GEARHEAD

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Wer die US-Punk- und Hardcore-Szene schon etwas länger verfolgt, dürfte immer wieder auf Mike LaVella gestoßen sein: einst bei HALF LIFE, war der Mann nach seinem Umzug nach San Francisco lange Zeit Maximumrocknroll-Schreiber, gründete mit Gearhead ein eigenes Fanzine und baute dieses Markenzeichen für die rock’n’rollige Seite des Punk in den letzten Jahren zum Label aus, auf dem unter anderem Bands wie die HIVES, HELLACOPTERS, NOMADS und zuletzt die NEW BOMB TURKS eine neue Heimat fanden. Es war also an der Zeit, Mike mal ein paar Fragen zu stellen.

Mike, wann und wie bist du zum Punkrock gekommen?


Wie so viele Amerikaner habe ich damals DEVO und Elvis Costello bei ‘Saturday Night Live’ gesehen und war beeindruckt. Aber der eigentliche Ausgangspunkt war, dass ich so 1979/1980 anfing, mich für Frank Zappa zu interessieren. Der einzige andere Typ, den ich kannte und der auch Zappa und Captain Beefheart mochte, war Jason Pettigrew, der heu te der Herausgeber von ‘Alternative Press’ ist. Als wir beide noch zur High School gingen, arbeitete er in einem Plattenladen bei uns im Einkaufszentrum. Wenn ich also mal wieder in den Laden kam, um mir noch eine Zappa-Platte zu kaufen – der hat ja unzählige gemacht - empfahl mir Jason dann Sachen wie XTC oder THE CLASH und ich habe mich auf seine Empfehlungen verlassen. Der hat mir damals zum Beispiel auch THE DAMNED vorgespielt. Der eigentliche Wendepunkt kam aber, als ich in den Osterferien meinen älteren Stiefbruder in Washington D.C. besuchte. Der lebte direkt in Georgetown, dem interessantesten Stadtteil, und ich habe da tatsächlich Ian MacKaye gesehen, wie er bei Hägen-Daz Eis verkaufte. In einem Plattenladen dort habe ich mir dann die ‘Let Them Eat Jellybeans’-LP gekauft – ich kaufte mir gerne Compilations, weil man da für sein Geld viel mehr Bands kennenlernen konnte – und war angefixt! Nachdem ich die BAD BRAINS das erste Mal gehört hatte, war Frank Zappa plötzlich nicht mehr so wichtig.

Welche anderen Bands waren damals noch für dich wichtig?


Ganz allgemein die Sachen, an die man einfach rankam, also BLACK FLAG, FEAR, DEAD KENNEDYS, CIRCLE JERKS und so weiter, und dann entdeckte ich die ganzen Midwest-Bands wie NECROS, MEATMEN, NEGATIVE APPROACH und natürlich die DC-Bands wie FAITH, GOVERNMENT ISSUE, MINOR THREAT und so weiter. Diese Bands ware alle immens wichtig für mich, denn ohne sie wäre ich in dem kleinen Provinzstädtchen in West-Pennsylvania, wo ich aufwuchs, sicher verrückt geworden. So wusste ich zumindest, dass da draußen noch mehr so verpeilte Kids rumlaufen. So albern das heute klingen mag, aber ein Song wie ‘I hate my school’ von den NECROS hat mir damals geholfen, mit der Situation fertig zu werden. Und RUSH haben eben über nichts gesungen, was irgendwie relevant war.

Später hast du dann selbst in einer Band gespielt, bei HALF LIFE.

