Tim Vantol

Foto© by Jaro Suffner

Geschichtenerzähler aus Amsterdam

Mit dem niederländischen Singer/Songwriter Tim Vantol habe ich bereits einige Interviews geführt. Im Sommer bot sich die Gelegenheit, Tim bei einem seiner Konzerte, als Opener von AGAINST ME!, zu seinem neuen Album „Burning Desire“ zu befragen. Dieses Mal hatte ich mir etwas anderes vorgenommen als das übliche Frage-Antwort-Spiel. Die Atmosphäre sollte eine andere sein. Zum ersten Mal bereitete ich keine Fragen vor. Ich hoffte auf ein Gespräch wie zwischen zwei alten Freunden, die sich länger nicht gesehen hatten.

Am Tag des Konzertes hole ich Tim in Bremen am Club ab. Die erste Erkenntnis: Warten gehört unweigerlich zum Tourleben. Warten auf den Interviewpartner, warten auf den Soundcheck, der vorgezogen wurde, warten, bis alles passt, was trotz Tims einzigem Instrument an diesem Abend, der Akustikgitarre durchaus lange dauerte, und sich schließlich zu einem Nerd-Gespräch zwischen Tim und den Tontechniker entwickelt, weil irgendein Hall auf der Bühne entsteht. Ich schaute mir das Ganze an und dachte: Eigentlich sollten wir schon längst angefangen haben. Dann kann es endlich losgehen.

Als Holländer dürfte Tim das Meer im Blut liegen. Was läge da näher, als eine kleine Bootstour? Nun ja, eigentlich handelt es sich lediglich um eine zweiminütige Fährfahrt auf die andere Weserseite. Schon auf dem Weg zum Anleger entwickelt sich ein spannendes Gespräch, über die Möglichkeiten des (buchstäblich) grenzenlosen Reisens und der Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU. Besonders Tim profitiert davon nicht nur als tourender Musiker, sondern auch, weil er mittlerweile in Süddeutschland lebt. Ich berichte von meinem bevorstehenden Dänemark-Urlaub und Tim erzählt von seinem Leihwagen für diese Tour, einem Mercedes (vor AGAINST ME! ist ihm das etwas peinlich, er fährt ansonsten einen Volvo), der schon dreimal liegen geblieben ist, weil die Technik nicht funktionierte und er keine Möglichkeit hatte, das Auto eigenhändig zu reparieren. Nicht mal einen Ölcheck könne er selber machen und müsse dafür in die Werkstatt und den Stand digital prüfen lassen, regt er sich auf.

Obwohl es in seinen Liedern höchstens durchschimmert, ist Tim als Privatperson ein Mensch mit deutlichen politischen Vorstellungen. Er wird zwar nicht jedes Wochenende, mit bemalten Plakaten auf einer Demo zu finden sein, aber der soziale Aspekt innerhalb einer Gesellschaft interessiert ihn. „Nimm zum Beispiel die Flüchtlinge. Ich denke immer, wie es wäre, wenn ich an ihrer Stelle wäre. Was würde ich tun und wie wäre es für mich, wenn ich in ein fremdes Land komme und die Menschen mich dort hassen? Das ist schrecklich. Jeder Mensch hat die gleichen Rechte und sollte erwarten können, in Sicherheit und in Frieden zu leben. Wir verdienen es nicht mehr, in Sicherheit zu leben, als irgendjemand sonst auf der Welt. Und weißt du was? Diejenigen, die jetzt am lautesten dagegen angehen, sind die Ersten, die in fremde Länder fliehen werden, wenn es hier einmal kracht.“

Die Fähre kommt, wir erreichen das andere Ufer, setzten uns auf die Terrasse eines Cafés, bestellen Bier, blicken auf den nassen, verregneten und leeren Weserstrand. Tim wirkt zufrieden. Ein Gefühl, welches auch an manchen Stellen auf „Burning Desire“ aufblitzt. Tim scheint mit dieser Feststellung aber nicht zufrieden zu sein: „Das ist komisch, viele Leute sagen, es sei eine positive und optimistische Platte. Die Platte spiegelt die letzten drei bis vier Jahre wider und da ist viel passiert. Nicht nur Positives. Ich beginne über das Alter nachzudenken. Mit 23 Jahren war mir alles scheißegal, ich wollte einfach mal gucken, was passiert. Am liebsten wäre ich 365 Tage im Jahr auf Tour gewesen und hätte gefeiert. Heute schaffe ich das nicht mehr. Dafür denke ich viel mehr über meine Zukunft nach. Kann ich mir eine Familie und ein Haus leisten – natürlich nicht. Und genau dort fangen die Sorgen an, die auch auf dem Album thematisiert werden. Nimm zum Beispiel ,The hardway‘, ein Lied über meine Eltern, die mich immer darin bestärkt haben, das zu tun, was ich will. Das ist erst mal ein positives Gefühl. Aber vielleicht ist es auch einfach nur eine Therapie für mich, mit den Ereignissen der letzten Jahre fertig zu werden.“

