Cover-Ikonen: ADVERTS - Gary Gilmore’s Eyes (Anchor, 1977)

Foto

Im Alter von 36 hatte Gary Mark Gilmore bereits eine lange kriminelle Karriere hinter sich und die Hälfte seines Leben in Haft- und Besserungsanstalten verbracht. Als er im Frühjahr 1976 auf Bewährung entlassen wurde, beging er in rascher Folge bei Raubüberfällen zwei Morde, wurde bald gefasst und 1976 im US-Bundesstaat Utah zum Tode verurteilt. Fast zehn Jahre lang war in den USA kein Todesurteil mehr vollstreckt worden und auch Gilmore wäre wohl nicht hingerichtet worden, hätte er nicht selbst für den Vollzug seiner Strafe gekämpft und dadurch internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Es sei sein Leben und sein Tod und er wolle dem Tod durch ein (in Utah gesetzlich erlaubtes) Erschießungskommando „mit Mut und Würde“ entgegentreten. Nach zwei gescheiterten Selbstmordversuchen konnte er sich durchsetzen, verkaufte die Rechte an seiner Biografie für 100.000 US-Dollar, stellte einige seiner Organe für Transplantationszwecken zur Verfügung und verabschiedete sich angeblich mit den Worten: „Let’s do it.“ Das hat offensichtlich ein Werbemensch namens Dan Wieden in Portland, Oregon mitbekommen und für einen großen Sporthersteller leicht abgewandelt. Nun ja ...

Auch die 1976 im Zuge der ersten englischen Punk-Welle gegründeten ADVERTS um TV Smith haben die Kontroverse um Gary Gilmore verfolgt und in ihrer auf die medizinische Nutzung von Gilmores Körperteilen anspielende Hitsingle „Gary Gilmore’s Eyes“ verarbeitet. Ein bisschen Provokation muss schließlich sein. Weit weniger provokant setzte ROXY MUSIC-Hofdesigner Nicholas De Ville das Cover der Single um und verarbeitete dabei Klischees aus dem Punk-Baukasten wie Kollagen, Copy & Paste, Zeitungsschnipselfetzen aus Gilmore-Interviews („I don’t think the heart will be usable. [Laughs]“), verfremdeten Fotos der Bandmitglieder mit Augenbalken (nur das Gilmore-Foto unten links hat keinen) in Kombination mit damals aktuellen Farbtrends – Magenta, Türkis und Orange sollten bald die Massenprodukte der Achtziger dominieren. Zugegeben, das spricht in Sachen Credibility nicht unbedingt für die Band, die, wie so viele in dieser Zeit, von einem findigen Label unter Vertrag genommen und mit ausgefuchsten Marketingstrategen groß in Szene gesetzt wurde. Aber warum auch nicht, wenn dadurch gute Musik ein größeres Publikum erreichen kann. Erstaunlicherweise hat man auf eine visuelle Hervorhebung der Bassistin Gaye Advert verzichtet, also immerhin eine weitere abgedroschene Vermarktungsnummer ausgelassen. So oder so hatte die Band nicht viel Zeit, ihren wohlverdienten Erfolg auszukosten: Die ADVERTS veröffentlichten zwar noch zwei Alben, lösten sich aber nach in Rechtsstreitigkeiten mündenden Umbesetzungen schon 1979 wieder auf.