KETTCAR

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Schweinfurt; 11 Uhr morgens – zu wenig Schlaf und zu viel Getränk (oh, je – welch Klischee) – ein Gespräch über Verständnisse und Missverständnisse, ELLIOTT SMITH, FUGAZI und Emotionen. Nachdem das Diktiergerät im Eifer des Gefechtes versehentlich während der Nacht in Wasser eingelegt wurde, musste ein Ghettoblaster, wie wir coolen Menschen ihn nennen, seine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Das permanente Rauschen beim Abhören der Aufnahmen bescherte neben einem irreparablen Gehörschaden spätestens nach zweimaligem Anhören Wahnsinn und Verzweifelung. Nur mit der stoischen Leidensfähigkeit eines deutschen Elite-Soldaten konnten die Sätze des Herrn Marcus Wiebusch doch noch ausgewertet werden. KETTCAR, wer’s noch nicht mitbekommen hat, ist sowas wie der Nachfolger von ...BUT ALIVE.

Marcus, kannst du schon etwas zum Album sagen?


Es wird erst mal kein Album geben. Weil wir keine Plattenfirma haben, die uns die Aufnahmen bezahlt.

Eine Band wie KETTCAR, die eigentlich in aller Munde ist – wieso merkt das kein Chef einer Plattenfirma?

Ich weiß es nicht – vielleicht, weil wir denen zu hässlich sind? Zu alt? Wir möchten die Platte rausbringen und selber können wir das nicht. Man muss dazu sagen, dass wir schon sehr viel Geld in die Band gesteckt haben. Jetzt suchen wir jemanden, der die Platte gut findet und dann kommt sie raus...

Würdest du sagen, die Situation ist für eine Band wie euch im Jahr 2002 schwieriger, als im Jahre 1992?

Ja, 1992 hätten wir schon längst einen Plattenvertrag, denke ich. Aber auch im Indie-Bereich ist die Situation für uns zur Zeit nicht gerade vorteilhaft – das ist ein Abbau auf allen Ebenen.

Eine Frage die sicherlich oft gestellt wird: Wieso veröffentlichst du es nicht auf B.A.Records?

Kein Geld – einfach kein Geld.

Aber Interessenten gab es schon?

Ja, aber das hat sich alles zerschlagen.

Wo seht ihr euch selber musikalisch?

Wir machen Popmusik. Klar sind unsere Wurzeln da eher bei britischer oder amerikanischer Popmusik, als bei deutscher. Wir orientieren uns musikalisch an Bands wie HOUSEMARTINS oder Elliott Smith.

Welche Bands laufen bei euch im Band-Bus?

Zum Beispiel die neue TOCOTRONIC, weil Sahni, unser Mischer, auch der Mischer von TOCOTRONIC ist. Aber eigentlich fast immer irgendwelche Sampler, die einer aufgenommen hat, und meint, den anderen mal vorspielen zu müssen. So hört man immer, was die anderen im Moment hören. Bands, die wir eigentlich alle in letzter Zeit gut fanden, waren DASHBOARD CONFESSIONAL, PHANTOM PLANET, BENFOLDS oder NEW ORDER.

Inwieweit hat eure musikalische Vergangenheit Einfluss auf eure aktuelle Arbeit?

Wenn man vom Punk kommt, hat man hoffentlich gelernt, frei zu sein von irgendwelchen Dogmen oder Richtlinien, wie was zu klingen hat. Wir haben bei ...BUT ALIVE auch immer versucht, jenseits der vorgegebenen Punkschemata Musik zu machen. Im Grunde genommen machen wir mit KETTCAR nichts anderes. Nur dass sich unsere Vorlieben geändert haben.

Was hättest du selber vor zehn Jahren zu euch gesagt?

Das ist eine gute Frage – wahrscheinlich hätte ich das nicht so gut gefunden. Aber ich mache ja auch keine Musik für jemanden wie mich vor zehn Jahren. Ich bin heute nicht mehr derselbe wie vor zehn Jahren.

Wenn man euch kennt, weiß man, dass ihr dennoch kritisch denkende Personen seid.


Ich wehre mich grundsätzlich dagegen, wenn Leute sagen: ‘Wir sind eine unpolitische Band’. Man hat seine Grundwerte, die man beibehält. Es ist nur so, dass man seine Meinung halt nicht mehr so offensiv nach außen trägt.

Ist es anstrengend, wenn man immer wieder auf die Vergangenheit angesprochen wird?

Ja, das ist anstrengend und nervt vor allem, denn man will ja weiterkommen. Wenn andere Leute das nicht können und sich sozusagen immer treu bleiben, frage ich mich oft auch, woher da der Impuls kommt. Denn oft ist es so, dass man schnell von der eigenen Ästhetik gelangweilt ist. Das ist so, als würde man einem Maler sagen: ‘Du darfst nur noch mit zwei Farben malen.’ Das wäre bestimmt nicht mein Ding.

Wie war das erste Konzert mit BAD RELIGION?

Das ist wie mit allem, was wir tun – neue Erfahrungen, die dann verarbeitet werden. Natürlich ist man anderes gewohnt, von dort, wo wir herkommen. Es ist aber nicht so schlimm, dass man den Glauben an alles verliert. Es ist halt eine andere Ebene.

Hat sich das Publikum verändert?

