RADIO 4

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Tanz den Untergrund

Als ich im Sommer letzten Jahres die „Dance To The Underground„-EP von RADIO 4 aus New York in die Finger bekam, war ich spontan begeistert: großartiger, tanzbarer Mod-Punk-Gitarren-Rock der absolut eigenständigen Art. Im Frühjahr dann, auch auf Gern Blandsten, erschien „Gotham!„, das zweite Album der Band, das schließlich im Herbst via Labels/City Slang seinen Weg nach Europa fand und ebenfalls sofort begeisterte. Und so brauchte es keine großen Überredungskünste seitens der Plattenfirma, um mich zum Interviewtermin nach Köln zu locken. Dort saß mir, ein noch ziemlich vom Jetlag gebeutelter Anthony Roman, seines Zeichens Basser und Sänger der US-Formation, zur Mittagszeit in einem Café gegenüber.


Die Europa-Version eures Albums enthält statt des Tracks „Red lights again„ einen neuen Mix von „Dance to the Underground„ – wie kommt’s?


Der Song war ja nur auf einer EP erschienen, und da sich EPs nicht so toll verkaufen, der Song aber so gut ist, wollten wir ihm noch mal eine Chance geben. Zuerst wollten wir ihn nicht auf ‚Gotham!’ haben, weil wir genug neue Songs hatten. Christof von City Slang mochte den Song aber, und als er uns dann fragte, ob wir den nicht doch auf die Europa-Version des Album packen könnten, freute uns das und wir stimmten zu.

Es ist auf jeden Fall einer eurer stärksten Songs.

Ja, das sehen wir auch so, und da wäre es einfach dumm gewesen, ihn nur auf dieser EP zu veröffentlichen, von der wir in den USA gerade mal 1.000 Stück verkauft haben. Außerdem wurden wir bei Konzerten immer wieder gefragt, ob das ein alter Song sei – keiner kannte die Platte.

In Deutschland seid ihr absolute Newcomer, wie ist euer Stand in den USA?


In den großen Städten wie L.A., Chicago oder Seattle kommen wir ganz gut an, während die Leute in den kleineren Städten scheinbar eher auf Emo und Indie stehen, warum auch immer. Auf unserer Tour demnächst, mit GIRLS VS. BOYS, sind wir dann auch nur in großen Städten.

Wie würdest du beschreiben, wie ihr zu eurem Sound gelangt seid? Und was ist eure musikalische Vergangenheit?

Ich bin 28, und persönlich war ich nie ein großer Fan von amerikanischem Hardcore à la MINOR THREAT und BLACK FLAG. Und vor allem konnte ich noch nie was mit New York Hardcore à la YOUTH OF TODAY anfangen. Mein Ding waren und sind Bands wie JAWBREAKER, SOULSIDE, FUGAZI und so weiter. Für die Klassiker bin ich einfach immer zu jung gewesen. HÜSKER DÜ, MINUTEMEN, das sind so meine Bands.

Ich finde ja, dass manche eurer Songs einen guten Joe Jackson-Einschlag haben – kannst du das nachvollziehen?

Hm, ich weiß auch nicht. Klar, wir kennen alle Joe Jackson, aber keiner von uns ist ein ausgesprochener Fan oder so. Wir haben das schon öfter gehört, aber es ist kein Einfluss, den wir nachvollziehen können. Höchstens insofern, dass der Gesang Ähnlichkeiten aufweist.

Das auf jeden Fall, und dann ist da dieses Mod-Pop-Feeling.

Auf dem neuen Album ist das nicht mehr so stark, oder?

Hm, ich finde schon. Gibt’s denn andere britische Bands, die du als prägend bezeichnen würdest?

GANG OF FOUR, THE CLASH, POP GROUP, P.I.L., SLITS, aber auch ECHO & THE BUNNYMEN, THE CURE oder THE SMITHS. Das ist alles Musik aus einer sehr guten Phase der Musikgeschichte. Als wir die Band gründeten, gab es nicht viele aktuelle Sachen, die uns hätten inspirieren können, und so haben wir uns auf die Klassiker besonnen.

