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Wo für „das Gute“ gehobelt wird

Wird man mit der Volljährigkeit von 18 Lebensjahren etwa reifer und weiser? Wohl kaum, es sei denn man stellt eine vierköpfige Punkband aus Celle dar, die ihre Bandvolljährigkeit mit einem interessanten Album selbst krönt. Hatte mir das vorletzte Album der Band, „Alles ist vergänglich“, zumindest vom Interesse her an einigen Stellen Freude bereitet, konnte das letzte Album, „Viva Versus“, 2015 schon eine Menge an Energie und Lust in mir auslösen. Zweifellos, das war schon packend. Zum Erscheinen von „Attaque“, des bis dato aber besten Albums, ihrem siebten, welches soeben frisch erschienen ist, wurde es nach dreieinhalb Jahren wieder einmal Zeit, Sänger Steff auf den Zahn zu fühlen.

Steff, eine rosafarbene, gestrickte Hasskappe auf dem Cover? Kommt mit der Band-Volljährigkeit etwa eine gewisse Portion Selbstironie auf?


Nun, Rosa oder Pink verkörpern für uns nicht das Typische und Gewöhnliche in Verbindung mit einer Hassmaske, weshalb wir die Kombination interessant und daher passend fanden.

Ihr seid eine Band mit eindeutigen Aussagen. Viele Bands meinen, ihre Texte seien frei interpretierbar, wie viel Spielraum lasst ihr dahingehend eurer Hörergemeinde?

Das kommt auf das Thema an. Bei politischen oder gesellschaftskritischen Texten haben wir schon das Bedürfnis, eine deutliche und unmissverständliche Sprache zu sprechen. Bei persönlichen Erlebnissen und vertonten Geschichten hingegen ist das Spielfeld der Interpretation für die HörerInnen natürlich größer. Letztendlich haben sie natürlich jeglichen Spielraum, den sie brauchen oder haben möchten, aber da Band und HörerInnen in vielen Punkten ähnlich ticken, kommt man da in der Regel auf einen nicht allzu weit abweichenden Nenner.

Die CD erscheint wieder bei Aggressive Punk Produktionen und das Vinyl bei Antikörper-Export. Hattet ihr dort noch einen Vertrag oder ist das eurer Treue geschuldet, weil ihr ja mit der letzten LP bei denen so richtig durchgestartet seid?

Da unsere Verträge immer nur pro Album gelten, sind wir an kein Label gebunden und hätten freie Hand gehabt. Wir fühlen uns zur Zeit aber bei beiden Labels sehr wohl und die Zusammenarbeit ist entspannt, gut und professionell. Bulli, der Antikörper-Export betreibt, spielt ja auch bei uns Gitarre und somit hat das alles auch was Familiäres an sich. Und mit Matze von Aggropunk sind wir auch abseits der Labelgeschichten auf einer Ebene, wo es vor allem menschlich passt – was uns immer sehr wichtig ist.

Beim G20-Gipfel in Hamburg, um es kurz anzureißen, hieß es aus der linken Szene, die Plünderer und so weiter seien „Krawalltouris“ gewesen, mit denen man nichts zu tun haben will. Wie seht ihr das? Ich frage auch deshalb, weil ihr ja auf der letzten LP gesungen hattet, es wäre okay, wenn hier öfter mal etwas kaputt gehauen werden würde ...

Sicherlich waren auch ein paar Krawalltouri-Kiddies unter den G20-Gegnern beziehungsweise Leute, die mit Politik absolut nichts am Hut haben und lediglich ein bisschen Bambule-Event erleben wollten. Ich für meinen Teil habe auf solche Leute keinen Bock. Demos oder Aktionen willst du doch mit Menschen durchziehen, die für dieselbe Sache brennen oder gegen dieselbe Sache kämpfen wie du. Und die auch wissen, warum sie das tun, und denen es um mehr geht als „nur“ ein bisschen Krawall. Was die Krawalle rund um den Gipfel angeht, war das größtenteils ja vorhersehbar, weshalb die paar kaputten Sachen uns weder wundern noch stören. Wo für „das Gute“ gehobelt wird, da fallen eben manchmal Späne. Und solange die Empörung in diesem Wohlstandsland darüber größer ist als die Empörung über die alltägliche Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur – solange scheinen diese Späne von Nöten zu sein.