Ja. Auf jeden Fall ist es kleiner geworden. Und die, die enttäuscht sind, bleiben dann beim zweiten Mal weg. Was natürlich gut und richtig ist. Ich kann da nichts dagegen sagen. Wir machen Musik, die für uns gut klingt. Mehr können wir nicht tun. Dadurch sprechen wir auch teilweise andere Leute an – ob es nun alte Punks sind oder neue Indie-Kids...

Für welchen Film hätten KETTCAR gerne den Soundtrack geschrieben?

‘Fight Club’, und alles, was David Fincher macht. Ich habe keinen Film in den letzten zwei oder drei Jahren häufiger gesehen. Der Film ist auf seine Weise total radikal und speziell, und gleichzeitig durch seine Schauspieler und das unglaubliche Set-Design auf Mainstream getrimmt. Ich finde, die innere Logik des Films ist der Hammer – das ist schon radikal. Ich würde ihn vielleicht sogar auf einer Ebene sehen – und das sehen in 20 Jahren bestimmt auch viele andere so – mit ‘Clockwork Orange’. Wenn es in den 90ern einen Film gab, der auch nur ansatzweise da ran kommt, dann der!

Wie wichtig sind die Texte?

Genauso wichtig wie bei ...BUT ALIVE. Da gibt es keinen Unterschied. Wir würden nie Musik abliefern, wo der Text Schrott ist. Das würde ich nie hinkriegen, weil man sich echt dumm vorkommt, wenn man irgendeinen Schrott singt. Das macht man höchstens am Anfang – da hat man irgendwelche Quatsch-Texte –, die werden halt immer weiter gesäubert und gefiltert und dann hat man irgendwann einen guten Text. Wenn man keinen guten Text hat, hat man keinen Song – auch wenn die Musik noch so kickt. Andersherum natürlich genauso. Auch wenn die Musik oft als erstes da ist.

Schreibst du die Texte alle alleine?

Nee, das machen Reimer und ich zusammen. Nicht bei jedem Song, aber sicher bei einem, wenn nicht sogar zwei Drittel der Songs. Jetzt kommt noch Erik dazu – unser zweiter Gitarrist –, der auch Songs schreibt. Jetzt kommen wir gerade in die nächste künstlerische Phase, denn nachdem wir die Aufnahmen abgeschlossen haben, wird jetzt quasi noch mal völlig neu sondiert. Ich habe jetzt schon das Gefühl, dass die zweite Platte von KETTCAR, schon wieder anders klingen wird, als die, die wir jetzt aufgenommen haben.

Ich hatte gestern abend den Eindruck, als wären eure neuen Lieder etwas langsamer, als noch auf eurer EP „Solange die dicke Frau noch singt, ist die Oper nicht zu Ende“?

Ja, da waren natürlich ein paar sehr ruhige mit dabei. Wir haben nicht so viele neue Songs in letzter Zeit geschrieben, weil wir an der Platte gearbeitet haben. Uns war danach, ein bisschen ruhigere Songs zu machen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das bald wieder in normale Bahnen gelenkt wird.

Gibt es eine Verbindung zur Emo-Szene bei euch?

Was meinst du mit Emo? Ich kann mit dem Begriff nichts mehr anfangen.Was heute als Emo bezeichnet wird, ist oftmals nur ganz normale Gitarren-Musik. JIMMY EAT WORLD zum Beispiel, wenn die etwas mit Emo zu tun haben, dann weiß ich nicht, was das bedeuten soll. Ich glaube nicht, dass uns die ‘typischen’ Emo-Kids so dufte finden. Wir sagen sicher nicht: ‘Hey, jetzt schauen wir mal, ob uns die Emo-Kids gut finden.’ Es gibt halt keine Zielgruppenorientierung. Manche von diesen Bands finde ich musikalisch durchaus gut, aber mit dem Begriff kann ich nichts anfangen!

Was sagst du zum 80er-Jahre-Revival?

Das ist mir eigentlich völlig egal. Man weiß doch, dass das jetzt so eine Welle ist. Wenn man einen Song im Radio hört, den man damals gut fand, bevor man in härtere Gefilde abgerutscht ist, dann ist das zwar witzig, aber nichts, was man 2002 – rein ästhetisch betrachtet – ernsthaft hören kann. Alle finden es dufte und liegen sich in den Armen und tanzen zu Nick Kershaw ab, weil sie es damals gut fanden. Im Grunde genommen haben sie Punk und die ganzen anderen Bewegungen mitgemacht.

Welche Bedeutung hat Elektronik für euch?

Elektronik hilft, Musik für uns spannender zu gestalten. Elektronische Musik wird von uns auch gehört und gut gefunden.

Du machst jetzt ja mit deinem Bruder Musik. Wie kam es, dass er bei KETTCAR mitspielt?

Mein Bruder hat vorher überhaupt keine Musik gemacht. Ich wusste aber was er musikalisch drauf hat. Ich habe ihn gefragt, als ich wusste, dass wir aufgrund der Elektronik noch eine Person mehr auf der Bühne brauchen würden. Er war erst nicht so begeistert, weil er sein Leben ein bisschen umstellen musste. Wenn du nicht aus dem Musik-Bereich kommst, weißt du nicht, dass man ziemlich viel Zeit da rein stecken muss, was für uns ja ganz normal ist.