Ja, nachdem ich 1983 nach Pittsburgh gezogen war. 25 Tage nach meinem Unzug starb mein Stiefvater, das war eine harte Zeit. Kaum war ich nach Pittsburgh gezogen, spielten an einem Wochenende in Washington DC, das nicht sehr weit entfernt ist, die CRAMPS, GUN CLUB und MEATMEN, NECROS und FAITH. Ich bin natürlich mit ein paar Freunden hingefahren, und echt, THE FAITH live zu sehen, das hat mein Leben verändert. Direkt danach habe ich REAL ENEMY gegründet, die erste Hardcore-Band in Pittsburgh. Es gab uns zwar nur einen Sommer lang, aber wir spielten mit HÜSKER DÜ, FLIPPER, TOXIC REASONS, ULTRA VIOLENCE, ADRENALIN O.D., REFLEX FROM PAIN, CAUSE FOR ALARM, YOUTH BRIGADE, VATICAN COMMANDOS – du weißt schon, die Band von Moby – und den NECROS, um nur mal ein paar zu nennen. Im Herbst bin ich dann bei HALF LIFE eingestiegen, aber am Bass und nicht als Sänger, denn ich wollte, dass mein Freund Jeff singt. Eine gute Entscheidung, wie ich finde, denn er wurde zu einem legendären Punk-Sänger. HALF LIFE existierten von 1983 bis 1988, und es waren fünf wilde Jahre mit zig Touren und Konzerten. Und wir machten ja noch eine Radio-Sendung, ein Fanzine, ein Label, einfach alles, widmeten unsere gesamte Zeit der Hardcore-Szene. Mit HALF LIFE spielten wir mit fast jeder Band, die es damals gab: G.B.H., THE EXPLOITED, UK SUBS, AGNOSTIC FRONT, PLASMATICS, FANG, BAD BRAINS, SCREAM, HÜSKER DÜ, NAKED RAYGUN, DESCENDENTS, DAG NASTY, GANG GREEN, THE SUBHUMANS, SCRATCH ACID – die Liste ist endlos. Wir spielten zwar nie außerhalb der USA, aber hatten trotzdem überall auf der Welt Fans und Freunde: Cherry von der japanischen Band ZOUO wohnte sogar eine Weile bei uns, oder Frank von WHERE’S THE POP aus Adelaide in Australien. Parallel zu HALF LIFE war ich lange Zeit Roadie von GOVERNMENT ISSUE, und so kam’s auch, dass Tom Lyle die meisten unserer Platten produziert hat. Und für SAMHAIN machte ich manchmal Roadie – und ich sag dir, DAS war eine Erfahrung...

Wann, wie und wo hast du dann Gearhead als Magazin bzw. Label ins Leben gerufen?

1988 habe ich HALF LIFE verlassen und bin nach San Francisco gezogen. Das hatte was damit zu tun, dass mir Tim Yohannan vom MRR 1987 bei einem HALF LIFE-Konzert im Gilman Street-Club in Berkeley angeboten hat, ich könne für das MRR schreiben, wenn ich mal nach San Francisco umziehen sollte. Ich habe lange darüber nachgedacht, und als mich auch Jesse von OPERATION IVY, der lange in Pittsburgh gelebt hatte, zu diesem Schritt ermutigte, machte ich das einfach. Tim hielt sein Wort, und bald war ich dann einer der legendären ‘shitworker’ des MRR. Ich merkte bald, dass ich eigentlich ganz gut schreiben kann, und so machte ich so viel wie möglich. Meine erste größere Sache war das Interview mit CRIME, das dann sogar Titelstory wurde. Damals stand ich total auf die ganze Seattle-Szene, und so fragte mich Pushead, ob ich nicht MUDHONEY fürs Thrasher interviewen wollte, und so schrieb ich dann lange Jahre für beide Hefte, bevor ich mein eigenes gründete. Es war auf jeden Fall eine großartige und sehr lehrreiche Erfahrung.

Wie hast du denn dann ganz konkret das Heft ins Leben gerufen? Ich meine, mit der Idee ist es ja nicht getan, man braucht Geld, muss wissen, wie und wo man Platten presst, denn du hattest anfangs ja eine 7“ beiliegen.