Anderes Thema: eure neue Platte! Im Song „Zwischenmenschlich abgefuckt“ geht es darum, dass ihr nicht automatisch mit allen Antifaschisten in einen Topf geschmissen werden mögt. Vor allem wenn deren Ideologie aus „Ficken, Saufen, Oi!“ bestünde. Sind Skins und Bootboys auf euren Konzerten überhaupt Teil der Kundschaft? Und muss nicht jeder Mensch neu betrachtet werden, sprich: ist eine Szene nicht immer heterogen?

Uns ist „Antifaschismus“ als kleinster und alleiniger gemeinsamer Nenner zu wenig. Und wir haben teilweise das Gefühl, dass ein „Gegen Nazi“ gerne mal vieles andere runterkocht und teilweise auch duldet. Beispiel: „Du kannst der größte Mackerproll, der größte Grauzonenheini, das größte Charakterarschloch sein, solange du ansonsten antifaschistisch bist, ist der Rest erstmal zweitrangig“ – finden wir scheiße. Der Text bezieht sich allerdings ebenso auf die ansonsten „politisch wertvollen“, die aber zwischenmenschlich unter aller Kanone sind und die mit erhobenem Zeigefinger ihre Meinung als Gesetz sehen. Selbstverständlich haben wir alle unsere Fehler und keiner von uns ist perfekt. Aber so, wie wir uns als Menschen in unserem Tun und Handeln immer wieder selbst hinterfragen und auch mit uns selbst ins Gericht gehen, so tun wir das auch mit der eigenen Szene. Deshalb dieser Rundumschlag in „Zwischenmenschlich abgefuckt“. Die typische „Ficken, Saufen, Oi!“-Geschichte war noch nie die unsere, allerdings würden wir diese nicht zwangsläufig mit Skins oder Bootboys in Verbindung bringen, da diese Einstellung sich ja überall finden lässt. Selbst in der Mitte der Gesellschaft, aber da heißt das dann Malle-Urlaub, oder Volks-, Schützen- oder Oktoberfest, Herren- oder Vatertag. Skinheads, um das abschließend noch zu beantworten, finden sich natürlich auf unseren Konzerten, allerdings weniger die „unpolitischen“ Partyskins, sondern mehr die Leute aus der RASH-Bewegung.

Was sagt ihr zu Bands aus der RASH- und Antifa-Bewegung, die ihre Namen und Gesichter verbergen? Ist das nicht ein verfehlter Ansatz? Ist man also nicht per se zuerst Künstler und dann politisch?

Eine Meinung oder eine Einstellung hat man ja schon, bevor man als „Künstler“ in Erscheinung tritt. Und die bleibt in der Regel auch danach. Somit denke ich, dass man in erster Linie politisch ist und dann erst Musiker, Schauspieler, Sportler ... Aber in diesem Punkt kann ich nur für mich sprechen. Das Verbergen von Gesichtern sowie das Nichtpreisgeben von Namen finde ich in Ordnung.

Ein „Massaker von Celle“ im Zweiten Weltkrieg wird auch thematisiert. Erzähle uns bitte Näheres über das, was da damals passierte.

