CRASS

The Feeding Of The Five Thousand

Als Ende 2007 in London Steve Ignorant an zwei Abenden vor tausenden Punks mit feuchten Augen dieses Album zur Aufführung brachte und der ganze Saal bei „Do they owe us a living?“ mitbrüllte, da war das ein Gänsehautgefühl.

Und Steve hatte als einstiger Sänger der Band damit eine Art Revival eingeläutet, CRASS, die sich 1984 aufgelöst hatten, zumindest partiell neues Leben eingehaucht. Penny Rimbaud als wichtiges Gründungsmitlied war zwar zunächst gegen diese beiden Konzerte, gab Steve letztlich aber sein Okay, so dass seitdem zwar auch unter den einstigen Bandkollegen weiter diskutiert wird, wie mit dem gemeinsamen Erbe umzugehen ist, Steve aber eben nicht isoliert dasteht.

Gleiches gilt auch für die Konzerte im Herbst 2010. Diese wiederum werden untermauert von der Veröffentlichung der Katalognummer CC01 von Crass Records, dem wiederbelebten bandeigenenen Plattenlabel, auf dem in nächster Zeit weitere überarbeitete und erweiterte CRASS-Alben erscheinen sollen.

„The Feeding Of The Five Thousand“ von 1979 macht den Anfang, doch der war, wie Steve Ignorant erzählt, sehr hart: CRASS waren die prototypische Polit-Band, überzeugte und engagierte Anarchisten, die in einer Art Kommune im legendären Dial House zusammen lebten, und alle Beteiligten halten ihr musikalisches wie politisches Vermächtnis in hohen Ehren, man will nicht hinter seine einst postulierten Ansprüche zurückfallen, und entsprechend hitzig fielen die Diskussionen im Vorfeld der Neuauflage aus, vor allem Bassist Pete Wright entpuppte sich als vehementer Rerelease-Gegner, der sogar mit anwaltlichen Schritten drohte.

Ganz vom Tisch ist der Streit nicht, aber mit Steve Ignorant, Penny Rimbaud und Grafikerin Gee Vaucher fand das Projekt wichtige Unterstützer, so dass nun das erste Album der neben THE CLASH und SEX PISTOLS wichtigsten britischen Punkband in einer von den gerade noch vor dem Zerfallen geretteten Originalbändern neu gemasterten Version vorliegt.

Die im Original 18 Songs wurden ergänzt um frühe Aufnahmen aus den Jahren 1977 und 1978, anhand derer man die Entwicklung der Stücke und der Band nachvollziehen kann, was sich 1979 dann in einem der schärfsten und aggressivsten Punk-Alben aller Zeiten niederschlug.

Wer immer von sich behauptet, er würde aggressive, harte, kompromisslose Musik schätzen, der muss dieses Album kennen und verstanden haben. Stücke wie „Asylum“, „Do they owe us a living?“, „Punk is dead“, Fight war not wars“, „Sucks“, „You pay“ oder „So what“ sind musikalisch wie textlich aufwühlend, unfassbar direkt und hart, das ist keine schmusige Rock’n’Roll-Show, das war die kalte, harte Fratze der brutalen Polititk der fiesen Thatcher-Regierung, die hier demaskiert wurde.

Keine plumpen Wutausbrüche von zerlumpten Jugendlichen aus den grauen Vorstädten, die kaum ihre Instrumente halten konnten, sondern die intellektuelle Agit-Prop-Version von Punk, die nicht davor zurückschreckte, dem verhassten Gegner mit Worten direkt ins Gesicht zu schlagen.

Allein der Text von „Asylum“, wegen dem sich damals Presswerksarbeiter der Herstellung des Albums verweigerten, ist eine Pracht und das beste Statement gegen Religion, das jemals von einer Band veröffentlicht wurde.

Die Neuauflage kommt in einem Pappschuber mit einer auffaltbaren Reproduktion des originalen Faltcovers von Gee Vaucher und wird ergänzt durch ein dickes Booklet mit allen Texten sowie Linernotes von Steve Ignorant und Penny Rimbaud.

Und jetzt bin ich gespannt, wie es mit „The Crassical Collection“ weitergeht.