TERRORGRUPPE

Seit nun fast zehn Jahren schon ziehen die Berliner Punk-Attentäter von der TERRORGRUPPE durch die Lande und beglücken den Pöbel mit ihren Weisen. Nach diversen Alben, zahlreichen Singles, Maxis und Sampler-Beiträgen fand die Band nun es sei an der Zeit, mit "Blechdose" ein Live-Album auf den Markt zu bringen. Und da eine solche Aktion an sich schon sehr Rockstar-mäßig ist, dachten sich die vier, gehört auch eine entsprechende Produktion dazu. Und so klingt die Platte dann auch. Da ich aber fand, dass ein Rockstar dadurch alleine noch nicht genügend gewürdigt wird, zerrte ich MC Motherfucker (Stimme, Gitarre), Johnny Bottrop (Gitarre), Maschine West (Trommeln) und Slash Vicious (Bass) für ein Interview vors Mikrophon, als sie im Hamburger "Schlachthof" ihre Tournee zur neuen Scheibe begannen.

Seid ihr überhaupt Freunde von Live-Platten?


Johnny: Total. Jetzt ja.
MC: Aber komischerweise nur einige wenige.
Johnny: Es gibt nur leider kaum eine Punk-Band, die eine gute Live-Platte gemacht hat. Außer den RAMONES und STIFF LITTLE FINGERS. Es gibt sonst nur noch ein paar Bands, von denen posthum ganz brauchbare erschienen sind, zum Beispiel THE CLASH oder THE JAM. Aber zu deren Lebzeiten haben die nie eine gute Live-Platte gemacht. Ganz gut ist aber auch noch bei SHAM 69 eine Live-Seite, die allerdings in so einem Pub aufgenommen worden ist.
Maschine: Ich finde die von SOCIAL DISTORTION auch noch gut.
MC: Und ZK nicht zu vergessen. Das war eigentlich für mich der Ausschlag zu sagen, eine Live-Platte muss man machen, aber nur von verschiedenen Gigs.

Warum habt ihr eine gemacht?

MC: Ich habe mir damals von THIN LIZZY "Live and dangerous" angehört und konnte nachher keine Studio-Platte der Band mehr gutfinden, die klangen plötzlich so langweilig.
Johnny: Das ist wie bei MOTÖRHEAD. Ihre beste Platte war "No sleep till Hammersmith". Die haben sie nie wieder erreicht.
MC: Das kam halt alles irgendwann zusammen. Da haben wir uns gesagt, es gibt ja einige wenige gute Live-Platten, an denen messen wir uns.
Johnny: Außerdem haben uns die Leute immer nach einer Live-Platte gefragt. Die meinten, wir seien live viel schneller, härter und dadurch auch besser als im Studio. Damit wurden wir drei Jahre genervt, bis wir gesagt haben, cool – machen wir. Aber er sollte was anderes sein. Wenn schon Live-Platte, dann nicht so ein liebloses Punkrock-Bootleg, wie es viele andere Bands gemacht haben, sondern es muss eine richtig geile Produktion sein. So wie wir es von unseren 70er-Jahre-Rockplatten her auch kennen.
MC: Und dann kam noch erschwerend hinzu, dass uns viele Leute, auf die wir gerne hören, gesagt haben, wir hätten uns im Laufe der Jahre schon verändert und seien besser geworden. Die Lieder würden tighter und besser klingen als zu dem Zeitpunkt, wo wir sie aufgenommen haben. Also sollten wir ins Studio gehen und eine Best Of-Platte neu aufnehmen. Doch das kam uns überhaupt nicht in die Tüte. Und so erschien uns die Live-Platte als guter Kompromiss.

Habt ihr durch die Überproduktion von "Blechdose" nicht den letzten Funken Punk aus einer Live-Platte gezogen?

Johnny: Was heißt denn überhaupt überproduziert? Die Platte klingt zwar fett, aber manche Lieder sind absichtlich sogar unterproduziert.

Und die Authentizität geht dadurch nicht etwas verloren?

Maschine: Du hörst doch die drei verschiedenen Konzerte raus, von denen wir die Aufnahmen genommen haben.
MC: Wir hatten höchstens ein bisschen Angst, dass die Leute das Konzept, was wir uns da überlegt hatten, nicht verstehen würden. Mit den geklauten Ansagen von KISS und so. Aber wir haben uns gedacht, wir müssen schon was machen, damit die Leute 80 Minuten unterhalten werden. Und in Richtung ÄRZTE wollten wir da auch nicht gehen und auf unsere bekloppten Ansagen bauen, weil die meistens ja doch debil und blöde sind. Das könnten wir uns dann selber irgendwann nicht mehr anhören. Ich fand das Konzept gut, dass wir praktisch mit den alten KISS konferieren. Wir reden über Bier, darauf sagt Paul Stanley irgendwas von Tequila. Das hat auch beim Produzieren einfach Spaß gemacht.

