FARFLUNG

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Erforschen und Entdecken

Sie spielen seit 1992 zusammen und wurden mit der Veröffentlichung ihres ersten Debüts 1995 auch über die kalifornische Bay Area hinaus bekannt. 2018 ist nun „This Capsule“ erschienen: neue Sounds, Noise, Ambient – man ist überrascht. Das Album wurde von fünf Multi-Instrumentalisten eingespielt, die wechselweise an verschiedenen Instrumenten ihre musikalischen Ideen ausleben konnten: Rodney Rodriguez, Chris Nakata, Paul Hischier, Tommy Greñas und Michael Esther. Wir sprachen mit FARFLUNG über die Veränderungen im persönlichen Umfeld, über Musik, über das Gefühl, mehr als ein Vierteljahrhundert mit einer Band unterwegs zu sein sowie über die Begeisterung für Spacerock und chemische Prozesse.

This Capsule“ heißt euer neues Album. Gibt es etwas Besonderes dazu zu sagen?

Tommy:
Ja! Wir wollten die Freiheit haben, alles ausdrücken zu können. Es gab im Vorfeld keine großen Diskussionen oder Pläne für das Album. Es war ein unmittelbares Ausströmen von Sound. Wir konnten direkt – und dank der Unterstützung unseres Labels Noisolution – das gewünschte Ziel erreichen.

Paul: „This Capsule“ war die logische Fortsetzung einer Reihe von Ereignissen – mit extremer Krankheit und Verrücktheit, mit Trauer und Wut und Chaos. Es sind genau die Emotionen, die jeder an einem bestimmten Punkt in seinem Lebens erfährt.

Wie fing das alles bei euch an?

Michael:
Tommy und ich haben uns bei einem Gig in L.A. getroffen. Mit Brandon, dem ersten Schlagzeuger von FARFLUNG, habe ich zusammen am CalArts, dem California Institute of the Arts, studiert. Wir hatten eine Band, die hieß HELIANTHUS. Wir haben mal mit ein paar Freunden von Tommy gespielt, so haben wir uns kennen gelernt. Irgendwann haben wir uns in FARFLUNG umbenannt ...

Tommy:[/b] Ich war in der Band PRESSUREHED und habe zufällig HELIANTHUS im Anti Club in L.A. gehört. Es war so beeindruckend, so dass ich Kontakt mit Michael und Brandon aufnahm. Wir hatten alle das Gefühl, wir könnten etwas zusammen machen. Alle hatten den gleichen Geschmack: Avantgarde, experimenteller Space- und Krautrock, Post-Punk und Trash-Rock.

Paul: Ich bin Tommy und Michael begegnet, als FARFLUNG in den Neunzigern zusammen mit meiner Band BAKAMONO in San Francisco aufgetreten sind. Danach haben wir noch öfter in L.A. gespielt. Alles sehr unscharf in meiner Erinnerung ...

Denkt ihr, dass ein Album wie euer „When Science Fails“ von 2002 auch ein Statement zur gegenwärtigen politischen Lage und zu tagesaktuellen Ereignissen in den USA und Europa sein könnte?

Tommy:
Wenn man die Texte betrachtet, geht es vor allem um Zerfall und Fragmentierung. Insekten leben in bestimmten chemischen Kontexten. Und Menschen bedecken den Schmutz mit angenehmen, aber absurden Gerüchen. Ja, vielleicht hast du da teilweise recht. Sehr lustig.

Womit kann man euren Sound annähernd vergleichen?

Michael:
Vielleicht mit einem lieblichen und beruhigenden Schlaflied, das einem Baby in einem raketengetriebenen Raumschiff vorgesungen wird, das gerade 25.000 Fuß pro Sekunde Richtung Erde fällt ...

Tommy: Träume und Alpträume werden freigelegt. Zeichen und Signale von inneren Welten überlagern sich mit Schwingungen von äußeren Welten und werden zur Erde heruntergezogen und wieder wie von einem Heißluftballon zurück in die Atmosphäre geschleudert.

Paul: Der Soundtrack des Erforschens, des Entdeckens.

Wann seid ihr zuerst mit Space-Sounds in Kontakt gekommen?

Paul:
Es gab eine Radiosendung aus Berkeley, California, die hieß „Music from the Hearts of Space“ – das war meine Einführung in Ambient und Space Music. Jimi Hendrix, Bowie, T. REX, HAWKWIND und so weiter, als Nächstes kamen MOURNBLADE ...

Michael: Bei mir war es Paul Kantners Album „Blows Against The Empire“.

Tommy: Für mich war es wahrscheinlich „The Piper At The Gates Of Dawn“ von PINK FLOYD und als ich HAWKWIND mit „Silver machine“ bei „Top of the Pops“ gesehen habe. Ich hatte den Soundtrack zu einem Science-Fiction-Streifen namens „Robinson Crusoe auf dem Mars“ aus den Sechziger Jahren, den mein Onkel für mich von einem alten 16-mm-Film gezogen hatte. Den habe ich mir immer wieder angehört. Irgendwann habe ich mal eine Kopie davon auf CD gefunden. Sehr orchestral und die Metaphorik war sehr beeindruckend. Da gab es definitiv ein Segment, das mich sehr beeindruckt hat, sowohl von der Melodie her als auch in der musikalischen Entwicklung, weil ich es unterbewusst gelegentlich immer noch verwende.