Die Idee, das Heft Gearhead zu nennen, kam mir 1991 auf einem DIDJITS-Konzert, aber die erste Ausgabe erschien dann erst im Mai 1993. Ich brauchte einfach die Zeit, um herauszufinden, wie genau das alles geht. Ein wichtiger Punkt war, dass ich Nick Rubenstein getroffen habe: er hatte einen Computer, was damals noch eine Ausnahme war, und kannte sich damit aus. So machten wir die ersten drei Ausgaben zusammen, bis er einen Job bei Epitaph angeboten bekam und nach Los Angeles zog. An Platten-Erfahrung konnte ich bis dahin nur die HALF LIFE-Singles vorweisen – die beiden LPs erschienen übrigens erst nach unserer Auflösung. Aber in San Francisco war ich natürlich umgeben von Leuten, die sich mit sowas auskannten, etwa John Yates von Allied Recordings, Chris Dodge von Slap-A-Ham und Fat Mike. Ich brauchte nur zu fragen, und alles waren sofort bereit zu helfen. Das gilt übrigens auch für die Bands. Die erste Single war die GAS HUFFER/SUPERCHARGER-Split-7“, die Gearhead #1 beilag. Das mit der Single-Beilage hatte den Hintergrund, dass ich das Heft quasi ‘multimedial’ machen wollte, und außerdem hatte ich vom Platten verkaufen zumindest ein bißchen Ahnung, so dass ich mir dachte, es wäre nicht so schwer, ein Heft mit Single über genau die gleichen Kanäle zu verkaufen. Ein großes Problem war natürlich das Geld: Ich hatte kaum was, aber Fat Mike und Erin von Fat Wreck haben mir geholfen, die liehen mir das, was ich brauchte. In D-Mark übrigens: er hatte ein ganzes Bündel von einer Deutschlandtour mitgebracht, drückte mir das in die Hand und ich musste es auf der Bank erstmal in Dollar tauschen. Auch Brett Gurewitz hat mir in dieser Hinsicht schon mal ausgeholfen. Leider habe ich sowohl Mike wie Brett schon lange nicht mehr getroffen, aber ich bin ihnen immer noch sehr dankbar. Naja, vielleicht würde ich sie ja öfter treffen, wenn ich Golfspieler wäre...

Welche Labels, welche Personen, welche Ideen haben dich damals inspiriert?

Ganz klar Dave Crider von Estrus, Long Gone John von Sympathy For The Record Industry und Tom Hazelmyer von AmRep. Was Ideen anbelangt, so mangelt es mir an denen auf keinen Fall – mein Kopf ist voll davon! Ich bin ein ungeduldiger Menschen, und obwohl ich das Heft, das Label und die Gearfest-Festivals habe, geht mir alles nicht schnell genug und ich würde gerne noch viel mehr machen. Was aber nun die ganz konkrete Idee hinter Gearhead anbelangt, so waren die Sixties-Auto-Magazine Popular Hot Rodding und Car Craft meine Inspiration, ergänzt um etwas Creem und Punk. Und Hugh Hefner ist natürlich auch ein großes Vorbild: der Mann hat das ganze Playboy-Imperium mit gerade mal 2.000 Dollar ins Leben gerufen. Auf ähnliche Weise beeindruckt hat mich auch Ed „Big Daddy“ Roth, der war ein Genie in Sachen Selbstvermarktung: T-Shirts, Sticker, Modellbausätze und die Autos, die er schuf, all das finde ich großartig. So verrückt das jetzt klingen mag, ich sehe mich als Kombination dieser beiden Typen.

Wer sind und waren die anderen Leute hinter Gearhead?

Ich fing das Heft mit ein paar Freunden an: Darv Teare, Hector Penalosa von den ZEROS, Nick und meine damalige Freundin Sunny, die später das Fanzine Girlyhead gründete. Über die Jahre sind dann immer wieder Leute dazugekommen, andere gegangen, doch der harte Kern besteht aus Chris Imlay, Andrice Arp, Mike Bumbeck, Kevin Thomson, Chas Glynn, Nate Tynan, Todd Caris und meiner Freundin Cathy, die übrigens auch Mitbesitzerin von Lookout! Records ist. Das Label an sich ist eine gemeinsame Firma von mir und Michelle Haunold, die ich vor zwölf Jahren getroffen habe, als wir beide fürs MRR schrieben. Sie ist ein ‘sharp cookie’, wie wir hier in den USA das sagen... Was immer Gearhead Records bislang erreicht hat – die Hälfte davon ist ihr Verdienst. Sie kümmert sich um das ganze Alltagsgeschäft, während ich für den Kontakt zu den Bands und so weiter zuständig bin. Jeremy Stoner kümmert sich um das Artwork, und Jen Malone von Black And White PR in Boston machen die Promo. Ich habe in letzter Zeit auch gemerkt, wie wichtig es ist einen starken Partner zu haben, denn so spornt man sich gegenseitig an. Wenn ich das alles alleine machen müsste, würde ich wahrscheinlich den ganzen Tag vor der Glotze hängen und Bier trinken. So aber arbeite ich 16 Stunden am Tag und kriege eine Menge geregelt.

