CEREBROS EXPRIMIDOS

Auch wenn mensch es kaum für möglich hält: selbst auf Mallorca gibt´s Punk- und Hardcorebands. Ich selbst fand das eher zufällig heraus, als ich das Bandinfo der CEREBROS EXPRIMIDOS durchlas. Und wie der Zufall es so wollte, hatte ich just drei Wochen vorher zwecks Urlaub einen Flug nach Palma de Mallorca gebucht. Was lag also näher, als sich mit den "Squeezed Brains" zwecks Interview zu treffen. Nachdem Uschi und ich nachmittags die Hauptstadt der Balearen erkundet hatten, trafen wir uns abends am Passeig del Borno mit Jaime, dem C.E.-Sänger. Das Interview fand im Proberaum der Band statt, nachdem wir vorher ein halbstündiges Exklusivkonzert geboten bekommen hatten. Interviewsprache war Englisch, wobei anzumerken ist, daß bis auf Jaime die Jungs nur über rudimentäre Englischkenntnisse verfügen. Eventuelles Volkshochschul-Spanisch wäre aber auch nicht von Nutzen gewesen, da man hier Mallorquin spricht, aber das könnt ihr auch im Mallorca-Bericht an anderer Stelle hier im Heft nachlesen. Anwesend waren Sergio (Drums), Cañete (Bass), Juanmi (Gitarre) und Jaime (Gesang).

Ich war relativ überrascht, als ich Info gelesen habe, daß es die Band bereits seit mehr als zehn Jahren gibt.

Jaime: Um genau zu sein gibt es uns bereits seit über elf Jahren, allerdings sind Juanmi und ich die beiden einzigen Originalmitglieder.

Wie kommt man in so einer entlegenen Ecke Europas auf die Idee, eine Punkband zu gründen?

Jaime: Ich und meine Freunde haben schon seit Anfang der Achtziger Punk und Hardcore gehört, und meine erste Band hieß VIRUS. Wir hatten keine Lust mehr, immer nur Platten zu hören und wollten auch mal selber Musik machen. Ende 1984 gründeten wir dann CEREBROS EXPRIMIDOS. Damals gab es zwar eine kleine Punkszene, aber nur eine handvoll Bands.

Und wie sieht das heute aus?

Juanmi: Nicht viel besser, aber immerhin gibt es alleine hier in Palma sechs oder sieben Bands.

Jaime: Vielleicht gibt es sogar noch ein paar mehr, aber wir bekommen das auch nicht immer mit, denn dank MTV und GREEN DAY gibt es auch hier ziemlich viele Kids, die solche Musik hören und Bands gründen.

Juanmi: Außer uns proben in diesem Gebäude noch ein paar Bands, zum Beispiel BAD TASTE, mit denen wir uns diesen Raum teilen, sowie STOCKHOLM SYNDROME, meine Zweitband, bei der auch Sergio sowie noch ein Typ mitspielt. Das ist sowieso typisch hier: weil die Szene so klein ist, spielt fast jeder in mehreren Bands. Naja, und außerhalb von Palma, in den anderen Städten, gibt es natürlich auch noch ein paar Bands, aber wir haben zu denen keinen Kontakt. Eine gemeinsame Szene gibt es hier auf Mallorca eben nicht.

Tretet ihr überhaupt mal außerhalb von Palma auf?

Jaime: Nur selten. Wenn wir spielen, dann meist hier in der Stadt. Wir haben sowieso im Durchschnitt nur ein Konzert im Monat, und insgesamt spielen wir im Jahr so drei- bis viermal in Palma.

Juanmi: Am liebsten spielen wir auf dem Festland, in Madrid, Valencia oder Barcelona. Es ist zwar o.k., hier zu spielen, aber letztendlich kommen doch immer die gleichen hundert Leute, und das wird auf Dauer etwas langweilig.

Kommen da wirklich nur Einheimische oder verirren sich auch mal ein paar Urlauber zu solchen Shows?

Juanmi: Eigentlich nur Leute von hier.

Jaime: Ich erinnere mich daran, daß mir mal jemand aus Deutschland geschrieben hat, daß er in El Arenal Urlaub macht und gerne zu einem Konzert kommen würde. Zufällig hatten wir in der Zeit einen Auftritt, und er kam dann tatsächlich.

Und in was für Läden spielt ihr hier? Ich meine, in Deutschland gibt es Jugendzentren, Clubs, besetzte Häuser und so weiter.

