TURBO AC’S

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Viva la Revolution Pizza

Im September wurde Puerto Rico, östlich der Dominikanischen Republik gelegen, im Abstand von zwei Wochen von zwei Hurrikans getroffen, die wie im Rest der Karibik massive Zerstörungen zur Folge hatten. Auch das „Revolution Pizza“-Restaurant von THE TURBO AC’S-Frontmann Kevin Cole in Luquillo im Osten von Puerto Rico wurde schwer beschädigt. Seine New Yorker Bandkollegen und Freunde organisierten daraufhin eine Spendenkampagne, um die wirtschaftliche Existenz von Kevin und seinen Angestellten zu retten, schnell kamen 10.000 Dollar zusammen. Im Dezember, als wieder etwas Normalität eingekehrt war und auch das Mobiltelefonnetz wieder funktionierte, rief ich Kevin an, um zu erfahren, wie sich die Situation in Puerto Rico, das quasi ein Bundesstaat der USA ist, entwickelt hat.

Kevin, wie geht es dir?


Die letzten Monate waren echt ein ganz schöner Trip ... Ich bin froh, dass du überhaupt telefonisch durchgekommen bist. Es gab Tage, da musste ich herumfahren, um eine Stelle mit Handyempfang zu finden. Und manchmal ging auch einfach nichts. Über die letzten Wochen ist die Situation jetzt nach und nach etwas besser geworden. Die ersten anderthalb Monate ging wirklich gar nichts, zum Telefonieren musste ich in die Hauptstadt San Juan fahren. Aber das war auch keine gute Idee, denn dafür müsste man das rare Benzin verschwenden. Benzin gab es ja auch nicht zu kaufen, das musste man sich für die wirklich wichtigen Situationen aufsparen. Eigentlich blieb einem nichts anderes übrig als abzuwarten, dass die Lage wieder besser wird. Es war eine sehr ... interessante Erfahrung. Es war eine Zeit, in der es erst mal nur ums Überleben ging, das musste man akzeptieren.

Der Hurrikan traf Puerto Rico unerwartet.

Hier lebt man ja mit der Hurrikan-Saison, und normalerweise schaffen es die Stürme gar nicht in voller Wucht bis hierher. Diesmal haben es zwei Stürme nacheinander bis hierher geschafft, das war einzigartig, ist vorher nie dagewesen. Keiner weiß, warum das so kam, und vorhersagen kann das auch niemand. Aber das Klima verändert sich, das sieht man überall, und wer weiß, vielleicht droht uns bald wieder so ein Sturm. Ich weiß es nicht.

Wenn man in der Zivilisation lebt und davon ausgeht, dass so was wie Strom, Wasser und Telefon einfach funktionieren, ist das doch sicher zunächst ein Schock, wenn nichts mehr geht.

Du musst dich in so einer Situation einfach anpassen. Irgendwann hatte ich mich daran gewöhnt, im Dunkeln zu leben, nur mit Kerzenlicht. Umso mehr wusste ich es zu schätzen, als dann irgendwann der Strom wieder da war. Du gehst in einen Raum und schaltest einfach das Licht an, verblüffend. Ich hatte schon fast vergessen, wie so was funktioniert. Einem bleibt in so einer Situation nichts anderes übrig, als sich anzupassen. Und wir saßen hier ja alle in einem Boot. Es waren simple Alltagsmomente, die immer wieder die Ausnahmesituation verdeutlichten. Keine Ampeln! Wer kümmert sich sonst schon um ein Stop-Schild, aber in so einer Situation wird einem klar, wie wichtig so was ist. Ansonsten gäbe es totales Chaos. Die Polizei war anderweitig beschäftigt, die regelte nur an den großen Kreuzungen den Verkehr. Nachts war kaum Polizei unterwegs, es gab Raubüberfälle – die Leute hatten kein Geld, kein Benzin, keine Generatoren. Zum Glück blieb mir so was erspart, aber ich habe viele Geschichten dieser Art von Freunden gehört. Es gab Fälle von Carjacking und Einbrüche, aber zum Glück blieb ich davon verschont.

