AR/GEE GLEIM

Foto

Richard Gleim und seine Arbeit als Musikfotograf in den wilden Jahren von Punkrock und New Wave erleben gerade ein bemerkenswertes Revival. Das zeitdokumentarische Buch „Verschwende deine Jugend“ von Jürgen Teipel über die musikalische Entwicklung der Jahre 1977-82 in den Metropolen Düsseldorf, Hamburg und Berlin, scheint dieses Revival maßgeblich angeschoben zu haben. Lange totgesagte Bands wie FEHLFARBEN reformieren sich, die Kunsthalle Düsseldorf eröffnete im Juli mit der Ausstellung „Zurück zum Beton“, die sich ausschließlich mit der Zeit von 1977-1982 beschäftigt und nach dem Erscheinen des Buches von Jürgen Teipel war jene Zeit wochenlang Gesprächsstoff in den Kneipen und Bars von Düsseldorf.
Wie haben sich die Musik und die Protagonisten der 80er wirklich dargestellt? Richard Gleims Fotos sind Zeitzeugnisse, bringen ein wenig Licht in diese verschwommene, urknallartige Epoche und vermitteln in einmaligen Schwarzweißaufnahmen einen fühlbaren Eindruck von der Zeit, als der Ratinger Hof noch der Ratinger Hof war und weit über die Stadtgrenzen hinaus als Treffpunkt für Subkultur galt.


Du bist als Fotograf ja auch bekannt unter deinem Pseu-donym ar/gee gleim. Was hat es damit auf sich?

Ich hatte in der 50er Jahren als Musiker schon einmal einen ‘Künstlernamen’. Damals war es Fat Daddy, wovon dann letztendlich ‘Fatty’ übrig blieb. Wenn man damals in der jugendlichen Altstadtszene ‘Fatty’ sagte, wusste jeder, wer gemeint war. Damals diente dieser Name vor allem der Tarnung. Denn Jazz zu machen und sich nachts musizierend in Kneipen rum zu drücken, galt nicht nur am Gymnasium mehr als verwerflich, idiotisch und kulturlos. Dabei stellte ich fest, dass so ein Pseudonym nicht nur als Tarnung praktisch ist, sondern mir selbst eine zweite, nicht uninteressante Identität verlieh. Letztendlich ist ‘ar/gee’ nichts anderes, als die englische Aussprache meiner Initialien RG. Der Schrägstrich dazwischen macht diese Chiffre zu einem Markenzeichen. Denn der ist es, der zuerst auffällt bzw. das Unterbewusstsein tangiert. Bevor man sich bei einem Fotografen für dessen Namen interessiert – wenn überhaupt –, bemerkt man diesen Schrägstrich. Da wir in Düsseldorf in einer Stadt der Werbung leben und deren Attitüde, ob wir wollen oder nicht, in uns aufsaugen, kommt es eben zu solchen Einfällen. Das war aber eher Spaß, als überlegte Strategie. Die zweite Identität, die man sich mit so einem Namen schafft, ist allerdings sehr hilfreich. Hier und jetzt bist du ar/gee gleim, möglicherweise Teil einer gewissen Szene und fotografierst. Der viel komplexere Richard Gleim ist ausgeschaltet und stört nicht. Keine Fragen an sich selbst über Sinn, Bedeutung, Vereinbarkeit etc. Das erhöht die Offenheit gegenüber dem jeweiligen Jetzt. Solche Pseudonyme haben selbst im Nachhinein einen praktischen Effekt. Spricht mich heute jemand mit ‘Fatty’ an, weiß ich, dass er in mir vor allem den Jazzer aus den 50ern sieht, spricht mich jemand mit ‘ar/gee’ an, so weiß ich, dass er in mir den Fotografen der Punk/New Wave-Ära sieht. Das spart einem doch viel Rumrätseln, nicht wahr?!

Wann hast du angefangen, Bands und Konzert-Szenarien zu fotografieren und was war dein erstes prägendes Erlebnis in diesem Metier?