Juanmi: Ein besetztes Haus gibt es hier in Palma auch, und da spielen wir auch regelmäßig. Ansonsten gibt es natürlich keine große Auswahl, also spielen wir immer in den gleichen Kneipen und Clubs.

Wird man hier auf der Insel als Punk akzeptiert oder ist man da der totale Außenseiter?

Jaime: In den letzten Jahren hat sich das etwas verändert, gerade durch Bands wie GREEN DAY oder OFFSPRING. Dadurch sind wieder jüngere Leute dazugestoßen und so gibt es hier in Palma insgesamt eine Szene von zwei- bis dreihundert Leuten. Unsere Familien halten uns aber natürlich schon seit Jahren für völlig verrückt, und die Polizei mag uns auch nicht. Aber es ist auch nicht so, daß wir von den Cops ständig terrorisiert werden. Klar, die Leute von dem besetzten Haus sind da ´ne Ausnahme, aber ansonsten ist es hier nicht anders als auf dem Festland.

In welcher Sprache singt ihr eigentlich?

Jaime: Ich singe katalanisch.

Dann paßt ihr ja gar nicht so recht zum Profil eures US-Labels Grita Records. Die werben doch damit, nur spanischsprachige Bands zu machen.

Jaime: Stimmt schon, aber viele machen keinen großen Unterschied zwischen Katalanisch und Kastillianisch, also dem "normalen" Spanisch. Außerdem ist es für die südamerikanischen Märkte wahrscheinlich besser, mit spanischsprachigen Bands zu werben. So genau nehmen die das aber auch nicht, denn die PLEASURE FUCKERS haben zwar auch spanische Texte, singen aber meistens in Englisch. Die kommen aus Madrid, das sind zwei Amerikaner, ein Engländer und ein Spanier, das heißt, der kommt aus Bilbao, das ist ein Baske.

Spanische Punk- und Hardcorebands sind in Deutschland nicht gerade sehr bekannt...

Jaime: Wirklich? Die SUBTERRANEAN KIDS waren doch früher ziemlich groß.

Naja, aber das war vor Jahren. Mittlerweile ist das eine ganz andere Generation. Aber wie sieht es denn so generell aus in Spanien mit Punk und Hardcore?

Jaime: Nicht so toll. Klar, in den Großstädten gibt es natürlich überall eine Szene, aber besonders groß ist die nirgends. Außerdem werden die meisten Bands im Ausland kaum wahrgenommen, eben weil sie spanische Texte haben. Man hat da wirklich große Probleme, im Ausland Auftritte zu bekommen oder seine Platten zu verkaufen.

Wenn man mal von der Sprachbarriere ausgeht, dann würde euch und anderen spanischen Bands aber doch zumindest Mexiko, Mittel- und Südamerika offenstehen.

Jaime: Stimmt schon, aber wegen der Entfernung ist das recht aufwendig und teuer. Allerdings gibt es immer wieder Bands, die dort tatsächlich auf Tour gehen.

Mit Deutschland wäre es da für euch doch gleich viel einfacher: das Ticket Mallorca-Düsseldorf gibt´s doch für´n Appel und ´n Ei.

Juanmi: Klar, wir würden gerne mal in Deutschland spielen. Vielleicht klappt ja jetzt was über Grita Records. Die haben gesagt, sie wollten eine Tour klarmachen, aber bisher warten wir noch.

Wie seid ihr überhaupt auf Grita gekommen?

Jaime: Unser letztes Album "Demencia" ist wie unsere letzte Platten auf dem in Madrid ansässigen Label Munster Records erschienen. Jemand von Munster hat dann mal Jay von Grita ein Tape in die Hände gedrückt - Jay ist der Typ, der früher der Chef von Epitaph Europe war -, der war begeistert, und so hat der unsere CD nochmal rausgebracht.

Im Info von Grita werden ziemlich markige Sprüche gerissen, etwa "Punk in Spanish just has more balls" oder "You just might be able to learn all their lyrics and then go out and pick up some hot Latin punk chicks". Was sagt ihr dazu?

Jaime (nachdem er für seine Bandkollegen übersetzt hat und schallendes Gelächter die Antwort ist): Naja, das ist ziemlich dämlich. Wir haben das sicher nicht geschrieben.

Außerdem steht da auch "Warning! Do not accept the inferior sounding Spanish import".

