YOUTH ACADEMY

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Goodbye Giessen!

Eine letzte gute Tat war zu vollbringen, bevor ich Giessen endgültig den Rücken kehrte. Ein Interview mit einer jungen Band, die schon beim ersten Konzert durch ein kurzes, knackiges, energiegeladenes Set sehr gefallen und neugierig gemacht hat. Das Interview fand statt im „Sowieso“, der Giessener Punkkneipe schlechthin. YOUTH ACADEMY sind Carsten (Stimme), Marco (Gitarre), Sascha (Bass), Thilo (Schlagzeug) und existieren seit Mai 2001. Meine Interviewpartner waren Carsten und Sascha; Ulf von den Boxhamstern gesellte sich dazu.


Wenn ihr euch selbst beschreiben solltet, wie würde das aussehen?

Carsten:
Angefangen hat es so, dass wir gezielt alten Ami-Hardcore-Punk machen wollten, der in Richtung DESCENDENTS oder frühe DAG NASTY gehen sollte. Aber ich denke, das hat sich im Laufe der Zeit schon etwas verändert. Seitdem wir die Lieder zusammen machen, entsteht da etwas anderes. Was nicht unbedingt aus dem Rahmen fällt, wenn man es mit den alten Liedern vergleicht, aber es soll schon flott und groovy sein.
Sascha: Und kurz!

Ihr seht also eure Wurzeln im amerikanischen Hardcore der frühen 80er-Jahre? Wieso gerade diese Musik? Ihr seid ja alle noch ziemlich jung, oder?

Carsten:
Ich und Thilo sind die Jüngsten mit 24, Sascha ist 25, Marcus ist 27. Aber diese Musik hat ja nichts mit dem Alter zu tun. Es ist heute für 14-jährige kein Geheimtip, BLACK FLAG oder DESCENDENTS zu hören.
Sascha: Ich habe so was auch mit 13 oder 14 gehört – von daher ist es eher ein zurück, nachdem man schon 1.000 andere Sachen gemacht hat.

Wieso dieser Schritt zurück? Ist es, weil diese Musik für euch das einzig Wahre, die Essenz, die Ursuppe ist oder was? Welche Motivation steckt dahinter, wenn man als junge Band so eine Musik macht?

Carsten:
Ich glaube, bei mir ist es hauptsächlich die Motivation, dass dieses Live-Erlebnis – so wie man sich vorstellt, wie man gerne live spielen möchte –, dass sich das mit dieser Musik relativ gut machen lässt. Man muss nicht die ganze Zeit darüber nachdenken, was man spielt oder muss aufgeregt sein, weil die Lieder einfach relativ gut und schnell sitzen. Und natürlich, weil die Musik viel Energie versprüht – das spürt man einfach. Es geht viel um Energie und nicht um komplexe oder komplizierte Lieder. Wir wollten mit dieser Band nichts Neues erfinden.

It’s more than music – oder geht es euch einfach darum, Musik zu machen, wo man nicht sehr viel können muss, um Songs zu spielen?

Carsten:
Der Background ist auf jeden Fall da, auch wenn wir uns da nicht expliziert positionieren! Für uns ist das eine Sache, die selbstverständlich ist. Wir sind da reingewachsen und haben nicht irgendwann gesagt: Ey, Punk finde ich voll geil und jetzt höre ich das mal.
Sascha: Es waren immer ältere Leute da (Ulf und Uschi lachen...), ansonsten wären wir auch nie auf die Idee gekommen, mit 13 oder 14 solche Musik zu hören. Einfach so stößt man ja nicht auf Bands wie die DESCENDENTS. Damals waren wir glücklich, dass uns jemand diese Bands gezeigt hat, die man hören konnte, und die einem gefallen haben. Ich habe irgendwann durch die Kneipe hier BAD RELIGION- und DAG NASTY-Platten in die Hand gedrückt gekriegt und fand das gleich gut. Das hat alles, was an Musik gekommen und gegangen ist, immer überlebt.

Ihr habt beim Konzert im Underground ganz schön abgeräumt. Ich denke mal, in Köln kannten euch die wenigsten Leute. Ist das bei euch immer so?

Sascha:
Irgendwie schon. Wir machen Musik, die beim ersten Hören funktioniert. Die muss man sich nicht erstmal zu Hause anhören und kann anschließend aufs Konzert gehen. Wer grundsätzlich so eine Musik mag, der findet uns auch gut, ohne unsere Songs vorher zu kennen.
Carsten: Dass die Leute während des Konzerts schon soviel klatschen oder sich bemerkbar machen, das ist eigentlich immer so. Es ist aber auch oft so, dass Leute nach dem Konzert dastehen und sagen: Was war das denn jetzt? Das war viel zu schnell und viel zu kurz!