Ich arbeitete in den 70er Jahren im Gartenbau. Ich habe Gärtner nach der Schule und einer der Familientradition entsprechenden Ausbildung im kaufmännischen Bereich richtig gelernt und betrachte diesen Ausflug zu solch elementaren Erfahrungen als äußerst wichtig und lehrreich.
Dort traf ich Che Seibert, der wie viele Studenten in den Ferien ein kleines Zubrot verdiente. Che Seibert lebte in einer Wohngemeinschft, einem Haus in Willich, mit noch 10 bis 15 anderen Leuten zusammen. Dazu gehörten Moritz Rrr oder Frank Fenstermacher. Dort manifestierte sich der WELTAUFSTANDPLAN, aus dem nach einem Umzug nach Düsseldorf DER PLAN entstehen sollte. 1979 – die Anfänge der neuen Bewegung hatte ich trotz meines Alters von immerhin 40 verpennt – machte DER PLAN sich auf, in Frankfurt am shvantz!-Festival teilzunehmen. Ich fuhr mit und habe, weil ich den Eindruck hatte, dass es aus dieser für mich immer interessanter werdenden Szene kaum überzeugende Fotos gab, dort ein paar Fotos von den Bühnenereignissen gemacht und dann dem Veranstalter Abzüge geschickt. Völlig überraschend hatte das eine regelrechte Auftragsflut zur Folge. 40, 50 Leute aus dem Publikum wollten Fotos haben. Hatte ich bisher vor allem für ‘Frau im Spiegel’ Blumenfotos gemacht, so tat sich hier eine wesentlich spannendere Welt auf. Angewidert von der Geschäftsleitung der Firma, für die ich arbeitete, hatte ich längst eine ‘innere Kündigung’ vollzogen. Ganz im Geist der damaligen Zeit – ‘Wenn du etwas ändern willst, dann mach selbst was’ – ernannte ich mich zum Fotografen. Das war nicht der erste Bruch in meiner Lebensgestaltung. Darin hatte ich Erfahrung und wusste, dass das zu packen war.

Wo hast du die ersten Bilder dieser Zeit veröffentlicht und was waren die ersten Düsseldorfer Bands, die du abgelichtet hast?

Ich meine, es war die Spex, die sich seinerzeit gerade gründete. Da kam jemand vorbei und bat mich um Fotos jeglicher Art. Sie könnten zwar noch nichts zahlen, aber sie hofften doch, bald so weit zu sein. Die erste Spex-Nummer war also voll mit meinen Fotos. Das nehme ich an, denn ich hab diese erste Ausgabe nie gesehen. Die erste Düsseldorfer Gruppe, die ich fotografiert habe, war DER PLAN.

Hast du danach im Auftrag fotografiert?

Ich habe fasziniert vom Geschehen versucht, das, was optisch zu erfassen war, zu dokumentieren. Ich war nie von einer Zeitung oder einem Magazin engagiert, sondern habe alles aus eigenem Antrieb und auf eigene Kappe gemacht. Ich war ja eben erst dem Trott des Angestelltendaseins ent-ronnen.

Hast du diese Punkphase auch richtig gelebt, oder nur dokumentiert?

Ich sehe die in dieser Frage aufgezeigte Alternative nicht. Haben die Punks den Punk gelebt? Oder war das nicht mehr ein Feierabend- und Wochenend-Vergnügen?
Übrigens, welche Punks? Die neue Musik, die neue Denkweise, das Neue an dieser Zeit ging doch über ‘1,2,3,4-Pogo’ weit hinaus. Da wurde doch in Ermangelung, wirklich etwas absolut Neues machen zu können, in schöner postmoderner Weise zusammengetragen, was sich aus dem überreichen Fundus bisheriger Kultur zusammentragen ließ. Da stand die gesamte Popkultur Pate, da wurde an DaDa erinnert, da wurde die klassische Moderne geräubert usw. Selbst die härteste Truppe der Zeit, der KFC, machte eher Rock als Punk, wie es übrigens die TOTEN HOSEN heute noch machen.
Ich war fasziniert von diesem Aufbruch. Dieses ‘Wir fragen niemand, wir tun’s’ hatte eine ungeheure Ausstrahlung. Das war einfach so hingerotzt überwältigend. Den Zugang dazu hatte ich nicht zuletzt durch meine eigene Zeit als Jazzer in den 50ern. Die Musik und die Mittel waren grundverschieden, aber die Haltung war verblüffend ähnlich. Auch wir hatten damals einfach was gemacht. Das war auch so ein Aufbruch. Wir mussten ganz von vorne anfangen. Es galt ein Tausendjähriges Reich mit kompletter Isolation vom – nicht nur kulturellen – Leben der Welt zu überwinden und neu mit Leben zu füllen. Eine durch Parolen und Größenwahn verkrustete Umgebung, was aber nicht erst seit Hitler in den Köpfen steckte und viel tiefer ging. Daran haben wir heute noch zu knabbern. Ob dieses Leben zwangsläufig besser war, war gleichgültig. Es war unser Leben und es war ehrlicher. Das fand ich in Ende der 70er wieder. Und es war verdammt spannend.

Wer hat dich in dieser Punkzeit in Düsseldorf musikalisch am meisten beeindruckt?

