FRANK CARTER & THE RATTLESNAKES

Foto

Der Pawlow’sche Hund des Hardcore

Nachdem GALLOWS nun wohl endgültig Geschichte sind und PURE LOVE auch eher als Intermezzo zu verstehen waren, etablieren sich FRANK CARTER & THE RATTLESNAKES als neue feste Band von Frank Carter. Kern der Band sind Carter und Gitarrist Dean Richardson. Im Mai 2019 erscheint ihr drittes Album „The End Of Suffering“, über das ich mit Frank und Dean Anfang April vor ihrem Auftritt in der Bochumer Matrix gesprochen habe.

Wie stolz seid ihr auf das neue Album, verglichen mit den beiden vorigen?

Frank:
Wir sind definitiv stolzer. Wenn du ein neues Album machst, stützt sich das immer auf die Erfahrungen, die du mit den vorherigen gemacht hast: Konzerte, Songwriting-Praxis, Proben ... Es ist schwierig, nicht mit jedem neuen Album noch stolzer zu werden.

Ich finde, dass das neue Album positiver klingt als die beiden davor. Oder wie würdet ihr es im Vergleich beschreiben?

Frank:
Der größte Unterschied ist die Hoffnung. Auf den letzten beiden Alben ging es um schwierige Themen, ich habe da nicht wirklich ein Licht am Ende des Tunnels gesehen, eher den Tunnel selbst. Es ist musikalisch ein großer Schritt für uns, wir wollten etwas machen, das erhebend klingt. Textlich ist das Album sehr ehrlich. Es gibt hier mit die erschütterndsten Textzeilen, die ich je geschrieben habe, aber die Hauptidee ist, dass es immer Hoffnung gibt.

Frank, ich habe gelesen, dass du gerade mitten in einer Scheidung warst, als du die Texte geschrieben hast, war das eher hilfreich oder hinderlich?

Frank:
Weder noch. Das war einfach ein Teil des Songwriting-Prozesses. Auf dem Album geht es auch gar nicht so sehr um meine Scheidung, vieles habe ich schon in „Modern Ruin“ verarbeitet, da ging es um den Zerfall dieser Beziehung. Die Scheidung aber hat für einen gewissen Druck gesorgt, so dass wir, wenn wir denn mal Zeit hatten, uns zusammenzusetzen und zu schreiben, das auch wirklich getan haben.

Dean: Viele Bands spüren einen hohen Druck, wenn sie ihr drittes Album angehen. Wir haben dieses Album wirklich in einer angenehmen Atmosphäre geschrieben, haben uns einen Tag in der Woche getroffen, rumgehangen und geschrieben. Das war schön, ich denke, dass nicht viele Bands es dermaßen genießen, wenn sie ihr drittes Album machen.

Frank: Ich denke auch, dass bei vielen Bands der Druck, der mit dem dritten Album verbunden ist, die Erfahrung überlagert, dieses Album zu schreiben. Wir haben uns so darauf gefreut, an diesem Album zu arbeiten. Wir haben uns getroffen und gehofft, jeden Tag einen Song schreiben zu können. Und tatsächlich haben wir jede Woche mindestens einen Song hinbekommen, in manchen Wochen sogar vier.

Frank, du hast gesagt, dass es auf „The End Of Suffering“ darum geht, wie schwer man es sich selbst machen kann, kannst du das erklären?

