INTEGRITY

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Sprechstunde bei Doomian

2018 Jahr feiern INTEGRITY ihr 30-jähriges Bandjubiläum. Die Band aus Cleveland, Ohio hat schon unzählige Besetzungswechsel absolviert und sich in all den Jahren immer haarscharf an der Schnittstelle zwischen Hardcore und Metal bewegt. Einzige Konstante bei INTEGRITY ist Frontmann Dwid Hellion. Er bestimmt den Sound, er gibt den Takt vor. Mit ihrem inzwischen zwölften Studioalbum „Howling, For The Nightmare Shall Consume“ ist die Band bei Relapse Records in Philadelphia, Pennsylvania gelandet. Und das, obwohl Dwid Hellion aka John Brian McClimans seit 14 Jahren in Belgien lebt.

Dwid, das neue Album mal wieder eine sehr dunkle, apokalyptische Platte geworden. Ich kann keinen einzigen Funken Hoffnung entdecken.

Das ist definitiv ein entscheidender Faktor dabei. Das Album hat aber eine Menge Aspekte und jeder Song hat seine eigene Geschichte. Ich hoffe, sie passen einigermaßen gut zusammen, damit sie auch als Einheit Sinn machen.

Gibt es denn so was wie eine Grundidee oder einen roten Faden? Es geht doch um die letzten Tage auf der Erde ...

Die große Idee dahinter ist eher, was wäre, wenn der britische Maler Francis Bacon zu einem frühen Zeitpunkt in seiner Karriere betrunken eine Séance gehabt hatte. Und diese Séance hätte ihn zu verschiedenen historischen Events in verschiedenen Zeitaltern geführt. Dinge, die wirklich stattgefunden haben. Und er wäre in der Lage gewesen, diesen Ereignissen als Zeuge beizuwohnen. Und wie diese Ereignisse seine Sicht auf die Welt nach dieser Erfahrung beeinflusst hätten. Er würde die Menschen als die Dämonen sehen, die sie in Wirklichkeit sind und er wäre in der Lage, sie zu malen. Was ihn in seiner Karriere als Maler zu dem gemacht hat, was er ist.

Ist es ein Konzeptalbum oder eine Idee, die in allen Songs immer wieder auftaucht?

Jeder Song hat seine eigene Story. Und die Geschichte mit Francis Bacon hält alle diese Songs zusammen. Mit einer Ausnahme: „Die with your boots on“. Diesen Song habe ich zum Tod von Lemmy Kilmister von MOTÖRHEAD geschrieben. Eine Art Tribute an Lemmy.

Lass uns über die Songs reden. Was steckt hinter „I am the spell“?

Ich will eigentlich nicht verraten, worum es in den Songs im Einzelnen geht, weil ich den festen Glauben habe, wenn jemand die Songs anhört, interpretiert er sie auf seine Weise. Und durch die Interpretation werden die Hörer Teil des Songs. Ihre Persönlichkeit, ihre Vorstellungskraft, ihre Kreativität. Als ich noch jünger war, also bevor ich selbst Musik gemacht habe, habe ich herausgefunden, dass es eine beeindruckende Qualität hat, Musik zu erfahren. Selbst wenn ich manche Songs damals völlig missverstanden und ihnen dadurch eine ganz andere Bedeutung gegeben habe. Trotzdem hatte es für mich einen ganz speziellen Wert, es war mein eigener kleiner Anteil an dem Song, mein kleiner Beitrag an dieser Kollaboration mit den Bands, die ich in dieser Zeit gehört habe. Das hat für mich eine magische Qualität und das will ich meinem neuen Album nicht nehmen, dadurch, dass ich zu viel über die Songs verrate. Das ist für mich, als ob du einen Film schaust und jemand verrät dir schon das Ende der Handlung. Ich bevorzuge es, dass die Leute diese Songs selbst interpretieren und dann entscheiden, wie sie die Inhalte empfinden und werten. Das ist schon immer ein sehr wichtiger Aspekt meiner Band gewesen. Im Laufe der Jahre sind immer wieder Leute zu mir gekommen und haben mich nach der Bedeutung einzelner Songs gefragt und haben mir erzählt, wie sie darüber denken. Oft hat es eine große Bedeutung für sie und ganz oft liegen sie mit ihrer Interpretation auch völlig daneben. Aber ich finde es sehr wertvoll, dass sie sich die Zeit genommen haben und ihre eigene Vorstellungskraft in den Song eingebaut und den Song damit für sich erobert haben. Das ist für mich ein unbezahlbarer Aspekt im Zusammenspiel zwischen mir und dem Publikum.

