TURBONEGRO

Foto

Die Band-Maschine

Kurz vor Weihnachten kam die Mail: Neues TURBONEGRO-Album im Februar! Am 27.12. habe ich Bassist Rune, gleichzeitig auch Manager der Band, am Telefon und wir sprechen über „Rocknroll Machine“, das exakt zwanzig Jahre nach dem Meisterwerk „Apocalypse Dudes“ veröffentlicht wird.

Rune, hättest du gedacht, dass die Band, die du vor dreißig Jahren mitbegründet hast, im Jahr 2017 noch eine Rolle in deinem Leben spielt?


In der Tat, im Dezember 1987 fingen wir an zu proben, und nein, natürlich habe ich das damals nicht gedacht. Welcher Zwanzigjährige denkt denn überhaupt soweit in die Zukunft? Aber was soll ich sagen, wir haben durchgehalten, und es gab verschiedene Line-ups, wobei das aktuelle auch schon seit sieben Jahren besteht und das ist länger, als die meisten Band existieren. Ich glaube, wir sind einfach ziemlich starrköpfig, haha.

Vor allem du und Tom als Gründungsmitglieder. Wie hält man es so lange zusammen aus?

Wir sind wie Brüder. Es gibt gute Zeiten und harte Zeiten, aber eigentlich liebt man sich von Herzen. Ich finde, man muss dankbar sein, solch eine Beziehung zu haben.

Meinem Empfinden nach sind TURBONEGRO eine Band mit interessanter Rollenverteilung. Da ist Happy Tom, der Mastermind mit den eigenwilligen Ideen, da bist du als Manager, Euroboy als musikalisches Genie, da war erst Hank als extrovertierter Sänger und jetzt Tony als Stimmungskanone.

Ich denke, die Magie der Band macht die Zusammenarbeit aller aus, aber du hast durchaus ein paar wichtige Punkte erwähnt. Im Laufe der Jahre hat sich die Dynamik innerhalb der Band etwas verändert, aber in einem Aspekt hast du auf jeden Fall recht: Ich war in der Band immer schon der Erwachsene, haha. Meine Rolle war nie so geplant, das hat sich einfach ergeben, ich bin ja auch der Älteste in der Band. Und irgendwer muss sich ja auch um die Struktur des Ganzen kümmern. Und außer mir tut das keiner. In den Neunzigern hatten wir zunächst weder ein Label noch einen Manager, wir sechs machten alles selbst. Was nun die kreative Seite der Band betrifft, so wird die schon lange, seit Mitte der Neunziger, von der Dynamik zwischen Tom und Knut alias Euroboy bestimmt. Aus dieser Kombination kommen all die starken Ideen. Aber alle in der Band sind gute Musiker, wir verstehen unser Handwerk, das ist unsere Stärke und das hat das Überleben der Band gesichert.

„Rocknroll Machine“ erscheint genau zwanzig Jahre nach dem Meisterwerk „Apocalypse Dudes“, mit dem ihr euren Durchbruch hattet. Viele Bands, die damals wichtig und groß waren, sind längst vergessen, irgendwann erlischt bei vielen die Bereitschaft und die Lust daran, Lebenszeit und Geld zu investieren. Wieso ist das bei euch – wieder – anders?

Schwer zu sagen ... Wir sind wohl irgendwie Abhängige, und nach so langer Zeit wird die Band Teil deiner Identität. Aber wie du weißt, gab es auch bei uns Zeiten von Inaktivität und Auflösung, und das hatte etwas mit persönlichen Befindlichkeiten in der Band zu tun, damit, dass Menschen erwachsen werden, Verantwortung übernehmen müssen, Kinder bekommen. Wir hatten aber das Glück, dass wir im Laufe der letzten zwanzig Jahre in Norwegen, in Skandinavien im Mainstream angekommen waren und entsprechend viele Fans haben, so dass wir mit der Band auch einfach weitermachen konnten. Hätten wir die Band nur am Leben erhalten können, indem wir in einem kleinen Bandbus durch die Welt tingeln, hätte das nicht so lange funktioniert. Aber andererseits können wir das ja auch, also kleine Shows irgendwo auf der Welt spielen. Diese Option, auf verschiedenen Levels was machen zu können, nicht auf nur große oder nur kleine Konzerte angewiesen zu sein, das hat uns über die Jahre sehr geholfen. Wären wir eine große Stadionband geworden, die nur mit Nightliner oder Privatjet reisen kann, hätte uns das sicher aufgerieben. So können wir aber einerseits in recht großen Hallen spielen, aber auch kleine Clubkonzerte geben. Wir haben das so nicht geplant, aber ich glaube, es hat uns geholfen zu überleben.