„Viel zu kurz“ ist ein gutes Stichwort. Eure Songs auf dem Tape sind zwischen 30 und 90 Sekunden lang. Wieso macht ihr das? Reduzierung auf das Wesentliche? Ist alles andere Spielerei?

Carsten:
Auf jeden Fall. Es ist aber einfach auch so, dass unsere Lieder sehr simpel aufgebaut sind und wir uns schon ein bisschen schwer tun, beim Lieder machen dann noch was zu ergänzen oder noch einen Teil reinzukomponieren. Ein Lied wird relativ schnell gemacht, dann steht es und dann denken wir nicht mehr großartig darüber nach. Es fühlt sich gut an, so wie es ist. Es fühlt sich auch gut an, so kurze Lieder hintereinander zu spielen.

Das ist doch bestimmt super anstrengend, oder?

Carsten:
Ja! Du kommst nicht in so was rein wie einen Flow oder so. Unser Schlagzeuger sagt, dass er sich bei uns viel mehr konzentrieren muss als bei jeder anderen Band, obwohl es nur 20 Minuten sind. Dafür fangen wir halt bei jedem Lied von vorne an. Es ist anstrengend. Anstrengender als alles, was ich bisher gemacht habe.
Sascha: Es gibt halt nicht diese Ausruhteile, wo man einen Gang zurück schaltet.

Ihr habt vor kurzem so einen schicken kleinen Tonträger gemacht – eine Cassette mit liebevoller Verpackung. Darf man/frau demnächst mehr erwarten?

Carsten:
Nee, ich denke eher nicht. Man kommt als Band ganz schnell in so ein komisches Getriebe rein. Man ist ein Jahr zusammen, dann wird so langsam nach einer Platte gefragt. Aber man muss sich die Frage stellen, wozu das Ganze überhaupt? Nur weil die Leute sagen, man sollte das jetzt machen? Realistisch wird das dann eine Platte sein, die bei keinen 500 Leuten im Schrank steht, oder 200 sind verkauft und 300 stehen bei uns Zuhause. Vielleicht sind das auch nur schlechte Erfahrungen, die ich gemacht habe, aber ich denke schon, dass das immer ähnlich abläuft. Ich wollte das diesmal anders machen. Wirklich nur zu versuchen, soviel wie möglich live zu spielen. So sieht das jetzt aus – aber man weiß ja nie, was wird...
Sascha: An einer Platte hängt soviel dran. Wenn mal mit der Band Schluss sein sollte und irgendeiner hat noch so und soviel Platten im Keller stehen, wird es schwer, die Teile loszuwerden. Man muss auf einmal über so Sachen wie Geld reden. Und das ist dann richtig blöd.

Dann ist es aber doch in gewisser Weise inkonsequent mit dem Tape...

Sascha:
Die Idee war ja ursprünglich ein Tape zu machen, um Konzerte zu kriegen.
Carsten: Das war die unschuldige Idee und dann wurde es zum Selbstläufer: Wenn man schon mal ein Tape hat, dann muss man doch auch... Es ist ja auch ein gutes Gefühl, wenn Leute einen danach fragen.

Hat der Bandname eine bestimmte Bedeutung für euch? Irgendwas mit YOUTH gibt es praktisch wie Sand am Meer: YOUTH OF TODAY, CRUCIAL YOUTH, YOUTH BRIGADE, POWER OF YOUTH...

Ulf:
Das klingt nach frühem 80er Jahre Hardcore; das ist wahrscheinlich der einzige Grund!
Carsten: Er hat schon eine gewissen Bedeutung. ‚Academy’ hat ja etwas mit lernen zu tun: Jemand ein Jugendgefühl wieder beibringen.

Was meinst du damit?

Carsten:
Die Musik halt! Man kann ja auch auf der Bühne nicht nur rumstehen und versuchen, gut Gitarre zu spielen. Ich mache mir bei so Live-Sachen schon darüber Gedanken, was das bedeutet und sag nicht, wir haben jetzt ein Konzert und dann stehe ich auf der Bühne und weiß nicht, was passiert, weil ich das Spielen nur aus dem Proberaum kenne. Ich glaube schon, dass es für viele eine Ausnahmesituation ist, auf der Bühne zu stehen. So eine Bühnenerfurcht zu haben oder nicht wissen, worum es einen bei einem Bühnenauftritt gehen sollte. Es geht bei einem Konzert um etwas anderes, als Ansagen oder Texte zu vermitteln. Wir machen zum Beispiel keine Ansagen.

