KADAVAR

Foto© by Elizaveta Porodina

Harte Zeiten

Kaum eine Band war in den vergangenen Jahren so fleißig wie die Berliner Retro-Rocker KADAVAR. In sieben Jahren hat das Trio mit den langen Bärten vier Studioalben, ein Live-Album, eine Split-Doppel-12“ mit AQUA NEBULA OSCILLATOR sowie eine Handvoll Singles veröffentlicht und streckenweise hundert Konzerte und mehr pro Jahr gespielt. Im Herbst sind sie mit MANTAR und DEATH ALLEY unterwegs. Rosige Zeiten, könnte man meinen. Trotzdem haben KADAVAR ihr neues Album „Rough Times“ getauft, „Harte Zeiten“. Was dahintersteckt, erklärt Sänger Christoph „Lupus“ Lindemann im Interview.

Unglaublich, welche Entwicklung KADAVAR in den letzten Jahren genommen haben. Wo wart ihr schon überall?

Wir waren in Südamerika: in Argentinien, Brasilien, Chile oder Uruguay. Wir waren bereits dreimal in Mexiko, zweimal in Australien und ziemlich oft in Osteuropa unterwegs. Außer in Weißrussland und Kroatien waren wir dort so ziemlich überall. Und nächstes Jahr wollen wir nach Israel und Island. Da freue ich mich schon drauf.

Hättet ihr gedacht, dass es in so kurzer Zeit so gut läuft, als ihr mit KADAVAR angefangen habt?

Als wir angefangen haben, auf gar keinen Fall. Da waren wir froh, dass wir unsere Instrumente zusammenbekommen haben, und dann haben wir erst mal am Nachmittag im Keller gejammt. Wenn man an so eine Sache mit dem Plan herangeht, unbedingt Erfolg haben zu wollen, dann funktioniert das nicht. Dann wird man mehr enttäuscht, als dass man sich freut. Wenn man aber von Anfang an nicht glaubt, dass irgendwas passiert, dann ist es umso schöner. Rechnen konnte damit also keiner.

Wie erklärt ihr euch nun den Erfolg? Das letzte Album „Berlin“ war ja sogar auf Platz 18 in den deutschen Albumcharts.

Wir haben einfach immer gespielt, haben Gas gegeben, wo wir konnten, haben alles mitgenommen und nie nein gesagt. In den vergangenen beiden Jahren hat es dann noch mal einen großen Sprung gegeben, was die Shows betrifft. Es macht ja auch Spaß, immer besser zu werden, und der Erfolg motiviert uns auch, genau da weiterzumachen. Wir sehen das alles als riesiges Geschenk und schauen mal, wie lange es noch so weitergeht. Wenn wir gute Konzerte spielen, die Leute Spaß haben und wir coole Platten machen, dann bin ich auch zufrieden.

Was waren die krassesten Veränderungen in eurem Privatleben?

Wir sind im Lauf der Jahre professioneller geworden. Wir können inzwischen unsere Tourblöcke und Studiotermine so legen, dass noch genug Zeit für unseren Freundinnen und Familien übrig bleibt. 2014 und 2015 waren Jahre, in denen wir weit über hundert Konzerte im Jahr gespielt haben und da haben wir gemerkt: Das kann man zwei oder drei Jahre lang machen, aber irgendwann machen das unsere Körper auch nicht mehr mit. Wir haben inzwischen alle drei Rückenprobleme. Wenn man den ganzen Tag nur im Bus sitzt und auf irgendwelchen Flughäfen schläft, dann streikt irgendwann die Gesundheit. Deshalb haben wir beschlossen, dass wir das besser machen wollen. Wir spielen jetzt zwanzig Shows weniger im Jahr, aber dafür alle mit 100% Fitness. Tiger ist außerdem vor ein paar Wochen Vater geworden, da müssen wir das umso mehr so organisieren, dass es für alle passt.

Bei den Aufnahmen für „Berlin“ wart ihr in einem Studio im ehemaligen Flughafen-Bau, im sogenannten Candy Bomber-Tonstudio in Berlin-Tempelhof, benannt nach den Rosinenbombern zur Zeit der Luftbrücke. Wo habt ihr das neue Album aufgenommen?

Das Konzept des neuen Albums beinhaltete auch, dass wir uns ein neues Studio bauen mussten. Wir sind im Januar aus unserem alten Studio in Wedding raus und haben dann einen geeigneten Platz in Neukölln gefunden. Das war anfangs einfach nur ein großer leerer Raum, dann haben wir Wände gebaut, Fußböden verlegt, Kabel gezogen und vier kleinere Räume daraus gemacht. Und dort haben wir dann die Platte aufgenommen.

Ich denke, das war ziemlich einfach für euch, denn ihr habt ja zwei studierte Tontechniker in der Band, oder?