Wenn du eine junge Band coachen müsstest, würdest du der empfehlen, sich alleine auf die Musik zu konzentrieren oder sich auch um das „richtige“ Leben jenseits davon zu kümmern?

Ich kann nur empfehlen, für Phasen, in denen die Band nicht so aktiv ist, eine andere Joboption zu haben. Wir alle in der Band haben heute noch einen normalen Job und wir bekommen das mit der Band trotzdem hin. Man muss nur gut mit seiner Zeit haushalten können. Sich auf die Musik als Lebensunterhalt zu konzentrieren, das ist ein großes Risiko. Du musst es wirklich wissen wollen, du musst ständig unterwegs sein, das ist hart. Es gibt dafür nicht das eine Erfolgsrezept, das ist bei jeder Band, jedem Musiker anders. Manche Menschen gehen darin auf, jahrein, jahraus in einem alten Van durch die Welt zu tingeln – ich könnte das nicht, ich habe Familie, ich habe Kinder.

Vor zwei Jahren habe ich Knut und Tony interviewt und es fiel die Aussage, dass TURBONEGRO unschlüssig seien, ob es in Zeiten, da sich scheinbar alles nur noch um YouTube-Videos und -Singles dreht, ein neues Album überhaupt noch Sinn ergibt. Offensichtlich habt ihr diese Entscheidung inzwischen getroffen.

Wir haben da lange hin und her diskutiert. Unsere frühen Alben waren ja auch nur Zusammenstellungen der Singles. Wenn wir genug Geld zusammenhatten, gingen wir ins Studio, nahmen zwei Songs auf und veröffentlichten die als Single. Hatten wir genug Singles zusammen, kamen die zusammengefasst als Album raus. Diesmal haben wir ja auch zuerst die „Hot for Nietzsche“- und die „Special education“-Single veröffentlicht, doch dann lief es so gut mit dem neuen Keyboarder Haakon-Marius, den wir 2015 eigentlich nur für die Aufnahmen zu „Hot for Nietzsche“ ins Studio geholt hatten, dass er einfach blieb und ein richtiges Bandmitglied wurde. Diese Line-up-Erweiterung eröffnete uns musikalisch so viele neue Möglichkeiten, dass uns das richtig inspirierte und es uns leichtfiel, neue Songs zu schreiben, und außerdem spielten wir seitdem wieder mehr Konzerte. Und so dachten wir uns, warum machen wir nicht einfach mal wieder ein Album. Aufgenommen wurde es im Frühjahr 2017 in Oslo.

Nun ist „Rocknroll Machine“ wirklich ein klassisches Album, die Songs gehen teilweise ineinander über, zu Beginn sind drei Songs als Part I, II und III angelegt. Das ist ein Widerspruch zu den heutigen Online-Vermarktungssystemen und Hörgewohnheiten, die auf einzelnen Songs basieren.

Wir dachten uns einfach, wenn wir ein Album machen, dann richtig. Die Mainstream-Musik hat sich weg von Rock hin zu anderen Genres entwickelt. Rockmusik ist nicht mehr Hauptbestandteil von Radioplaylists, nicht mehr Teil der Hörgewohnheiten der Mehrheit, überhaupt nicht mehr Teil von Jugendkultur. Von daher wäre es sinnlos, diese Zielgruppe überhaupt noch in kommerzielle Überlegungen einzuschließen. Also überlegten wir, einfach so zu handeln wie vor zwanzig Jahren und ein klassisches Album zu veröffentlichen. Die ersten drei Songs sind Teil einer – sorry, das soll jetzt nicht angeberisch klingen – Suite, sie sind miteinander verbunden. Und da hatten wir direkt Probleme mit den Digitaldienstleistern, die Streamingdienste beliefern: iTunes kam mit den Songs und der Titelbezeichnung nicht klar, ziemlich lustig, haha. Wer das Album also richtig hören will, muss sich das Vinyl besorgen. Andererseits beklagen wir auch nicht den Tod des Albums und des Rock’n’Roll, wir haben lieber unseren Spaß mit alldem. Das Album betrachten wir auch als Kommentar zur gegenwärtigen Diskussion um Künstliche Intelligenz und Roboter. Darauf spielt auch der Albumtitel „Rocknroll Machine“ an: TURBONEGRO, die Band, die schon so alt ist, dass sie in eine Maschine verwandelt werden musste, damit sie weitermachen kann und perfekten Rock’n’Roll kreiert. Die Musiker wurden durch Roboter ersetzt, die aussehen wie wir, das macht das Touren billiger.

