Dafür / dagegen: Müssen alte Bands eigentlich noch neue Platten aufnehmen?

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Braucht irgendwer ein neues Album von einer Band, die ihre Hits schon vor 20, 30, 40 Jahrem aufgenommen hat? Ist so was nicht nur eine lästige Pflichtübung, wenn live doch nur die Klassiker gefragt sind? Was spricht dafür, was dagegen?

Dafür

Wir brauchen mehr Regeln im Punkrock! Kein Labelwechsel ohne vorherige basisdemokratische Befragung der Fans. Auftritte nur mit mindestens zwei Dritteln der Originalbesetzung. Obergrenze für Gagen und Merchandise. Und wichtig: maximal fünf Platten pro Band.

Pech gehabt, wenn die alten Säcke sich sich im Laufe ihres Musikerlebens künstlerisch verändern, ihre Leidenschaft ausleben oder – ganz böse – damit sogar Geld verdienen wollen. Wer frei ist von Lebenshaltungskosten, der werfe den ersten Stein! Schon setzt bei vielen dieser spätjuvenile Abgrenzungsmodus ein. Ausverkauf! Szeneverrat! Ein „Live fast, die young“ findet bei vielen Musikern nicht statt. Stattdessen macht sich in der dogmenkritischen Punkrockerwelt eine Form von Ageism breit, der hausbackener nicht sein könnte. Wenn deine Wertschätzung für einen Künstler abnimmt, dann lässt sich subkulturelles Fantum und marktwirtschaftliche Verwertungslogik gut kombinieren: Kauf die Alben einfach nicht mehr! Dein Sammlertrieb ist nicht die Schuld des Künstlers. Was sind schon sogenannte Klassiker? Oft doch einfach wenig beachtete Erstlingswerke, die im Nachhinein verkitscht überhöht werden und dem Spätwerk qualitativ in nichts voraus sind.

Dass man als Fan mit seinen Lieblingsbands älter werden kann, hat auch etwas Beruhigendes. Es ist doch beachtlich, wie viele Bands jenseits der fünfzig Lenze Musik noch ausleben. Punk ist keine passing phase, sondern ein hartnäckiges und langlebiges kulturelles Phänomen. Es gibt 25-, 30-, 35-jährige Bandjubiläen auch ohne die ganz fetten Gagen und bei rückläufigen Tonträgerverkäufen. Wie heißt es doch bei den SPERMBIRDS in „Get on the stage“: „I’m not talkin’ ’bout playin’ rock star / It comes down to supporting the scene / ’Cause you’ve all got your own opinions / Whether you’re 40 or 17“. Aber Lee Hollis ist ja auch schon alt.

Dagegen

Natürlich liebt ihr alle Lemmy (nur mal als Beispiel), und MOTÖRHEAD (dito) lieferten in schöner Regelmäßigkeit neue Alben ab – eine Konstanz, die man in unsicheren Zeiten zu schätzen weiß. Die geringe stilistische Varianz der Alben überfordert nicht, vermittelt Vertrautheit und mit fortschreitendem Alter eine wohlige Melancholie. Die qualitativen Schwankungen der Alben haben dir Lemmy nur näher gebracht, er ist eben auch nur ein Mensch.

Als die Band später wieder an alte Hochphasen anknüpfte, war das auch die hoffnungsvolle Morgenröte an deinem privaten Firmament. Zumindest für ein paar Monate, solange noch der eigenen Lüge geglaubt wurde, dass es mal wieder Bäm! im Leben machen könnte. Unterm Strich und unter besonderer Berücksichtigung unserer Endlichkeit: verschwendete Zeit! Tiefer Gram ist dir auf deinem Sterbebett garantiert, ach, all die ungehörte Musik, ach, all die Gleichförmigkeit, die meine Liebe zur Musik einhegte, statt sie ungezügelt und ungestüm umherstreichen zu lassen. Und wenn zu deinem letzten Atemzug Gott vom Himmel herabsteigt, um deine Plattensammlung zu inspizieren, wird er sich voller Bitterkeit abwenden und den Himmel (nun leer) klagend anrufen (ergo: Ihr gewünschter Gesprächspartner ist derzeit nicht erreichbar), warum er uns Menschen zwei Ohren geschenkt habe, wenn wir diese verdorren lassen wie Pflanzen zur Zeit der großen Dürre.

Also kein Backstagepass für dich, stattdessen hat Gott einen Trost parat: „Andere enden schlimmer, denn bei manch einem finde ich Alben von Bands, die dreißig oder mehr Jahre nach ihrem Klassiker denken, die Welt sei stehengeblieben und warte nur auf ihren neuen Output. Furchtbar und traurig zugleich. Dabei war schon das letzte Album vor der Auflösung nicht mehr als okay und wie ich immer sage: Bist du erst einmal auf der Rutsche, geht es nur noch runter.“