aber die interessieren uns hier nicht. Der ausschließlich in Sherryfässern gelagerte Tropfen kitzelt den Rüssel mit allerhand Obst. Der Glenfarclas kommt nicht nur in einer 1-Liter-Flasche, er wird auch noch in Fassstärke abgefüllt und eignet sich so hervorragend zum Üben für die gefühlvolle Zugabe von Wasser. Wobei man sich hier schon extrem dämlich anstellen muss, um diesen Burschen zu versauen. Bei der richtigen Dosierung explodiert der 105 förmlich im gesamten Mundraum, ist trotz seiner Drehzahl aber erstaunlich fruchtig und druckvoll, ohne zu brennen. Wenn man sich dazu den kompletten Backkatalog der BUTTHOLE SURFERS reinzieht, sollte man anschließend für mindestens drei Tage nicht Auto fahren, weil die 60% definitiv ihren Tribut einfordern werden.

Glenmorangie – 10 Years

Der VW-Golf aus dem Hause Glenmorangie, das sich für einige Zeit im Besitz einer französischen Nobelhandtaschenmarke befand, wofür sich die Schotten bis heute ein klein wenig schämen. Ein sehr sonniger und fruchtiger Einsteigerwhisky. Auch hier in der Nase jede Menge Baumobst (Birne bis Mandarine und Pfirsich, wenn man übt oder schwindelt), im Mund ebenfalls fruchtig, mit etwas Vanille und Nüssen. Zwei Tropfen Wasser wirken kleine Wunder.

Einziges Problem: Wer einmal den Nectar D’Or (mit etwas viel Glück für knapp über 40 Euro zu kriegen) aus demselben Haus gekostet hat, der fährt nie wieder Golf. Was der Zehnjährige andeutet, löst der Nectar D’Or ein. Schmeckt aufgrund seiner extrem langanhaltenden Cremigkeit wie ein in edlem Sprit aufgelöstes Toffifee und riecht wie ein Schweizer Bienenstock. Dafür gibt es den „10“ in jeder besseren Kneipe und er passt zur lässigen Gitarrenwand von IROHA ebenso hervorragend wie sein großer Bruder.

Penderyn Legend

Die Waliser haben ellenlange Ortsnamen ohne einen einzigen Vokal, nehmen auf der Karte von Großbritannien die „Nase“ ein und stellen mit dem Penderyn (der derzeit einzigen Brennerei) auch einen sagenhaft fruchtigen Whisky her, der schon als ungelagerter Brand so manchen Obstler locker in die Schranken verweist. Ein Penderyn im Regal sieht mit seiner langen schlanken Flasche schon mal sehr nobel und weit teurer aus, als er wirklich ist. Der Legend hat zwar keine Jahresangabe, ist aber auch kein junger Wilder, sondern ein sehr fruchtiger Vertreter seiner Zunft mit einer wunderbaren Nase voller Blumen und Früchte, aus dem man mit etwas gutem Willen allerhand Beeren herausschmecken kann, vor allem Blaubeeren, grüne Äpfel und ungeschwefeltes Trockenobst, dazu kommt eine feine Cremigkeit wie von einem Karamellbonbon, die sich auf der Zunge niederlässt und sehr lange dort liegen bleibt. Perfekt für einen langen entspannten Abend mit den TERRIBLE FEELINGS (definitiv keine Bierband) oder leichter Depressionsbewältigung mit Lana Del Rey.