Was musikalische Raffinesse und Können bzw. Wissen betrifft, überzeugt mich eher die klassische Moderne und dort vor allem die Russen. Aber auch Lutoslawski, Penderecki oder was jetzt Leute wie das KRONOS QUARTETT veranstalten.
Und dann natürlich Jazz: Thelonious Monk, Charlie Parker, Miles Davis, Johnny Hodges, Charles Mingus usw., eben die Musik, die meine Jugend geprägt hat, eine Prägung, der man sein ganzes Leben nicht mehr entrinnt. Musikalisch war die Punkzeit also nicht so aufregend für mich. Es war zwar interessant, wie sich die verschiedensten Einflüsse neu mischten und was daraus wurde. Überzeugender waren da schon die Texte. Aber eigentlich war es die Haltung, die sich darin ausdrückte. Weg vom hippiehaft leidenden...

Es gibt eine aufwendige Zusammenstellung deiner Photos im LP-Format mit dem Titel „Guter Abzug“. Was hatte es damit auf sich?

Die Dokumentation ‘Guter Abzug’ ist 1982 im Selbstverlag erschienen. Ich hatte jede Menge Fotos, die nicht in meiner Schublade verschimmeln sollten. Einen Verlag zu finden, dachte ich mir, wäre sicher schwierig, außerdem würde mir der zuviel reinreden. Zumal der Preis dann so hoch wäre, dass sich der ganz normale Punk und NDWler – für den es ursprünglich gedacht war und der selbst alles mitgemacht hatte – die Box nicht hätte leisten können.
Gelohnt hat sich das in jedem Fall. Der Verkauf war gut. Große Stückzahlen gingen allein auf der damaligen Dokumenta in Kassel über die Stände der Buchhandlung König und Carmen Knöbels über den Tisch. Überhaupt zeigte sich der Kunstbuchhandel besonders interessiert, aber auch Saturn und der gesamte Plattenhandel verkauften gut. Die Besprechungen in der Presse von der FAZ bis zum letzten Fanzine waren zahlreich und gut.
Ich möchte noch darauf hinweisen, dass nicht nur ich an dieser Dokumentation gearbeitet habe, sondern genauso Peter Glaser, Karin Dreier, Susanne Wiegand und Xao Seffcheque und Jürgen Engler, die die ebenfalls enthaltene Flexidisc bespielten.

Vor kurzem eröffnete die Kunsthalle Düsseldorf nach einer umfassenden Renovierung ihre Pforten mit der Ausstellung „Zurück zum Beton“ – ein seinerzeit prägender S.Y.P.H-Slogan. Was hältst du von dieser Art der historischen Aufarbeitung der Punkzeit?

Ich halte diese Ausstellung, genauso wie das Buch ‘Verschwende deine Jugend’ von Jürgen Teipel für sehr wichtig. Hier wird nicht nur klar, dass es zwischen den SEX PISTOLS und Hubert K noch etwas gab, was wesentlich einflussreicher als die dann folgende NDW war, sondern es wird auch grundlegendes Material dieser Zeit erfasst und dokumentiert, welches sonst verloren zu gehen drohte. Das ist mehr als eine Geschichtsstunde, das ist der Grundstock für eine weitere Betrachtung dieser Zeit, bei der zum ersten Mal nach dem Krieg in Deutschland eigene Sachen gemacht wurden, die Protagonisten ihr Schicksal zum ersten Mal selbst in die Hand nahmen. Dies ist eine bisher viel zu wenig gewürdigte Zeit, deren Bedeutung und Wirkung weitgehend unbetrachtet und unbe-kannt ist. Die Ausstellung hat für also mich, ebenso wie das Buch epochale Bedeutung. Hier hat das kollektive Bewusstsein die Chance, dieser Zeit näher zu treten. Alle sollten davon Gebrauch machen, die, die damals nichts mitbekommen haben oder ein-fach noch zu jung waren. So was ereignet sich nicht alle 10 Jahre...

Heutzutage betreibst du eine erfolgreiche Künstleragentur. Hast du auch Punkbands im Sortiment?

Nein, ich habe keine Punkband im Angebot. Unsere Kunden hätten auch wenig Verständnis dafür. Außerdem ist Punk Vergangenheit – einige werden mich jetzt sicher steinigen. Wenn wir das anbieten sollten, was heute aktuell ist, dann ist das eben etwas anderes. Man darf nicht vergessen, dass die wesentlichen Jahre 1977 bis 1982 an der Allgemeinheit völlig vorbei gegangen sind. Darauf kann und wird sich heute kein Veranstalter beziehen. Da das so ist, sind dieses Buch und diese Ausstellung ja so wichtig.