Tim ist konzentriert, denkt über meine Fragen, Andeutungen und Bemerkungen lange nach, setzt zu einer Antwort an, bricht ab und beginnt von Neuem. Ich erwähne, wie gut es mir gefällt, dass er nun mehr singt und nicht mehr so viel schreit. Tim lacht: „Da hat gestern nach der Show jemand tatsächlich gefragt, was mit der neuen Platte los ist, warum ich nicht mehr schreie, sondern singe. Manchmal muss man Sachen einfach mal anders machen.“ Ich will wissen, ob er schon mal ans Aufhören gedacht hat. Tims Antwort überrascht mich: „Jeden Tag.“ Es gibt bestimmt Hunderte Musiker, die mit Tim tauschen würden, und gerade er war es, der das Tourleben in seinen älteren Liedern überhöht, glorifiziert, fast schon romantisiert hat. Gleichzeitig wirft es einen anderen Blick auf das neue Album, das vielleicht doch nicht so „happy“ ist, wie allgemein angenommen, als ob Tim sich in den letzten Jahren ausgebrannt gefühlt hätte. Schon im ersten Stück der Platte, „Till the end“, heißt es exemplarisch: „I keep going until I can go no more / I keep running until the end.“

Ich bohre weiter nach: Ist Musikmachen ein Job für ihn? „Natürlich, ich mache das seit acht Jahren! Auf der Bühne stehen ist das, was die Leute sehen, und das ist für mich auch der schönste Teil. Aber die Arbeit dahinter ist viel mehr. Es passiert auch so viel Mist, gesundheitlich ist dieser Job sehr anstrengend. Es ist kein Wunder, dass so viele Musiker im Arsch sind.“ Und kennt er auch das Gefühl, nach einem Erfolg oder ein erreichtes Ziel, sofort etwas Neues machen zu wollen? „Ich weiß Erfolge zu schätzen. Aber ich habe keine Ziele mit der Musik. Ich will einfach coole Sachen erleben. Das heißt nicht, dass ich nicht motiviert bin. Ich hatte nur nie geplant, acht Jahre Musik zu machen. Das Einzige, was ich erreichen will, ist auf der Bühne Spaß zu haben und es genießen zu spielen. Und dass ich weiterhin kleine Sachen schätzen kann. Vieles wird normal. Manchmal muss man auch auf die Fresse fliegen, um zu merken, was man hat. Auf dieser Tour ist mir genau das passiert. Bei manchen Konzerten habe ich direkt vor AGAINST ME! gespielt. Da waren schon 700 Leute im Laden und dann war ich plötzlich wieder der Opener und nur die erste Reihe stand vor mir, die ganz bestimmt nicht auf mich gewartet hat.“

Vielleicht ist es genau das, was Tim meint, wenn er singt: „Luck is a gift we can’t control / Being lucky, we should realize a little more.“ In diesem Zusammenhang möchte ich wissen, ob er sich manchmal unterschätzt fühlt. Denn ich habe genau dieses Gefühl. Wenn ich mich im Freundeskreis umhöre, gehen die Meinungen meistens eindeutig in eine Richtung: ganz okay. Tim bestätigt indirekt meine Einschätzung, auch wenn er zunächst darüber nachdenken muss: „Das ist eine Scheißfrage. Ich finde, manchmal unterschätzen die Leute, wie viel Arbeit es kostet. Es sieht so einfach aus. Manchmal denken die Leute, da kommt wieder der Typ mit seiner scheiß Akustikgitarre. Aber das ist auch Quatsch, denn es gibt viele Menschen, die gut über meine Musik reden. Ich versuche eigentlich, nicht drüber nachzudenken. Es führt eh zu nichts.“

Berührt es ihn denn, wenn Leute schlecht darüber reden oder genervt wirken? „Nein, aber es nervt irgendwie, weil man sich nicht vollständig fühlt. Dann denke ich, vielleicht sollte ich einfach irgendwas Einfacheres machen. Aber egal, was es wäre, ich müsste es alleine machen. Für einen Boss könnte ich nie mehr arbeiten. Dafür war ich zu lange unabhängig.“

Die euphorischen Anfangszeiten in Tim Vantols Leben sind zu einem Ende gekommen. Das drückt sich sowohl in den Texten als auch in der Musik des neuen Albums aus. Zurück bleibt ein durchaus positiver Mensch, der sich mit seinen Zweifeln auseinandersetzt. In diesem Spannungsfeld bewegt sich „Burning Desire“ – vielleicht am prominentesten ausgedrückt in der Songzeile: „I am restless, but I am satisfied“. Am Abend ist Tim erneut der erste Act des Abends. Der Club ist spärlich gefüllt, aber spätestens ab dem dritten Stück bricht Tim das Eis und die anwesenden Gäste singen begeistert die ihnen gerade beigebrachten Texte mit.