Jaime: Die spanische Version der Platte wurde direkt von unseren Aufnahmen ohne jedes Mastering gepreßt, und so klingt sie auch. Grita hat die CD dann von Spot, der einst mit BLACK FLAG arbeitete, neu abmischen lassen, und jetzt klingt sie etwas besser.

Und was ist mit dem genialen Artwork?

Jaime: Das stammt von Jeff Gaither, einem Zeichner, der schon für unzählige Bands gearbeitet hat, darunter auch GUNS & ROSES. Den haben aber nicht wir, sondern Grita organisiert.

Was steckt hinter eurem Bandnamen? Zu hoher Splatterfilmkonsum?

Jaime: Nein, hehe, damit hat das überhaupt nichts zu tun. Im Spanischen gibt es die Redewendung "sich das Gehirn auspressen", und man meint damit, krampfhaft über etwas nachzudenken. Damals, als wir die Band gegründet hatten, waren wir verzweifelt auf der Suche nach einem Namen und zerbrachen uns beinahe den Kopf. Ein Freund von uns meinte dazu - natürlich auf Spanisch - "Don´t squeeze your brains too much!", und damit hatten wir dann einen Namen: "Squeezed Brains".

Im Booklet steht der Spruch "10 years of Cerebros, anarchy and fun". Seid ihr eine politische Band?

Juanmi: Nein, eigentlich nicht. Klar, wir haben ein paar Songs mit, wenn du willst, sozialkritischen Texten, aber ansonsten wollen wir vor allem Spaß haben.

Da ich und wohl auch sonst kaum jemand eure Texte lesen kann, könntet ihr vielleicht noch ein paar Worte dazu sagen. Was hat´s zum Beispiel mit "Anti-Rave" auf sich?

Jaime: Der Titel sagt eigentlich schon alles. Die Raver hier sind einfach völlige Trottel, hauen sich ohne Ende Drogen rein und hängen nur in Diskotheken ab.

Juanmi: In anderen Ländern mag das ja durchaus eine Underground-Szene sein, aber hier sind das nur Idioten.

"Reality Show"?

Jaime: Da geht es um Reality-TV, das im spanischen Fernsehen sehr verbreitet ist. Tränen und Blut vor der Kamera, das begeistert die Leute eben.

"Romper la red"?

Junami: Das heißt soviel wie "Das Netz zu zerreißen". Da geht es darum, aus dem spießigen Leben auszubrechen, sich nicht um die Regeln zu kümmern und einfach das zu machen, worauf man Lust hat.

"Mega-Slam"?

Jaime: Auch ein ganz einfaches Thema: Es ist Konzert, du hast Spaß, vergißt die Alltagsscheiße und bist ohne Ende am tanzen.

In unserem Reiseführer - von Baedecker, wirklich der allerletzte Dreck - wird ausdrücklich vor Palma gewarnt: hier würde es nur so von Taschendieben und Drogensüchtigen wimmeln. Was sagt ihr dazu?

Juanmi: Klar, solche Ecken gibt es hier auch, aber die gibt es in jeder anderen europäischen Großstadt auch. Nein, hier ist es nicht schlimmer oder besser als anderswo auch.

Und was ist mit den deutschen Touristen vom Kaliber "Ballermann 6"?

Juanmi: Auf die hat hier niemand große Lust, aber es gibt ja auch andere, zum Beispiel die Leute, die sich hier auf dem Land ein kleines Häuschen kaufen und sehr bewußt mit Umwelt und Kultur umgehen.

Ich frage ja nur, weil so ziemlich jeder, dem ich erzählt habe, daß ich nach Mallorca fliege, in schallendes Gelächter ausgebrochen ist. Mallorca wird von vielen eben nur auf El Arenal reduziert.

Jaime: Kaltes Bier, deutsches Essen und der Strand, das ist das einzige, wofür sich viele Touristen interessieren, das stimmt schon. Und für die gibt es hier sogar einen Fernsehkanal, wo dann sogar deutsche Volksmusik läuft, aber auch Nachrichten, Sport und so. Aber der Sender richtet sich mehr an die Deutschen, die hier ständig leben.

Juanmi: Wenn ich mal nach Deutschland kommen sollte, würde mich vor allem interessieren, wie die Leute dort so leben. Aber die meisten deutschen Touristen, die hierher kommen, scheinen nur darauf Wert zu legen, daß sie auf Mallorca möglichst deutsch leben können.