Welche Bands waren denn wichtig für dich, als du noch jünger warst?

Da gab es eine Menge Bands. Ich bin in Indiana und Louisville, Kentucky aufgewachsen. Deshalb war die erste Musik, mit der ich Kontakt hatte, natürlich Country- und Blues-Musik. Und von da aus hat sich mein Interesse an Heavy Metal entwickelt. Anfangs natürlich Bands, die damals jeder gut fand, wie LED ZEPPELIN. Dann natürlich BLACK SABBATH, DIO, QUIET RIOT oder TWISTED SISTER. In den frühen Achtzigern als Teenager hatte ich dann ersten Kontakt zur Punkszene und interessierte mich für Bands wie BLACK FLAG und DEAD KENNEDYS. Dann habe ich mir eine Doppel-LP-Compilation namens „P.E.A.C.E./War“ von R Radical Records gekauft, mit Bands von überall auf der Welt. Der Typ aus dem Plattenladen, der mir die Platte verkauft hat, sagte zu mir: „Das ist ein guter Deal für dich. Zwei Platten und ein dickes Booklet!“ Das Booklet sah ein bisschen aus wie eine Ausgabe des Maximum Rocknroll-Magazins. Jede Band auf der Kompilation wurde auf einer Seite des Booklets vorgestellt. Und durch diese Platte habe ich eine Menge großartiger Underground-Bands für mich entdeckt. Zum Beispiel SEPTIC DEATH, eine Mischung aus Thrash und Grind. Sehr schnelle Musik, die man kaum beschreiben kann. Und natürlich hat mich auch das spezielle Artwork der Alben und Singles sehr beeindruckt. Und dann gab es noch die japanische Hardcore-Punk-Band G.I.S.M., die mir sehr wichtig ist. Denn sie hatten einen sehr starken künstlerischen Ausdruck in ihrer Musik. Das hat mich sofort angesprochen. Heute bin ich immer noch ein großer Fan von beiden Bands. Die haben mir den Weg bereitet, auf dem ich mich heute als Künstler befinde.

Charakteristisch für die Alben von INTEGRITY ist der dunkle Vibe. Woher kommt denn diese Negativität?

Die kommt wahrscheinlich aus meinem Inneren und von meinen Problemen. Außerdem habe ich schon früh Blues gehört. Der Blues war die erste Musik, die sich mit dem Teufel beschäftigt hat, lange bevor Ozzy Osbourne der Fledermaus den Kopf abgebissen hat. Das war die erste Form von Dunkelheit, die mich beeinflusst hat. Und dann kam natürlich der Heavy Metal. Ich schreibe einfach Songs, die ausdrücken wie ich fühle und wie ich bin. Andere Musik wäre für mich einfach nicht ehrlich, die würde man mir nicht abnehmen. Ich glaube auch nicht, dass ich die Fähigkeit habe, solche Songs zu schreiben. Wenn ich das könnte, wäre ich wahrscheinlich auch viel erfolgreicher, denn jeder will sich gut fühlen. Meine Muse ist ein dunkler Dreckbatzen, der in meinem Hinterkopf lebt und auf mein Hirn trommelt, bis ich meinen Verstand verliere. Das habe ich mir nicht ausgesucht. So ist es einfach.

Ich habe gelesen, dass du Mitglied einer satanischen Kirche warst oder bist. Stimmt das?

Das haben Leute im Internet über mich geschrieben. Und du darfst nicht alles glauben, was du im Internet liest.

Das mache ich auch nicht, deshalb frage ich ja dich.

