CASEY

Foto

Das Leben danach

Tom Weaver war im Krieg. Im Krieg mit sich selbst und mit seinem Körper. Drei schwere Krankheiten haben ihn in seiner Kindheit und seinem jungen Erwachsenenleben gezeichnet – unter anderem Depressionen, die Ergebnis der psychischen Auseinandersetzung mit seiner Knochenkrankheit sowie einer seltenen Darmerkrankung sind. Zum Glück hat der Brite mit seiner Post-Hardcore-Band CASEY eine Möglichkeit gefunden, sich es so gut es geht seiner Vergangenheit zu entledigen und immer wieder neuen Mut zu schöpfen. Doch dafür musste erst mal ein neues Album namens „Where I Go When I Am Sleeping“ geschrieben werden.

Tom, du hast in einem Facebook-Post über das Jahr 2017 geschrieben, dass du auf persönlicher Ebene froh bist, dass es vorbei ist. Bist du ein abergläubischer Mensch? Welche Bedeutung haben so Ereignisse wie Silvester und die Jahreswende für dich?


Abergläubisch bin ich überhaupt nicht. Der Post bezog sich auf die vielen Dinge, die wir im letzten Jahr erlebt haben. Dazu gehörten auf jeden Fall auch die vielen abgefahrenen Konzerte, und was wir in den verschiedensten Ländern erlebt haben. Welche Band rechnet schon damit, dass ihre Musik von so vielen Leuten so positiv aufgenommen wird? Für uns war es bis jetzt eine unglaubliche Erfahrung. Dass in der Zeit auch viel Mist passiert, gehört wohl zwangsläufig dazu. Unser Van ist zweimal in einen Unfall verwickelt gewesen. Das zweite Mal so schwer, dass ich mit Glück nur leicht verletzt war. Das ändert natürlich die Perspektive auf verschiedene Dinge. Genau wie so schöne Momente, wenn etwa jemand aus deiner Band ein Baby bekommt.

Euer neues Album „Where I Go When I Am Sleeping“ beschäftigt sich inhaltlich mit deinem Umgang mit drei Krankheiten, unter denen du leidest beziehungsweise gelitten hast. Zwölf Songs zu einem doch recht ungewöhnlich schweren Thema. Wieso musste es dieses Mal um diesen Teil deines Lebens gehen?

Alle drei Krankheiten, unter anderem eine Knochenkrankheit und eine Darmerkrankung, die meine Kindheit sehr stark beeinflusst haben, sowie Depressionen, die ein Resultat aus meinem Umgang damit waren, sind immer noch sehr präsent. Unser letztes Album war schon sehr persönlich, als ich mich über meine Depressionen geäußert habe. Das hat mir ungemein dabei geholfen, sie in den Griff zu bekommen. Als entscheidend hat sich für mich herausgestellt, über die Sache zu reden, und dass ich mich ausdrücken konnte. In vielen Gesprächen mit den Jungs in der Band oder mit Leuten auf Konzerten und denen, die sich mit „Love Is Not Enough“ beschäftigt haben, konnte ich viel über mich lernen und die Sache auch ein Stück weit hinter mir lassen. Als es dann um das Thema für den Nachfolger ging, war mir klar, dass ich mir nicht irgendwelche weiteren Geschichten über Liebe oder Ähnliches ausdenken wollte. Es musste wieder so persönlich werden wie zuvor. Da mich diese Krankheiten immer noch jeden Tag beeinflussen, war es schnell klar, dass ich sie zum Thema mache. Dabei beschreibe ich jedoch nicht die Symptome oder so was. Auf „Where I Go When I Am Sleeping“ will ich eher Hoffnung geben und meinen Umgang mit einem Hindernis beschreiben, das es sich lohnt es zu überwinden. Irgendwie wollte ich den ganzen Scheiß besiegen.

Wie reagierst du beziehungsweise wie fühlst du dich, wenn sich jemand in deiner Gegenwart über alltägliche Dinge aufregt, wie zum Beispiel Stress im Job oder eine harmlose Erkältung?

Ich verurteile die Leute nicht, so viel steht auf jeden Fall schon mal fest. Es gibt immer jemanden, den es im Leben härter getroffen hat. Und es wäre unfair, über die Situation anderer Leute zu urteilen und zu sagen, dass ich ja mit weitaus größeren Schwierigkeiten zu kämpfen habe. Dazu kann ich dir auch ein sehr persönliches Beispiel nennen: Mein Bruder ist körperlich und geistig behindert. Meine Mutter musste viel Kraft in die Betreuung von uns zwei Jungs stecken. Im unserem Song „Fluorescents“ habe ich über diese Situation und die Beziehung zu meinem Bruder geschrieben. Wir wollen beide leben, da hilft es nicht, wenn wir uns ständig von unseren Behinderungen einschränken lassen.

Ich habe gelesen, dass ihr für die neue Platte kaum einen Song gemeinsam als Band geschrieben habt. Wie gehst du mit den Ideen deiner Bandmitglieder um? Schließlich sollte ein Song ja emotional und irgendwie auch authentisch sein.