Jaime: Die Engländer sind da aber noch übler, wirklich.

Die "Bild"-Zeitung hat vor Jahren mal behauptet, daß mittlerweile ein Viertel oder die Hälfte von Mallorca in deutschem Besitz sei und man endlich auch die D-Mark als Zahlungsmittel einführen solle...

Juanmi: Ja, manchmal kommt man sich hier wirklich vor, als sei Mallorca ein deutsches Bundesland.

Was macht ihr eigentlich so? Deutschen Touris kitschige Souvenirs verkaufen?

Cañete: Nichts tolles: ich bin Tellerwäscher in einem Restaurant.

Sergio: Und ich arbeite auf dem Bau als Maurer und Stukkateur.

Jaime: Ich bin ein "bike messenger", allerdings nicht mit dem Fahrrad, sondern mit dem Moped.

Juanmi: Ich mache mal dies, mal das, was ich eben so kriegen kann.

Wie sieht es hier auf der Insel denn überhaupt jobmäßig aus?

Juanmi: Nicht so toll. In Madrid oder Barcelona hat man es da etwas leichter, aber dafür lebt es sich hier besser. Im Vergleich zum Rest von Spanien ist hier die Lebensqualität höher, auch wenn die Jobsituation schlechter ist. Das Problem ist eben, daß im Sommer wegen der Touristen jede Menge Leute gebraucht werden, im Winter aber kaum jemand.

Wie seid ihr damals auf die GERMS-Cover-Compilation gekommen?

Jaime: Das lief über Munster Records. Die hatten mitbekommen, daß Bitzcore sowas planen, und so haben sie denen unseren Song zur Verfügung gestellt. Wir haben uns darüber gefreut, denn ich halte Bitzcore für ein sehr gutes Label und besitze die meisten Platten, die sie rausgebracht haben: APT. 3G sind richtige Helden, ebenso POISON IDEA, TOXIC REASONS - deren erstes Album ist Gott! -, ZERO BOYS, und so weiter.

Sergio: Meine Lieblingsband ist BLITZ, aber ich stehe sowieso mehr auf Oi!-Bands.

Jaime: Es gibt aber auch viele coole deutsche Bands, etwa SPERMBIRDS, JINGO DE LUNCH und natürlich die SCORPIONS - von denen habe ich alle Platten, hahaha!

Sergio: Die TOTEN HOSEN finde ich richtig scheiße. Uärgh!

Jaime: Sowieso sind deutsche Bands in Spanien recht beliebt. Ihr habt eben eine ziemlich große und gute Punkszene, und deshalb hätten wir natürlich Lust, mal da zu spielen.

Wenn man sich eure Platten so anhört, klingt das alles nach ganz alter Schule: CIRCLE JERKS, MINOR THREAT, BLACK FLAG oder YOUTH BRIGADE kommen mir da in den Sinn.

Jaime: Danke, ja, das sind alles Bands, die wir lieben. Und außerdem auch die GERMS, MDC, diverse alte SST-Sachen wie HÜSKER DÜ, natürlich die ganzen Washington D.C.-Bands wie S.O.A., nicht zu vergessen die diversen New Yorker.

Sergio: Wenn wir schon bei anderen Bands sind, muß ich unbedingt noch darauf hinweisen, daß HEROES DEL SILENCIO richtig beschissen sind. Hast du eigentlich mal versucht, deren Texte zu verstehen? Nein? Ich schon, aber das Problem ist, daß die auch in Spanien keiner versteht, hehe.

Gibt es denn auch neuere Bands, die ihr mögt?

Jaime: Klar, die BEASTIE BOYS zum Beispiel, aber generell haben wir´s mehr mit den alten Sachen. Aber das paßt ja auch zu uns alten Säcken: wir sind alle über 30...

Sergio, du bist Skinhead und stehst eher auf Oi!-Sachen. Gibt´s denn hier auf Mallorca eine Nazi-Szene?

Sergio: Ab und zu gibt es schon mal Ärger mit den Faschos, aber nicht oft. Hier gibt es höchstens zehn richtig überzeugte, alte Nazis, die anderen sind alles dumme Kids, vor allem die Söhne von Militärangehörigen. Naja, und dann gibt es natürlich wie überall dumme Fußball-Hooligans.

[b] Gut, das war´s dann erstmal.