Nein, es stimmt nicht. Ich denke es gibt aktuell gar keine satanischen Kirchen, denen man sich anschließen kann. Es gibt natürlich die Process Church of the Final Judgment, die wahrscheinlich satanistischste von allen. Aber ich bin kein Teil davon. Ich bewundere einige Dinge, die sie in den letzten Jahren geleistet haben. Aber ich bin kein Mitglied.

Das Line-Up von INTEGRITY hat sich im Lauf der Jahr sehr oft verändert. Woran liegt das?

In 30 Jahren kann sich das schon mal ändern. Damit die Songs immer frisch klingen, ist es einfach auch gut, es den Leuten nicht zu komfortabel zu machen. Damit sie weiter Zeitaufwand und Leidenschaft in die Songs investieren. Und deshalb sind viele einfach von selbst gegangen oder einfach rausgeflogen. Das ist der eine Grund für die häufigen Wechsel im Line-Up und dazu kommt, dass viele gesagt haben: Das ist nicht die Art von Musik, die mir länger Spaß macht! 30 Jahre ist eine lange Zeit, ich möchte eine andere Art von Musik machen. Deshalb haben viele Musiker INTEGRITY verlassen und plötzlich völlig andere Musik gemacht. Manche mehr populäre Musik, manche eher Punkrock. Wir hatten also eine Menge unterschiedliche Bandbesetzungen. Frisches Blut, um den Drachen zu füttern, haha!

Wer gehört zum aktuellen Line-Up von INTEGRITY?

Mein aktueller Songwriting-Partner ist Domenic Romeo, du kennst ihn vielleicht von der Band PULLING TEETH. Außerdem hat er ein Plattenlabel namens A389 Recordings und hat schon über 200 Alben herausgebracht. Vor allem Hardcore-Bands. Er ist ein langjähriger Freund von mir und wir haben schon viele Jahre darüber geredet, zusammen Musik zu machen und irgendwann hat es dann geklappt. Vor zweieinhalb Jahren haben wir angefangen, das aktuelle Album zu schreiben und jetzt halten wir es in unseren Händen.

Er ist verantwortlich für die Musik und du für die Texte?

Ja, so kann man das beschreiben. Ich beteilige mich zwar auch am Songwriting, aber er ist zuständig für alles, was mit Gitarren zu tun hat.

„Howling, For The Nightmare Shall Consume“ ist das erste INTEGRITY-Album, dass bei Relapse Records erscheint. Wie kam es dazu?

Relapse haben sich bei mir gemeldet und gesagt, dass sie Interesse hätten, unser neues Album herauszubringen. Relapse ist ein großartiges Label, wir wollten schon immer mit ihnen arbeiten. Schon in den Neunzigern wollte ich mit meinem Album „Humanity Is The Devil“ zu Relapse, aber damals waren sie nicht interessiert. Jetzt ist das der Fall und es ist eine große Ehre für mich, auf diesem Label zu veröffentlichen. Und sie behandeln uns vorbildlich, besser als alle anderen Labels bisher.

Du hast mit Holy Terror Records doch auch ein eigenes Label. Warum veröffentlicht INTEGRITY nicht da?

Ich habe in der Vergangenheit meine Platten selbst veröffentlicht. Aber ich habe einfach nicht die Reichweite, die Professionalität und die Zeit, das selbst zu stemmen. Ich habe es früher mehrmals selbst versucht und es hat nie besonders gut geklappt. Wahrscheinlich weißt du gar nicht, dass ich diese Platten gemacht habe und das spricht Bände über die fehlende Effektivität meines Labels. Mein Label ist sehr klein. Damit tue ich keinem einen Gefallen. Ich habe das nur zu meinem eigenen Vergnügen, quasi als Hobby, gegründet. In den letzten zwei oder drei Jahren habe ich gar nichts veröffentlicht.

Wie kommt es eigentlich, dass du auf deiner aktuellen Tour durch Deutschland in so winzigen Clubs spielst? Im Schweinfurter Stattbahnhof zum Beispiel wart ihr nicht im großen, sondern im kleinen Saal. Der ist mit 100 Leuten bereits krachvoll.