Wie lange habt ihr im Studio an den ganzen Samples und Spielereien gesessen?

MC: Wir haben alleine hundert Stunden gemastert. Gemixt haben wir an der Platte dann noch mal zwei Wochen.
Johnny: Das ist aber eher normal. Aber das Mastern und Koppeln war echt eine Mörder-Session.

Warum erschien "Blechdose" auf eurem Hauslabel Destiny und nicht bei Epitaph?

Johnny: Weil die keine Live-Scheibe mit uns machen wollten.
MC: Die hatten ja die von PENNYWISE rausgebracht, und die war so schlecht und hat sich so mies verkauft, da hatten die bei Epitaph erst mal überhaupt keinen Bock mehr auf eine Live-Scheibe.
Johnny: Sag doch nicht so was über andere Bands.
MC: Oh stimmt, mein Manager hat mir extra gesagt, ich soll nicht dissen wie die Hip Hopper. Aber in Hamburg darf man das ja. Wenn man dissen darf dann in HH. Außerdem mag ich PENNYWISE ja, aber die Platte war echt lieblos. Das findet Fletcher aber auch selber.
Maschine: Die letzte ALL finde ich auch nicht so gut. Die kickt nicht wirklich.
MC: Für so eine Band und so ein Label ist das halt was für zwischendurch, wenn einem sonst gerade nichts einfällt.
Johnny: Aber so sind wir nicht. Wir wollten deshalb so ein bombastisches, klassisches 70er-Jahre-Rock-Album machen.
Maschine: Deswegen ja auch die aufwendige Verpackung.
MC: Wie dem auch sei, als Epitaph das nicht machen wollte, haben wir uns halt gedacht, machen wir es selber und haben das Label Agropop gegründet, und Destiny benutzt dazu sein Vertriebssystem.
Johnny: Und wo das Label jetzt schon einmal da ist, wollen wir natürlich auch noch mehr rausbringen, also nicht nur uns selber, sondern auch mal eine andere Band.
MC: Wir haben jetzt im Metal Hammer auch Agropop als eigenen Musikstil bekommen. Das ist jetzt also offiziell.

Mal sehen, was für dufte Bands da nun in Zukunft unter der Etikette laufen.

MC: MUFF POTTER nennen ihre Musik ja inzwischen Angrypop. Und sind damit ja fast artverwandt.

Ihr spielt ja eigentlich ständig Konzerte. Und das schon seit vielen Jahren. Werdet ihr dessen nicht überdrüssig?

Johnny: Auf Tour gehen ja, aber Konzerte spielen macht mir nach wie vor Spaß. Doch Touren hasse ich schon seit dem ersten Jahr TERRORGRUPPE. Länger als drei Tage mit denen in einem Bus und einem Backstageraum rumhängen, das finde ich grauenhaft.

Wie motiviert man sich denn dann immer wieder neu, für ein paar kaputte Punks Krach zu machen?

Johnny: "ch fahr mir Drogen ein. Aber diese Tour soll anders werden. Wir haben nämlich beschlossen, den Alkohol und die Drogen draußen zu lassen. Wir sind jetzt auf asiatische Produkte umgestiegen, so japanische Potenzmittel. Für das Zeug, was MC Motherfucker jetzt in seinem Köfferchen hat, musste die gesamte Tiger-Population von Kasachstan dran glauben.
MC: Unsere neuen Drogen sind Pheromone. Aber um zurück auf deine Frage zu kommen, muss ich sagen, dass es auch nicht besser ist, seine Band nur immer nach Feierabend zu machen und sonst irgendeinem blöden Job nachzugehen. Wir spielen halt öfter und haben auch öfter unseren Spass. Außerdem haben wir, dadurch dass wir das schon so viele Jahre machen, auch immer ein anderes Publikum.

Seid ihr denn zufrieden mit euerem Publikum?

Johnny: Sehr, die sind ganz brav. Rebellisch aber auch.
MC: Das liegt daran, dass die so schön vermischt sind. Da kommen ein paar Skinheads, da kommen ein paar richtige Punks, dann kommen so Punk-Zuhörer, die nicht so aussehen – also Typen wie du oder der Hiller. Dann hin und wieder auch ein paar Langhaarige, die wir weniger gern sehen. Da kommen Mädchen, Skateboardfahrer und manchmal sogar Ausländer. Auf der APPD-Tour kamen ständig Serben, die im APPD-Programm in den Zeitungen irgendwas von "Balkanisierung" gelesen hatten.