Gibt’s einen speziellen Hintergrund zum Namen, abgesehen davon, dass es im Heft nicht nur um Musik, sondern auch um getunete, alte US-Autos geht?

Also ‘gearhead’ ist ein Ausdruck, der in der Nachkriegszeit entstand und Leute bezeichnet, die einfach verrückt sind nach Autos. In England nennt man die ‘petrolhead’, in Australien ‘revhead’, und ich fand einfach, dass das ‘gearhead’ auch in einem Punkrock-Kontext gut klingt. Aber Autos sind ja nur ein Drittel der Themen im Heft: ein weiteres Drittel ist Musik, das letzte ‘popular cultur’. Und im Idealfall hat man dann ein Thema, das alle drei Bereiche abdeckt, etwa das Interview mit Billy Gibbons von ZZ TOP oder ein Reisebericht nach Graceland während der ‘Elvis Week’.

Ich nehme mal an, dass heute Fanzine wie Label nicht länger nur ein teures Hobby sind, sondern du davon lebst.

Also vom Fanzine alleine konnte man natürlich nicht leben. Ich verdiente mein Geld jahrelang mit dem Verkauf von T-Shirts, doch mittler-weile wirft das Label genug ab, um davon leben zu können – vielen Dank, liebe HIVES! Aber ehrlich gesagt ist das auch erst seit ein paar Monaten der Fall. In den letzten 15 Jahren habe ich so ziemlich alles gemacht, was man als Punkrocker so als Job findet: Plattenläden, Plattengroßhandel, Schreiben, Platten auflegen, und so weiter.

Vor ein paar Jahren gab es ja auch mal eine Connection zu Man’s Ruin, du hattest dort im Büro deinen Schreibtisch stehen. Wie ist bzw. war dein Verhältnis zu Frank Kozik?

Leider habe ich keinen Kontakt mehr zu Frank seit Man’s Ruin bankrott gegangen ist, wirklich schade. Ist dir eigentlich mal aufgefallen, dass man seit einer Weile auf die Frage ‘Wie geht’s?’ nicht mehr ‘Gut’ als Antwort bekommt, sondern ‘Keine Zeit, bin beschäftigt’? Naja, so ist das auch bei ihm, aber irgendwann werden wir uns wieder mal begegnen. Uns führte damals zusammen, dass ihm das Heft gefiel und mir sein Artwork, und so arbeiteten wir zusammen. Er hat mir übrigens mal gesagt, ich erinnere ihn an seinen Vater... Wirklich gearbeitet habe ich nur ganz zu Beginn für ihn, danach stand einfach mein Schreibtisch mit im Man’s Ruin-Büro. Ich habe eine Menge von Frank gelernt, über die Welt an sich, über Politik, über Motorräder, Kunst, Popkultur, und und und. Er ist einfach ein sehr intelligenter Mensch, dabei aber überhaupt nicht überheblich oder arrogant. Egal was ich ihn gefragt habe, er hat jede Frage sehr geduldig und ausführlich beantwortet, und daran werde ich mich immer erinnern.

Gibt es bei Gearhead eine bestimmte „Labelpolitik“?

