STICK TO YOUR GUNS

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Loslassen, abschließen, weiterentwickeln

Wenn es eine Band gibt, die sich ihren Erfolg wirklich hart erarbeitet hat, kein Konzert ausgelassen und zwischendurch auch noch fast schon massentauglichen Hardcore veröffentlicht hat, dann sind es die Kalifornier STICK TO YOUR GUNS. Dass Erfolg dem eigenen Seelenfrieden jedoch nicht besonders guttut, hat Sänger Jesse Barnett am eigenen Leib erfahren müssen. Wenn dann noch Klimawandel-Leugner die Macht übernehmen, wird es Zeit, als Künstler ein Zeichen zu setzen. Im Interview spricht er über die neue Platte „True View“ und warum ausgerechnet sie so überraschend anders klingt.

Jesse, euer Bandlogo, ein Diamant umrandet von Pfeilen, ist auf den großen Hardcore-Festivals wie zum Beispiel dem Groezrock und auf vielen Konzerten sehr präsent. Wie fühlt es sich für dich an, dass so viele Menschen sich mit eurer Band und der Idee dahinter verbunden fühlen?

Für mich wirkt es ehrlich gesagt immer noch etwas surreal, dass eine Sache, die wir zusammen kreiert haben von so vielen Leuten so positiv aufgenommen oder gar in ihren eigenen Lifestyle übernommen wurde. Es fühlt sich so an, als seien STICK TO YOUR GUNS Fans etwas ganz Besonderes. Sie kaufen sich nicht einfach Merch und tragen ihn dann – sie leben ihn. Und das in einer Art, bei der es selbst mir schwerfällt, es zu begreifen. Für mich als Künstler ist es unglaublich schön, dass wir mit unserer Musik so viele Menschen an den unterschiedlichsten Plätzen der Welt erreichen können, und dass es ihnen etwas bedeutet, wenn sie unsere Songs hören und unsere Konzerte besuchen.

Wenn man eure Entwicklung seit „Diamond“ und „Disobedient“ bis hin zum neuen Album „True View“ betrachtet, kann man eine hörbare Veränderung erkennen. Gibt es bestimmte Gründe dafür, dass die neuen Songs das schlichte Hardcore-Korsett ablegen und dass der Sound ein wenig breiter und atmosphärischer wurde?

Wenn es nach mir ginge, müsste sich Kunst stetig weiterentwickeln. Unser neues Album betreffend kann ich nur sagen, dass es für uns fast schon eine natürliche Entwicklung hin zu diesem Sound gegeben hat. Das mögen jetzt ein paar Leute einen Rückschritt nennen, weil ihnen die Musik nicht gefällt. Andere sehen Songs wie „Three feet from peace“ als Fortschritt für unsere Band. Wichtig für uns war, dass wir uns nicht wiederholen wollten oder gar durften. Wir haben die Pflicht, uns selbst dazu zu bringen, unsere Möglichkeiten auszuschöpfen und immer mehr aus unseren Fähigkeiten zu machen.

War es denn wirklich so einfach, Songs wie „Three feet from peace“, „Forgiveness of self oder „The sun, the moon, the truth“ als Band zu schreiben? Es hört sich nämlich so an, als würdet ihr zumindest mit diesen Songs einen ganz anderen Ansatz verfolgen.

Wir Menschen verändern uns ständig. Sei es durch neue Beziehungen, die wir eingehen oder dadurch, dass wir Erfahrungen machen, die unser Leben beeinflussen. Als Künstler können wir das in unserer Musik verarbeiten, und bei den genannten Songs hat es sich einfach richtig angefühlt, unsere Gedanken und die vorherrschende Stimmung so auszudrücken. Es war ein unaufhaltsamer Schritt und wir sind mächtig stolz darauf. Stolz darauf, dass wir uns von einer etwas anderen Seite zeigen können und stolz darauf, dass es sich trotzdem so natürlich anfühlt.

Songtitel wie „Penance of self“, „Realization of self“ und „Forgiveness of self“ lassen darauf schließen, dass sich ein roter Faden durch „True View“ zieht. Stimmt das?

Das könnte man so sagen. Im Grunde sind all unsere Songs irgendwie mit einander verbunden, ohne dass sie jedoch das gleiche Thema haben. „True View“ handelt von den letzten zwei Jahren meines Lebens und den Dingen, die ich durchgemacht habe. Ich habe sehr viel Zeit mit Telefonaten mit meiner Mutter verbracht, die mir ihre schier endlose Lebensweisheit, bedingt durch Fehler, Niederlagen und Schmerz, hat zuteilwerden lassen. Sie hat mir erklärt, dass es okay ist, Fehler zu machen und dass man sich diesen dann aber auch stellen muss, was dann im Song „Penance of self“ verarbeitet wurde. Sie hat mir gesagt, dass ich lernen muss, zu verstehen, wer ich wirklich bin und was mein Handeln bei anderen Menschen anrichtet, das Thema von „Realization of self“. Am wichtigsten war mir aber, dass sie mir riet, dass ich manchmal auch einfach loslassen soll und mit Dingen abschließen muss. Erst dann kann ich mich weiterentwickeln und sprichwörtlich wachsen.