Du sprichst von der Zukunft, ich muss bei Songs wie „Skinhead rock & roll“ oder „John Carpenter powder ballad“ eher an die Vergangenheit denken, etwa an VAN HALEN – „Jump“ und „Panama“ höre ich da deutlich raus.

Mit TURBONEGRO haben wir ja schon immer auf klassische Rockbands Bezug genommen, und dazu zählen eben auch VAN HALEN und DEF LEPPARD. Musik zitiert immer andere Musik, das machte schon Mozart, ohne uns jetzt mit dem vergleichen zu wollen. Das neue Album ist klar vom Metal, aber auch dem Hardcore der späten Siebziger und frühen Achtziger beeinflusst. Einigen Leuten wird es sicher etwas zu cheesy sein, mit zu viel Synthesizer, aber wir wären ja nicht TURBONEGRO, wenn wir den Leuten nicht ans Bein pinkeln würden. Denn wenn wir etwas können, dann provozieren – diesmal mit Synthesizer. Egal, wir sind auf jeglichen Shitstorm vorbereitet. Und ... ganz eindeutig sind diese Referenzen zu solchen Bands ironischer Natur, das sind keine Bands, die wir wirklich mögen. Wir zitieren nicht mal bewusst bestimmte Bands, sondern irgendwas, was wir irgendwann mal gehört haben und das irgendwann ins Unterbewusstsein eingegangen ist. Wir sind im Detail dann selbst oft überrascht, wenn wir das Original hören und uns auffällt, wo wir irgendwas herhaben. Da steckt also echt kein großer Plan dahinter, es ist einfach nur Rock’n’Roll. Die Magie von Rock’n’Roll ist doch, ein paar Bier zu trinken und zur Musik zu grooven. Genau das haben wir diesmal gemacht, deshalb ist es so ein Rock’n’Roll-Album geworden. Du erwähntest ja eben auch den zwanzigsten Geburtstag von „Apocalypse Dudes“, und wir hätten auch einfach nur eine remasterte Version rausbringen können und farbiges Vinyl und all so was, aber es ist doch viel schöner, ein Lebenszeichen in Form eines neuen Albums zu veröffentlichen. Das fühlt sich richtig gut an!

Was steht für 2018 auf dem Plan?

Im Februar und März gehen wir auf eine kleine Tour quer durch Europa, danach fliegen wir für ein paar Gigs in die USA, und dann spielen wir im Sommer auf vielen Festivals. Offen gesagt konzentrieren wir unsere Live-Aktivitäten immer mehr auf Festivals. Wir mögen Festivals wirklich, als Band „funktionieren“ wir gut auf großen Bühnen, und wir haben Spaß daran, backstage mit anderen Musikern abzuhängen, uns zu unterhalten, andere Bands zu sehen. Das ist besser, als alleine auf Tour zu gehen, wo man sich dann immer in so einer Art Blase befindet.

Was hat es mit der Labelauswahl auf sich? LP und CD erscheinen auf Burger Records aus den USA.

Wir sind Fans des Labels und ihrer Arbeitsweise. Die machen ihr eigenes Ding, sind ein Indielabel alter Schule und sie haben ein junges Publikum. Die haben eine Nische geschaffen für Rock’n’Roll für ein jüngeres Publikum, und das ist gut für uns – wir wollen Kids erreichen, die Rock’n’Roll mögen. Klar hätten wir auch ein alteingesessenes Label mit einem Ü50-Publikum nehmen können, aber das wäre langweilig. So kümmert sich Burger um LP und CD. Und um die ganzen Streamingportale, also die digitale Verbreitung, kümmern wir uns selbst, besser gesagt Universal – vor allem, weil ich da arbeite. Ich denke, mit der Veröffentlichung auf Burger helfen wir uns gegenseitig: wir helfen dem Label, bekannter zu werden, und die helfen uns, neue, junge Leute zu erreichen.

Wie sieht es eigentlich mit euren alten Platten aus, sind die derzeit alle zu bekommen – und wer kümmert sich darum?

Die sind ja alle auf verschiedenen Labels erschienen, es gab verschiedene Versionen und Reissues. Online kann man sich alles anhören, aber wir werden uns 2018 intensiv darum kümmern, alles auch wieder auf Vinyl und CD zu veröffentlichen. Die Band wird dreißig, da muss man sich um so was kümmern.