JETS TO BRAZIL

Foto

Lonely Landleben

Blake, euer neues Album ist meiner Meinung nach euer bislang bestes, eine perfektionierte Version des Vorgängers „Four-Cornered Night“.
Freut mich, das zu hören. Ich denke, das hat was damit zu tun, dass wir diesmal erstmals als richtige Band gespielt haben. Bei dem Album davor haben wir eher jeder für uns selbst gespielt. Und diesmal waren wir auch wieder disziplinierter, und man merkt auch, dass es die Band jetzt doch schon vier, fünf Jahre gibt.

Und doch seid ihr, zumindest hierzulande, immer noch kaum mehr als ein Geheimtip. Wie ist euer Status in den USA?

Im Vergleich zu anderen Bands ist es um uns noch eher ruhig, aber an sich läuft es für uns ganz gut und wir können unsere Miete bezahlen. Aber wir sind weit davon entfernt ein großer ‚Act’ zu sein, haha. Im Fernsehen sind wir auch nicht. Unser Label ist mit uns zufrieden, wir sind zufrieden, was will man mehr? Und ich wüsste auch nicht, ob ich damit klar käme, wenn wir größer wären.

Das Artwork des letzten Albums sah aus wie aus einem Biologiebuch, diesmal hat es was von einem Märchenbuch.

Hehe, sieht es nicht schrecklich germanisch aus? So mit dem Schloss im Zwielicht und so, findest du nicht? Wir haben das aus einem Kinderbuch, das Brian auf der Straße gefunden hat, und ich finde, das Bild sieht ziemlich gruselig aus.

Das passt natürlich zu dem düsteren Titel „Perfecting Loneliness“.

Ja, das passt sehr gut zusammen, nicht?

Musikalisch ist die Platte dann aber gar nicht so düster.

Zumindest nicht bis zum letzten Song – ‚Rocket boy’ ist ja wohl sehr düster.

Meine heimlichen Hits sind die ersten beiden Tracks, „The frequency“ und „You’re the One I want“...

Wir selbst haben da keine besondere Vorliebe, aber Jade Tree mögen ‚You’re the One I want’ auch sehr und da wir das auch immer live spielen, könnte es sein, dass das auch die Single wird. Wenn es nach mir ginge, würde es ‚Wish list’.

Was hat es mit „Cat heaven“ auf sich?

Den Song habe ich für meinen Kater Chinatown geschrieben. Er war ziemlich krank und ist dann gestorben. Ich habe dann dieses Lied geschrieben, um mich zu trösten, denn ich hing schon ziemlich an ihm. Und eines Tages werde ich dann wohl wieder mit ihm vereint sein... Aber ich habe jetzt wieder eine neue Katze, die ich kurz nach dem 11. September im Tierheim gefunden habe. Damals sind auch viele Haustiere ‚obdachlos’ geworden.

Im Presseinfo zu eurem neuen Album findet sich der Satz „It’s about a search for God, search for love, and the failure to find both“.

Ich denke, es ist immer den Versuch wert zu suchen, ob man das Erwünschte nun findet oder nicht. In jedem Fall begibt man sich für so eine Suche auf die Reise, und am Ende der Reise steht in meinem Fall ein neues Album, so dass die Suche auf keinen Fall umsonst war.

Ich habe gelesen, du hast einen Teil der Songs auf einer abgelegenen Farm im kanadischen Nova Scotia geschrieben.


Ja, ich war sechs Wochen zu Besuch bei meiner Familie, um ihnen zu helfen. Sie haben eine Farm und wollten mal wieder Urlaub machen, also kümmerte ich mich in dieser Zeit um alles. Ich war dort ziemlich viel allein, die Farm liegt recht abgelegen, und so hatte ich viel Zeit neue Songs zu schreiben. Ich bin da zwarnicht aufgewachsen – das war in Kalifornien- , aber meine Mutter lebt schon seit fünfzehn Jahren dort und ich verbinde viele Erinnerungen an diesen Ort. Und es ist natürlich ein krasser Gegensatz zwischen dem Leben in New York und dem auf einem Bio-Bauernhof – meine Mutter war schon immer sehr aktiv in Sachen Umweltschutz – in Nova Scotia.