So ist es eben. Da sind wir nach all den Jahren gelandet. Ich weiß nicht so genau, was ich auf diese Frage antworten soll.

Für viele Leute seid ihr ja die Blaupause für viele Metalcore-Bands wie HATEBREED oder PARKWAY DRIVE, die aktuell sehr erfolgreich sind. Zur PARKWAY DRIVE-Show in München kamen rund 6.000 Besucher.

Ob wir andere Bands beeinflusst haben, da beziehe ich mich auf den Bluesmusiker Willie Dixon und wie er sein Leben gelebt hat, obwohl große Bands wie LED ZEPPELIN von seinem Songwriting sehr inspiriert waren. Diese Bands kennt jeder, aber vermutlich kennt keiner Willie Dixon. Vielleicht sehe ich einfach nicht gut genug aus? Vielleicht liegt es auch daran, dass die Leute unsere Musik einfach nicht mögen. Die Musik, die ich mache, ist eher für mich und behandelt Dinge, an die ich glaube und wie ich die Welt sehe. Das heißt nicht zwangsläufig, dass das auch populäre Musik ist. Ich weiß nicht viel über die Bands, die du erwähnt hast, aber vielleicht geht es in ihren Songs mehr darum, sich gut zu fühlen. Etwas, mit dem die Menschen im Publikum der wöchentlichen Bürde ihrer Jobs oder Schulen entfliehen können. Ich vermittle eher unglückliche Inhalte.

Du hast neben INTEGRITY auch ein Horror-Soundtrack-Projekt namens VERMAPYRE. Wie ist das entstanden?

Ich baue alle Instrumente für dieses Projekt von Hand und mache Musik, die gut als Soundtrack zu alten Horrorfilmen passen würden. Zum Beispiel deutsche expressionistische Horrorfilme wie die „Mabuse“-Filme von Fritz Lang. Da geht es nur um mein eigenes Vergnügen. Ich habe mit sogar eine elektrische Gitarre selbst gebaut und ein paar von diesen Instrumenten haben wir auch für das neue INTEGRITY-Album verwendet. Zum Beginn des Songs „7 Reece Mews“ hört man zum Beispiel den Sound einer Kette, die auf den Boden schlägt. Das ist ein Instrument, das ein Freund aus Alabama für mich gebaut hat, um den Sound von aneinandergeketteten Strafgefangenen zu simulieren, die gerade Steine klopfen. Und es sieht aus wie die Cyber-Punk-Version einer Kickdrum. Solche Instrumente kann man nicht im Laden kaufen. Ich habe zum Beispiel auch ein Klavier in zwei Hälften geschnitten. Und ich bespiele nur die eine Hälfte mit Fingernägeln, Trommelstöcken oder Hämmern. Ich mag solche Dinge eben.

Vor 14 Jahren hast du dich entschieden, nach Belgien zu ziehen und lebst immer noch dort. Warum ausgerechnet Belgien?

Sie machen sehr gutes Bier. Aber der Grund ist natürlich, dass meine Frau Belgierin ist. Sie wollte nicht länger in Amerika bleiben, weil es für sie einfach ein verrücktes Land ist. Wie wir jeden Tag in den Nachrichten sehen können, haha. Aber Europa holt gerade kräftig auf.

Was ist für dich der größte Unterschied zwischen dem Leben in den USA und dem Leben in Europa?

In Belgien zu leben ist unbequemer. Eine Menge Leute erzählen mir hier, dass irgendwas nicht möglich sei. In Amerika finde ich immer Leute, die Dinge möglich machen. In Belgien ist dagegen das Gesundheitssystem besser. Die Gegend, in der ich lebe, ist eine kleine Stadt mit Mittelalter-Flair. Das ist sehr inspirierend für mich.

Nächstes Jahr feiert INTEGRITY 30-jähriges Bandjubiläum. Was bedeutet das für dich?

Das bedeutet vor allem, dass ich alt werde, denke ich, haha. 30 Jahre lang vor 50 Leuten spielen ... Ich weiß nicht, ob das unbedingt das beste Investment ist, aber ich mache einfach weiter.