Ich komme ja aus einer Tischlerfamilie, mein Vater hat eine eigene Tischlerei, deshalb war mein Können eher beim Wändebau gefragt. Das wurde alles aus Holz gemacht, deshalb war das mein Ding. Wir wollten das komplette Projekt zu dritt durchziehen. Wir hatten nur einmal Hilfe beim Verlegen der Stromkabel und der Heizungsmontage, weil wir das nicht selbst machen wollten. Aber sonst wollten wir unbedingt alles selbst machen. Wir haben alles in den dritten Stock geschleppt und selbst eingebaut. Das hat insgesamt knapp vier Monate gedauert.

Und hat das Studio auch einen Namen?

Wir denken noch drüber nach. Da kann ich Tiger nicht reinreden. Er überlegt übrigens schon seit der ersten Platte. Haha. Er denkt also schon seit über fünf Jahren darüber nach, wie das Studio heißen soll.

Ist der Albumtitel „Rough Times“ auch programmatisch gemeint?

Musikalisch haben wir uns nach der „Berlin“-Platte entschieden, wieder ein bisschen roher zu klingen und zurück zum Ursprung zu gehen. Deswegen hat „Rough“ ganz gut gepasst. Und die andere Seite ist, dass wir einfach das Gefühl hatten, jetzt auch mal inhaltlich die Augen zu öffnen. Viele Texte von früher entstammten meiner Fantasie. Ausgedachte Themen, in die ich hier und da ein Fünkchen Wahrheit eingearbeitet habe. Jetzt hatte ich das Gefühl, dass wir einen Schritt nach vorne gehen müssen und uns damit beschäftigen, was in unserer Gesellschaft politisch passiert. Auch was menschlich abgeht, muss angesprochen werden. Deshalb fand ich „Rough Times“ ziemlich passend, weil wir langsam aufwachen und erkennen, dass wir uns in harten Zeiten befinden. In den Texten will ich ein paar Themen ansprechen, die uns einfach stören. Bei den ersten zwei Platten habe ich noch gesagt: Politik und meine Musik, das gehört nicht zusammen. Aber jetzt hat sich die Zeit eben geändert und ich glaube, dass auch unsere junge Generation Verantwortung übernehmen sollte.

Um welche Themen geht es euch konkret?

In „Skeleton blues“ zum Beispiel geht es darum, dass man ständig Fake News konsumiert und manchmal gar nicht mehr weiß, was Wahrheit und was Propaganda ist. Dass man mit Informationen so zugebombt wird, dass man gar nicht mehr hinterherkommt. Andere Themen, die uns wichtig sind, sind zum Beispiel Frauenrechte oder bestimmte demokratische Grundwerte, die unserer Meinung nach in Gefahr sind.

Vier Alben in sieben Jahren und unglaublich viele Konzerte, wie schafft ihr das? Wie gut seid ihr organisiert?

Wir haben natürlich eine eingespielte Crew, mit der wir schon seit Jahren zusammenarbeiten. Die meisten sind alte Freunde aus den Anfangstagen der Band. Es ist auch wichtig, auf Tour so eine Art Familie dabeizuhaben. Leute, von deren Arbeit wir überzeugt sind. Gleichzeitig muss es aber auch menschlich passen, weil man einen Großteil des Jahres gemeinsam auf der Straße verbringt. Früher haben wir als Band auch zusammen gewohnt, waren also auch nach der Tour ständig zusammen. Das haben wir jetzt schon geändert, das war nach sieben Jahre auch Zeit. Wir kennen uns aber natürlich in- und auswendig. Es gibt Tage, an denen reden wir überhaupt nicht miteinander und haben trotzdem über alles gesprochen.

Wie hat der Einstieg von Bassist Simon „Dragon“ Bouteloup nach der Trennung von Gründungsmitglied Philipp „Mammut“ Lippitz die Band verändert?

Das war ein ganz natürlicher Prozess, weil wir ihn schon sehr lange kannten. Auf der Tour zu unserer ersten Platte war die Vorband AQUA NEBULA OSCILLATOR, da hat Simon Gitarre gespielt. Gleich danach sind wir auf unsere erste große Tour in Osteuropa gegangen und da war er unser Fahrer. Das hat er dann ein Jahr lang gemacht. Und als Philipp dann ausgestiegen ist, haben wir Simon einfach gefragt, ob er Bock hat. Er hatte damals gerade mal vier Tage Zeit, alle Songs zu lernen, weil dann schon das nächste Konzert war. Das hat er dann geschafft und seitdem spielt er Bass.

Wie wirkt sich der wachsende Erfolg auf eure Musik aus? Populäre Bands werden in der Regel immer softer. Bei euch kann ich das nicht feststellen.

Die Versuchung ist auf jeden Fall da. Man muss sich einfach entscheiden, was man will. Ob man nur irgendwelche Songs spielen will, um die große Masse zu begeistern, oder man macht eben die Musik, die man hundertprozentig vertreten kann, auf die man auch selbst Bock hat. Ich glaube, wir haben mit KADAVAR so viel erreicht, dass wir uns nicht mehr reinreden lassen müssen. Wenn es so bleibt, wie es ist, ist es gut. Wenn es noch mehr wird, ist es auch cool, aber das ist kein Muss. Kommerzieller Erfolg ist nicht unser Ziel, wenn wir eine Platte schreiben.