Kinder machen ja oft das Gegenteil von dem, was ihre Eltern wollen: Bist du statt Umweltaktivist eher ein McDonalds-Esser?

Also an diese Theorie glaube ich nicht. Ich denke, es ist immer gut, wenn Kinder erstmal alles ablehnen und eine rebellische Phase haben. Ich glaube aber, dass ich viele der radikalen Einstellungen meiner Eltern übernommen habe. Die waren in den Sechzigern so richtige Hippies, und zu einem guten Teil bin ich heute gar nicht so anders als meine Eltern damals, nur in einer viel schrecklicheren Zeit.

Bist du Vegetarier, achtest du auf gutes Essen?

Vegetarier bin ich nicht, aber ich schaue, dass ich gut esse.“

Um auf das Album zurückzukommen: Hat denn die Zeit auf der Farm das Album beeinflusst?

Ich denke, ich habe den Freiraum genutzt, um Neues auszuprobieren, meinen Gedanken und Ideen freien Lauf zu lassen. Und so sind da sicher andere Songs entstanden, als wenn ich die Zeit in New York verbracht hätte. Aber die Songs sind ja dann doch aus beiden Welten, denn ich habe dort oben nur die Ideen entwickelt, fertig gestellt wurde alles in New York im Studio.

Dieser Tage erscheinen viele Platten, deren Vorbereitung rund um den 11. September 2001 lief. Wie ist das in eurem Fall?


Die beiden letzten Songs des Albums, ‚Disgrace’ und ‚Rocket boy’, entstanden nach dem 11. September, und auch der Titelsong ‚Perfecting loneliness’. Nach dem 11. September brauchten wir als Band Monate, um wieder kreativ arbeiten zu können.

Inwiefern hat euch dieser Angriff betroffen, jetzt mal über die Tatsache hinaus, dass ihr in dieser Stadt lebt?

Der erste Schock des Ereignisses an sich war so groß, dass erstmal alles in Zweifel gezogen wurde. Nichts schien mehr wichtig angesichts der Katastrophe, es war sehr schwierig, da überhaupt zu arbeiten. Ich schreibe meine Texte in der 1. Person, ich schreibe über mein Leben, und ich hatte das Gefühl, meine Geschichten seien in dieser Situation ziemlich irrelevant. Ich hatte anfangs noch die Hoffnung, dass man aus diesem Ereignis gewisse Lehren und Konsequenzen ziehen, sich mit den Ursachen beschäftigen würde, aber das ist nicht geschehen. Das Ereignis war für mich und viele andere letztendlich aber ein politisches Erwachen gewesen, man schaut plötzlich genauer hin, was da eigentlich vor sich geht, welche Rolle die USA in diesem Konflikt spielen.

Und was hat das ganz konkret für dich bedeutet?

Ich habe angefangen, mich in die ganze Thematik einzuarbeiten, sehr viel im Internet recherchiert und gelesen – und finde das Internet zum ersten Mal überhaupt zu etwas nütze. Vorher war es nur eine einfache Möglichkeit Nachrichten auszutauschen und Gerüchte zu verbreiten, doch jetzt sehe ich es als wichtige, alternative Informationsquelle. Die USA und ihre Massenmedien sind heute so unverblümt rechtslastig, da ist es um so wichtiger, Zugang zu anderen Informationen zu haben. Ich habe also versucht, mich selbst weiterzubilden, und ich sehe das auch als meine Pflicht an.

Ich habe JETS TO BRAZIL nie als politische Band wahrgenommen, hat sich das denn mit dem 11. September geändert?


Das ist eine persönliche Angelegenheit von mir, und ich bringe die in politischen Essays auf unserer Website, die mit meinem Namen gekennzeichnet sind, auch ganz klar zum Ausdruck. Das ist nicht unbedingt die Meinung der Band, aber seit diesem Tag reden wir auch in der Band über Politik, was wir vorher nicht getan haben. Ansonsten würde ich aber sagen, dass wir keine politische Band sind.