Anarchie und Chaos und keine Polizei, das ist es doch, wovon viele Punkbands singen und es erhoffen.

Klar, eigentlich mögen wir Anarchie und Chaos, und in so einer Situation wie der hier in Puerto Rico stellt man schnell fest, dass nicht jeder da draußen darauf aus ist, einen zu töten. Die meisten Leute wollen sich gegenseitig helfen. Aber man merkt eben auch, dass da niemand ist, den man anrufen kann, wenn man Hilfe braucht. Das war die deutlichste Lektion. Du sitzt im Dunkeln und keiner kommt, um zu helfen. Ich bin ja nicht von hier, ich lebe da jetzt dreieinhalb Jahre, und für mich war das eine neue Erfahrung – im Gegensatz zu den Einheimischen. Ich habe mich dann einfach versucht anzupassen, to roll with it, das ist sowieso mein Lebensmotto.

Was hat der Hurrikan mit deiner Pizzeria angerichtet, wie sieht es aktuell aus?

Hier wurde alles überflutet. Und im Dschungel, der quasi auf der anderen Straßenseite beginnt, stehen kaum noch Bäume, die sind fast alle umgefallen, die restlichen Bäume haben kaum noch Blätter. Der Wind war unglaublich stark, und das Land so zerstört zu sehen, das ist hart. Es sieht hier jetzt aus wie im Winter, nur dass es bei uns keinen Winter gibt. Oder wie verbrannt, das ganze Grün ist weg. Im Restaurant stand das Wasser über einen Meter hoch, und alles, was wir im Vorfeld an Vorbereitungen getroffen hatten, erwies sich als sinnlos, hatte nichts gebracht. Ich musste warten, bis das Wasser abgeflossen war, um zu sehen, was noch zu retten ist. Kein Telefon, kein Strom, ich begann ganz allein irgendwie aufzuräumen, und ab und zu kam mal jemand von meinen Angestellten vorbei. Stück für Stück fingen wir dann an, das Chaos zu beseitigen, aber solange kein Strom da war, wusste ich ja nicht, ob von meinen Geräten noch irgendwas zu retten ist. Wir haben dann alles sauber gemacht und trocknen lassen, die Kühlschränke etwa. Und dann brauchte ich einen Generator, um auszuprobieren, ob noch irgendwas läuft. Die gute Nachricht war dann, dass nicht alle Kühlschranke kaputt waren. Aber diverse andere Küchengeräte und die Computer waren hinüber.

Es gab dann diese Crowdfunding-Kampagne, die 10.000 Dollar erbrachte, um dir wieder auf die Beine zu helfen.