Klar: die Platten müssen rocken, von Anfang bis Ende! Wenn ein schwacher Song dabei ist, bitte ich die Band den weg zu lassen. Wenn eine Platte nach der Hälfte nachlässt, heißt das für mich, die Band war noch nicht reif, um ins Studio zu gehen, oder hätte gar nicht erst über eine Platte nachdenken sollen. Das Leben ist viel zu kurz um irgendwas halbherzig zu machen, also müssen unsere Platten so gut klingen und aussehen wie nur möglich. Mein Ziel ist es, dass die Leute das Gearhead-Logo sehen und wissen, diese Platte können sie bedenkenlos kaufen, egal was es ist, eben nur deshalb, weil sie wissen, dass wir nur erstklassige Bands machen. Was aber wiederum nicht bedeutet, dass wir nicht auch neuen Bands eine Chance geben, siehe RED PLANET, HYPNOMEN oder MENSEN.

Auf Gearhead sind in letzter Zeit mehrfach Platten skandinavischer Bands erschienen. Wie kam es dazu?

Daran sind die NOMADS schuld. Jocke Ericson von den NOMADS fragte mich 1998, ob ich nicht sein Trauzeuge sein könne, und zur Feier des Tages gab’s das erste ‘Gearfest’. THE HELLACOPTERS, NOMADS, BACKYARD BABIES, SATOR, THE TURPENTINES, THE ROBOTS – die spielten alle da, die besten schwedischen Bands. Ich traf Pelle von den HIVES da, lernte quasi die gesamte schwedische Rockszene an einem Tag kennen. Und jetzt, da ich das Label mache, haben die Bands eben alle Bock drauf, in den USA auf meinem Label zu sein: die kennen mich, vertrauen mir, das Fanzine hat in Schweden einen guten Ruf – es passt einfach alles und sie wissen, dass ich gute Arbeit leiste.

Mir scheint, das Heft ist in letzter Zeit gegenüber dem Label etwas in den Hintergrund getreten.

Das ist leider so. Ich kann ja ganz gut zwei Sachen gleichzeitig machen, aber da wir dieses Jahr viel mit den ‘Gearfest’-Konzerten zu tun hatten, war für das Heft einfach keine Zeit übrig. Die nächste Ausgabe kommt aber bestimmt, sobald ich wieder etwas mehr Zeit habe. Die #12 war letztes Jahr beinahe fertig, aber dann wollten die DEMONS auf US-Tour gehen und ich machte den Tourmanager. Und dann kam die HIVES-Tour. Und das bedeutete, dass wir eben nicht nur die Platte rausbringen, sondern uns auch um die ganze Tourpromotion kümmern mussten, darum, dass wir genug Merchandise haben, und so weiter. Als gutes Label macht man das eben für seine Bands: du bringst nicht nur die Platten raus, sondern supportest sie auf allen Ebenen. Was nun das nächste Heft anbelangt, so muss das eben warten, bis es beim Label mal wieder etwas ruhiger ist. Es könnte aber auch sein, dass ich demnächst jemanden einstelle, der sich gezielt um das Heft kümmert.

Ist diese ganze Hotrod-Sache denn richtig groß in den USA oder eher so ein Underground-Ding?

Das war noch nie groß, deshalb habe ich ja auch das Heft mit diesem Thema gestartet. Eben um dieser Szene den nötigen Anschub zu geben, dass sich da Strukturen und Verbindungen entwickeln. Wenn die Szene heute etwas größer ist, dann hat das eher was mit SOCIAL DISTORTION als mit Gearhead zu tun, aber ich hoffe, dass ich zumindest meinen Teil dazu beitragen konnte. Ich bin aber froh, dass ‘Drag-Punk’ nie so groß geworden ist wie Grunge, denn dann hätte es auch einen Gipfel gegeben, ab dem es wieder abwärts geht. Da aber die ‘Drag-Punk’-Szene nur knapp unter der Oberfläche des Mainstream existiert und existierte, kann das so noch ewig weitergehen, und das ist gut.

Um nochmal auf die Gearfest-Festivals zu sprechen zu kommen: Wie hat sich das entwickelt, was sind die weiteren Pläne?