Die Bands, die du genannt hast, kamen alle aus der Punk-Szene, aber ihre Musik war völlig eigenständig und hatte mit klischeehaftem Punk nichts zu tun.

Richtig, und von 1976 bis zu GANG OF FOUR sind es zwar nur zwei Jahre, aber schau dir den Fortschritt an! Und von da zu P.I.L., wieder zwei Jahre und wieder was ganz anderes! Die Bands damals haben sich enorm schnell weiterentwickelt, dabei aber ihren Punk-Spirit bewahrt, das ist wichtig. Nimm etwa ECHO & THE BUNNYMEN, die sind nicht Punk, aber du merkst ihrer Musik an, dass sie Punk gehört haben.

Euer neues Album hat zwar einige Songs, die man sich im Radio vorstellen könnte, aber realistischerweise dürfte da kaum eine Chance bestehen. Wie siehst du eure Band in dieser Hinsicht?

Also wir haben uns noch nie um den ‚Accessibility Factor’ Gedanken gemacht. Unser Ziel war, möglichst viel für jeden einzelnen Song zu tun, und wir hatten dabei sicher nicht im Hinterkopf, ob ein Song zur Single taugt oder nicht – mit der Ausnahme von ‚Dance to the Underground’. Den haben dann auch Tim Goldsworthy und James Murphy vom Produzententeam DFA neu abgemischt, weshalb der Song auf der EP, den Tim O’Heir gemixt hat, auch anders klingt als auf dem Album.

Was hat es mit dem ebenfalls sehr starken Song „New disco„ auf sich? Soll das eine programmatische Erklärung in Sachen Tanzmusik sein?

Nein, haha, das ist eine ganz andere, lustige Geschichte: Ich saß in meiner Wohnung, las das New Yorker Veranstaltungsmagazin ‚Time Out’ und stieß darin auf eine Besprechung von CHICKS ON SPEED. Die kannte ich bis dahin gar nicht, ich las die Besprechung und dachte mir, okay, dann schreibe ich jetzt einen Song, der so klingt, wie ich mir deren Musik nach der Besprechung vorstelle. Tja, später stellte ich dann fest, dass ‚New disco‘ überhaupt nicht nach CHICKS ON SPEED klingt. Der Titel bezieht sich dabei nicht auf Disco als Musikrichtung, sondern auf einen neuen Club. Es geht da um Leute, die nicht zu Hause bleiben können, die immer ausgehen müssen. So ist New York eben: ständig macht ein neuer Club auf, man ‚muss’ da hingehen, um mitreden zu können, und wenn der Laden zwei Wochen auf ist, du aber noch nicht da warst, wirst du schon gefragt, ob mit dir was nicht stimmt.

Euer Album ist sehr abwechslungsreich, jeder Song ist wirklich anders.


Das ist einfach so passiert, und es hat auch was damit zu tun, dass jeder Song anders produziert wurde. Tim und James haben uns in dieser Hinsicht sehr geholfen, die denken eben anders als ein Musiker, haben neue und andere Ideen, die hängen nicht so an einem Song wie du, als die Person, die ihn geschrieben hat. Wir haben uns auf sie eingelassen, und das Ergebnis ist wirklich gut geworden. Produzenten machen eben auch nur Sinn, wenn man sich auf sie und ihre Ratschläge einlässt. Und es ist auch ein Unterschied, ob man selber versucht, gezielt unterschiedliche Songs zu schreiben oder ob da Produzenten ihren Einfluss ausüben.

Ihr habt eine sehr funkige Gitarre, das fällt angenehm auf.

