DAVE HAUSE

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Survival-Guide

Dave Hause ist dieser Tage äußerst umtriebig: Nachdem im Herbst die EP „September Haze“ erschienen ist, kommt im April Album Nummer vier. „Kick“ ist ein „Survival-Guide für das Überleben in unserer Gesellschaft“, sagt der Singer/Songwriter und ehemalige Frontmann der Punkrock-Band THE LOVED ONES. Was genau er damit meint, verrät Hause im Interview.

Dave, einigen wir uns darauf, dass ich keine Frage zu THE LOVED ONES stelle?


Warum nicht? Nur raus damit.

Gibt es denn Neuigkeiten?

Nein, haha. Wir sind alle immer noch gute Freunde, aber jeder in der Band hat sein eigenes Leben und seine eigenen Projekte. THE LOVED ONES sind Vergangenheit, es ist alles schon so lange her, und ich blicke lieber nach vorn.

Die Band existiert aber noch, ihr habt euch ja nie getrennt oder aufgelöst.

Das stimmt. Und das macht die Sache schwierig. Es ist wie mit der Ex: Es ist zwar Schluss, man hat aber nie so richtig darüber geredet. Beziehungsstatus: kompliziert, haha. Aber um ganz ehrlich zu sein: Ich war erleichtert, als wir unser letztes Konzert gespielt hatten und ich von der Bühne ging in dem Wissen, jetzt erst mal mein eigenes Ding machen zu können. Bis zum heutigen Tag hat sich daran nichts geändert. Ganz im Gegenteil, seit mein Bruder Tim dabei ist, macht es mir sogar noch einmal deutlich mehr Spaß. Ich wüsste nicht, warum ich daran etwas ändern sollte.

Dein Bruder Tim ist in den vergangenen Jahren viel mit dir getourt, hat zahlreiche Unplugged-Konzerte mit dir gespielt. Hat er auch am neuen Album „Kick“ mitgewirkt?

Ja, er hat sogar einen sehr großen Anteil daran. Schon bei der letzten Platte „Bury Me In Philly“ brachte er gute Ideen mit ein, und bei „Kick“ war er dann erstmals von Anfang an und sehr umfangreich beteiligt. Er hat sogar Songs für das neue Album geschrieben. „The ditch“ zum Beispiel. Ein wirklich tolles Stück, finde ich. Tim hat den Text geschrieben, und anschließend haben wir gemeinsam das musikalische Gerüst drumherum gebaut. „The ditch“ ist einer meiner Lieblingssongs auf dem neuen Album.

Welche sind die anderen?

Ich bin sehr stolz auf „Saboteurs“. Das ist ein ganz anderes Lied als all die anderen, ein sehr ambitioniertes Stück. Wir haben den Song genauso gemacht, wie wir ihn haben wollten. Ohne Kompromisse. Oder „Weathervane“: Es ist eines der tragenden Stücke auf „Kick“, obwohl es an nur einem einzigen Tag entstanden ist. Wir saßen bei Tim im Garten und es sprudelte einfach nur so aus uns heraus. Das Lied „Warpaint“ gefällt mir auch sehr gut. Es ist schon vor knapp eineinhalb Jahren auf Tour entstanden. Damals waren wir in Deutschland und haben in den freien Minuten zwischen den Konzerten enorm viel geschrieben. Du siehst: Ich habe ein paar Lieblingssongs auf „Kick“.

Der Vorgänger „Bury Me In Philly“ war ein fröhliches, ein positives Album. Kurz nach dessen Veröffentlichung wurde Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt.

Bitte sag seinen Namen nicht. Das ist wie mit Lord Voldemort aus „Harry Potter“, haha. Man spricht diesen Namen einfach nicht laut aus. Ich kann ihn ehrlich gesagt auch nicht mehr hören.

Okay, trotzdem: Als „Du weißt schon wer“ Präsident wurde, hast du angekündigt, in Zukunft wieder politischere Lieder zu schreiben. Finden sich davon welche auf „Kick“ wieder?

Ja, aber das liegt nicht nur am Präsidenten. Die Wahl war für mich zwar der Weckruf. Ich dachte: Oh, nein! Das kann doch nicht wirklich alles sein, was wir von dieser Welt erwarten dürfen. Klar, dass die Lieder in diesem Kontext wieder politischer werden. Dennoch sind auf „Kick“ keine politischen Songs aus reinem Selbstzweck, sondern Lieder, in denen die westlichen Gesellschaften in ihren vielen Facetten, auch in sozialer Hinsicht, betrachtet und daraus Schlüsse gezogen werden.

„Kick“ ist also eine Art Utopie?

