POWER TRIP

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Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

Schlagzeug und Gitarren können beim neuen, zweiten POWER TRIP-Album „Nightmare Logic“ (auf Southern Lord) wirklich alles. Immer wieder fühle ich mich an das 1989er CRO-MAGS-Album „Best Wishes“ erinnert. Die Band aus Dallas, Texas, die 2013 ihr Debüt „Manifest Decimation“ veröffentlichte, seit 2008 aber schon mit verschiedenen Kleinformaten in Erscheinung getreten war, eifert unverkennbar New Yorker Spätachtziger-Heroen wie LUDICHRIST, LEEWAY, CRUMBSUCKERS und eben CRO-MAGS nach und hat engagierte Texte, die sich beispielsweise mit der religiösen Rechten auseinandersetzen („Crucifixation“) oder dem Gebaren der Pharmaindustrie („Waiting around to die“). Ich sprach mit Frontmann Riley Gale.

Zuerst die Basics: Wann, wie, wo, wer und warum?

POWER TRIP haben sich 2008 in Texas gegründet. Seit ich vor über zehn Jahren zum ersten Mal mit der Musikszene in Dallas in Berührung gekommen war, ist sie ums Zehnfache gewachsen. Jetzt ist sie eine meiner Lieblingsszenen der Welt. Hier ist jede Subszene sehr offen und alle unterstützen sich gegenseitig. Und wenn deine Musik und deine Mühe von Herzen kommen, dann belohnt dich die Stadt dafür – wie sie es bei uns getan hat. 2011, vielleicht früher oder ein bisschen später, ist Chris Ulsh zu uns gestoßen. Die erste Platte, an der er beteiligt war, ist die „Power Trip“-7“, die 2012 auf Lockin’ Out veröffentlicht wurde. Alle anderen in der Band sind noch die Originalbesetzung, aber er ist bereits länger dabei als jeder bisherige Drummer vor ihm. Ein wichtiger Wendepunkt für die Band waren die Veröffentlichungen des Songs „Hammer of doubt“ und eben die von dieser 7“. Die verschafften uns Aufmerksamkeit, wahrscheinlich auch die von Southern Lord. Ausschlaggebend war auch die Tour mit LAMB OF GOD und ANTHRAX, denn das war unsere erste Chance, jeden Abend vor großen Menschenmengen zu spielen, die uns vorher noch nie gehört hatten ... und sie mochten uns. Uns wurde erst während dieser Tour bewusst, dass wir ein breites Publikum erreichen und begeistern können.

Habt ihr ein grundsätzliches Anliegen?

Wir sitzen auf diesem Planeten, einem Steinbrocken im All, und werden da so schnell nicht weg kommen. Und so groß, wie wir denken, ist dieser Steinbrocken nicht. Wir haben diesen Irrgauben, dass Mutter Erde doch immer genug für uns alle haben wird und es genug Platz für uns alle gibt, aber das stimmt nicht. Was wollen doch alle in Frieden zusammenleben. Zu behaupten, das sei nicht möglich, ist dumm. Dazu müssen wir aber verstehen, dass wir alle gleich sind. Angeblich sind wir ja auch die Krone der Schöpfung, anders als die Tiere. Aber das zu glauben, so naiv bin ich nicht. Ich kenne die Umstände, ich weiß, wie wir mit Erde umgegangen sind, und weiß auch, dass die Verwirklichung von Utopien nicht unmöglich ist. Ich habe schon als Kind viel Science Fiction gelesen, mich bei Drogenexperimenten als Erwachsener selbst beobachtet, und interessiere mich sehr für Technologie und Zukunftstheorien. Dadurch bin ich mir sicher, dass der menschliche Verstand uns dazu befähigen kann, jedes irdische Problem zu lösen. Wir sollten doch verdammt nochmal in der Lage sein, uns von Rassismus, Homophobie, Fremdenfeindlichkeit und dem ganzen Scheiß abzuwenden und uns weiterzuentwickeln. Aber was noch wichtiger ist: Wir müssen verstehen, dass wir Grenzen oder Nationen nicht brauchen. Und wir müssen empfänglicher werden für das, was in uns und ums herum vorgeht. Dann werden Probleme, die vorher riesig oder sogar unüberwindbar schienen, ein bisschen kleiner. Persönliche Probleme haben immer auch einen Einfluss auf das große Ganze. Wir müssen verstehen, dass wir alle wie ein großes Gewebe miteinander verbunden sind.