Es gab ja einige Bands, gerade große Pop- und Rockbands, die sofort in das patriotische Geschrei eingestimmt haben, während andere klar dagegen Stellung bezogen. Hat der 11. September da ganz klare Linien gezogen, wer wo steht?

Oh ja, auf jeden Fall hier in der Stadt. Dadurch, dass hier die Leute ganz direkt betroffen waren, war hier der Ausbruch von patriotischem Eifer auch viel stärker, als sonst wo im Land, was um so heftiger bemerkbar war, als New York traditionell eine liberale Stadt ist, zumindest was amerikanische Verhältnisse anbelangt. Es war auf jeden Fall eine sehr seltsame Erfahrung.

Aufgenommen habt ihr „Perfecting Loneliness“ einmal mehr mit J. Robbins. Ihr hängt aneinander, oder?

Ja, er gehört zur Familie. Wir verstehen uns gut, er weiß, was wir wollen, und wenn man zeitlich und finanziell eingeschränkt ist wird es um so wichtiger, dass man im Studio genau weiß, was man macht. Kein langes Rumgetue, sondern straightes Arbeiten, und J. ist auch selbst so ein kreativer Kopf, dass er so was wie das fünfte Bandmitglied ist.

Weißt du, warum sich seine Band BURNING AIRLINES aufgelöst hat?

Die waren viel auf Tour und so, und ich denke, er hatte einfach keine
Zeit mehr, denn seine Arbeit als Produzent ist ziemlich zeitaufwendig.

Eure Platten haben sich konsequent vom Hardcore- und Punk-Sound eurer frühen Bands entfernt. Wie siehst du diese Entwicklung?

Das Ziel ist immer, den perfekten Pop-Song zu schreiben. Aber in letzter Zeit hatte ich wieder das Bedürfnis, Songs von unserem ersten Album zu spielen, denn ich vermisse etwas den Hardcore, die wütende Energie. Da ist es praktisch, wenn man sich live bei drei Alben bedienen kann und damit ein recht weites musikalisches Spektrum abdeckt. Aber wer weiß, wo wir mit dem nächsten Album landen – es könnte schon sein, dass wir es mal wieder mit wilder, aggressiver Musik versuchen. Das Gute an dieser Band ist, dass sie in alle Richtungen offen ist.

Auf dem Album arbeitet ihr mit relativ aufwendiger Instrumentierung. Inwiefern setzt ihr das auch live um?

Wir nehmen so viel mit auf Tour wie möglich, und außerdem sind wir seit neuestem zu fünft: wir haben ein Laptop... Unser iBook gehört jetzt zur Band, da sind alle Samples drauf, so dass wir die Klänge, die wir im Studio gezaubert haben, auch live bringen können.

Es gab aber auch mal Zeiten, da war das in Punk-Kreisen anders...

Also ich war schon zu JAWBREAKER-Zeiten gegenüber der Technik aufgeschlossen und arbeitete mit Tape-Samples. Wenn es der Sache dient, kenne ich da keine Hemmungen.

Apropos JAWBREAKER: Ihr habt jetzt das „Dear You“-Album sowie eine B-Seiten-Zusammenstellung veröffentlicht.


Ja, das ist auf dem bandeigenen Label Blackball erschienen. Adam Pfahler kümmert sich um das alles, ich habe nur die Linernotes für das Booklet geschrieben. Es ist ein seltsames Gefühl, wenn einen jetzt die Zeit vor acht Jahren mittels dieser Platten wieder einholt.

Habt ihr jemals über eine Reunion gesprochen?

Klar, wir wurden das mehrfach gefragt, aber wir haben uns ganz klar dagegen entschieden. Es wäre nicht gut, denn wir haben uns damals aufgelöst, weil wir uns nicht mehr als Band fühlten.

Zum Schluss noch die Frage, wann ihr endlich mal wieder in Deutschland tourt.

Hm, wir sollten echt mal wieder bei euch spielen, ja... Wir haben auch Lust drauf. Den ganzen Herbst über sind wir in den USA unterwegs, und dann ist es realistisch, dass es im Frühjahr vielleicht klappen könnte.

Blake, ich danke dir für das Interview.