Ganz zu Anfang war das ja einfach nur eine Party, aber da es allen so viel Spaß machte, dachten wir uns, wir sollten das wiederholen. Und so kam es 2000 zu zwei Festivals, in Helsinki und in Stockholm. Im nächsten Jahr haben wir dann noch Oslo dazugenommen, und nächstes Jahr werden wir Kopenhagen dazunehmen und 2006 Reykjavik.

Und was ist mit Deutschland?

Das wäre schön! Ich brauche nur einen Partner vor Ort, ein paar Leute, die sich drum kümmern. Ich habe aber keine Lust, dass das zu einem richtig großen Festival wie Roskilde wird, sondern das sollte wie eine Party bei einem Freund sein, der ein sehr großes Haus hat. Und warum sollte das nicht auch in Deutschland klappen? Ich war noch nie in Deutschland, das wäre doch ein guter Grund, das mal in Angriff zu nehmen...

Wie wichtig ist dir der Independent-Gedanke bei Gearhead?

Nun, Gearhead ist ein Indie-Label, weil wir gar keine andere Wahl haben. Aber ich mache mir eigentliche keinen Gedanken über den Begriff an sich, oder über ‘Alternative’, was ja auch keine Bedeutung mehr hat. Ich mag solche Begriffe einfach generell nicht, weil sie einschränken. Aber als Punk-Label bezeichnet zu werden, damit bin ich einverstanden. Oder Rock’n’Roll, wenn du willst. Wir haben die HIVES, die HELLACOPTERS und die NEW BOMB TURKS auf dem Label, ich finde, da muss man nicht viel erklären.

In letzter Zeit gibt es ja gerade auch bei US-Labels einen Trend weg vom Vinyl, hin zu reinen CD-Releases. Wie sieht das bei Gearhead aus?

Wir machen von fast jeder Platte Vinyl, denn wir sind ein PLATTEN-Label. Doch leider verkaufen wir zehnmal mehr CDs als Vinyl, und aus rein wirtschaftlicher Sicht macht Vinyl sowieso keinen Sinn mehr, es ist einfach zu teuer. Aber wir haben Bock drauf, also wird es immer auch Vinyl geben. Nur vier unserer Releases sind CD-only, dafür aber sieben Vinyl-only – noch Fragen? Es ist übrigens eine seltsame Erfahrung, in Europa durch Plattenläden zu ziehen und da überall wirkliche Schallplatten stehen zu sehen – in den USA gibt’s das kaum noch.

Würdest du dich als Schallplattensammler bezeichnen?

Nein, denn ich bin zu geizig, mein Geld für rare Platten auszugeben. Andererseits habe ich rund 13.000 Platten, und das macht die Sache wohl doch zu mehr als einem kleinen Hobby. Und ich liebe Singles! Meine Lieblingsplatten sind übrigens THE MISFITS ‘Horror Business’ aus den Siebzigern, aus den Achtzigern THE NECROS ‘Tangled Up/Nile Song’ und aus den Neunzigern ROCKET FROM THE CRYPT ‘Boychucker’. Und ich mag auch 10“s, davon habe ich ein paar hundert. In Zukunft werden wir bei Gearhead übrigens verstärkt farbiges Vinyl machen, da haben Michelle und ich Spaß dran.

Gibt es bestimmte Dinge, die für dich in musikalischer Hinsicht ein absolutes Tabu sind?

Oh ja: Rap, Hip-Hop, alles mit einem Plattenspieler als ‘Instrument’, Ska, Rockabilly, politischer Hardcore, Trance, Techno, alles, was ‘funky’ ist, Stoner-Rock, Metal, Emo – und alles mit akustischen Gitarren. Und ich hasse Flöten!

Und was würdest du gerne mal machen, was du bislang nicht gemacht hast?

Ich würde gerne mal was in Richtung New Wave machen. DEVO waren einfach großartig, die erste B-52s-Platte auch. Und BOW WOW WOW würden KORN mal eben von der Bühne blasen, so hart und tight waren die. Außerdem liebe ich Power-Pop, gute Instrumental-Musik, Surf/Drag und so weiter – aber es muss eben rocken!

Was war für euch als Label und persönlich bisher der größte Erfolg, was ging so richtig daneben?