Zuerst einmal muss ich sagen, dass unsere persönlichen Lebensumstände es gar nicht ermöglicht hätten, alle aus der Band über einen längeren Zeitraum zum Songschreiben an einem Ort zu versammeln. Wir haben alle noch reguläre Jobs, es gab Nachwuchs, den man nicht einfach so vernachlässigen kann, oder Beziehungen haben sich räumlich etwas verlagert. Grundsätzlich war aber auch von Beginn an klar, um was es auf der neuen Platte gehen soll. Unter uns, wir haben bis jetzt auch immer den Großteil aller Songs erst dann richtig fertig geschrieben, als wir schon im Studio waren. Dieses Mal hatte ich sogar nur die Hälfte aller Texte fertig, während die anderen schon ihre Instrumente eingespielt haben. Unser Produzent Brad Wood, der auch schon TOUCHÉ AMORÉ aufgenommen hat, war auch sichtlich nervös, als ich ihm gesagt habe, dass er vom einen auf den anderen Tag fünf neue Texte bekommen würde, die ich abends noch schreiben wollte. Es hat alles geklappt, wir sind zufrieden, er war begeistert und ich bin in der Nacht sogar noch vor Mitternacht im Bett gewesen.

Wo siehst du den größten Schritt zwischen „Love Is Not Enough“, das eines der Post-Hardcore-Überraschungsalben 2016 war, und „Where I Go When I Am Sleeping“?

Inhaltlich bin ich gefühlt einen Schritt weiter gekommen, als es darum ging, wie ich mich mit mir selbst auseinandersetze. Ich habe das Thema für mich jetzt erst mal abgeschlossen und kann nach vorne blicken. Musikalisch kann ich dir jetzt leider nicht sagen, dass „Where I Go When I Am Sleeping“ unbedingt das härteste Album ist, das CASEY aufgenommen haben. Darum ging es aber auch nicht. Wir brauchten dieses Mal Platz, um manche Dinge vernünftig zu beschreiben: „Wounds“, zum Beispiel passt nur ins Hier und Jetzt dieser Band. Ich bin ein großer Fan von TOUCHÉ AMORÉ und LA DISPUTE. Wenn wir irgendwann mal deren Level erreichen, haben wir zumindest die richtigen Schritte getan.

Besteht nach zwei sehr persönlichen Alben auch die Möglichkeit, dass ihr mit CASEY mal eine politische Platte aufnehmen werdet?

Um ehrlich zu sein, bin ich zu schlecht informiert, um mich inhaltlich einem politischen Thema zu nähern. Für mich war Politik leider immer etwas, das ich irgendwie nicht beeinflussen konnte, und deshalb habe ich mich eigentlich immer mit anderen Dingen beschäftigt. Selbst zum Thema Brexit habe ich mir kaum Gedanken gemacht. Natürlich nehme ich politische Entwicklungen auch wahr. Mir ist aufgefallen, wie oberflächlich oder gar vorsichtig viele Menschen miteinander umgehen. Das zwischenmenschliche Vertrauen hat in den letzten Jahren stark nachgelassen und ist Ängsten und Zweifeln gewichen. Daran hat die Politik sicher einen großen Anteil. Eine konkrete Idee oder einen konkreten Anlass, den ich persönlich für immer mit CASEY verbunden haben will, sehe ich im Moment jedoch noch nicht.

Ihr habt bei Twitter bezüglich einer Ankündigung zu eurer neuen Platte geäußert, dass man sich die ja für wirklich kleines Geld anstatt eines dritten überteuerten Kaffees besorgen könnte. Was sollte eure Musik den Menschen wirklich wert sein?

Oh, das ist eine schwere Frage, da ich ja niemanden dazu zwingen kann, unsere Musik so gut zu finden, dass er sie auch besitzen möchte. Ich sehe das eher so: Ich bin sehr glücklich darüber, dass es Menschen gibt, die überhaupt ihre Zeit und ihr Geld für meine Band opfern. Das lässt sich eigentlich nicht wirklich aufwiegen. Natürlich haben wir als Musiker auch unsere Kosten, und es wäre schön, wenn wir zum Beispiel ganz locker unser Studio bezahlen könnten oder nicht auf Instrumente sparen müssten. Wir wollen aber sicher auch nicht, dass die Leute sich dazu verpflichtet fühlen, sich mit uns auseinandersetzen zu müssen. Wenn sich jemand von uns musikalisch oder gar inhaltlich angesprochen fühlt und sich dann weiter mit uns beschäftigt, unterstreicht das auf jeden Fall eine Sache für mich: Es geht um die Musik und nicht um uns als Menschen. Ich bin froh, dass ich etwas machen kann, das mir Spaß macht und mir sogar persönlich hilft, mein Leben ein Stück weit in den Griff zu bekommen. Ohne einen regulären Job wäre das aber auch auf jeden Fall viel anstrengender für mich.