Frank:
Ich denke, das Ende des Songs „The end of suffering“ erklärt das ganz gut. Da hört man meine Tochter, die sagt: „Es ist kompliziert.“ Und ich frage sie: „Was ist kompliziert?“ Und sie lacht und sagt: „Nichts!“. Es liegt so eine Unschuld und Einfachheit in dieser Antwort, die mich innehalten ließ, weil sie absolut recht hat. Die Welt ist so einfach oder kompliziert, wie du sie haben willst. Auf „The End Of Suffering“ geht es auch darum, wie ich mein eigenes Leiden aufrechterhalten habe. Ich habe in ständigen Wiederholungen schlechter Verhaltensweisen gelebt und wollte mich nie damit auseinandersetzen, dass ich vielleicht selbst das Problem sein könnte. Ich habe es nach außen projiziert und habe immer andere Leute als mein Problem empfunden, während das Problem, aber auch die Lösung die ganze Zeit in mir waren. Niemand kann dich dazu zwingen, etwas zu tun. Vielleicht, wenn er dir eine Knarre an den Kopf hält. Aber es ist lächerlich, wie viel Leid wir uns selbst zufügen, ohne dass uns jemand bedroht. Ich denke also, „The End Of Suffering“ ist für mich eine Möglichkeit sicherzustellen, dass ich wieder auf einen guten Weg zurückkomme und es mir nicht zu kompliziert mache.

Du hast außerdem mit „#abetterplaceforyouandme“ ein Projekt angefangen, in dem es um das Thema „Angst“ geht, kannst du darüber etwas erzählen?

Frank:
Ich denke, dass es viele Organisationen gibt, die sich dem Thema widmen, aber ich hatte nie das Gefühl, dass sie Angst als etwas darstellen, das man bewältigen kann. Ich bewältige meine Angst, indem ich mir klarmache, dass sie etwas ist, das wahrscheinlich immer bei mir bleibt, aber mit dem ich umgehen kann. Deshalb haben wir diese Plattform gegründet, an die sich Menschen wenden können. Wir sind alle aus dem gleichen Grund da, wir leiden unter Ängsten. Aber das muss keiner sagen. Es muss keiner zugeben, dass er sich schwertut. Es geht uns darum, herauszufinden, was wir tun können, um die Kontrolle zurückzuerlangen, um uns glücklicher zu fühlen. Wir zeigen uns gegenseitig, wie wir im täglichen Leben damit umgehen, was wir tun, damit es uns besser geht.

Ihr beide seid der Kern der Band, obwohl das Line-up auch sonst ziemlich gleichbleibend ist. Könntet ihr euch vorstellen, in Zukunft mit Gastmusikern zu arbeiten?

Frank:
Das Herz und die Seele dieser Band sind wir beide. Ich denke, wir müssen dabei bleiben, alleine schon, weil es sehr schwierig ist, von der Musik zu leben. Da ist es einfacher, wenn zwei Leute das Risiko tragen. Als wir anfingen, haben wir alle Musiker bezahlt, außer uns selbst. Wir haben uns überlegt, andere Musiker in die Band aufzunehmen, aber niemand von denen war in der Lage, sich auf dieses Glücksspiel einzulassen. Heute ist es einfacher, weil weniger Leute in Entscheidungen involviert sind. Wir beide haben eine künstlerische Vision. Und jetzt haben wir auch eine tolle Band, auf die wir stolz sind, die super gerne spielt. Aber alle haben auch eigene Projekte und sie sind frei, zu kommen und zu gehen, wie sie wollen.

Dean: Wir haben auch keine Absicht, das Line-up zu ändern, wir sind jetzt schon so lange zusammen unterwegs. Ich würde aber auch gerne mehr Leute einbeziehen. Ich denke, dass wir uns in Zukunft musikalisch breiter aufstellen werden. Es gibt für uns keine Regeln. Wenn wir demnächst glauben, dass wir einen Vollzeit-Synth-Spieler brauchen, werden wir einen bekommen. Solange unsere Ideen auf Frank, mir und einer Gitarre oder einem Klavier basieren, können wir alles machen.

Das Album wurde von Cam Blackwood produziert und von Alan Moulder gemischt, warum habt ihr euch für die zwei entschieden?

Frank:
Cam hat einen Haufen Hit-Pop-Alben gemacht, aber er liebt Rockmusik. Er hat Dean beim Ausgehen kennen gelernt und sie haben sich einfach ineinander verliebt. Wir haben gesagt, dass wir vorbeikommen und zwei Tracks mit ihm machen, um zu sehen, wie es läuft. Wir haben dann schnell entschieden, dass er derjenige ist, der das Album machen soll. Und es hat super funktioniert. Und Alan Moulder ist mein absoluter Lieblingsmischer und einer meiner Lieblingsproduzenten. Er hat jedes Album gemacht, das ich als Heranwachsender geliebt habe. Ich wurde also gefragt, wer das Album mischen sollte, und ich habe mit ziemlicher Selbstsicherheit „Alan Moulder“ gesagt, und er hat sofort zugestimmt. Er hat viele Songs auf dem Album deutlich verändert.