Stimmt – wir mögen Funk und machen eben Funk, wie ihn Leute spielen, die davon keine Ahnung haben. Aber alter New Orleans-Funk oder James Brown sind einfach großartig, und schon THE CLASH hatten Funk-Elemente eingebaut, ebenso wie POP GROUP und die AU-PAIRS damit gespielt haben, oder die TALKING HEADS. Deren ‚Remain In Light’-Album hat für uns auf jeden Fall Pate gestanden bei ‚Gotham!’, denn die haben damals ihrem Sound Percussion und Funk hinzugefügt und mit New Wave und Punk gemischt. Ich finde, man muss als Band zu seinen Einflüssen stehen, denn mit jedem Jahr wird es unmöglicher, wirklich einen völlig eigenen Sound zu haben. Und überhaupt: nur weil etwas völlig anders klingt, heißt das doch noch lange nicht, dass es auch gut ist.

Seid ihr in New York Teil einer bestimmten Szene oder existiert ihr für euch alleine?

Du fängst erst an über so was nachzudenken, wenn du woanders hin kommst und Leute dich auf die tolle New Yorker Szene ansprechen. Wenn du da mittendrin steckst, nimmst du das anders wahr. Du spielst in einer Band, andere spielen in einer Band, man trifft sich, aber das eine ‚Szene’ zu nennen, das geht zu weit. Und da wurde in der Vergangenheit auch viel glorifiziert, etwa was die Hardcore-Szene und das CBGB’s anbelangt. Das wird einfach von außen völlig anders wahrgenommen, und das war auch in den Siebzigern nicht anders: BLONDIE hingen dort ab, die RAMONES woanders und TELEVISION noch mal woanders. Alle spielten mal im CBGB’s und man kannte sich, aber das war’s auch schon. Und so kennen wir eine Menge Leute, aber das heißt nicht, dass wir gut befreundet sind.

Gibt’s eine Geschichte zu eurem Namen?

Also erstmal legen wir Wert darauf, dass wir RADIO 4 und nicht THE RADIO 4 heißen. Wir haben den Namen vom gleichnamigen P.I.L.-Song geliehen, und es macht insofern Sinn, als dass die, wie wir auch, einen Punkrock-Background haben, sich aber dann musikalisch in Richtung Dance-Music weiterentwickelt haben.

Ihr habt zwei Songs auf dem Album, die vom Titel her einen Bezug zu New York City vermuten lassen: „Our town„ und „Save your city„, und „Gotham„ als Titel lässt auch einen solchen Rückschluss zu.

Damit liegst du richtig, ja. Nachdem wir acht, neun Songs fertig hatten, stellten wir fest, dass es da einen roten Faden in Bezug auf New York City gab. Und als wir das Album dann fertig hatten, wollten wir das mit dem Titel noch bestärken, wobei es kein Konzept-Album sein soll. Es sind vielmehr Beobachtungen in und zur Stadt, zu den Problemen und dem Leben dort. Die Platte wurde im Juli 2001 aufgenommen, also noch vor dem 11. September, und viele Probleme erscheinen in diesem Licht sehr gering, aber damals haben sie uns eben beschäftigt. New York war so lange quasi aufgegeben worden, eine Stadt, von der keiner etwas erwartete, und dabei hat New York so eine große, reiche musikalische Tradition. Wir wollten mit unserer Platte die Stadt sowohl kritisieren wie feiern.

Wie kam es zum Kontakt mit City Slang, eurem europäischen Label?

Das kam über einen Booker in England zu Stande, der mit Freunden von uns gearbeitet hat. Der bekam eine Vorabkopie unseres Albums in die Finger und organisierte ein paar Shows in London für uns, aber nichts geschah. Drei Wochen später spielten wir dann bei SXSW in Austin, wo auch Christof von City Slang war, der sich brennend für uns interessierte. Für uns sind sie der ideale Partner.

Was machst du, was macht ihr bislang?

Wir kommen alle aus Long Island, sind typische Vorstadtkids, nicht reich, nicht arm, ganz normal. Zwei von uns sind arbeitslos, ich habe einen Plattenladen. Greg, unser Drummer, ist bei einer Zeitarbeitsfirma, das ist ganz gut für einen Musiker, und PJ O’Connor, der Percussionist, arbeitet für einen Ticket-Broker.