GOLDENEN ZITRONEN

Das bißchen Totschlag

Ende 2009 erschienen auf Ritchie Records Vinylneuauflagen des dritten („Fuck You“, 1990) und vierten („Punkrock“, 1991) Zitronen-Albums, jener beiden Werke also, mit denen sich die Abwendung vom eher albernen, aber unterhaltsamen Fun-Punk der Frühzeit vollzogen worden war und die auf „Porsche, Genscher, Hallo HSV“ (1987) und „Kampfstern Mallorca dockt an“ (1988) dokumentiert wurde.

Mit „Das bißchen Totschlag“ (1994) und „Economy Class“ (1996) wurden jetzt von ihrem damaligen Label Sub Up diese beiden Werke in handnummerierten 500er-Vinylauflagen rereleaset, remastert und auf 180g-Vinyl, mit den originalen Textblättern.

Im Falle von „Totschlag“ ist das ein A3-Achtseiter im Zeitungslook, in dem sich die Hamburger Band den Themen der damaligen Zeit widmete: Die Mordbrennerei und Angriffe auf Ausländer im Zuge der Wiedervereinigungsbesoffenheit (siehe dazu auch den Albumtitel), die Inhaftierung der RAF-Frau Irmgard Möller (die 1995 freigelassen wurde), der Aufstand von Subcomandante Marcos und seinen Anhängern in Mexiko, der Verdrängung von Vinyl durch CD und die neue digitale Freiheit durch den Ausbau der Computernetze (damals war das heutige Internet noch Zukunftsmusik).

Spannend zu sehen, wie aktuell manche Texte heute noch sind, wie überholt andere – und wie „relevant“ die Zitronen damals waren und es heute noch sind, welche Richtung deutschsprachige Musik nach Punk auch hätte nehmen können, wäre nicht weitgehend bedeutungsloser Sprachbombast des Kalibers TOMTE, KETTCAR, REVOLVERHELD oder JUPITER JONES dazwischengekommen.

Mit „Economy Class“ ging es 1996 weiter, und weil es irgendwie lustig ist, zitiere ich mich selbst aus Ox #24: „Bislang stand ich den GOLDENEN ZITRONEN ja immer sehr gespalten gegenüber, denn obwohl textlich und musikalisch rein gar nichts gegen die Hamburger einzuwenden ist, ging mir die Art und Weise, wie intellektualisierende Schleimscheißer und Feuilletonidioten die Zitronen vereinnahmten, schwer auf den Geist.

Ich meine, wer will schon eine Band mögen, die von der Spex-Redaktion kollektiv für gut befunden wird, und die Träger von schwarzen Rollkragenpullis für cool halten, weil sie davon an die zehnmonatige Punkphase in ihrer 15 Jahre zurückliegenden Jugend erinnert werden.

Aber stimmt schon, dafür können Schorsch Kamerun und seine Burschen so richtig nichts, und wenn mensch sich denn mal rein auf die Musik konzentriert, ist das hier wirklich fucking gut – eine anarchische Mischung aus so ziemlich allen Musikstilen der letzten 20, 30 Jahre, zusammengehalten von punkig-stinkiger, kreativer Wut.

Na ja, und die Texte sind natürlich wieder oberköstlich, etwa die Studententalk-Verarsche ,030, gleiches Ambiente‘. Schade nur, dass die Leute, die sich angesprochen fühlen sollten, gar nicht kapieren, dass sie gemeint sind: Du, die neue Zitronen-Scheibe ist ja wieder suuuper!“ Ich bin überrascht, dass sich diese Einschätzung der Band 15 Jahre später noch genau so aufrecht erhalten lässt.

Für mich eine der besten Zitronen-Platten.