Inwiefern?

Frank:
Wir haben ihm zum Beispiel irrtümlicherweise einen Song geschickt, den wir niemals veröffentlichen wollten. Er hat ihn also gemischt und ihn mir zurückgeschickt und ich dachte: „Fuck, warum geben wir Geld aus, um einen Song mischen zu lassen, der niemals veröffentlicht werden wird?“ Dann haben wir ihn uns angehört und er war wirklich ziemlich gut. Er hat gehört, was wir gehört haben, nämlich dass irgendetwas falsch war. Aber wir haben nicht herausgefunden, was es war. Er hat es gefunden und verändert. Das ist das Tolle daran, mit solchen Leuten zu arbeiten.

Ist der Song jetzt auf dem Album?

Frank:
Nein. Aber er wird wahrscheinlich noch veröffentlicht.

Hattet ihr nicht Angst, das Album könnte am Ende überproduziert klingen? Denn ich denke, die meisten Menschen mögen an eurer Band, dass ihr sehr rauh und direkt klingt.

Dean:
Wir wussten, dass Cam unsere Musik verstehen würde, und er hat sicherlich anders mit uns gearbeitet als etwa George Ezra. Er wusste, wie wir unsere Musik auf ein neues Level heben könnten, ohne das wegzunehmen, was die Leute an der Band lieben.

Sprechen wir über das Artwork. Wer hat das gemacht und wie ist es zustande gekommen?

Frank:
Dean hat das gemacht. Ich male ja und wir haben eins meiner Bilder hochauflösend fotografiert. Dean hat das Foto dann bearbeitet. Daraus ist dann eine Art abstrakte Landschaft entstanden, die wirklich beeindruckend war, aber irgendwie total düster. Egal, was wir damit gemacht haben, egal, wie hell die Farben waren, es wirkte einfach irgendwie schwer.

Dean: Wir haben damit angefangen, bevor das Album fertig war. Als es dann fertig war, fanden wir, dass es nicht zum Album passt.

Frank: Wir hatten aber auch keine Zeit mehr, etwas anderes zu machen. Wir haben uns getroffen, um das Artwork fertig zu machen, und Dean hat irgendeine Datei geöffnet und plötzlich war es da! Es war ein „happy accident“. Wir haben drei Monate an diesem Artwork gearbeitet, und plötzlich ist es einfach da.

Dean: Wir haben noch ein paar Varianten ausprobiert, aber dann entschieden, dass es die ursprüngliche Version sein soll.

Frank: Für den Rest der Kampagne haben wir uns entschieden, alles analog zu fotografieren. Instagram zum Beispiel hat früher zu einem hohen Stresspegel bei mir geführt. Ich habe alles fotografiert und es war nicht immer gut, es stand kein Gedanke dahinter. Es war mir dann nicht mehr angenehm, so etwas zu teilen. Um diesen Prozess zu entschleunigen, haben wir also angefangen, analog zu fotografieren. Dann musst du den Kram erst einmal wegschicken und entwickeln lassen, und wenn du die Bilder bekommst, hast du dreißig statt hundert. Das hat mich auch dazu gebracht, mehr darüber nachzudenken, was ich poste.

Was unterscheidet eigentlich eure Tour- von eurer „Zu Hause“-Playlist?

Dean und Frank:
Es ist dieselbe Playlist.

Frank: Sie verändert allerdings die Atmosphäre: Wenn du einen Song auf Tour immer vor dem Auftritt hörst, um dich in Stimmung zu bringen, und denselben Song dann im Studio um zehn Uhr morgens, bekommst du plötzlich einen Adrenalinkick davon. Ein bisschen wie ein Pawlow’scher Hund.