Texte sind ein gutes Stichwort. Ich habe mir eure Texte angesehen und versucht sie zu verstehen. Damit hatte ich ein kleines Problem... Carsten, wie funktioniert das Textemachen bei dir?

Carsten:
Es kommt einfach so raus. Und ist kein Abarbeiten von gewissen Themen, sondern es geht mehr darum, ein bestimmtes Gefühl zu vermitteln, ohne direkt auf ein Thema einzugehen.

Mein persönlicher Hit auf eurem Tape ist „Pee in a bottle“ – ist das eine Hommage an „Message in a bottle“ von POLICE oder wie ist der Song zu verstehen?

Carsten:
Nee, das habe ich nur mal auf einem Konzert gesehen, also wie jemand in eine Flasche gepisst hat. Ist schon sehr beeindruckend, wenn jemand so was macht.

Männlich oder weiblich?

Carsten:
Männlich natürlich.

Wieso natürlich? Denkst du, Frauen können das nicht?

Carsten:
So was machen hauptsächlich besoffene Typen. Vor allem öffentlich. Besoffene Typen um die vierzig machen das. (Alles lacht und guckt in eine Richtung...)

Willst du etwas dazu sagen, Ulf?

Ulf:
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich so was schon mal gemacht habe. Aber bei manchen Leuten bei uns in der Band könnte ich mir das schon vorstellen!

Ich habe Mitte der 80er Jahre die deutsche Punk- und Hardcoreszene miterlebt – eine Zeit also, in der diese „Szene“ so richtig aufzublühen begann. „Damals“ war diese DIY-Ding ganz groß, alles war neu und jeder hat irgendwas gemacht. Eine tolle Zeit, die mich persönlich sehr geprägt hat und auch ein besonderes Lebensgefühl vermittelt hat. Wie ist das bei euch: Ist die Szene etwas, das euer Leben, eure politische Einstellung, Werte usw. geprägt hat oder ist es gute Musik, auf Konzerte gehen und das war es dann?

Sascha:
Für mich ist es auf jeden Fall mehr! Die ganze Musik hat mich dahin getrieben, wo ich jetzt bin. Wenn ich andere Sachen besser gefunden hätte, dann wäre ich jetzt viel bestrebter, Platten und Videoclips zu machen oder 1000er Auflagen von T-Shirts zu drucken. Es ist eben nicht nur Musik.
Carsten: Ich würde jetzt nicht sagen, dass das so eine zwingende Entwicklung ist, wie ich sie durchlebt habe, um dahin zu kommen, wo ich jetzt bin. Freunde von mir haben zum Beispiel nie so was gehört und sind trotzdem politisch interessiert, auch in der Hinsicht, wie sie die Dinge bewerten. Das ist mehr so eine Sache, wie man sich mit der Welt auseinander setzt. Und das ist eine Funktion, wo ich das Gefühl habe, dass Leute, die sich in so was wie einer Szene aufhalten, stehen geblieben sind. Da wird nicht mehr groß gesucht. Da wird mehr was angenommen.

Habt ihr das Gefühl, ihr seid jetzt in einer Szene drin, die eine gute „Infrastruktur“ hat?

Carsten:
Natürlich ist es so, dass alles Relevante vorhanden ist. Es gibt gewisse Muster, z. B. wie ein autonomes Zentrum funktioniert. Dass es bei so was wie Punk auch um Inhalte geht, steht außer Frage. Nur sollte man sich mal wieder Gedanken machen, was das für Inhalte sind. Und nicht nur zu sagen, ich lese jetzt nur noch linke Literatur, ich lese jetzt nur noch Punkzines und weiß jetzt voll Bescheid, ohne dass ich selber was dafür getan habe.
Sascha: Wenn du dich nur in so Kreisen aufhältst, hast du auch schon eine vorgefilterte Meinung, die rübergebracht wird. Du übernimmst dann auch viel, was du in Fanzines liest, als grundsätzlich richtig, denn es steht ja in einem Punkfanzine, also muss es auch richtig sein. Von daher ist es sicherlich besser, sich eine eigene Meinung zu bilden von dem Ganzen, um zu sehen, wo man steht.

Das waren schöne „last words“. Wollt ihr sonst noch was loswerden?

Carsten:
Don‘t waste your life on punk!