Könnt ihr mir etwas über die Zusammenarbeit mit Nik Turner erzählen, der früher bei HAWKWIND war? Hat er euren Sound beeinflusst?

Tommy:
Nein, eigentlich nicht. Ich habe eine ganze Tour mit Nik gespielt, mit PRESSUREHED als Support, also Len Del Rio, Alan Powel, Helios Creed und Simon House. Ein wenig später haben FARFLUNG eine kleine Tour mit Nik gemacht, eine Hälfte unser Zeugs, die andere Hälfte Niks Songs, mit seinem Saxofon als Markenzeichen. Es war sehr lustig und unterhaltsam. Eines Abends hockte er in einer Tourbox – so wie in einer Raumkapsel – und wir konnten ihn über das Mikrofon von seinem Saxofon murmeln hören: „Hey, holt mich hier raus ...“ Er steckte immer in einem Gummianzug, hatte sich gerade bei einem Motorradunfall das Bein gebrochen und schleppte sich über die Bühne, wie mit Tentakeln behaftet, die von ihm abfielen, wenn er sich während des Auftritts auf einem Barhocker setzte. Dabei zog er immer die Hälfte meiner Kabel und Pedale hinter sich her ...

Habt ihr überhaupt direkte musikalische Vorbilder?

Tommy:
Ich denke, die einzigen Genies in der Rockmusik waren Don Van Vliet von CAPTAIN BEEFHEART und Klaus Dinger, der bekannt durch NEU! oder KRAFTWERK ist, weil sie wirklich alles für ihre Kunst geopfert haben.

Hat Noise für euch eine besondere Bedeutung? Zumindest habt ihr einige Elemente in das neue Album integriert.

Paul:
Ganz sicher sogar. Fieldrecordings, Industriegeräusche, Musik aus dem Noise-Bereich, Noiserock, Ambiente Noise ... Ich sammle und suche alles. Es sind eine Menge Fieldrecordings auf der neuen Platte. Und Tommy hat eine Menge beeindruckender Space-Sounds beigesteuert.

Michael: Mich interessiert die Spannung zwischen Melodie und Dissonanz – man braucht immer beides.

Tommy: Mit FARFLUNG ist es wie mit Öl und Wasser, bei hohen Geschwindigkeiten vermischt es sich, und wenn es sich beruhigt, trennt es sich wieder, und dann mischt man es wieder und so weiter. Es ist eine permanente Herausforderung.

Was macht ihr, wenn es mal nicht um Musik geht? Habt ihr noch andere Projekte?

Michael:
Es geht immer um Musik. An irgendeinem Projekt arbeite ich immer ...

Paul: Ich bin niemals weit weg von einer Gitarre und ich spiele, wann immer es geht. Außerdem lebe ich sehr zurückgezogen und bin ziemlich viel draußen, fahre Kajak und Fahrrad und laufe. Ansonsten verdiene ich meinen Lebensunterhalt und verbringe Zeit mit Freunden und der Familie.

Zum Schluss noch die Frage an die Vinylfreaks: Was sind eure Top 10 der Psychedelic-Alben? Und wie sieht es mit dem Sammeln von Vinyl aus?

Michael:
Ich bevorzuge Vinyl. Einen großen Teil meiner Jugend habe ich in Plattenläden verbracht. Sie waren der Platz, an dem meine Fantasie angeregt wurde und die mir die Augen zu anderen Welten geöffnet haben.

Tommy: Ich bin ein Vinyljunkie und -sammler seit meiner Jugend. Das beantwortet die Frage wohl. Ich habe auf jeden Fall zu viele LPs. Ich kann nur meine drei Favoriten aufzählen und das, was ich am meisten höre: NEU! „Neu! 75“; KRAFTWERK „Computer World“; THE STOOGES „Fun House“; HAWKWIND „Doremi Fasol Latido“; SEVERED HEADS „City Slab Horror“; CAN „Ege Bamyasi“; Miles Davis „Jack Johnson“; Martin Denny „Quiet Village: The Exotic Sounds Of ...“; LOOP „Fade Out“; CLUSTER „Cluster 1“.

Paul: Vinyl ist großartig, sieht gut aus, fühlt sich gut an, der Geruch, die Materialität. Es spricht ganz archetypisch mein kindliches Reptiliengehirn an. Meine Top 11 sind THE VELVET UNDERGROUND & NICO „s/t“, THE DOORS „Strange Days“, THE 13TH FLOOR ELEVATORS „The Psychedelic Sounds Of ...“, PINK FLOYD „The Piper At The Gates Of Dawn“, HAWKWIND „Space Ritual“, BUTTHOLE SURFERS „Psychic ... Powerless ... Another Man’s Sac“, MEAT PUPPETS „II“, THE DREAM SYNDICATE „The Days Of Wine And Roses“, Syd Barrett „The Madcap Laughs“, THE STOOGES „Fun House“ und THE ROLLING STONES „Their Satanic Majesties Request“.