Das ist ganz klar das ‘Barely Legal’-Album der HIVES, davon verkaufen wir jede Woche 2.000 Stück, unglaublich. Enttäuschend ist, dass RED PLANET sich bislang noch ziemlich schwer tun. Die sind so gut, die müssten größer sein als OASIS! Was meinen größten persönlichen Erfolg anbelangt, so ist das mein Highschool-Abschluss, im Ernst! 1981/82 hattest du es als Kid in einem Bauernkaff in der Provinz verdammt schwer. Du wurdest schon komisch angemacht, wenn du Rockmusik gehört hast, aber Punk? Das ging ja überhaupt nicht! Hast du schon mal die Jerry Springer-Show gesehen? Die ist voll von richtig üblem amerikanischem White Trash, das ist beängstigend! Riesige Redneck-Farmer-Typen, die Charlie Daniels hören und Jack Daniels trinken – und zwischen solchen Typen bin ich aufgewachsen, nur dass ich so einen DEVO-Hut auf dem Kopf hatte. Ich bin permanent verprügelt worden, und ehrlich, dass die Kids heute so rumlaufen können, wie sie wollen, das haben sie meiner Generation zu verdanken. Dass ich nicht klein beigegeben habe gegenüber Typen, die mir Klebstoff und Kaugummi in die Haare schmierten und mich jeden Tag herumschubsten, hat mir persönlich aber bewiesen, dass ich alles erreichen kann, wenn ich es nur will. Als ich dann endlich mein Abschlusszeugnis erhalten habe, biss ich sofort eine Ecke ab – Mann, war ich Punkrock...

Deine Lieblingsband, die nicht auf deinem Label ist?


KRAFTWERK! Ganz im Ernst!

Und wen hättest du gerne noch auf dem Label?

Eigentlich ist es schon unglaublich, dass wir die HIVES, HELLACOPTERS, NEW BOMB TURKS und DEMONS haben. TURBONEGRO hätte ich auch nicht abgelehnt, und die DONNAS auch nicht. Und ich hätte auch gerne DRAGONS, GAZA STRIPPERS und LAZY COWGIRLS, aber je mehr Bands du hast, desto weniger Zeit hast du für jede einzelne. Also lieber langsam wachsen und darauf achten, dass man jeder Band die Aufmerksamkeit zukommen lässt, die sie verdient. Ist eine Band erst unzufrieden, ist es meist zu spät, und das ist es nicht wert.

Was können wir als nächste Releases erwarten?

Die neue MENSEN-LP, unsere Freunde aus Norwegen, die ja in Deutschland schion recht beliebt sind und das hoffentlich auch bald in den USA sind! Dann gibt’s einen Cheapo-Sampler namens ‘The Gearhead Smash-Up Derby’ und Singles von RANDY, LAZY COWGIRLS, DEMONICS, HYPNOMEN, TURPENTINES und MAGGOTS. Außerdem was Neues von den NEW BOMB TURKS, eine PATTERN-EP und so weiter. Unser Plan ist, zehn Platten pro Jahr zu machen, inklusive der Singles.

Letzte Frage: Was ist deine bevorzugte Droge?

Also mit ‘richtigen’ Drogen habe ich nichts am Hut, Bier jedoch ist eine ganz andere Sache. Und ich habe eine komplett eingerichtete Tiki-Bar bei mir im Haus, die schon eine Menge Leute beste Unterhaltung beschert hat. Wenn Bands vorbeikommen, müssen die immer einen signierten Drumstick dalassen, den ich dann ins Stroh des Daches der Tiki-Hütte stecke. Mittlerweile ist da so einiges zusammen gekommen, da haben also schon eine Menge Leute gefeiert. Wie gesagt, ich mag Bier, trinke auch jeden Tag, aber besaufe mich nicht. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass Bier gesund ist. Andere Abhängigkeiten gelten meinem iMac, meinem Handy, meinem Faxgerät und Overnight-Kurierdiensten – und natürlich Arbeit! Mir macht Spaß, was ich mache, und ich hoffe, ich habe noch ein paar Jahre vor mir.

Mike, ich danke dir für das Interview.