Das mit der Crowdfunding-Kampagne waren die Jungs aus meiner Band, ich hatte die nicht darum gebeten, die machten es einfach. Die konnten mich nicht erreichen, also starteten sie diese Aktion. Ihr erster Reflex war, mich da rauszuholen, zurück in die USA, denn zu Beginn war es ja schon recht gefährlich hier und keiner wusste, ob es besser oder noch schlechter wird. Ich hatte ja selbst auch Angst, dass alles noch viel schlimmer wird. Als sie mich dann erreichen konnten, sagte ich, dass ich bleiben wolle, aufräumen, den Arbeitsplatz meiner Angestellten erhalten. Ich fand, und das verstanden alle, dass zu bleiben Puerto Rico am meisten hilft. Am wichtigsten war deshalb, wieder Strom zu haben, aber an einen Generator ranzukommen war nicht so einfach. Den ersten kaufte ich von ein paar Typen direkt vom Lkw, eine andere Option gab es nicht. Händler anzurufen ging ja nicht, und über die ganze Insel zu fahren, um einen aufzutreiben, auch nicht. Der Generator kostete 2.000 Dollar, und er lief ein paar Wochen, bis er dann durch war. Wir haben den echt hart rangenommen. Der Versuch, den zu reparieren, scheiterte und sowieso waren die Mechaniker, die sich mit so was auskannten, total überlastet. Also musste ich einen neuen Generator kaufen, das Geld hatte ich zum Glück aus der Spendenaktion. Also gab ich noch einmal 2.400 Dollar aus ... und der hielt immerhin, bis das Stromnetz nach ein paar Wochen endlich wieder funktionierte. Dann musste ich aber erst mal wieder Vorräte einkaufen, es waren locker Waren im Wert von 2.000 Dollar vernichtet worden – Käse, Mehl, alles, was man eben für Pizza braucht. Ich hätte selbst nie nach Spenden gefragt, aber dass das Geld aus der Kampagne da war, hat mich echt gerettet, so konnte ich die ganzen Reparaturen bezahlen. Als sehr schön empfinde ich die Dankbarkeit der Menschen hier, die freuten sich, dass wir überhaupt wieder öffneten, was ja schon allein deswegen schwierig war, weil ich ja nicht einfach neue Ware beim Großhändler bestellen konnte. Der Großhändler hatte nichts, weil die Schiffe sich im Hafen stauten und nicht entladen werden konnten, weil so viel Ware nach Puerto Rico gebracht werden musste – und Strom gab es ja anfangs auch nicht. Dass ich dennoch wieder öffnete, dass wieder Musik lief und wieder Pizza gebacken wurde, dafür waren mir die Menschen sehr dankbar. Und mit dem Strom gab es dann auch Internet, und die Leute konnten wieder mit ihren Smartphones kommunizieren. Wir waren so was wie eine Oase in diesem ganzen Chaos. Es war wichtig, dass ich geblieben bin, es war ein gutes Gefühl.

Wie „normal“ ist die Situation heute?

Vor allem haben wir hier in der Straße seit ein paar Wochen wieder Strom, doch anderswo, etwa wo manche meiner Angestellten leben, gibt es bis heute keinen Strom und teilweise auch kein Wasser. Aber auch das ist nicht ungewöhnlich für Puerto Rico ... Um die Gebiete an der Küste wird sich eben mehr gekümmert. Schlimm ist, dass von den 3,5 Millionen Einwohnern wohl seit dem Hurrikan 500.000 die Insel verlassen haben. Die Lage verbessert sich nur langsam und mit den toten Bäumen überall, den immer noch dunklen Stadtteilen, all den Leuten, die gegangen sind, kommt man sich hier manchmal noch vor wie in einer Geisterstadt. Das kann auch ganz schön entmutigend sein. Andererseits ... es ist immer noch Puerto Rico, eigentlich ist es hier immer noch wunderschön. Und die Menschen hier haben eine positive Einstellung, die sind zuversichtlich, wohingegen ich dazu neige, alles negativ und düster zu sehen. Vielleicht muss man sich als Bewohner einer Tropeninsel auch einfach an Wirbelstürme gewöhnen. Andererseits war der Hurrikan in diesem Fall so krass, dass auch von den Einheimischen niemand so etwas je zuvor erlebt hatte.

Als Europäer, der man in einem stabilen Betonhaus wohnt, ist man immer etwas überrascht über die Holzhäuser und Blechdächer in der Karibik – und die starken Zerstörungen, die ein Hurrikan bei solchen Gebäuden anrichtet.

Der Hauptgrund für diese Bauweise ist, dass es einfach keine reichen Länder sind. Und dann haben die Häuser hier oft weder Fenster noch Türen, sondern nur Gitter – auch bei mir im Restaurant. Es ist hier jeden Tag über 30 Grad warm, du brauchst Durchzug. Die Gitter sind dazu da, dass keiner einbricht, doch wenn dann eben ein Sturm kommt ... Außerdem baut hier jeder eben so, wie er es sich leisten kann. Die Häuser sind schon aus Beton, also die Wände, doch ohne Fenster und Türen und mit einem Holz- oder Blechdach. Und wenn dann so ein Sturm kommt, bleiben eben nur noch die Wände übrig, der Rest wird weggeweht. Direkt nach dem Hurrikan sah man, wie die Leute anfingen, die Häuser wieder so aufzubauen, wie sie vorher waren.

