NICK CAVE

Zum 60. Geburtstag

Am 22. September wird Nick Cave sechzig Jahre alt. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hatte er noch 2014 mit entsprechendem Unterton verlauten lassen: „Ich bin immer noch ein Punk, nur habe ich jetzt einen Schneider.“

Vermutlich einer der besseren Schneider im Londoner Stadtteil Maifair. Er kann nicht ohne Anzüge. In weit über dreißig Jahren auf 16 Alben veröffentlichte Nick Cave mit dem Musikerkollektiv NICK CAVE AND THE BAD SEEDS dunkel-ästhetische Songs, in denen er die Selbstheilung in Moll perfektionierte. Wie kein zweiter erkor Nick Cave Tod, Trauer, Obsessionen, die Apokalypse, Gewalt, die Bibel, Mord, Schmerz und die abseitigen Aspekte der Liebe zum Stimulus seines kreativen Schöpfungsakts und unterfütterte seine Texte durch Literatur von Vladimir Nabokov, Fjodor Dostojewski, William Faulkner und Dylan Thomas. In sein stetes Ringen voll Pathos mit Gott, dem Teufel, unzähligen Jungfrauen, dem Kampf zwischen Engeln und Dämonen bezog er Gesangspartner wie Kylie Minogue, Shane MacGowan, Blixa Bargeld (mit dem er sein bestes Klagelied darbietet), Johnny Cash und PJ Harvey mit ein. Er arbeitet konstant und konsequent, ohne Aussetzer, getrieben und diszipliniert: „Ich stehe morgens auf und gehe an die Arbeit, egal wie es mir geht.“

Nick Cave, zu dessen wichtigsten Einflüssen Leonard Cohen zählt, war und ist ein Garant für stimmungsvolle Lyrik und das Gesicht eigener diffuser und unscharfer Bedrohungsszenarien, Projektionen und dunkler Fantasien, denen man sich aussetzt und vor denen man sich nicht verkriechen kann: er schreibt den passenden Soundtrack dazu. Sein letztes Album, „Skeleton Tree“ (2016), der traurige Höhepunkt in seinem Oeuvre, steht unter dem Einfluss des frühen Todes seines 15-jährigen Sohns Arthur im Jahr 2015. Oft sind es Klagegesänge, sein spezieller dunkler Gospel und Blues (auch in der Tradition der Bluesikone Robert Johnson, den er in „Higgs Boson blues“ erwähnt), ganz ohne erlösende Refrains wie im eindringlichen „I need you“, das direkt an Sohn Arthur gerichtet zu sein scheint und mit einem im Off verhallenden „Just breathe, just breathe, in need you“ endet. Jahrzehnte lang hat er über den Tod gesungen, der Tod des eigenen Sohns skelettiert ihn musikalisch und emotional auf ein Minimum. Nach den Aufnahmen zu „Skeleton Tree“ entzaubert Cave ein oft verwendetes Klischee über den kreativen Impetus von Trauer: Es sei ein Mysterium, dass aus großer Trauer große Kunst entstehe, ein Trauma zerstört den kreativen Prozess. Da ist nichts Erhabenes.

Der kreative Ansatz von Cave ist heute ein anderer. Er möchte aus den gewöhnlichen Dingen etwas Großartiges, Monumentales, Merkwürdiges schaffen: „Wenn du älter wirst, schrumpft deine Welt. Du hast weniger Freunde, weniger Beziehungen, Routine setzt ein. Und deshalb muss deine Fantasie noch stärker arbeiten“, sagt er. Für Nick Cave war auf einigen Alben die Bibel, oder besser deren inspirierende Wortgewalt, ein starker Einfluss. Er glaubt an die Idee Gottes, weniger an Gott als Wesen: „Für mich ist es eine sehr liebenswerte Eigenschaft des Menschen, dass er zu dieser Vorstellung imstande ist. Dass sich eben nicht alles nur um Sex und Fressen dreht.“ Songs schreiben bedeutet für ihn heute mehr denn je eine Artikulation des inneren Gleichgewichts, um Dinge über sich selbst herauszufinden. Die Musik war früher, wie er sagt, teilweise etwas anstrengend und konfliktgeladener, aber er hat gelernt, den Zuhörer einzubeziehen. Die Songs, die er in jüngster Zeit schrieb, sind geheimnisvoller, weniger greifbar und deshalb will er den Hörer einladen, sich mit seiner Fantasie einzuklinken. Seine lyrischen Kontrapunkte sind nicht mehr so gewalttätig wie früher: „Ich liebe Kontrapunkte, eine Gedichtzeile mit der folgenden zu vergewaltigen.“

Nick Cave, der eigentlich Maler werden wollte und in der Kunsthochschule durchgefallen ist, hat in über dreißig Jahren seinen eigenen referenzlosen Kosmos geschaffen, der wie in unzähligen konzentrischen Kreisen ebenfalls unzählige Musiker beeinflusst. Die Moritaten werden ihn weiter begleiten oder wie er es ausdrückt: „There will always be suffering, it flows through life like water.“