KARIES

Es geht sich aus

Die Platte lief jetzt fünf Mal hintereinander und ich bin immer noch baff. KARIES schaffen es wie ein paar andere Bands aus demselben Postleitzahlenbereich, nicht nur das Niveau zu halten, sondern ein weiteres Mal einen draufzusetzen.

Ähnlich wie bei ihren Live-Auftritten, bei denen man jedes Mal völlig geflasht nach Hause geht und denkt, dass man damit wohl das Beste gesehen hat, was in dieser Band steckt, um beim nächsten Auftritt vom Gegenteil überzeugt zu werden, weil es da noch etwas mehr gab, was man bis dahin nicht für möglich hielt.

Im Jahr X nach dem Hype, den andere angezettelt haben, befruchten sich die Bands aus Stuttgart immer noch gegenseitig und treiben sich zu kreativen Höchstleitungen an, wo andernorts schon längst der Katzenjammer eingesetzt hätte.

Vielleicht ist es das, was den Feinstaubkessel so besonders macht, dass hier nicht gegen-, sondern miteinander gearbeitet wird, ohne in das Terrain des anderen vorzudringen. Auf „Es geht sich aus“, das noch mit Kevin Kuhn am Schlagzeug und den üblichen Verdächtigen an den Reglern (Max Rieger und Ralv Milberg, wer sonst?) eingespielt wurde, regieren die Reduktion und die Repetition.

Die Texte der Stücke bestehen nur aus einer oder zwei Zeilen, die sind allerdings für die Ewigkeit. Zwei Beispiele, die sich die eine oder der andere durchaus unter die Haut stechen lassen kann? „Alles muss sich ändern, um zu bleiben wie es ist.“ Und mein persönlicher Favorit: „Alleine kann man schlecht pervers sein.

Ich müsste wieder unter Leute gehen“. Bei „Pervers“ schon die volle Punktzahl für diese Sätze und den bis zum Extrem aufgebauten Spannungsbogen, bis endlich die Gitarre einsetzt. KARIES sind nicht HUMAN ABFALL und keine DIE NERVEN.

Sie gehören zweifelsfrei zur Familie, aber zu einem Zweig, der nicht auf die Erlösung durch Lärm (DIE NERVEN) oder gesellschaftliche Reflexion (HUMAN ABFALL) setzt, sondern in sich gekehrt genau die Elemente der Genannten kombiniert, die dort keine große Rolle spielen.

Die beiden unverschämten Post-Punk-Gitarren, die ein Bernard Sumner frühestens 1979 richtig spielen konnte, machen einmal mehr deutlich, wie unreif man mit seinem damaligen musikalischen Wissen im selben Alter war.

Ein Umstand, der mich immer wieder bei den Mitgliedern der einzelnen Bands verblüfft. So viel jünger und dabei so „belesen“, was die wichtigen Platten anbelangt, um daraus etwas Eigenes zu formen.

Wer da ABWÄRTS sagt, der muss sich darüber im Klaren sein, dass die dort vielleicht gerne angekommen wären, aber damals ihre Chance einfach vergeigt haben. Das hier ist ein Guss, eine komplette Platte ohne einen einzigen Ausfall, das großartig klingende Opus Magnum, von dessen Unübertreffbarkeit ich bis zum nächsten Mal felsenfest überzeugt bin.

Post-Punk war selten derart einsam, schön und so perfekt zugleich.