Nach dem Hurrikan war in den Medien zu hören, dass die US-Regierung – sie ist ja für den Quasi-Bundesstaat Puerto Rico zuständig – nur sehr langsam und zögerlich Hilfsmaßnahmen in die Wege leitete, anders als bei vergleichbaren Katastrophen auf dem US-Festland. Wie hast du das erlebt?

Gar nicht. In den Wochen danach hatten wir ja gar keine Informationen, was hier abging. Puerto Rico war weltweit in den Nachrichten, doch wir hatten keinen Strom, kein Fernsehen, kein Radio ... Wir mussten selbst irgendwie rausfinden, wo es Lebensmittel gibt, ob man das Leitungswasser noch trinken kann oder nicht, nachdem die Pumpen ausgefallen waren. Die Regierung hat, so wie die meisten Menschen das erlebt haben, nicht viel geholfen. Da haben Privatfirmen viel mehr Hilfe geleistet, und deren Hilfe war effektiver. Puerto Rico ist ja schon im Normalzustand korrupt und bürokratieverseucht, und daher hatte auch da niemand viel Vertrauen. Wer weiß, wo die Hilfe, die durchkam, gelandet ist. Deshalb habe ich auch gesagt, dass das, was von der Spendenkampagne übrig bleibt, nachdem ich das Nötigste getan habe, um die Pizzeria wieder zu öffnen, an bedürftige Menschen hier geht. Und das habe ich auch gemacht, mit dem Geld wurden Medikamente bezahlt, Dächer repariert und so weiter. Anderthalb Kilometer von hier leben Menschen, deren Stromversorgung immer noch nicht wieder hergestellt ist. Hundert Tage ohne Strom! Mann ... die Zerstörungen sind so heftig! Ehrlich gesagt bin ich überrascht, dass wir dann doch nach ein paar Wochen schon wieder Strom hatten, zunächst hieß es, das würde sechs Monate dauern! Zum Glück gibt es viele kleine Firmen und Freiwillige, die alles geben, um den Menschen zu helfen. Und wenn ich das alles so sehe, kommt mehr Hilfe auf der Basis von Privatinitiative zustande als durch die Regierung.

Was denkst du, wann kann man Puerto Rico wieder als Reiseziel einplanen?

Also viele der großen Hotels sind bis auf Weiteres geschlossen. Aber wir haben ja immer noch unsere schönen Strände – und wer auf menschenleere Strände steht, für den ist jetzt definitiv eine interessante Reisezeit. Wenn man eine Unterkunft mit Strom hat, ist es okay, denke ich, aber andererseits will ich auch niemanden ermutigen zu kommen, in Gegenden ohne Strom und Licht und Polizei kann es auch ungemütlich werden. Ich kann nur für mein kleines Surferstädtchen Luquillo sprechen, und hier ist es okay, es wird jeden Tag besser. Wir haben hier noch einmal Glück gehabt, andere Gegenden sind schlechter dran. Immerhin habe ich es dank des Generators sogar geschafft, das neue TURBO AC’S-Album fertigzustellen.

Erzähl!

Ich habe den Generator zum Studio gefahren, damit wir Strom hatten zum Aufnehmen, haha. Das war echt ein abgefahrenes Erlebnis ... Ich kann einfach nicht stillsitzen, ich muss immer irgendwas tun. Mich um die Platte zu kümmern, das half mir, mit dem ganzen anderen Scheiß klarzukommen. Es kann echt frustrierend sein, wenn du zur Untätigkeit verdammt bist, nicht mal telefonieren kannst, wenn du stundenlang in der Gegend herumfährst, um Zutaten zum Pizzabacken aufzutreiben, und da hat es mir geholfen, Musik machen zu können.

Wann kommt das Album?

Ich hoffe, dass es im Sommer soweit ist, und dann kommen wir auch wieder auf Tour und wir sehen uns wieder. Oder du kommst vorher nach Puerto Rico ... Im Ernst, wer hier helfen will, der sich kann bei mir melden, ich kenne Leute, die vor Ort konkrete Hilfe leisten, und stelle gerne den Kontakt her.