Es gibt viele Labels da draußen – warum habt ihr euch für Southern Lord entschieden?

Southern Lord war das erste, große Indielabel, das mit uns arbeiten wollte. Sie helfen uns, wir helfen ihnen – es ist eine tolle Beziehung. Greg Anderson, der das Label mitbegründet hat, kümmert sich gut um seine Bands. Dass wir mittlerweile eines der „Flaggschiffe“ des Labels sind, haben wir der Tatsache zu verdanken, dass Greg und seine Crew sich für uns wirklich den Arsch aufgerissen haben.

Wenn ich eure Alben höre, muss ich an „Best Wishes“ von CRO-MAGS, an LUDICHRIST, LEEWAY, CRUMBSUCKERS, EXODUS oder auch PANTERA denken. Sind das Bands, die ich in euren Plattenregalen finden würde? Und habe ich welche vergessen?

Wenn ich ganz ehrlich sein soll, sind wir nicht sonderlich beeinflusst von PANTERA, weder musikalisch noch im ästhetischen Sinne. Klar, sie sind die erste Band, an die man denken muss, wenn’s um „Texas/Dallas-Metal“ geht, aber wir kommen aus einer anderen Szene und haben uns eigenständig entwickelt. Ich würde sagen, dass uns am Anfang die New-York-Hardcore/Crossover-Szene stark beeinflusst hat, also liegst du mit CRUMBSUCKERS, LEEWAY, CRO-MAGS, KILLING TIME, THE ICEMEN, PRONG, NUCLEAR ASSAULT und Co. ganz richtig. Mit dem Hineinwachsen jedes Mitglieds in seine Rolle in der Band konnten wir immer mehr Metal-Sounds einbringen. Gerade auch die Thrash-Band der Westcoast sind ein Einfluss: EXODUS, VIO-LENCE, EXCEL, BEOWÜLF, SUICIDAL TENDENCIES. Aber seit unserer ersten 7“ haben wir uns immer mehr an Bands wie DISCHARGE, ENTOMBED, ANTI-CIMEX, SACRILEGE, DRILLER KILLER, ENGLISH DOGS und sogar GODFLESH herangestastet. Aus der Summe all dieser Einflüsse schaffen wir unseren eigenen Sound.

Aus einem Sound, der seine Wurzeln in den Achtzigern hat, etwas Neues schaffen – darin seid ihr gut. Welche neuen Elemente habt ihr eingebracht?

In unserer Band stimmt die Chemie, so dass jeder von uns mit den Ideen eines anderen etwas anfangen kann. Gleichzeitig sehr cool und sehr frustrierend kann es allerdings sein, wenn wir unterschiedliche Versionen eines Songs im Kopf haben. Dadurch musste ich eine Menge unterschiedlicher Dinge ausprobieren. Letztendlich denke ich aber, dass die Songs, die am schwierigsten zu schreiben und arrangieren sind, auf dem Album hinterher die stärksten sind. Unser Songwriting ist viel nuancierter geworden, um nicht zu sagen clever. Wir machen Dinge, die wir vorher nie ausprobiert haben, aber wir bewegen uns nicht zu weit weg von unserem bisherigen, aggressiven Stil. Wir können viel interessantere Dinge mit unserer Musik ausprobieren als früher, was nicht zuletzt auch daran liegt, dass jeder von uns besser geworden ist auf seinem Instrument und in seine Rolle in der Band hineingefunden hat.

Erklärst du mir bitte den Hintergrund zu drei Songs? Zuerst: „Crucifixation“ ...