Lass uns etwas mehr über „Forgiveness of self“ sprechen, den letzten Song auf der Platte. Mit seinen ruhigen und eingängigen Passagen klingt er nicht nach einem typischen STICK TO YOUR GUNS-Song. Gibt er die Richtung für die kommenden Platten vor oder war er ein einmaliges Experiment?

Der Song handelt von den Schuldgefühlen, die ich über eine lange Zeit mit mir herumgetragen habe. Sie haben mich fast durch die ganze Welt verfolgt. Selbst auf der Bühne könnte ich nicht aufhören, daran zu denken. Wenn ich in meinem Apartment war, war es am schlimmsten. Ich konnte nirgendwo hingehen, ohne dass diese Wolke um mich herum schwebte, die meine Gedanken vergiftete. Eines Tages musste ich dann eine Entscheidung treffen. Ich habe mir gesagt, dass ich mir eingestehen muss, dass ich einen Fehler gemacht habe und dass ich trotzdem noch nicht komplett am Ende bin. Ich musste mich entscheiden, wie ich mit dem Fehler umgehen sollte. Entweder hätte er mich unter seiner Last begraben oder mir geholfen, aus ihm zu lernen und mein Leben neu auszurichten. Ich konnte wieder nach vorne schauen und bin froh, dass ich diese Entscheidung getroffen habe. Musikalisch spiegelt sich dieser Kampf mit mir selbst, in den vermeintlich ruhigeren Teilen des Songs wieder. Wir werden sehen, was mich während des Schreibens kommender Songs so umtreibt und welche Stimmung dazu passt.

Der Song „Three feet from peace“ scheint sich mehr mit der Gesellschaft generell zu beschäftigen. Gibt es eine konkrete Aussage, die ihr mit dem Song rüberbringen wolltet?

Auch dieser Song handelt von dem Umgang mit sich selbst. Er handelt von einer Beobachtung, die ich gemacht habe, als ich mich damit beschäftigt habe, wie wir mit Konflikten umgehen. Dabei sind es vor allem Gewissenskonflikte gewesen, die mich beschäftigt haben. Viele Menschen haben Angst, sich zu entscheiden und Dinge oder Lösungen in Ruhe zu überlegen. Das führt zu hastigen Entscheidungen, die wir viel schneller bereuen. Ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, auf seine Intuition zu vertrauen. Der Song handelt nicht von Frieden zwischen zwei Parteien, sondern von innerer Ruhe. Auf der anderen Seite gibt es dann aber noch Songs wie „Delinelle“, der von einer Erinnerung handelt, die ich immer noch nicht verarbeitet habe und bei dem es mir ehrlich gesagt immer noch schwerfällt, ihn zu singen.

Ihr seid eine Band, die sich für Tierrechte, gegen Polizeigewalt und für den bewussten Umgang mit der Natur einsetzt. Wie fühlt es sich für dich als US-Bürger an, wenn in Amerika ein Präsident gewählt wurde, der nicht nur ultra-konservativ und rassistisch ist sondern auch den Klimawandel leugnet?

Natürlich hat diese traurige Entwicklung auch Einfluss auf unsere Musik. Der Song „Cave canem“ bezieht sich konkret auf unseren Umgang mit der Welt. Die Erde hat uns so viele Warnsignale gegeben, um uns zu signalisieren, dass wir es mit der Ausbeutung übertreiben. Jedes Mal, wenn irgendwo ein neues Unwetter von nie dagewesenem Ausmaß auftritt, kommt dieselbe Frage in mir hoch: War es das jetzt? Sagt die Erde uns jetzt „Fickt euch, mir reicht’s!“? Wenn wir etwas an dieser Entwicklung ändern wollen, müssen wir selbst Verantwortung übernehmen und unser Verhalten überdenken. Wir müssen uns darüber klarwerden, dass wir keine andere Heimat haben werden als die Erde, die wir so schamlos und egoistisch ausbeuten. Die Präsidentschaft Trumps ist jedoch leider ein Zeichen dafür, dass viele Menschen einfach nicht dazu bereit sind.

Wäre es dann nicht sinnvoll wenn alle Künstler, denen Menschen zuhören, auf diese Themen aufmerksam machen würden?

Ich kann niemandem vorschreiben, was er oder sie zu tun oder zu lassen hat. Meiner Meinung nach sollte jeder, dem solches Unrecht auffällt, bereit sein, es anzusprechen. Künstler haben es da natürlich einfacher, da sie schnell mehr Menschen erreichen können. Jedem von uns sollte doch das Leid auffallen, das die Erde, die Tiere oder auch die schwächeren Menschen erfahren.