Nein, auf gar keinen Fall. Zu Utopien ist die Menschheit aktuell gar nicht in der Lage, glaube ich. Das ist zu weit entfernt. Zu unrealistisch. Es geht im Moment einzig und allein darum, bei Verstand zu bleiben. „Kick“ ist eher eine Art Survival-Guide für das Überleben in unserer heutigen Gesellschaft. Das Album soll eine Anleitung sein, wie man sich in diesen beschissenen Zeiten zu verhalten hat: Bleibe ein Mensch mit Wärme und Mitgefühl. Sei ein guter Bruder, eine helfende Hand, ein fürsorglicher Vater, ein liebender Ehemann. Drehe nicht durch, werde nicht verrückt, und nimm dir bloß nicht das Leben. Gib nicht auf. Egal wo du gerade stehst: Halte durch und mache das Beste daraus. Das ist es, worum es auf „Kick“ geht. Deshalb auch der Name des Albums: Treten, Strampeln. Denn das ist der natürliche Reflex, wenn man ins Wasser geworfen wird. Es geht ums Durchhalten. Ums Weitermachen. Es geht darum, immer die Hoffnung zu behalten. Dieser Gedanke findet sich in fast jedem der Songs wieder.

Vor Erscheinen von „Bury Me In Philly“ sagtest du, das dritte Album sei das, auf das es ankommt. Das Album, das definiert, was ein Künstler tut, wofür er steht und wie er wahrgenommen wird. Welche Bedeutung hat dann das vierte Album?

Stimmt, das habe ich gesagt. Das sehe ich heute – mit etwas Abstand – allerdings nicht mehr so. Natürlich ist das dritte Album immer noch ein sehr wichtiges, weil man damit einen Pakt mit dem Publikum eingeht. Was ich damit meine: Ganz viele Bands veröffentlichen zwei Alben — und danach ist Schluss. Mit dem dritten Album etabliert man sich dauerhaft als Künstler und zeigt, dass das etwas Ernstes ist und dass man durchhält. Deshalb hat das dritte Album schon einen besonderen Stellenwert. Dieser Meinung bin ich auch heute noch.

Aber ...?

Aber mittlerweile denke ich, dass das im Prinzip auf jedes Album zutrifft, nicht nur auf das dritte. Jede Veröffentlichung ist ein Teil der Geschichte. Denn so unterschiedlich sie sind, eins eint sie alle: Ich biete etwas an, mache mich angreifbar, kehre mein Inneres nach außen und hoffe, dass es den Leuten gefällt. Ich dachte anfangs, das gelte nur und vor allem für das dritte Album. Das hat mich sehr gelähmt und viel Druck aufgebaut. Jetzt weiß ich: Das gilt für alle Alben, also auch für das vierte. Und diese Erkenntnis lässt mich deutlich entspannter leben.

Für „Bury Me In Philly“ hast du mehr als drei Jahre gebraucht, für „Kick“ waren es nur eineinhalb.

Genau das meine ich. Man kann die Suppe nämlich auch versalzen. Bei „Bury Me In Philly“ musste alles perfekt sein. Deshalb hat es auch so quälend lange gedauert, bis es veröffentlicht wurde. Heute ist es mir viel wichtiger, die Songs rauszubringen, wenn sie fertig sind. Ich bin bereit, mehr Risiken einzugehen, und mache mir nicht mehr so viel Druck. Wenn wir fertiges Material haben, dann raus damit.

Das klappt derzeit ganz gut. Im Herbst hast du erst die EP „September Haze“ veröffentlicht, jetzt folgt das vierte Album.

Oh, stimmt. Die EP hatte ich schon wieder ganz vergessen, haha. Wir waren in den vergangenen eineinhalb Jahren extrem produktiv, haben fast dreißig Songs geschrieben. Davon sind noch nicht alle veröffentlicht. Ich hoffe aber, dass wir das Tempo beibehalten können. Auch während der anstehenden Tour.

Die euch im April und Mai unter anderem nach Deutschland führt. Was darf man erwarten?

Wir haben unsere Live-Band THE MERMAID im Gepäck, denn es sollen richtig krachende Rock’n’Roll-Konzerte werden. Deshalb haben wir uns auch wieder für klassische Clubs entschieden und nicht für außergewöhnliche Locations wie die Ringkirche in Wiesbaden, wo wir während der Unplugged-Tour im vergangenen Jahr waren.

Ihr tretet unter anderem in Hamburg, Berlin und Münster auf. Auf welche Stadt freust du dich am meisten?

Grundsätzlich muss ich sagen: Die deutschen Fans sind verdammt gut zu uns, egal wo. Wir wurden hier stets mit offenen Armen empfangen und haben uns immer wohlgefühlt. Deshalb ist es eigentlich vollkommen egal, wo wir spielen. Es macht überall Spaß, weil uns so enorm viel Wertschätzung entgegengebracht wird. Aber auf Berlin und Köln freue ich mich ganz besonders. Dort hatten wir 2017 richtig geile Headline-Shows. Und ich glaube, das wird auch diesmal wieder so werden. Obwohl ich auch ein bisschen Angst davor habe, muss ich gestehen. Wir spielen diesmal in größeren Locations. Und ich hoffe, wir bekommen die Clubs auch alle voll.