Das ist ein erfundenes Wort, das auf religiöse Fanatiker anspielt, und ihre Fixiertheit darauf, andere von Jesus zu überzeugen. Darauf, wie absurd und scheinheilig die christliche, konservative Bevölkerungsgruppe in Amerika sein kann. Man könnte ja meinen, dass ihr höchstes Gut die „Erhaltung“ ihrer Werte unter sich sei – leben und leben lassen. Allerdings ist es leider eher so, dass sie um jeden Preis versuchen, anderen ihr Wertesystem aufzudrücken. Die sind so vernarrt in die „Erlösung“ anderer, dass sie die Lehren ihres eigenen „Erlösers“ komplett vergessen und ihre Mission auch mit Gewalt umsetzen. Sie quälen Homosexuelle, damit sie „straight“ werden. Sie betreiben Brainwashing, um ihren Einfluss auf die amerikanischen Politik zu behalten.

„Waiting around to die“ ...

Ich bin absolut kein Country-Fan, aber ich liebe den Song „Waiting around to die“ von Townes Van Zandt. Er war ein bemerkenswerter Songwriter und ein sehr interessanter Mensch mit einer bemerkenswerten Lebensgeschichte. Es ist einer der schönsten, herzzerreißendsten Songs, die jemals geschrieben wurden, und ich denke sehr viel über seinen Text nach. Ich musste mich anstrengen, seinem Vorbild gerecht zu werden. In dem Song beschreibt er einen Mann mit einem schillernden, aber verzweifelten Leben, der am Ende einer Codeinsucht verfällt und sich dazu entscheidet, mit der Droge auf den Tod zu warten. In unserer Version dieses Songs geht es um dieselbe Person, aber wir lassen sie nicht auf diese Art sterben, sondern sie zieht sich aus diesem Sumpf der Verzweiflung heraus. Ich habe die Worte „waiting around to die“ genommen und versucht, sie im Kopf des Mannes in etwas Positives zu transformieren. Ein Selbstmord auf Raten ist keine Alternative. Im Freundeskreis der Band gibt es Leute, die mitten im Drogenentzug stecken oder einen hinter sich haben. Der Song ist auch ein Danke an diese Menschen, dafür, dass sie ihr Leben wieder in die eigene Hand genommen haben.

„Ruination“

Dahinter stecke ich, ich zeige mich sowohl von meiner pessimistischsten und meiner forschsten Seite. Amerika, aber auch die Menschheit an sich, ist daran gescheitert, selbst die simpelsten Probleme, die wir selbst erschaffen haben, zu lösen. Jetzt haben wir den „point of no return“ unserer „ruined nation“ überschritten. Ich glaube, dass viele Menschen – auch wenn sie sich nicht trauen, das zuzugeben – sogar fasziniert von der Vorstellung sind, dass wir uns selbst zerstören oder uns vom Universum verschlingen lassen.

Es wurde schon viel darüber spekuliert, wie Trumps Wahlkampf und Sieg die amerikanische Gesellschaft beeinflussen wird. Jetzt, nach drei Monaten: Was hat sich verändert?

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob er schon schwächelt oder sich gerade erst warm läuft. Ich bin stolz, dass es Leute gibt, die sich seiner Tyrannei widersetzen – er ist allerdings ein ziemlich hartnäckiger Soziopath und wird bekommen, was er will. In seinen ersten hundert Amtstagen hat sich noch nicht viel verändert, abgesehen von den schwer belasteten internationalen Beziehungen zu Syrien, Nordkorea, Russland, China, Mexiko – eigentlich allen Ländern. Für uns ist es ein wenig peinlich, auf Tour in Europa jeden Abend erzählen zu müssen: „Nein, wir haben nicht für Trump gestimmt.“ Wir haben in den USA noch einen weiten Weg vor uns und ich weiß echt nicht, was ich erwarten soll. Meine Erwartungen sind allerdings ziemlich düster.