Dazu muss ich etwas weiter ausholen, aber ich versuche mal die Kurzform. Im KZ-Außenlager Salzgitter-Drütte stellte die SS im April 1945 einen Räumungstransport mit Zielort KZ Bergen-Belsen zusammen. Um die 4.000 Menschen befanden sich in den Zugwaggons, der auf seinem Weg in Celle halten musste. Vor Weiterfahrt des Zuges setzte ein schwerer Luftangriff auf Celle ein, der viele Häftlinge tötete, anderen hingegen die Möglichkeit zur Flucht bot. Eine Wehrmachtskompanie, eine in der Nähe stationierte SS-Einheit, die örtliche Polizei und viele Zivilisten beteiligten sich an der Suche nach den Geflohenen. Viele von ihnen erlebten die Befreiung durch die Alliierten nicht mehr. Sie wurden von den Suchtrupps aufgespürt, gejagt und schließlich erschlagen oder erschossen. Dieses Massaker ist verharmlosend und zynisch auch als „Celler Hasenjagd“ bekannt, da Augenzeugen davon berichteten, dass die KZ-Häftlinge wie Hasen im Zickzack über das freie Feld in den Wald geflohen seien und dabei von ihren Verfolgern abgeknallt wurden. Ein ganz dunkles Kapitel in der Geschichte von Celle, welches die Stadt lange verdrängt und totgeschwiegen hat.

Mir scheinen die Texte auf „Attaque“ generell für ein breiteres Publikum gedacht zu sein.

Diese Wahrnehmung liegt in erster Linie wohl daran, dass sich auch viele persönliche Themen auf der Platte befinden und damit können sich vielleicht automatisch auch mehr Menschen identifizieren. Bewusst für ein breites Publikum wurde jedenfalls keiner der Texte konzipiert, denn wie auf jeder Platte haben wir lediglich das besungen, was wir aktuell fühlen oder was uns gerade beschäftigt. Wenn sich darin allerdings viele Menschen wiederfinden können, das ähnlich sehen oder gar davon berührt werden, dann freut uns das natürlich.

Hat man als Combo, die gerade mächtig auftreibt, nicht auch mehr Verantwortung? Wird daher nun jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, etwa bei Gigs?

Also dass man als Musiker eine gewisse Verantwortung hat, war uns, unabhängig von Erfolg oder Verkaufszahlen, immer schon bewusst und wir hatten nie das Verlangen, irgendwelche – für uns – „beschissenen“ Inhalte zu vermitteln. Vielleicht sind wir beim Transport dieser Inhalte manchmal ziemlich direkt, aber eine Goldwaage gehört nach wie vor nicht zu unserem Band-Equipment.

In „Von verkauften Idealen“ steckt eine starke, glaubwürdige Aussage, keine Frage, nur wo fängt der Ausverkauf an? Wann musstet ihr zuletzt einen Kompromiss innerhalb der Gruppe besprechen, da ihr euch ansonsten auf brüchiges Eis begeben hättet?

Der letzte Kompromiss, falls ich nicht irre, hatte irgendwas mit irgendeiner Location zu tun. Also wo wir uns nicht sicher waren, ob wir aufgrund diverser Dinge dort spielen sollten. Da haben wir echt etliche Gespräche führen und Mails schreiben müssen, um uns schließlich aus der Ferne selbst ein ungefähres Bild zu machen und dann entscheiden zu können.

Und immer wieder Arthur Schopenhauer. Ich finde ihn ja auch in sehr vielen Dingen sehr relevant, aber hat es nicht stets etwas von einem Rosinenpicken, wo man es gerade benötigt?

Da wir ihn, wie auch du, in vielen Dingen relevant finden, allerdings auch nicht mit all seinen Aussagen konform gehen, hat es tatsächlich ein wenig was davon, was ich aber nicht dramatisch finde. Manches von ihm finden wir bescheuert, manches finden wir passend und gut und manche Zitate verleiten uns dazu, einen ganzen Text zum betreffenden Thema zu schreiben.

Abschlussfrage: Haben sich die Ziele, die als Band beim Start im Jahre 2000 hattet, erfüllt und was kommt als Nächstes?

Unser Hauptanliegen war anfangs, einfach nur Mucke machen, und das hatte sich schon nach den ersten Proben erfüllt. Als Nächstes steht unsere Release-Tour an, mit der wir zugleich unser 18-jähriges Bandjubiläum feiern, danach haben uns FEINE SAHNE FISCHFILET für ein paar Konzerte eingeladen und dann mal sehen. Wir lassen uns überraschen.