Und Zip Schlitzer konnte das ständige Konzertespielen nicht mehr ab? Oder warum sein Ausstieg?

MC: Dem war der ganze Auflauf irgendwann zuviel.

Und jetzt haben sie dich, Slash, neu dazu geholt? Bereust du das schon?

Slash: Bisher noch nicht. Ich bin ja auch noch nicht so lange dabei. Man behandelt mich ja auch gut. Ich bekomme zu essen und zu trinken.

Ganz Deutschland zieht es nach Berlin, nur ihr kehrt der Stadt immer wieder den Rücken? Warum? Habt Ihr Probleme mit dem Hauptstadt-Mythos?

Johnny: Da wo wir wohnen, also in Kreuzberg, da ist die Hauptstadtveränderung ja so gar nicht zu spüren, weil uns von Ekel-Mitte und Ekel-Prenzlberg so ein fieser Hochhausgürtel trennt. Der wurde noch zu Mauerzeiten längs der Spree gebaut. Der Rest von Berlin-Mitte, wie das Scheunenviertel, wo jetzt die ganzen Yuppies rumhängen, ist eigentlich eine ganz andere Stadt.

Habt ihr eigentlich seit dem 11. September letzten Jahres mehr Probleme in der Öffentlichkeit wegen eures Namens bekommen?

Johnny: Ärger nicht, aber Zuspruch. Unsere Website wird zunehmend aus dem arabischen Raum oder von den amerikanischen Militärs frequentiert."
MC: Zu Anfang gab es schon ein paar Leute, die sich gemeldet haben und unseren Namen anprangerten. Aber den haben wir nun mal seit 1993 und der hat mit Bin Laden gar nichts zu tun. Außerdem waren wir es nicht, die den als Terroristen bezeichnet haben, sondern die Amis.
Maschine: Wir haben Bin Laden jetzt aber auch deswegen verklagt. Schließlich hat der unseren Namen in den Dreck gezogen.

Und warum wird Bin Laden niemals eure Sekretärin?

MC: Keine Ahnung.

Weil er nur drei Anschläge in 60 Minuten schafft... Werdet ihr denn textlich auf die Anschläge reagieren?

Johnny: Vielleicht. Wir haben ja jetzt erst mal mit unserer Werbekampagne darauf reagiert, so von wegen: super, sicher, sauber.
MC: Wir werden eher auf Typen wie Schill und Schily reagieren, weil wir damit direkter konfrontiert werden als mit Bin Laden und Bush. So lange die sich da unten jetzt gegenseitig umbringen, ist uns das nur Recht, weil es ja eh nur Arschlöcher trifft. Und Kollateralschäden sind zwar kacke, aber die wären sonst eh an Hunger gestorben.

Themenwechsel. Dieses Jahr haben wir das Jubiläum "25 Jahre Punk" zu feiern. Was bedeutet euch denn Punk heute noch nach all den Jahren?

Johnny: Aber uns gibt es doch erst seit neun Jahren. Vielleicht bedeutet Punk heute, erwachsen zu werden.
MC: Leute, die erwachsen werden wollen, die haben das von ihren Eltern gelernt und die waren eh bekloppt, weil sie glaubten, dass man in irgendeiner Form erwachsen werden muss. Das habe ich nicht vor.

Wird man auch noch "50 Jahre Punk" feiern können?

MC: Was ich in 25 Jahren mache, weiß ich nicht. Das interessiert mich auch nicht, und darum geht es. Es macht immer noch Spaß.

Was hat eine Band, die solch ein epochales Live-Album veröffentlicht hat, denn noch für Zukunftspläne?

Johnny: Danach ein ganz epochales Studio-Album zu machen. Neue Lieder schreiben und im Sommer aufnehmen.
MC: Wir können ja sonst nichts.
Maschine: Ich werde bestimmt nicht anfangen Taxi zu fahren oder mir einen Vorgarten anzulegen. Und was ich auch nicht machen möchte, ist P.A.-Verleiher sein. Das sind zu 99 Prozent frustrierte Musiker, die es mit einer Band nie zu etwas gebracht haben.
MC: Also, das einzige, was ich noch machen könnte, wäre mit kastrierten Tigern zu arbeiten. Das ist ein Traum von mir.