SOCIAL DISTORTION

Sex, Love and Rock ‚n' Roll CD/LP

September 1996: SOCIAL DISTORTION veröffentlichen "White Light, White Heat, White Trash", und irgendwie scheint es die meisten nicht wirklich zu interessieren. Das ändert sich im Laufe der folgenden Jahre, in denen sich die Platte zum absoluten Szene-Highlight mausert.

Frontmann Mike Ness scheint mittlerweile für zahlreiche Klamottentrends verantwortlich zu sein: das weiße, ärmellose Feinripp-Unterhemd ist vor allem in Skandinavien allgegenwärtig. Der kommerzielle Erfolg scheint trotzdem auszubleiben.

Wie ist es sonst zu erklären, dass die CD (damals auf Sony veröffentlicht) mittlerweile diversen "Nice-Price"-Aktionen zum Opfer fiel. Anfang 1997: SOCIAL D touren durch Deutschland (soweit ich mich erinnere mit den SWINGIN' UTTERS und BACKYARD BABIES im Vorprogramm, hehe, wie cool) und seit dem ...

Funkstille. Gut, 1999 legte Mike Ness noch zwei erstklassige Soloalben nach, aber von der Band aus Orange County, Kalifornien war nicht mehr viel zu hören. Traurige Nachrichten erreichten uns dann allerdings im Februar 2000.

Gitarrist Dennis Danell verstarb im Alter von nur 38 Jahren. Dies war dann auch spätestens der Zeitpunkt, wo ich die Hoffnung auf eine neue SOCIAL D-Platte aufgegeben hatte. Eine Auflösung des Quartetts schien weitaus wahrscheinlicher als neue Aufnahmen.

September 2004: Wahnsinn, eine neue SOCIAL DISTORTION-Veröffentlichung! Ich werde verrückt. Verdammt, wie großartig ist das? Genau, das ist verdammt großartig, einfach unbeschreiblich. Seit ich "White Light, White Heat, White Trash" zum ersten Mal hörte, wünschte ich mir in musikalischer Hinsicht fast nichts sehnlicher als eben dies.

Und damit hier nichts falsch verstanden wird: Der Vorgänger ist eine absolute Jahrhundertplatte, gehört in jede Plattensammlung und macht in jenem "Greaser-Genre" alles andere total nieder.

Dementsprechend war also meine Freude unbeherrschbar, als ich von der neuen Veröffentlichung hörte bzw. sie endlich in den Händen hielt. Und wie es anders kaum sein konnte, so stimmt natürlich wieder alles: Zehn Songs, wie sie eben nur Mike Ness schreiben kann.

Mal wütend rockend, mal etwas melancholisch und beherrschter setzt "Sex, Love and Rock'n'Roll" neue Maßstäbe und steht dementsprechend dem Vorgänger in nichts nach. Und eines muss hier einfach deutlich gesagt werden: Man merkt schnell, wer in diesem ganzen undurchsichtigen Punk-Rock'n'Roll-Dschungel König ist, und das sind nicht diverse Nachahmer aus Schweden, Norwegen oder auch den USA! Nein, SOCIAL DISTORTION ist einfach ein großartiges, unverkennbares Original und Mike Ness ein begnadeter Songwriter.

Man höre sich beispielsweise "Footprints on my ceiling" an. Na? Und? Kann die Kapelle aus Oslo, Stockholm oder was weiß ich woher solche Love-Songs schreiben? Nein, kann sie nicht! "Pull gardenias from her hair" (Zitat aus eben diesen Lyrics): Wahnsinn, das ist Sprache in Bildern hoch zehn.

Ich ziehe meinen imaginären Hut. Ness ist übrigens der einzige, der es tatsächlich schafft, in solchen fast schon süß duftenden Lyrics auch noch die Textzeile "fucked up feeling" stilsicher einzubauen.

Und hieraus ergibt sich ein wichtiger Punkt zur Gütebeurteilung: Das Ganze wirkt dadurch nämlich nie harmlos verpoppt, verspielt und unkonkret, sondern vielmehr ist der sogenannte "signature wrath" immer deutlich spürbar.

Sicher, schnell treibende Songs schütteln viele Bands aus dem Ärmel, aber so was? Nein, hier scheiden sich die Geister. Das ist einfach Weltklasse, großartig, unverkennbar. Viele werden wahrscheinlich die etwas poppigere Note des neuen Albums anzweifeln, aber nach mehrmaligem Hören komme ich zu dem Entschluss, dass die neue Scheibe noch genauso SOCIAL D ist wie alle anderen auch.

Sein wir doch mal ehrlich: Irgendwie hat sich doch jede Scheibe von Ness & Co. anders angehört ... und das wird hier konsequent fortgesetzt. Wobei ich hier nicht von bekloppter "arty" Veränderung im totalen Sinne spreche, sondern von den kleinen, feinen Dingen, die eben über Erfolg oder Nicht-Erfolg entscheiden ...

Also noch mal zur Beruhigung: Man würde es nicht merken, wenn Songs wie "I wasn't born to follow" oder "Don't take me for granted" auf "WLWHWT" erschienen wären. Ebenfalls unverkennbar aus der Feder von Ness die Lyrics: So lassen sich doch anhand selbiger großartige imaginäre Bilder erstellen ...

Bilder vom alten Amerika, von der Liebe, von Versöhnung. Und ja, das klingt vielleicht schmalzig, und ich finde es bei vielen anderen Bands auch daneben, aber hier? Nein, hier ist das großartig und gehört verdammt noch mal dazu.

Also bloß genug Zeit nehmen und die Platte per Booklet verfolgen! Kommen wir zum nächsten Punkt, dem Artwork. Das ist ebenfalls unverkennbar späte SOCIAL D und hat so was beruhigend spirituelles, nachdenkliches an sich.

Jetzt kann ich verstehen, warum Kunstfanatiker stundenlang auf ein Bild gucken können. Fazit: Für mich definitiv die wichtigste Platte seit dem neuen Jahrtausend! Zu guter Letzt sei noch auf das Interview hier im Heft hingewiesen und darauf, dass die Euro-Pressung der CD auf Kung Fu noch einen Bonustrack in Form von "Mommy's little monster" enthält.

Der entstammt allerdings der vor kurzem erschienenen DVD "Live in Orange County" (Tipp!) und ist somit für echte Fans, die die DVD schon besitzen, nicht wirklich ein Bonus. (41:27) (10/10)